Epigraphik zwischen Süd und Nord: Einflüsse, Parallelen und Unterschiede spätmittelalterlicher Inschriften

Epigraphik zwischen Süd und Nord: Einflüsse, Parallelen und Unterschiede spätmittelalterlicher Inschriften

Organisatoren
Dipartimento di Studi Umanistici, Università Ca’ Foscari, Venezia; Centro Tedesco di Studi Veneziani, Venezia; Flavia De Rubeis, Dipartimento di Studi Umanistici; Romedio Schmitz-Esser, Centro Tedesco di Studi Veneziani
Ort
Venedig
Land
Italy
Vom - Bis
28.11.2016 - 29.11.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Regina Maria Wiedenbauer, Bayerische Akademie der Wissenschaften / Ludwig-Maximilians-Universität München

,,Hätt‘ ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G’schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt“. Dieses deutsche Sprichwort hätte auch als Titel für die von Flavia de Rubeis (Venedig) und Romedio Schmitz-Esser (Venedig/München) organisierte Tagung dienen können, beschäftigte man sich hierbei hauptsächlich mit Augsburg und Venedig im Blick der Epigraphik. Dieser internationale epigraphische Workshop verband dabei Untersuchungen und Beobachtungen zu Inschriften und deren Produktion im 14. und 15. Jahrhundert, vornehmlich im süddeutschen, österreichischen und norditalienischen Raum. Im Zentrum der Tagung stand dabei die Fragen, inwieweit die epigraphischen Schriften dieser geographischen Räume eigene Wege gingen, sich gegenseitig beeinflussten, ob es einen künstlerischen Austausch gab und inwiefern sich die Künstler an Vorlagen im jeweils anderen Land bedienten.

Der Workshop fand unter starker Beteiligung von Studenten und Doktoranden statt, eingebunden wurde der Münchener epigraphische Vertiefungskurs von Franz-Albrecht Bornschlegel und Romedio Schmitz-Esser, aus dem einige Kurzreferate junger Nachwuchswissenschaftler hervorgingen. Der Workshop begann ungewöhnlich, dafür umso erfrischender mit einem praktisch-epigraphischen Teil in der Basilica Santa Maria Gloriosa dei Frari und im Archivio di Stato di Venezia. Hier gelang es FLAVIA DE RUBEIS (Venedig) den Tagungsteilnehmern erste Eindrücke venezianischer Grabdenkmäler in Kombination mit den verschiedenen Schrifttypen und -trägern zu vermitteln, sowie eine erste Unterscheidung zwischen Grab(denkmal), Wanddenkmal und Epitaph zu treffen. Die Organisatorin war es auch, die den theoretischen Teil des Workshops eröffnete und sogleich ein eklatantes Problem in der Zusammenarbeit zwischen deutscher und italienischer Epigraphikforschung aufzeigte, nämlich die Nomenklatur fachspezifischer Begriffe. Zudem konnte sie aufzeigen, dass sich in Venedig romanisch geprägte, gotische und humanistische Schriften im 14. und 15. Jahrhundert parallel erhielten und verwendet wurden, während die Gotische Majuskel nördlich der Alpen mit dem Jahr 1400 beinahe komplett verschwand.

NICOLETTA GIOVÈ (Padua) konnte in ihrem inschriftenpaläographischen Referat zur gotischen Schrift die ersten Parallelen zwischen Deutschland und Italien am Beispiel der Stadt Padua aufzeigen, indem sie sowohl Deutsche als auch die Aufnahme deutscher Inschriftenbilder in der Stadt selbst nachweisen konnte. ANDREAS ZAJIC (Wien) konzentrierte sich in seinem Vortrag darauf, die deutschen und italienischen Einflüsse innerhalb der Epigraphik sowohl in Oberitalien als auch im süddeutschen und österreichischen Raum aufzuzeigen und deren Parallelen zu den Wiener Humanisten herauszuarbeiten. Zajic gelang es dabei, den Antiquarismus der Humanisten mithilfe zeitgenössischer Äußerungen, unter anderem von Piccolomini, Peutinger oder Lazius darzustellen. Er erörtere die Frage, woher die konkreten Vorbilder für die Humanisten kamen: Waren es römisch-antike Spolien, Alphabet-Weiheinschriften oder bereits Epitaphien und Musteralphabete der frühen Renaissance? Hier arbeitete der Referent einen zweistufigen Prozess heraus, der sich zunächst auf die Kenntnis antiker Schriften durch die Humanisten stützte, später auf einschlägige druckgraphische Werke, wie Konrad Peutingers „Romanae vetustatis fragmenta in Augusta Vindelicorum“. Abgerundet wurde der erste Workshoptag von EBERHARD J. NIKITSCH (Mainz) mit seinem öffentlichen Abendvortrag in den Räumen des Deutschen Studienzentrums. Sein Referat gliederte Nikitsch in drei Bereiche: der Frühgeschichte der Kirche Santa Maria dell’Anima in Rom, den unbekannten Inschriften und zuletzt in verschiedene Beispiele, die die nordalpinen und römischen Einflüsse innerhalb dieser „Deutschen Nationalkirche“ verbinden. Nachdem Nikitsch das Grabfragment des Leibarztes von Papst Nikolaus V. ausfindig machen konnte, stellte sich primär die Frage, warum ein Norditaliener aus Treviso in der deutschen Kirche Roms begraben wurde, welche Einflüsse es hinsichtlich der Inschriften gab und welche Parallelen sich zu Grabmälern im nordalpinen Raum aufzeigen lassen.

Der zweite Workshoptag beschäftigte sich zu Beginn mit den typographischen Schriften, denen sich auch FRANZ-ALBRECHT BORNSCHLEGEL (München) widmete. Dass es verschiedene Berührungspunkte zwischen Drucktypen und Inschriften gab, konnte Bornschlegel anhand verschiedener Drucktypen Nicolas Jensons, Günther Zainers und Erhard Ratdolts nachweisen. Gemäß Bornschlegel stellten die Augsburger Schriften sowohl im frühen Buchdruck als auch in der Epigraphik in den ersten beiden Jahrzehnten ihres Auftretens weder Adaptionen der Scriptura Monumentalis der römischen Antike noch der reinen Kapitalis der italienischen Renaissance dar. Erst unter dem Einfluss Konrad Peutingers erfolgte die deutliche Hinwendung zu dem Formenrepertoire der römisch-antiken Scriptura Monumentalis, die man überdies zu verbessern gedachte. Einen Mitstreiter in der Verbesserung der Schriftformen fand Konrad Peutinger in dem aus Venedig zurückgekehrten Buchdrucker Erhart Ratdolt, der seine hochgeschätzte venezianische Rotunda und auch die venezianische Kapitalis in Augsburg einführte. Der Referent konnte für Augsburg dabei eine Sonderrolle innerhalb der deutschen Epigraphik herausarbeiten, da die Kapitalis dieser Stadt eine den italienischen Städten ähnliche, jedoch zeitversetzte und kürzere Experimentierphase durchlief. In anderen nordalpinen Städten war derartiger Entwicklungsverlauf bislang nicht zu belegen.

In den darauffolgenden Werkstattgesprächen mit drei Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität wurde dann insbesondere die Schrift der Augsburger Grabdenkmäler auf eine breitere und zeitlich ausgedehntere Basis gestellt. Die Tagungsteilnehmer erhielten dabei kurze Einblicke in zeittypische wie werkstattimmanente Ausprägungen gotischer Schriften der Geistlichkeit und des Stadtpatriziats (ROMAN LACHNER), in die Vielfalt der Kapitalis-Inschriften des frühen Humanismus (MAXIMILIAN SEIBOLD) sowie in Formular und Schrift protestantischer Grabinschriften (FRIEDER LEIPOLD). Abgerundet wurden diese Kurzvorträge von den italienischen Doktorandinnen ANTONELLA UNDIEMI (Padua) und DESI MARANGON (Venedig), die sich beide mit den griechisch-byzantinischen Einflüssen innerhalb der italienischen Inschriften beschäftigten. Undiemi präsentierte dabei eine Auswahl griechisch-byzantinischer Einflüsse in den Inschriften der Städte Canossa, Troia, Bari, Bisgelie, Palermo und Cefalù mitsamt ihrer Parallelen. Desi Marangon fokussierte sich in ihrem Beitrag auf die Capella di Sant’Isidore in San Marco di Venezia. Dass sich innerhalb dieser Kapelle vermehrt byzantinische Elemente in den gotischen Inschriften finden lassen ist hierbei wohl der Biographie Isidors geschuldet, der aus dem griechischsprachigen Raum stammte und dessen Gebeine nach San Marco transferiert wurden. Im darauffolgenden Vortrag begab man sich zusammen mit ANDREAS OBERHOFER nach Brixen. Der Referent beschäftigte sich vor allem mit den gemalten Inschriften des 15. und 16. Jahrhunderts des städtischen Doms, die ausschließlich in deutscher und lateinischer Sprache verfasst waren. OBERHOFER gelang es, einzelne Werkstätten und Meister – so beispielsweise Leonhard von Brixen und Meister Utz – und ihre Charakteristika zu identifizieren, wobei es auch hier zu einem beständigen Nebeneinander verschiedener Schriftarten innerhalb der gemalten Spruchbänder und -tafeln kam.

ROMEDIO SCHMITZ-ESSER (München / Venedig) rundete den theoretischen Teil der Tagung mit seiner Zusammenfassung ab, indem er an Oberhofers Vortrag anknüpfte und die Frage in den Raum warf, wie in Zukunft mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti umgegangen werden sollte. Zudem müsse auch der künstlerische Austausch verstärkt innerhalb der Forschung betrachtet werden, ebenso wie die Identifizierung der verschiedenen Werkstätten und ihrer Handwerker – diese seien es schließlich, die die Kunst in den Stein meißelten.

„Epigrafia tra Sud e Nord: Influssi, paralleli e diversità nelle iscrizioni del tardo medioevo“ – so der Titel des zweitägigen Epigraphikworkshops in Venedig. In diesem Workshop wurde den Teilnehmern anhand verschiedener Untersuchungen die Bandbreite der deutschen und italienischen Inschriften aus dem Spätmittelalter verdeutlicht. Ziel des Workshops war es, die Möglichkeiten einer klareren und komplexeren Entstehung der epigraphischen gotischen Schriften darzustellen, indem man verschiedene Inschriften aus verschiedenen Ländern Mitteleuropas miteinander verglich. Und hierbei zeigte sich zugleich die Problematik der Forschungsfrage, des -feldes und der Tagung im Allgemeinen: Während die heutige Wissenschaft sich primär an den heutigen Grenzen Europas orientiert, werden sprachlich-kulturelle Grenzen völlig außer Acht gelassen. Und dies gilt auch hinsichtlich der eingangs erwähnten Problematik hinsichtlich der Nomenklaturen und Definitionen. Die Grenzen wurden in Venedig dabei recht schnell deutlich, vor allem im Austausch mit den italienischen Kollegen. Es scheint, dass hierbei noch einiges an Präzisierung und Abgrenzung stattfinden muss, um eine Zusammenarbeit mit anderen europäischen Kollegen zu gewährleisten und voranzutreiben.

Während der Tagung ließ sich bereits ein gewisses Arbeitsschema herausarbeiten, mit dem sowohl italienische, als auch deutsche Wissenschaftler arbeiten konnten. Dieses erschloss für die Frühhumanistische Kapitalis ein trotz unterschiedlichem Erscheinungsbild doch auf bestimmte Leitbuchstaben festgelegtes Formenrepertoire, während der frühhumanistischen Schrift ein breiteres, divergierendes Formenspektrum zugesprochen wurde, das sich unter anderem auch einzelner Buchstaben aus Urkunden- und Geschäftsschriften bedienen konnte. Dass dies jedoch innerhalb der Forschung noch deutlich differenziert und ausgearbeitet werden muss, wird spätestens beim Blick in das epigraphische Standardwerk „Deutsche Inschriften – Terminologie zur Schriftbeschreibung“ deutlich, das selbst noch nicht zwischen Frühhumanistischer Kapitalis und frühhumanistischer Schrift unterscheidet.

Konferenzübersicht:

Paolo Eleuteri (Direktor des Dipartimento di Studi Umanistici Venezia): Begrüßung

Flavia De Rubeis (Venedig): Introduzione – L’epigrafia dei secoli XIII – XIV a Venezia

Nicoletta Giovè (Padua): La maiuscola gotica nell'Italia settentrionale: il caso di Padova

Andreas Zajic (Wien): Kulturtransfer und humanistischer Habitus: Antikisierende Renaissancekapitalis bei den Wiener Humanisten um 1500 als antiquarisch-epigraphischer Code

Eberhard J. Nikitsch (Mainz): Die Inschriften der deutschen „Nationalkirche” S. Maria dell’Anima in Rom im Spannungsfeld zwischen nordalpinen und römischen Einflüssen (Öffentlicher Abendvortrag)

Franz-Albrecht Bornschlegel (München): Druckschriften und Inschriften aus der Zeit des Frühdrucks. Nahtstellen und Berührungspunkte Augsburg und Venedig

Präsentation von Arbeiten der Studierenden der LMU München: Formular und Schrift Augsburger Grabdenkmäler vom Spätmittelalter bis zur Reformation

Antonella Undiemi (Padua): L’influenza della scrittura greca nel panorama epigrafico del Mezzogiorno normanno

Desi Marangon (Venedig): La Gotica a Venezia

Andreas Oberhofer (Bruneck): Spätmittelalterliche Inschriften im Dombereich von Brixen: Ein Panorama

Romedio Schmitz-Esser (München / Venedig): Zusammenfassung: Herausforderungen für die epigraphische Arbeitspraxis zwischen Süd und Nord


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch, Italienisch
Sprache des Berichts