9. Hohenschönhausen-Forum: Der Hass auf den Westen – Kommunismus, Nationalsozialismus, Islamismus

9. Hohenschönhausen-Forum: Der Hass auf den Westen – Kommunismus, Nationalsozialismus, Islamismus

Organisatoren
Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen; Konrad-Adenauer-Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
André Kockisch, Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

BASSAM TIBI (Göttingen) legte in seinem Einführungsvortrag den Schwerpunkt auf den Islamismus und dessen Unvereinbarkeit mit den westlichen Werten. Wie Horkheimer sehe er den Westen als „eine Insel der Freiheit in einem Ozean der Gewaltherrschaft". Tibi unterstützte Hannah Arendt, die 1951 den Nationalsozialismus und Stalinismus miteinander verglich und als ähnlich gefährlich einstufte. Laut Tibi sei der Islamismus mit all seinen Facetten heute die dritte große Gefahr für die Freiheit. Abschließend warnte er vor einer Verknüpfung von Religion und Politik. Verhalten, das die Freiheit der Menschen in Gefahr bringt, dürfe nicht unter dem Schutzmantel der Religionsfreiheit toleriert werden.

Im ersten Panel wurde über das Feindbild des Westens im Kommunismus diskutiert. Zu den Teilnehmern gehörte KLAUS SCHROEDER (Berlin). Er stellte fest, dass in der DDR der Hass auf den sogenannten Klassenfeind bei den Bürgern von Kind an geprägt wurde. Diese Erziehung zum Hass sollte die Menschen in einem Kollektiv zusammen halten. Die Jugend trotzte dieser Haltung und fühlte sich vom westlichen Lebensstil, dem Gegenentwurf zur DDR, angezogen. Daran sei die DDR zu Grunde gegangen.

WOLFGANG KRAUSHAAR (Hamburg) knüpfte mit dem Beispiel des Rechtsanwalts Horst Mahler an das Thema an. Mahler legte in den 1960er-Jahren seine Anwaltsrobe ab und wurde Mitbegründer der Rote Armee Fraktion (RAF). Vor 16 Jahren schloss sich Mahler der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) an und leugnete den Holocaust. Kraushaar stellte eine wichtige Frage in den Mittelpunkt: Wie kam Mahler von seiner extrem linken politischen Haltung zu seiner extrem rechten Einstellung? Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass Mahlers Haftzeit in den 1970er-Jahren ihn stark prägte und er daher ein Sonderfall sei. Allerdings sei dieses Schwanken zwischen politisch rechts und links kein Einzelfall, was sich auch bei den aktuellen Entwicklungen zeige. So gäbe es einige Kontinuitäten wie das antikapitalistische Denken, das in beiden extremen Gesinnungen erhalten sei.

Im nächsten Beitrag griff RUDOLF VAN HÜLLEN (Krefeld) die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem linken und rechten politischen Lager auf und verwies auf die aktuellen antiwestlichen Ressentiments bei den Parteien DIE LINKE und der Alternative für Deutschland (AFD). Während DIE LINKE, ähnlich wie die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), Staatsapparate liebe und sich für die Globalisierung und die Europäische Union (EU), jedoch in veränderter Form, einsetze, stehe die AFD der EU kritisch gegenüber und spräche vom „deutschen Vaterland“, das gestärkt werden solle. KLAUS SCHROEDER (Berlin) erweiterte die Debatte, in dem er auf die Ablehnung der AFD und der LINKEN gegenüber den Eliten und des aktuellen deutschen Gesellschaftsentwurfes einging, die beide Parteien miteinander verbände.

Das letzte Thema dieses Panels blieb bei der aktuellen Politik. Hierbei ging BORIS REITSCHUSTER (Berlin), Journalist, auf „Putins Russland“ ein, welches zwischen Bewunderung und Verachtung für den Westen hin und hergerissen sei. Mit viel Humor und Sarkasmus schilderte er den Zwiespalt Russlands. Einerseits ringe es um die Anerkennung des Westens, die jedoch verwehrt bleibe. Daraus resultiere ein Minderwertigkeitskomplex für Russland. Gleichzeitig warnte der Journalist vor einer Negativspirale. Putin rechtfertige häufig Menschenrechtsverletzungen und schlechte Lebensbedingungen in Russland damit, dass es auch in westlichen Demokratien Missstände gäbe. Reitschuster glaubt zudem, Putin wolle damit unseren Glauben an die westliche Demokratie erschüttern.

Im zweiten Panel wurde über antiwestliche Einstellungen im Nationalsozialismus diskutiert. ANDREAS NACHAMA (Berlin) eröffnete mit einem Vortrag über Antiamerikanismus und Antikapitalismus im Dritten Reich. Den Ausgangspunkt für Nachamas einführende Überlegungen bildete ein Aufsatz von Brendan Simms aus dem Jahr 2014. Hitlers Antisemitismus, so Simms These, speise sich aus seinem Antikapitalismus und aus seinem Hass gegen die angelsächsische Kultur. Nachama konstatierte in diesem Zusammenhang, dass die Gleichsetzung von Antikapitalismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus von Anfang an da gewesen sei. Er belegte diesen theoretischen Grundgedanken durch eine Reihe von antiamerikanischen Äußerungen Hitlers und Goebbels nach dem ersten Weltkrieg. Insbesondere nach Kriegseintritt der USA 1941 schlugen sich die gegen die angloamerikanische Welt gerichtete Ressentiments auch in der NS-Propaganda nieder und das offizielle deutsche Amerikabild entwickelte sich zu einer offen feindseligen Berichterstattung.

Es folgte der Beitrag von JOACHIM SCHOLTYSECK (Bonn), der sich mit dem Thema Hass als Mittel der Propaganda befasste. In Anlehnung an Jacob Talmon stellte er die These auf, dass Hass ein Phänomen der Moderne und eine Folge der Demokratisierung sei. Die moderne Form des Hasses habe es vor dem 18. Jahrhundert nicht gegeben. Scholtyseck spielte auf die Französische Revolution an, die zur ersten nationalen Massenmobilisierung der Neuzeit führte. Er widersprach damit der Ansicht seines Vorredners, als er anmerkte, Hass-Propaganda habe es bereits vor dem ersten Weltkrieg gegeben. Hitler habe schließlich die Idee der Levée en masse adaptiert, um eine Mobilisierung der Massen zu erreichen.

Ein weiterer Impuls kam von MANFRED GÖRTEMAKER (Potsdam), der den Fokus schwerpunktmäßig auf die nationalsozialistische Außenpolitik legte. Er machte deutlich, dass der Hass in den konkreten außenpolitischen Überlegungen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Nationaler Aufstieg zur Weltmacht durch Erweiterung des Lebensraumes wurde zu einem zentralen Element der NS-Außenpolitik. Görtemaker konnte aufzeigen, dass die konkrete Kriegsführung gegen den Westen ab 1939 eher zweckbedingt und nicht ideologisch war. Gegenüber dem Westen würde er daher nicht von Hass sprechen, sondern eher von einer Fronstellung.

RICHARD HERZINGER (Berlin) ging in seinem Redebeitrag auf den Rechtspopulismus von heute ein und erläuterte am Beispiel der AFD, was die neue Rechte so gefährlich macht. Inhaltlicher Kern der neuen Rechte ist der sogenannte Ethnopluralismus. Danach sollen Rassen möglichst homogen bleiben. Der Kern des Hasses auf den Westen sei die Vermischung von Ethnien und Kulturen, Amerika gelte als Sinnbild der Rassenvermischungen. Herzinger betonte, dass die Feindbilder der nationalistischen Rechten von denen der äußeren Linken nicht mehr zu unterscheiden seien. Abschließend warnte er vor einer Allianz des europäischen Rechtsextremismus mit dem Regime Putin und seinem Projekt des Neo-Imperialismus, welche eine imminente, existenzielle Bedrohung für die liberalen-westlichen Demokratien darstelle.

Im letzten Panel wurde über antiwestliche Ausrichtungen im Islamismus diskutiert, die Beiträge bezogen sich sowohl auf internationale als auch auf speziell deutsche Entwicklungen. Den Anfang machte BARBARA ZEHNPFENNIG (Passau) mit einem Impulsvortrag über den radikalen Islamismus am Beispiel von Sayyid Qutb, dem Chefideologen der ägyptischen Muslimbruderschaft. Qutb habe eine zentrale Rolle gespielt, was die Hinwendung zum politischen Islamismus in Ägypten anbetrifft. In dieser ideologischen und politischen Auslegung des Islams sei auch die radikale Ablehnung westlicher Werte verankert, die Zenhnpfennig auf ein Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen zurückführte.

Im Anschluss widmete sich KRISTINA SCHRÖDER (Berlin) der Gesamtheit der in Deutschland lebenden Muslimen und stellte zehn Thesen zum Umgang mit dem Islam und der Integration von Muslimen in Deutschland vor. Schröder sprach sich unter anderem für eine stärkere Trennung der angesprochenen Bereiche bei Diskussionen um Integration und Assimilation aus. Sie forderte auf der Ebene der Grundwerte eine vollständige Assimilation, während im alltäglichen Zusammenleben Integration notwendig sei und auf der Ebene der persönlichen Vorlieben jeder selbst entscheiden dürfe. In ihrer abschließenden These plädierte sie für einen aufgeklärten Islam (Stichwort: Euro-Islam).

Den dritten Vortrag hielt RUDOLF VAN HÜLLEN (Krefeld) zu Ähnlichkeiten und Unterschieden verschiedener Formen des Extremismus mit dem Fokus auf den Ausprägungen antiwestlicher Aversionen bei Muslimen. Die Ablehnung westlicher Werte sei seiner Meinung nach nicht nur mit der Religion zu begründen, sondern müsse auch als kulturelles Problem gesehen werden. Van Hüllen wies daraufhin, dass für eine Auseinandersetzung mit den Gründen für eine Ablehnung westlicher Werte zwischen den kulturellen Zugehörigkeiten von Muslimen differenziert werden müsse. Abschließend zeigte er Ähnlichkeiten zwischen dem Stereotyp des rechtsextremen und des islamistischen Tätertyps auf, während linksextreme Tätertypen sich hiervon unterschieden.

Zusammenfassend stellte sich bei diesem mittlerweile 9. Hohenschönhausen-Forum heraus, dass die Ablehnung des westlichen Lebensmodells im Kommunismus, Nationalsozialismus und Islamismus ein entscheidender Ideologieaspekt darstellte. Kenntnisreich arbeiteten die Tagungsteilnehmer in ihren Ausführungen Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen dieser antiwestlichen Ressentiments heraus. Neben spezifischen Ausprägungen dieser Aversionen in den drei totalitären Weltanschauungen wurde dabei mehrfach auf Gemeinsamkeiten hingewiesen, die sich beispielsweise in einer Kapitalismuskritik äußerten. Auch das Gefühl einer Unterlegenheit gegenüber dem Westen wurde in den einzelnen Panels mehrfach angesprochen und sei in muslimischen Ländern oder in Russland auch heute wahrnehmbar.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Hubertus Knabe (Berlin) / Andreas Kleine-Kraneburg (Berlin)

Bassam Tibi (Göttingen): Feindbild Westen oder Die Angst vor der Freiheit

Panel I: Kommunismus

Klaus Schroeder (Berlin): „Der kapitalistische Klassenfeind“ – Der Westen als Feindbild der SED

Wolfgang Kraushaar (Hamburg): Anti-Amerikanismus in der 68er-Bewegung – Das Beispiel Horst Mahler

Eckhard Jesse (Chemnitz): Antiwestliche Ressentiments bei Linken und AfD – Aktuelle Strategien der gesellschaftlichen Abgrenzung

Boris Reitschuster (Berlin): Zwischen Verachtung und Bewunderung – Der Umgang mit dem Westen in Putins Russland

Moderation: Norbert Seitz (Berlin)

Panel II: Nationalsozialismus

Andreas Nachama (Berlin): Antiamerikanismus, Antikapitalismus – Staatliche Propaganda im Nationalsozialismus

Joachim Scholtyseck (Bonn): Juden, Neger, Kapitalisten – Hass als Mittel der Propaganda

Richard Herzinger (Berlin): Antiwestliche Reflexe – Rechtspopulismus heute

Manfred Görtemaker (Potsdam): Front gegen den Westen – Die nationalsozialistische Außenpolitik

Moderation: Helmuth Frauendorfer (Berlin)

Panel III: Islamismus

Barbara Zehnpfennig (Passau): Der Kampf gegen die Ungläubigen – Der Westen im Visier des Djihad

Kristina Schröder (Berlin): Und es hat doch mit dem Islam zu tun – Die Integration von Muslimen in Deutschland

Rudolf van Hüllen (Krefeld): Ausprägungen antiwestlicher Aversionen bei Muslimen – Ähnlichkeiten und Unterschiede zum Rechts- und Linksextremismus

Moderation: Ingo Kahle (Berlin)

Resümee
Rita Schorpp (Berlin)