Briten in Westfalen

Organisatoren
Peter Fäßler, Historisches Institut der Universität Paderborn / Andreas Neuwöhner, Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Paderborn
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.03.2017 - 11.03.2017
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Von
David Merschjohann, Hövelhof

Vom 9. bis 11 März 2017 fand an der Universität Paderborn die internationale Tagung „Briten in Westfalen. Begegnungen – Beziehungen – Geschichte (1945-2017)“ statt. Die Veranstalter, Peter Fäßler vom Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Historischen Instituts der Universität Paderborn sowie Andreas Neuwöhner, 1. Direktor des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Paderborn, begrüßten zahlreiche Besucher/innen zu den insgesamt fünf Tagungssektionen. Ein öffentlicher Abendvortrag im Historischen Rathaus der Stadt Paderborn sowie eine Exkursion zum nahegelegenen britischen Truppenübungsplatz Senne rundeten das Programm ab. PETER FÄßLER (Paderborn) wies eingangs darauf hin, dass die vermeintliche „Erfolgsstory“ der britisch-deutschen Beziehungen – gemeint ist der Wandel von Feinden zu Freunden bzw. Partnern – einer gründlichen Analyse bedürfe. Zentrale Fragen der Tagung seien daher, wie die wechselseitige Annäherung erfolgen konnte und welche Faktoren dazu beitrugen, dass Feindbilder abgebaut wurden. ANDREAS NEUWÖHNER (Paderborn) stellte die Kernaufgaben des Vereins vor: Zum einen die Sammlung von Objekten der Sachkultur sowie zum anderen die Erforschung der Geschichte Westfalens. Das laufende Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Briten in Westfalen“ erfülle daher die Ideen des Vereins in besonderer Weise.

Die erste Sektion, die von Rainer Pöppinghege (Paderborn) geleitet wurde, eröffnete THOMAS KÜSTER (Münster) mit einem detaillierten, informativen und facettenreichen Überblick der britischen Stationierungszeit in Westdeutschland. Im Zeitraum von 1945 bis heute waren in Westfalen mindestens 800.000 britische Soldaten inklusive ihrer Familienangehörigen stationiert. Küster stellte diesbezüglich drei Erklärungsansätze zur Diskussion, warum sie trotz dieser großen Zahl von der deutschen Bevölkerung kaum wahrgenommen wurden: Nur teilweiser Abbau der Besatzungsrechte der Alliierten, zivilmilitärische Normalität in Westfalen sowie eine sogenannte „Parallelgesellschaft“. BENEDIKT NEUWÖHNER (Duisburg-Essen) warf die Frage auf, inwiefern die Erfahrungen aus der britischen Rheinlandbesatzung nach dem Ersten Weltkrieg die Vorbereitungen der britischen Besatzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflussten. Auf der Basis von Dokumenten der Kontrollkommission für Deutschland (CCG) sowie von Aufzeichnungen General Morgans stellte Neuwöhner dar, dass die Rheinlandbesatzung nach 1945 nun vielmehr von Strenge, Härte und Misstrauen gegenüber der deutschen Bevölkerung gekennzeichnet sein sollte. Eine Bandbreite britischer Schriftsteller zeigte MICHEL GIRKE (Herford) auf, die über Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges berichtete. Anhand einer eingehenden Analyse des Schriftstellers Stephen Spender analysierte der Referent, dass Spender aufgrund seiner Westfalen-Eindrücke bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem Apologeten eines Vereinigten Europas geworden sei. BETTINA BLUM und FLORIAN STAFFEL (beide Paderborn) stellten das seit September 2015 laufende Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Briten in Westfalen“ vor. Beide warben darum, dass der Zeitpunkt der Ausstellungseröffnung im Oktober 2017 nicht das Ende der wissenschaftlichen Aufarbeitung bedeuten dürfe. Zu facettenreich und interessant sei die mittlerweile knapp 70-jährige Geschichte der Briten in Westfalen.

Den zweiten Veranstaltungstag eröffnete Markus Moors (Paderborn) als Moderator der zweiten Sektion. KERSTIN SCHULTE (Bielefeld) wandte sich in ihrem Vortrag den britischen Internierungslagern zu, die in der ansonsten gut untersuchten alliierten Stationierungs- und Besatzungspraxis bislang vernachlässigt worden seien. Ihr Dissertationsprojekt ziele weniger auf eine Neuauflage einer Beschreibung der Geschichte der Internierungslager, so Schulte. Stattdessen wolle sie die in den Internierungslagern geprägten Narrative sowie Gemeinschafts- und Lagererfahrungen in ihrem Einfluss auf die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft herausarbeiten. „Entnazifizierung – Ein Vergleich des Verfahrens in der Französischen und der Britischen Besatzungszone“ lautete der Titel des Vortrages von DOROTHEE GRÄF (Potsdam). Als wesentlichen Unterschied benannte sie die französische Praxis, den Entnazifizierungsprozess von Anfang an in deutsche Hände zu legen. Die Deutschen hätten somit die Verantwortung erhalten, das Land selbst neu aufzubauen sowie den Demokratisierungsprozess einzuleiten. Dabei hätten die Franzosen lediglich unterstützend zur Seite gestanden, wohingegen die Briten eher direktiv gewirkt hätten. Für JENS WESTEMEIER (Aachen) stand fest, dass eine enorme Diskrepanz zwischen britischem Anspruch und der Wirklichkeit im unter britischer Aufsicht geführten Gefängnis Werl vorgeherrscht habe. Westemeier wies anhand verschiedener Biographien von NS-Generälen wie Albert Kesselring oder Erich von Manstein nach, dass diese im Gefängnis sehr frühzeitig Sonderbehandlungen erfahren hätten. In der Person Kurt Meyer habe man laut Westemeier noch einmal ganz deutlich gesehen, dass im Werler Gefängnis keine Umerziehung seitens der Briten sowie keinerlei Selbstkritik seitens der Inhaftierten stattgefunden habe.

Johanna Sackel (Paderborn) übernahm die Moderation der dritten Sektion. Im Zentrum des Vortrags von MARKUS KÖSTER (Münster) stand die Frage, wie sich der Umgang der britischen Militärregierung mit deutschen Jugendlichen gestaltete. Insgesamt hätte die britische Besatzungsregierung mithilfe von zahlreichen politischen Bildungsinitiativen für einen Neuanfang organisierter Jugendarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg gesorgt, verbunden mit dem Ziel, der deutschen Jugend Toleranz und demokratisches Bewusstsein zu vermitteln. BARBARA STAMBOLIS (Paderborn) referierte über „Die Praxis britischer Jugendarbeit in Westfalen: Lernen durch Begegnung“. Die Referentin bilanzierte Erfolge und Perspektiven britischer Jugendarbeit; so könnten beispielsweise Schüleraustausche im Sinne einer Völkerverständigung charakterisiert werden. Nichtsdestotrotz seien laut Stambolis die „Folgelasten“, die mit Nationalsozialismus und Weltkrieg verbunden waren, erst nach mehreren Generationen überwunden worden. SARAH PATERSON (London) widmete sich in ihrem Vortrag den britischen Schulen und deren Etablierung, welche die Grundlagen für das Leben der britischen Kinder in Westfalen ermöglichten. Darüber hinaus stellte sie Erfahrungen der britischen Administration sowie britischer Soldaten samt deren Angehörigen in der Frühphase nach Ende des Zweiten Weltkrieges in dem zerstörten Land vor.

Bärbel Sunderbrink (Detmold) moderierte die vierte und damit die letzte Sektion des zweiten Veranstaltungstages. PHILIPP ERDMANN (Münster) beleuchtete in seinem Vortrag den Aufbau einer deutschen Kommunalverwaltung unter Anleitung der Briten am Beispiel der Stadt Münster. Das von den Alliierten im Allgemeinen durchgeführte „Demokratisierungskonzept“ und die damit verbundene Neuorganisation deutscher Verwaltungen sei mit dem Ziel erfolgt, eine größere Nähe zwischen Verwaltung und Bürgern zu etablieren. MANFRED HEINEMANN (Hannover) setzte sich in seinem Vortrag mit den biographischen Daten des Beauftragten für Wissenschaft der britischen Militärregierung Bertie K. Blount auseinander und stellte britische Perspektiven für Deutschlands wissenschaftlich-technischen Wiederaufbau vor.

„Militärische Nutzung und Vielfalt der Senne“ – so lautete der öffentliche Abendvortrag, der über 100 interessierte Personen in das Historische Rathaus der Stadt Paderborn lockte. ULRICH HARTEISEN (Göttingen) gab einen Überblick über die geologische, geographische und kulturhistorische Entwicklung der Senne. Der Referent wagte für den Fall des militärischen Abzuges abschließend einen Ausblick und plädierte für die Umwandlung in einen Nationalpark Senne.

Im Zentrum des letzten Veranstaltungstages stand die fünfte Sektion, die von Sabrina Lausen (Paderborn) geleitet wurde. Über deutsch-britische Hochzeiten forschte CHRISTOPHER KNOWLES (London) auf drei Ebenen: Personell, soziokulturell und im Einfluss auf und von politischen Direktiven. Für den Londoner Referenten stand fest, dass man die symbolische Kraft einer Hochzeit nicht unterschätzen dürfe: Eine Hochzeit bestärke kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen britischen Soldaten und deutschen Frauen, was als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Frieden angesehen werden könne. Die grundsätzliche britische Motivation einer Einsetzung der sogenannten „British Army of the Rhine“ (BAOR) wurde von PETER SPEISER (London) verdeutlicht: Westdeutschland sei als Teil der Verteidigung gegen den Kommunismus angesehen worden, die deutsche Demokratie war noch jung, sodass ein möglicher wiederholt aufkommender Nationalsozialismus mit allen Mitteln verhindert werden sollte. Im weiteren Verlauf stellte er Herausforderungen und Strategien der BAOR dar. OLIVER ZÖLLNER (Stuttgart/Düsseldorf) widmete sich in seinem Vortrag der Bedeutung von British Forces Broadcasting Service (BFBS) für die deutsche Bevölkerung. Zöllner wies auf die Vorbildfunktion von BFBS für mehrere deutsche Radiosender aufgrund des vielfältigen, innovativen Angebots hin, was zu einer „medialisierten Westbindung“ geführt habe. Aufgrund dessen sei BFBS, so das Fazit von Oliver Zöllner, für eine Verwestlichung der deutschen Gesellschaft von elementarer Bedeutung gewesen.

In seinen abschließenden Worten verdeutlichte PETER FÄßLER (Paderborn), dass es sich um eine ‚dynamische Beziehungsgeschichte‘ zwischen Briten und Deutschen gehandelt habe, die es noch weiter zu erforschen gelte. Zudem könne das Projekt „Briten in Westfalen“ als Fallstudie für den Vergleich mit den anderen Besatzungszonen fungieren. Die Tagung habe zudem die Erkenntnis gebracht, dass Sachverhalte wie Besatzungsstrukturen bzw. Besatzungskonstellationen in ihrem räumlichen Niederschlag einen interdisziplinären Zugriff erfordern würden. Als Paradebeispiel hierfür könne der Vortrag von Ulrich Harteisen gelten, der es verstand, eine Symbiose des Kultur- und Geschichtsraumes Senne erstellt zu haben. Nach Ansicht Peter Fäßlers beruhen Beziehungen und Besatzungen immer auf Kommunikation. In diesem Zusammenhang hob er exemplarisch den Vortrag des letzten Referenten hervor. Mittels BFBS und der damit verbundenen medialen Kommunikation könne die deutsch-britische Verflechtungsgeschichte bzw. die sogenannte ‚Westernisierung‘ sehr anschaulich dargestellt werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die internationale Tagung angesichts der aktuellen Entscheidungen zum Abzug der Briten aus Westfalen sehr lohnenswert war, da die Vorträge der Referenten den anwesenden Wissenschaftlern sowie interessiertem Fachpublikum zahlreiche Ideen und Anregungen lieferten. So kann man daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die einzelnen Referenten in den anschließenden lebhaften Diskussionen hiervon ebenfalls für ihre weiteren Forschungen profitiert haben. Neben Peter Fäßlers prägnanten und interessanten abschließenden Überlegungen kann vor allem den beiden Referenten Blum und Staffel zugestimmt werden, die für eine weitere geschichtswissenschaftliche Erforschung der Briten in Westfalen warben.

Konferenzübersicht:

Peter Fäßler / Andreas Neuwöhner (beide Paderborn): Begrüßung

Sektion 1: Die britische Westfalenrezeption
Leitung: Rainer Pöppinghege (Paderborn)

Thomas Küster (Münster): „Living with Herman“. Der „Standort Westfalen“ aus britischer
Sicht (1960-2015)

Benedikt Neuwöhner (Duisburg-Essen): Britische Rezeption der Rheinlandbesatzung ab der Mitte des Zweiten Weltkrieges und die Erfahrungen der ersten Besatzung

Michael Girke (Herford): Exotisches Westfalen – wie die britische Intelligenz Westfalen nach dem Krieg sah

Bettina Blum / Florian Staffel (beide Paderborn): Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Briten in Westfalen. Begegnungen – Beziehungen – Geschichte (1945-2017)“

Sektion 2: Die britische Internierungs- und Entnazifizierungspraxis
Leitung: Markus Moors (Paderborn)

Kerstin Schulte (Bielefeld): Britische Internierungslager in Westfalen im Kontext der alliierten Besatzungspraxis. Eine multilaterale Beziehungsgeschichte

Dorothee Gräf (Potsdam): Entnazifizierung – Ein Vergleich des Verfahrens in der Französischen und der Britischen Besatzungszone

Jens Westemeier (Aachen): „Noch immer dunkel über Werl.“ The Allied National Prison Werl – Symbol britischer Besatzungs- und deutscher Vergangenheitspolitik.

Sektion 3: Jugend in der Besatzungszeit
Leitung: Johanna Sackel (Paderborn)

Markus Köster (Münster): “Building up Democracy from the Bottom” – Funktion und
Selbstverständnis der Youth Education Control Officers der britischen Besatzungsregierung 1945-1949

Barbara Stambolis (Paderborn): Die Praxis britischer Jugendarbeit in Westfalen: Lernen durch Begegnung

Sarah Paterson (London): The children of Operation Union. Setting up the initial infrastructure for British Families in Germany, 1946-1949

Sektion 4: Britische Perspektiven auf die Umgestaltung Deutschlands in Verwaltung und Wissenschaft
Leitung: Bärbel Sunderbrink (Detmold)

Philipp Erdmann (Münster): “...not the master of the people, but its servant”. Das Verhältnis
von Stadtverwaltung zu Stadtbevölkerung in der britischen Besatzungskonzeption und dessen Rezeption in Münster.

Manfred Heinemann (Hannover): Bertie K. Blount und die britischen Perspektiven für Deutschlands wissenschaftlich-technischen Wiederaufbau. Reeducation und die Military Security Control 1945-1952

Ulrich Harteisen (Göttingen): Militärische Nutzung und Vielfalt der Senne (Abendvortrag)

Sektion 5: deutsch-britische Annäherungen
Leitung: Sabrina Lausen (Paderborn)

Christopher Knowles (London): Marriage with ‘ex-enemy aliens’ The first British servicemen to marry a German woman after the end of the Second World War?

Peter Speiser (London): The British Army of the Rhine: Turning Nazi Enemies into
Cold War Partners

Oliver Zöllner (Stuttgart/Düsseldorf): „Die symbolische Repräsentanz Großbritanniens durch
Militärrundfunk: British Forces Broadcasting Service (BFBS) in Germany und seine Publika“

Peter Fäßler (Paderborn): Fazit und weiterführende Überlegungen


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