Medien und Emotionen. Zur Geschichte ihrer Beziehung seit dem 19. Jahrhundert

Medien und Emotionen. Zur Geschichte ihrer Beziehung seit dem 19. Jahrhundert

Organisatoren
Frank Bösch; Manuel Borutta in Verbindung mit dem Arbeitskreis Geschichte+Theorie (AG+T) mit Förderung der Werner-Reimers-Stiftung, Bad Homburg
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.02.2005 - 27.02.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Manuel Borutta, Berlin; Frank Bösch, Bochum

Der emotional turn hat mit einiger Verzögerung auch die Geschichtswissenschaft erfasst. Bislang wurden Emotionen vornehmlich für die Zeit bis zum 19. Jahrhundert untersucht. Neuerdings steht das 20. Jahrhundert im Fokus der Forschung. Überraschend unterbelichtet ist dabei indes noch immer die Rolle moderner Medien bei der Organisation und Kommunikation von Gefühlen, obwohl diese in öffentlichen Debatten der Gegenwart immer wieder für das Schüren bestimmter Emotionen verantwortlich gemacht werden - etwa im Hinblick auf die Genese von Gewalt. Die Medialität von Emotionen und die Emotionalität von Medien standen daher im Zentrum einer von der Werner-Reimers-Stiftung geförderten Tagung unter Leitung von Frank Bösch und Manuel Borutta, die in Verbindung mit dem "Arbeitskreis Geschichte+Theorie (AG+T)" vom 25. bis zum 27. Februar 2005 im Bochumer Institut für soziale Bewegungen stattfand. Drei Tage lang erkundeten Medienwissenschaftler und Historiker im interdisziplinären Dialog die historische Beziehung von Medien und Emotionen in der Moderne.

Welches waren die medienwissenschaftlichen Angebote? Als operationalisierbar für die historische Analyse erwies sich der Begriff der ‚medialen' Emotion in Abgrenzung von ‚realen', d.h. nichtmedialen Emotionen, den der Medienwissenschaftler Vinzenz Hediger (Bochum) in einem filmtheoretischen Überblick zum Thema einführte. Schnell enthüllte indes gerade dieser Begriff auch die unterschiedlich akzentuierten Erkenntnisinteressen beider Disziplinen: Während Historiker meist nichtmediale Ursachen und Folgen medialer Emotionen privilegieren, rücken Medienwissenschaftler die mediale Emotion selbst in den Mittelpunkt.

Unter dem Stichwort vom ‚Zuschauer als filmischem Leihkörper' konturierte die Philosophin Christiane Voss (Berlin) einen Idealtypus gelingender Kinorezeption, der der Hypnose ähnelt. Der Theaterwissenschaftler Hermann Kappelhoff (Berlin) plädierte dafür, Emotionen als Artefakte zu begreifen, die selbst zu Objekten werden können, wie beispielsweise die Glocke von Friedland, die zum Symbol der deutschen Kriegsheimkehrer wurde, deren Ankunft im Radio pathetisch trauernd bis aggressiv lakonisch zelebriert wurde, wie Michael Stolle (Karlsruhe) zeigte. Auch der Torschrei Herbert Zimmermanns während des WM-Finales 1954 lässt sich als vergegenständlichte Emotion fassen, die - abgelöst vom Körper des Reporters, durch rituelle Wiederholung - ex post eine ‚emotionale Volksgemeinschaft' beschwor, die unmittelbar nach dem sportlichen Triumph der Herberger-Elf kaum existiert haben dürfte. In Ungarn zeitigte dasselbe mediale Ereignis eher kurzfristige, zudem diametral entgegengesetzte Folgen: Rudolf Oswald (München) zufolge führte die bloße Andeutung des ungarischen Radiokommentators, das Spiel könne verschoben worden sein, hier zu Ausschreitungen gegen staatliche Funktionäre. Der mutmaßliche Verrat von oben stand so zumindest indirekt in Verbindung mit dem Volksaufstand von 1956.

In emotionshistorischer Perspektive relativierte die Tagung gängige Großnarrative. Vor allem die These einer ‚Disziplinierung der Gefühle' (Elias, Stearns u.a.) hielt der historischen Analyse einzelner Medien kaum stand. So demonstrierte Frank Bösch (Bochum), dass Kriegsfilme die Kinozuschauer im 20. Jahrhundert keineswegs in ihre Kinosessel niederdrückten, sondern vielfältige Emotionen auslösten, die von den Produzenten nicht immer intendiert waren. Auf filmischer Ebene wiesen sie jene Emotionalisierung von Männlichkeit auf, die Habbo Knoch (Göttingen) auch am Beispiel massenmedialer Trauer ausmachte. Als nach wie vor erhellend erwies sich hingegen Foucaults These einer ‚Diskursivierung des Sexes', an der nicht nur multimediale Repräsentationen klerikaler Sexualität im 19. Jahrhundert beteiligt waren, wie Manuel Borutta (Berlin) zeigte, sondern etwa auch die Gerichtsreportage der Zwischenkriegszeit, die Daniel Siemens (Berlin) am Beispiel von Sensationsprozessen in Berlin, Chicago und Berlin behandelte.

Welche Emotionen wurden in Medien kommuniziert und organisiert? In den Tagungsbeiträgen reichte das Spektrum von Angst, Hass und Ekel über Sentimentalität, Liebe und Treue bis hin zu Trauer und Euphorie. Jan Plamper (Tübingen) thematisierte mediale Strategien des russischen Militärs zur Bekämpfung soldatischer Angst im Zarenreich. Jan Behrends (Potsdam) rekonstruierte die Vermenschlichung des Politischen im Stalinismus. Der Diskurs kollektiver Liebe zum Diktator erfasste hier, wenngleich mitunter ironisch gebrochen, auch die Aussagen von Oppositionellen und Exilanten und floss so noch in die Genese der Totalitarismustheorie mit ein. Ein weiteres Beispiel der propagandistischen Instrumentalisierung von Medien lieferte Karen Krüger (Bielefeld), die die Verantwortung der Sendungen des staatlichen Radiosenders in Rwanda für den Genozid an den Tutsi im Jahre 1994 herausarbeitete. Annette Vowinckel (Berlin) demonstrierte hingegen das ästhetische Scheitern cinematographischer Repräsentationen von Flugzeugentführungen der 70er Jahre. Deutlich wurde der Mehrwert einer Verknüpfung von Medien- und Emotionsgeschichte nicht zuletzt in den Beiträgen zur NS-Zeit: Alexander Gepperts (Essen) Analyse massenhafter weiblicher Liebesbriefe an Adolf Hitler und Astrid Pohls (Marburg) Interpretation nationalsozialistischer Arztmelodramen zwischen Ideologie und Sentimentalität führten den Nutzen einer emotionshistorischen Ergänzung der NS-Forschung vor.

Die Tagung demonstrierte die Ergiebigkeit sorgfältiger Medien- und Rezeptionsanalysen für die ‚allgemeine' historische Forschung. Trotz eines bewusst eng gehaltenen Medienbegriffs, der Massenmedien privilegierte, wurde immer wieder auch deren historische Beziehung zu älteren Medien sichtbar, etwa des Kinos zum Theater der Empfindsamkeit. Da diese älteren Medien (Theater, Briefe, Romane, Karikaturen) in der Praxis der Analyse ähnlich gehandhabt wurden, liegt eine Übernahme medienhistorischer Fragen und Kategorien durch die allgemeine Geschichte nahe. Vielleicht sollten Historiker daher künftig stärker als bislang die Medialität ihrer Quellen reflektieren und sie als Medien behandeln. Hier lässt sich von Medienwissenschaftlern lernen. Zugleich sollte sich die Mediengeschichte und -wissenschaft nicht allein auf das 20. Jahrhundert konzentrieren, sondern im Sinne einer Mediengenealogie weiter zurückgreifen. Gerade die Geschichte der Emotionen erscheint hierfür als geeignetes Feld. Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist in Vorbereitung.