Neue Tendenzen der Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance

Neue Tendenzen der Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance

Organisatoren
Ingrid Baumgärtner, Universität Kassel; Klaus Herbers, Universität Erlangen Nürnberg; Tanja Michalsky, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom; Alessandro Nova / Gerhard Wolf, Kunsthistorisches Institut Florenz
Ort
Florenz
Land
Italy
Vom - Bis
07.11.2016 - 09.11.2016
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Von
Linda Olenburg, Freie Universität Berlin

Was ist Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance? Und woran arbeiten Promovierende heute? Einen bedeutsamen Ausschnitt aus der aktuellen Themenvielfalt präsentierten ausgewählte junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bei dem Doktoranden-Workshop „Neue Tendenzen der Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance“ am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut. Unter der Leitung von fünf im Bereich der Italienforschung ausgewiesenen Experten und Expertinnen – seitens der Geschichte Ingrid Baumgärtner (Kassel) und Klaus Herbers (Erlangen-Nürnberg), seitens der Kunstgeschichte Tanja Michalsky (Rom), Alessandro Nova (Florenz / Frankfurt am Main) und Gerhard Wolf (Florenz / Berlin) – präsentierten Doktorierende und Post-Docs ihre aktuellen Projekte. Im Dialog der Fächer wurden inhaltliche Fragen ebenso wie theoretische und methodische Ansätze diskutiert und auf den Prüfstein gestellt. Zentrales Anliegen war es, die jüngsten Forschungskonzepte zu erfassen und kritisch zu hinterfragen, um durch diesen diskursiven Austausch die deutsche Italienforschung stärker zu umreißen.

In der Begrüßung betonte Alessandro Nova den Mehrwert eines engen Austauschs zwischen den Disziplinen der Geschichte und Kunstgeschichte sowie der interdisziplinären Kooperation im Allgemeinen. Klaus Herbers fragte in seiner Einführung danach, was ‚Italienforschung‘ heute eigentlich bedeuten würde und welche Schwerpunkte zu erkennen wären. Tanja Michalsky war es wichtig, den Dialog der Disziplinen zu betonen und zu erörtern, welche Innovationen sich abzeichnen und welche Methoden angewandt werden, um ein kritisches Hinterfragen zu ermöglichen. Um die unterschiedlichen Facetten der Italienforschung darzustellen, wurden die Vorträge zu thematischen Blöcken zusammengefasst. Ingrid Baumgärtner leitete anschließend zum ersten der insgesamt fünf großen Themenbereiche über.

Die „Weltbilder“ wurden aus historischer und kunsthistorischer Sicht betrachtet. Den Anfang machte NADINE HOLZMEIER (Hagen), die Paolinos Minoritas Weltchronik einer ausführlichen Analyse unterzog und die Gattung als Mittel der Integration verschiedener Faktoren in das spätmittelalterliche Weltbild begriff. Ziel war es, die Funktionsweise und Struktur einer Chronik herauszuarbeiten, die Weltwissen tabellarisch aufbereitet und verdichtet, um letztlich neue Erkenntnisse über das untersuchte Manuskript hinaus zu gewinnen. MARIA ARESIN (Frankfurt am Main) erörterte den Mythos der vier Weltzeitalter – Gold, Silber, Bronze, Eisen –, welche die Menschheitsgeschichte gliedern. Am Beispiel des Bronzenen Zeitalters, das mangels schriftlicher Vorgaben den Künstlern eine große künstlerische Gestaltungsfreiheit ließ, untersuchte sie die ikonografische Entwicklung einzelner Szenen, deren Interdependenzen auf den regen Austausch unter den Florentiner Künstlern zurückgehen dürften.

Die nächste Etappe behandelte „Rom und die Päpste“. Hier beleuchtete DAVID FRANZ HOBELLEITNER (Graz) eine Episode der Vita Papst Silvesters I., die, wie Bildprogramme und Darstellungen in Rom und in der näheren Umgebung zeigen, während der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts zur Untermauerung der päpstlichen Suprematie gegenüber der weltlichen Macht eingesetzt wurde. Der Beitrag fokussierte eine bislang weniger beachtete Episode der Vita, die Drachenbindung Silvesters, die im Freskenzyklus von SS. Quattro Coronati in eine kirchenpolitisch motivierte, eschatologische Argumentation eingebunden ist. WENDAN LI (Berlin) untersuchte die koreale Geschichtsschreibung im „Liber Censuum“, der außer der Vita Gregors IX. auch Urkunden und Zeitzeugnisse ohne narrative Fakten enthält. Das Florentiner Manuskript beschreibt Gregors IX. Reisetätigkeit, die als Ausdruck politischer Konstellationen und Herrschaftspraktiken zu interpretieren sind. Im Zentrum standen historischer Kontext, Quellen und Strategien der Territorialpolitik, in deren Zuge politische Bündnisse abgeschlossen und verstärkt sowie Verteidigungsanlagen gebaut und gekauft wurden. Der erste Tag endete mit der Vorstellung der auf Basis der 1851 erschienenen Ausgabe von Philipp Jaffé grundlegend überarbeiteten „Regesta Pontificum Romanorum“. Die bis 1198 nachgewiesenen 17.679 Papstkontakte geben Einsicht in die politisch-diplomatischen Geschicke der Kurie. VIKTORIA TRENKLE (Erlangen-Nürnberg) betonte den vielfältigen Nutzen der Neuauflage, die alle Forschungsergebnisse der letzten 130 Jahre über Sachkommentare erschließe und Forschungskontroversen aufdecke.

In der Sektion „Stadt, Raum und Bild im Quattrocento“, erörterte CHRISTOPH STEI (Berlin), anhand ausgewählter Beispiele des Stadtraums von Assisi, inwieweit Bilder über ihren religiösen Gehalt hinaus soziale und politische Vorstellungen der Auftraggeber und/oder künstlerische Ideen der Maler übermittelten und welche Wirkmacht den Medien zugesprochen werden kann. Er analysierte ihre topografische Voraussetzungen im Stadtgefüge und die Ästhetisierung des Stadtraums. Im Vordergrund standen die Rezeptionsforschung und die Frage, wie sich die (historische) Öffentlichkeit zur kunsthistorischen Annahme des Betrachters verhält. ANDREAS HUTH (Berlin) schaffte in seinem Vortrag den Sprung von einer gemalten Idealstadt zu realen Florentiner Bauwerken des 15. Jahrhunderts. Die „Architektonische Vedute“ (um 1490/1500, Kat.Nr.1615, Gemäldegalerie Berlin) kann als eine Musterausstellung Florentiner Palastfronten gesehen werden. Da die Forschung die Fassaden bisher nicht als Bild, sondern der Begrifflichkeit nach als Teil eines Bauwerks wahrnehme, entgingen ihr die nicht plastischen Fassadengestaltungen. Dies betreffe insbesondere die Florentiner Sgraffito-Dekorationen, deren Qualitäten bislang kaum wissenschaftliches Interesse fanden. Gegen Ende des Workshops erläuterte Huth bei einem gemeinsamen Rundgang anhand ausgewählter (noch sichtbarer) Beispiele die Sgraffito-Technik im Architektur- und Stadtbild von Florenz. TANJA HINTERHOLZ (Salzburg) stellte zur Diskussion, ob und inwiefern aktuelle Forschungsansätze zu Raum und Perspektive in der Malerei und Skulptur des Spätmittelalters für die Erforschung der Trecento-Malerei am päpstlichen Hof von Avignon fruchtbar gemacht werden können. Durch die räumlichen Effekte entsteht ein Spiel mit dem Betrachter, bei dem die Malerei selbst die Imagination anregt. Die Referentin basierte ihre Ausführungen auf den Betrachter-bezogenen Raumbegriff von Christopher Lakey1 und Panofskys „Raumkasten“, um die Perspektiventwicklung und gezielte (Falsch-)Umsetzungen seitens der Künstler zu untersuchen. Ort und Raum („Place and Space“) müssten in diesem Zusammenhang ebenso neu definiert werden wie die Rolle des Betrachters als einem aktiven Glied in der Wirkung der Malerei. EILEEN BERGMANN (Trier) referierte über den „Consiglio dei Dieci“, den Rat der Zehn in Venedig, dessen städtischer Mythos auf Frieden, Gerechtigkeit und Einheit der Bürger gründete. Doch was unternahm Venedig, um als krisenfreie Stadt wahrgenommen zu werden? Was empfanden die Venezianer selbst als krisenhaft und wie reagierten sie darauf? Schwerpunktmäßig wurden einige Ereignisse untersucht, die dem Rat der Zehn im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts als instabil erschienen und genaue Planungen erforderten, um die Krise bewältigen bzw. im Vorfeld verhindern zu können.

In der vierten Sektion „Humanistische Konzepte“ beschäftigte sich PHILIPPA SISSIS (Hamburg / München) mit der humanistischen Minuskel als Konzept der humanistischen Ästhetik. Ausgehend von Jeffrey Hamburgers These (Script as Image, 2014)2, dass gestaltende Elemente über die Schrift hinausgingen, fragte sie danach, wann Schrift zu Bild wurde. Die Wiederentdeckung antiker Schriften um 1400 in Florenz führte dazu, dass viele dieser Texte von Hand kopiert wurden. Poggio Bracciolini, der zwischen 1397 und 1425 etwa 30 Manuskripte abschrieb, aktualisierte die überwiegend antiken Werke visuell und schuf damit einen Paratext, der dem Leser eine weitere Sinnebene vermittelte. Schrift wurde damit zum visuellen Manifest. NELE DE RAEDT (Gent) untersuchte die humanistische Interpretation von Aristoteles, der die Pracht als ein ästhetisches Merkmal definiert hatte, durch das politische Autorität geschaffen und aufrechterhalten werden könne. Leon Battista Alberti (De Re Aedificatoria, 1443–1452) behauptete, dass „Würde und Anmut der Form“ am effektivsten vor dem Angriff auf die Gebäude schützen würden; analog erklärte auch Paolo Cortesi (De Cardinalatu Libri Tres, 1510), dass eine gut gestaltete und prächtig ausgeführte Außenverzierung die beste Schutzgarantie wäre. Die Zweideutigkeit der Pracht sei also die von der zeitgenössischen Gelehrsamkeit weitgehend übersehene Rechtfertigung für Kunst und Patronage gewesen. JENNIFER TRAUSCHKE (Freiburg im Breisgau) beleuchtete das Staunen und (Er)Schrecken in den Künstlerviten Vasaris anhand der Begriffe maraviglia und terribilità. Die Referentin untersuchte Vitentexte mit dem Ziel, den inszenierten Status von Künstlern näher zu fassen. Innerhalb der narratologischen Konstrukte gelte es, die Charismatisierungsprozesse, die sich aus der Zuschreibung von spezifischen kunsttheoretischen Begriffen ergeben, nachzuzeichnen. Von besonderem Interesse seien in diesem Zusammenhang mögliche Entwicklungen und Transformationen der kunstliterarischen Schlüsselbegriffe über Zeiten- und Ländergrenzen hinaus sowie die Frage, in welcher Form sie einer Kanonisierung der Kunstgeschichte dienten. ANNA MAGNAGO LAMPUGNANI (Berlin / Rom) befasste sich mit der Frage, ob innerhalb der verschiedenen Konzepte der Bildfindung und -genese, die im 16. Jahrhundert diskutiert werden, auch jenes der „Inspiration“ eine Rolle spielte und wie die ursprünglich dichtungstheoretische und christlich geprägte Vorstellung der inspiratio für Künstler fruchtbar gemacht wurde. Am Fallbeispiel Giovan Paolo Lomazzos konnte sie aufzeigen, dass der Mailänder Theoretiker, Literat und Künstler das Konzept des furors nicht nur innerhalb seiner Kunsttheorie als Quelle für Prozesse der Bildgenese fruchtbar macht, sondern auch sein literarisches sowie bildkünstlerisches Werk als direktes Resultat von Inspiration kennzeichnet.

Die letzte Sektion behandelte Fragen um „Herrschaft, Religion und Objekt“. ANDREAS OBENAUS (Wien) analysierte muslimische Kleinstherrschaften des 9. und 10. Jahrhunderts im Süden der Apenninhalbinsel und am Löwengolf, die im Zuge von Eroberungen oder Ansiedlungen von Gruppen aus Nordafrika, Sizilien und von der Iberischen Halbinsel entstanden und nur für wenige Jahre oder Jahrzehnte im Umfeld konkurrierender christlicher Mächte existierten. Die expansiv eingestellten Herrschaften gingen mitunter Bündnisse und Kooperationen mit christlichen Regionalmächten ein; ihre Wirtschaft basierte auf einer Beuteökonomie, also Plünderungen, Sklavenhandel und Tributen. RAHEL MEIER (Zürich) lenkte das Augenmerk auf das kommunale Bestattungsverbot im und um den Dom von Pisa aus dem Jahr 1349. Unter Berücksichtigung des Bauprozesses und der damit einhergehenden Finanzierung des neuen Stadtfriedhofs von Pisa kam sie zu dem Schluss, dass es sich dabei um eine Strategie zur Sicherung der Baufinanzierung handelte, weniger um eine Maßnahme in Folge der Akzeptanzschwierigkeiten des Camposanto als Grablege bei der Bevölkerung.

Der interdisziplinäre Background der Teilnehmenden führte – angeregt durch die vielfach innovativen Vorträge – zu einer Fülle von inhaltlichen und methodischen Diskussionen. Deutlich wurde, wie wichtig und unentbehrlich dieser disziplinübergreifende Austausch innerhalb der Italienforschung ist. Sehr bereichernd für die Diskussionen waren auch die Beiträge der erfahrenen Kollegen und Kolleginnen, die unter anderem aus Berlin, Freiburg, Rom und Zürich angereist waren. Wie schon nach dem ersten Doktoranden-Workshop3 bekundeten alle Beteiligten erneut großes Interesse an der Fortführung des Formats, dem sich zukünftig auch das Deutsche Historische Institut in Rom anschließen wird. Ziel wird es weiterhin sein, ein interdisziplinäres und internationales Netzwerk zu schaffen, um die Kontakte unter den Doktoranden der verschiedenen Fachrichtungen zu etablieren und zu stärken, die Konturen der Italienforschung im internationalen Setting zu schärfen und zu neuen Perspektiven und Denkansätzen zu gelangen.

Konferenzübersicht:

I. Weltbilder

Nadine Holzmeier (Hagen): Die Chronologia Magna des Paolino Minoritas. Form und Entwicklung spätmittelalterlicher Weltchronistik im Zeichen erweiterten Weltwissens
Maria Aresin (Frankfurt am Main): Non scelerata tamen – Weltbild und Zeitbild in Darstellungen der Weltzeitalter

II. Rom und die Päpste

David Franz Hobelleitner (Graz): Silvesterdarstellungen in Rom und Latium aus der Zeit der Kirchenreform
Wendan Li (Berlin): Papst Gregor IX. auf Reisen: Praxis der Territorialpolitik
Viktoria Trenkle (Erlangen-Nürnberg): Regesta Pontificum Romanorum. Die Neuauflage des Werks von Philipp Jaffé und deren Nutzen für die Forschung

III. Stadt, Raum und Bild im Quattrocento

Christoph Stei (Berlin): Die Bilder in der Stadt. Bildkünste im Assisi des Quattrocento im Kontext von Stadtraum, Stadtkultur und Gemeinwohl
Andreas Huth (Berlin): Architekturbild und Stadtbild im Florenz des Quattrocento
Tanja Hinterholz (Salzburg): Zur Wahrnehmung von Raum und Zeit in der Malerei des 14. Jahrhunderts
Eileen Bergmann (Trier): Der venezianische Consiglio dei dieci zur Zeit der Handelssperren Sigismunds (1412–1433)

IV. Humanistische Konzepte

Philippa Sissis (Hamburg / München): Die humanistische Minuskel – Ein Konzept humanistischer Ästhetik in Schrift?
Nele De Raedt (Gent): Magnificence, Ornament or Beauty as Protective Design Strategies: Some Humanist Interpretations of Aristotle
Jennifer Trauschke (Freiburg im Breisgau): Vom Staunen zum (Er)Schrecken – maraviglia und terribilità
Anna Magnago Lampugnani (Berlin / Rom): Vorstellungen künstlerischer Inspiration im 16. Jahrhundert. Theorien und Bilder

V. Herrschaft, Religion und Objekt

Andreas Obenaus (Wien): Piratennest, Außenposten oder Kleinstemirat? Muslimische Herrschaftsgebiete auf der Apenninhalbinsel und am Löwengolf während des 9. und 10. Jahrhunderts
Rahel Meier (Zürich): Das Bestattungsverbot von 1349 im Kontext der Baufinanzierung für den Camposanto zu Pisa

Anmerkungen:
1 Christopher Lakey, From Place to Space. Raumkästen and the Moving Spectator in Medieval Italian Art, in: Beate Fricke / Urte Kras (Hrsg.), The Public in the Picture. Involving the Beholder in Antique, Islamic, Byzantine, Western Medieval and Renaissance Art, Zürich [et. al.] 2015, S. 113-136.
2 Jeffrey Hamburger, Script as Image, Paris [et. al.] 2014.
3 Linda Olenburg, Tagungsbericht: Neue Tendenzen der Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance, 13.11.2014 – 15.11.2014 Florenz, in: H-Soz-Kult, 18.03.2015 / <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5882> (17.01.2017).


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