100 Jahre Gründung der USPD

100 Jahre Gründung der USPD

Organisatoren
Weimarer Republik e.V., Forschungsstelle Weimarer Republik an der FSU Jena, Friedrich-Ebert-Stiftung: Archiv der sozialen Demokratie, Rosa-Luxemburg-Stiftung: Landesbüro Thüringen
Ort
Gotha
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.04.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Ronny Noak, Institut für Politikwissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die Betrachtung der USPD und der Spaltung der Arbeiterbewegung ist bisher weder abgeschlossen, noch erscheint sie obsolet. Insbesondere die Fragen nach der Zusammensetzung der Mitglieder der Basis, die Bedeutung der ideologischen und strategischen Differenzen bei der Parteispaltung, die Gründe des Wechsel von der USPD zur KPD, das Zusammenspiel von USPD, Räte, Revolutionären Obleuten und Gewerkschaften, aber auch die Auslotung möglicher Handlungsalternativen der SPD im Zeitraum von 1914 bis 1922, die durch die USPD herausgefordert wurde, vermögen als bisherige Desiderate der Forschung Anstoß zu neuen Betrachtungen auf die Geschichte der Spaltung der Arbeiterbewegung geben. Erste neue Perspektiven auf das Jahr 1917 sollte die Veranstaltung in Gotha liefern.

Eröffnet wurde das wissenschaftliche Kolloquium zur Gründung der USPD durch ANDREAS BRAUNE (Jena). Dieser stellte bereits zu Beginn die Bedeutung der Partei für die Arbeiterbewegung und den geschichtlichen Verlauf heraus. Im Anschluss begrüßte der Gothaer Oberbürgermeister Knut Kreuch die Teilnehmer. Er verwies darauf, dass am Tagungsort einst die USPD im Freistaat Sachsen-Gotha mit absoluter Mehrheit regierte, eine weltweit einmalige Begebenheit. Auch die Vertreter der Veranstaltungspartner Friedrich-Ebert-Stiftung und Rosa Luxemburg-Stiftung wünschten im Anschluss ein erkenntnisreiches Kolloquium.

Der direkt folgende erste Themenblock behandelte die deutsche Sozialdemokratie während der Zeit des Ersten Weltkrieges. Die Referate von WOLFGANG KRUSE (Hagen), MAX BLOCH (Köln) und STEFAN BOLLINGER (Berlin) widmeten sich vor allem den Gründen für eine Spaltung der Sozialdemokratie und den Vorbedingungen sowie den Konstellationen innerhalb der Partei, die schließlich zu einer Spaltung führen sollten. Wolfgang Kruse skizzierte dabei bereits auf die verschiedenen Geschichtsinterpretationen der Spaltung, die die Separation als überflüssige bis hin zu einer falschen Spaltung betrachteten. Max Bloch zeichnete in seinem Beitrag den Weg der Spaltung der SPD nach und stellte dabei den unversöhnlichen Gegensatz zwischen MSPD und USPD in der Frage der Regierungsbeteiligung dar. Final warf Bloch die Frage auf, ob die Spaltung der Arbeiterpartei als Wegmarke zur parlamentarischen Demokratie zu sehen sei. Stefan Bollinger legte seinen Fokus auf die Betrachtung der steigenden Radikalität in der Partei, die vor allem durch die russische Revolution, aber auch durch eine fehlende praktische Umsetzung der durch die SPD geforderten Reformen bedingt war.

Das sich anschließende Panel befasste sich mit den Entwürfen einer Friedens- und Nachkriegsordnung aus den Reihen der Sozialdemokratie. Zunächst zeigte THILO SCHOLLE (Berlin) am Beispiel Hugo Haases die spezifisch USPD-eigene Position zur Kriegsfrage unter besonderer Berücksichtigung der Durchsetzungsfähigkeit dieser Vorstellungen. Dabei verwies der Referent vor allem auf die 1915 verfasste Resolution „Geburt der Stunde“ und die bereits in der vorangegangenen Diskussion angeführte maßgebliche Bedeutung der Frage, ob sich das Deutsche Reich in einem Eroberungskrieg befinde. MARCEL BOIS (Hamburg) zeigte in seinen Ausführungen die Bedeutung des linken USPD-Flügels, der Spartakusgruppe. Diese habe bereits frühzeitig gegen eine (Weiter-)Führung des Krieges gestimmt und habe schließlich durch Massenaktionen und eine am russischen Vorbild orientierte Revolution den Krieg beenden wollen. Ihre quantitative Stärke sei allerdings ebenso wie ihr Einfluss auf die Friedensbewegung schwer erfassbar. WALTER MÜHLHAUSEN (Heidelberg) stellte im Anschluss daran die Frage nach den Möglichkeiten der parlamentarischen Friedensfindung. Ebenso analysierte er die sich unterscheidenden Positionen von SPD und USPD bezüglich einer Wiedergutmachung gegenüber Belgien und dem Verbleib Elsaß-Lothringens. Auch der abgeschlossene Frieden von Brest-Litowsk, der von den Unabhängigen abgelehnt wurde, habe schließlich die Differenzen zwischen den Parteien zementiert. Mühlhausen schloss mit der Bemerkung, dass eine Friedensschaffung verbunden mit einer Parlamentarisierung ohne Revolution im Jahre 1918 nahezu ausgeschlossen schien.

MIKE SCHMEITZNER (Dresden) widmete sich in seinem Beitrag der politischen Theorie Karl Kautskys und ging dabei vor allem auf Kautskys Auslegungen der „Diktatur des Proletariats“ ein. Gegen die Widerstände in der USPD hatte Kautsky in Anlehnung an Friedrich Engels seine Schrift „Diktatur des Proletariats“ veröffentlicht und darin die Vorgänge in Russland kritisiert. Die Weiterentwicklung der „Diktatur des Proletariats als Herrschafts- und Regierungsform“(Schmeitzner) sei für Kautsky nur als Arbeitermehrheitsherrschaft, mit dem Schutz von Minderheiten verknüpft, denkbar gewesen. BERND BRAUN (Heidelberg) zeigte anschließend die Arbeit der SPD unter der Regierung Max von Badens und die Gründe für die Unterstützung dieser neuen Regierung. Dabei zeichnete er die Diskussionsprozesse in der Reichstagsfraktion und der Parteiführung nach, bei denen vor allem Fragen der Parlamentarisierung und der Wahlrechtsreform debattiert worden seien.

Anschließend widmete sich das Kolloquium der sich an den Weltkrieg anschließenden Revolution, wobei die Städte Berlin und Gotha im Vordergrund der Betrachtung standen. AXEL WEIPERT (Berlin) sprach über die Berliner Rätebewegung und das Rätesystem. Dabei ging er von der These einer „Zweiten Revolution“ nach 1918/19 aus, in denen vor allem der linke USPD-Flügel und die geschaffenen Räte weitere wirtschaftliche Reformen und politische Herrschaft fernab der Parteien und Parlamente etablieren wollten. Unter anderem die Rolle Ernst Däumigs und sein Entwurf des Rätesystems zeigte der Referent dabei auf. STEFAN GERBER (Jena) betrachtete anschließend die Bedeutung der Revolution in Gotha für eine regionale Geschichtspolitik und -kultur. Bis heute sei der Verweis auf ein „rotes Gotha“, das sich während der Revolutionszeit herausgebildet habe, Gegenstand von Auseinandersetzungen. Wie bedeutend regionale Führungspersonen, in Gotha war dies Wilhelm Bock, für regionale Ausprägungen sein konnten, führte Gerber ebenso aus.

Das letzte Referat widmete sich dem Ende der USDP. REINER TOSSTORFF (Mainz) zeigte zunächst den raschen Aufstieg der USPD zur Massenpartei mit nahezu 900.000 Mitgliedern und einer einsetzenden weiteren Radikalisierung der Partei. Allerdings konnten sich die Mitglieder der USPD bspw. an den Fragen der Stellung zu den Räten und der Beteiligung an der Internationale nicht einigen, zusätzlich bedrohte die einsetzende Inflation die finanzielle Ausstattung der Parteiorganisation. Somit setzte ein ebenso rascher Teilungsprozess ein, der die Mitglieder entweder der Kommunistischen Partei oder der MSPD zuführte oder sie gänzlich von der Parteipolitik entfernte.

In der Abendveranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen und des Weimarer Republik e.V. ging HARTFRID KRAUSE (Darmstadt) neben den Persönlichkeiten der USPD-Führung, dem Verlauf der Spaltung und den Gothaer Beschlüssen der USPD auf die Rezeptionsgeschichte der Partei in der Bundesrepublik und der DDR ein. In letztgenannter habe eine vielfache Umdeutung der historischen Quellen erfolgt, um den Weg der USPD als „falschen Weg“ historiographisieren zu können. In der das Kolloquium abschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben Hartfrid Krause gleichsam Steffen Kachel und Walter Mühlhausen unter der Moderation von PETER REIF-SPIREK (Erfurt) teil. Dabei wurden, wie bereits im Verlauf des Tages, die Möglichkeiten bei der Artikulation von Opposition in den Parteien und die Rolle Gothas im Zuge der Parteigründung der USPD diskutiert.

Die Abendveranstaltung nahm dabei Diskussionspunkte auf, die bereits während des vorangegangenen Kolloquiums angeregt diskutiert worden waren: Zunächst stellte sich immer wieder die Frage nach der Bedeutung der Parteiprogramme und Strategiedebatten während des Spaltungsprozesses der Parteien. Über diese hatte es bereits zuvor (bspw. auf dem Parteitag in Dresden 1903) Auseinandersetzungen innerhalb der SPD gegeben. Sie entfalteten trotz aller Heftigkeit allerdings nicht die Wirkmacht, um die Partei zu spalten. Dabei wurde auch auf die integrierende Wirkung der ersten Generation der Parteiführer hingewiesen. Erst mit dem Ausbrechen des Ersten Weltkrieges sei eine Unvereinbarkeit verschiedener Positionen sukzessive deutlich geworden, die sich allerdings primär entlang der Friedensfrage vollzog.

Die Frage nach der Bedeutung der SPD im politischen System des Kaiserreiches wurde für den Spaltungsprozess als ebenso wichtig eingeschätzt. LOTHAR MACHTAN (Bremen) verwies dabei darauf, dass die SPD zwar Teil des Politikbetriebes im Kaiserreich geworden sei, auf die grundlegenden Entscheidungen in der Politik des Kaiserreiches habe sie aber keinen Einfluss nehmen können. Inwiefern die Sozialdemokratie nach einem siegreichen Krieg ihre Positionen hätte durchsetzen können und ob sie nicht einer illusionären Ansicht erlegen gewesen wäre wurde in die Diskussion ebenso einbezogen. Gleichsam seien aber auch die Handlungsalternativen der (M)SPD im eingeschlagenen Weg begrenzt gewesen. Der USDP sei es schließlich erst gelungen auch „auf den Straßen“ und außerhalb der Parlamente Politik zu machen.

INGRID FRICKE (Berlin) hob außerdem die Bedeutung der Informationslage an der Basis als weiteren Faktor der Radikalisierung und Spaltungsforcierung hervor. Die Vorstellung, dass es sich um einen Verteidigungskrieg gehandelt habe sei für Teile der SPD maßgebend für die Zustimmung zu den Kriegskrediten gewesen. Mit dem Auftreten von Annexionsforderungen konnte dieser Parteiteil jedoch den Krieg nicht mehr unterstützen.

Ebenso vermochten die Diskutantinnen und Diskutanten die Bedeutung regionaler Persönlichkeiten und der Parteipresse für das Wechselverhalten ehemaliger SPDler zur USPD herauszustellen und somit erste Ansätze für den Wähler- und Mitgliederwandel von der SPD zur USPD und ebenso später zur KPD vorzustellen. Vielfach wurde auch die Bedeutung der Revolution in Russland/ der Sowjetunion für die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung betrachtet. Diente sie als Vorbild für die Strategie einer deutschen Revolution oder wurde sie vielmehr als „falscher Weg“ zur Errichtung einer Diktatur des Proletariats aufgefasst? Besonders Erfahrungsberichte aus Moskau spielten hier, sowohl für Anhänger als auch für die Gegner einer Revolution nach sowjetischem Vorbild, eine besondere Rolle. Auch die Rätebewegung war Teil einer Diskussion. Insbesondere die Frage nach der demokratischen Struktur der Räte aber auch ihre Bedeutung als Übergangsbewegung von der Monarchie zur Demokratie wurde erörtert. Hervorgehoben wurde dabei vor allem die Tatsache, dass die gewünschte Wahlrechtsreform der MSPD noch nicht die ökonomischen Ungleichheiten beseitigt hätte. Das Rätesystem sei eine Möglichkeit gewesen, sowohl politische als auch ökonomische Ungleichheiten zu beseitigen.

Konferenzübersicht:

Die Entstehung der USPD im Spannungsfeld von Krieg und Frieden

Burgfrieden oder Burgkrieg? Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg

Wolfgang Kruse (Hagen): Zwischen Opposition und Integration. Die Spaltung der deutschen Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg

Max Bloch (Köln): Die Burgfriedenspolitik der SPD: Wegmarke der parlamentarischen Demokratie?

Stefan Bollinger (Berlin): Staatstragend, revolutionär oder ein dritter Weg? Deutsche Linke im Ersten Weltkrieg zwischen Anpassung und konsequenter Kriegsgegnerschaft

Wege zum Frieden: parlamentarischer Verständigungsfrieden oder revolutionärer Massenstreik?

Thilo Scholle (Berlin): Das Gebot der Stunde. Die USPD und die Friedensfrage

Marcel Bois (Hamburg): „Krieg dem Kriege“. Spartakusgruppe und Friedensbewegung 1916-1918
Walter Mühlhausen (Heidelberg):Die Erosion des Burgfriedens: Die Spaltung der Sozialdemokratie und der Versuch eines parlamentarischen Verständigungsfriedens

Revolution oder Reform? Die USPD zwischen Parlamentarismus und Bolschewismus

Wege in die Revolution, Wege in der Revolution: Rätemodell vs. Parlamentarische Demokratie

Mike Schmeitzner (Dresden): Diktatur als Demokratie? Karl Kautsky und die Perspektiven der Macht

Bernd Braun (Heidelberg): „Der Geburtstag der deutschen Demokratie“ – Die Regierung Max von Baden als Ausgangs- oder Endpunkt sozialdemokratischer Systemziele?

Metropole und Provinz: Revolution und USPD in Berlin und Gotha

Axel Weipert (Berlin): Eine zweite Revolution durch die Räte? Die USPD-Linke 1919/20

Stefan Gerber (Jena): Das „rote“ Gotha in Revolution und Kapp-Putsch: Ereignis und Geschichtspolitik

Die USPD zwischen KPD und SPD & Abschlussdiskussion

Reiner Tosstorff (Mainz): Das Ende der USPD als Massenpartei: zwischen der sich etablierenden parlamentarischen Demokratie und der bolschewistischen Revolution

Öffentliche Abendveranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen und des Weimarer Republik e.V.

„Vor hundert Jahren: Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung und die Gründung der USPD in Gotha“
Vortrag von Hartfrid Krause (Darmstadt)
Anschließend: Diskussion mit Steffen Kachel (Erfurt) und Walter Mühlhausen (Heidelberg)
Moderation: Peter Reif-Spirek (Erfurt)


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