Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit

Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Ute Lotz-Heumann, Matthias Pohlig (beide HU Berlin); Jan-Friedrich Mißfelder (Zürich)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.12.2004 - 11.12.2004
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Von
Vera Isaiasz, Humboldt-Universität zu Berlin

Eine "Konversion", also der Übertritt von einer Religion oder Konfession in eine andere, erscheint aus heutiger Perspektive in der Regel als das Ergebnis persönlicher Glaubenskrise und individueller Entscheidung. Was aber bedeutete ein solcher Schritt in der Frühen Neuzeit, in der das Individuum vermeintlich stärker von gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt war? Das Thema Konversion lenkt den Blick auf den anscheinend engen Handlungsrahmen zwischen dem "Zwang zur Konfessionalisierung" einerseits und dem Aufkommen individueller Glaubensausübung andererseits.

Diesem Zusammenhang ging die von Ute Lotz-Heumann, Matthias Pohlig (beide HU Berlin) und Jan-Friedrich Mißfelder (Zürich) organisierte und von der Fritz Thyssen-Stiftung geförderte Tagung "Konversionen und Konfession in der Frühen Neuzeit" an der Humboldt-Universität Berlin vom 9.-11. Dezember 2004 nach. Sie nahm damit ein Phänomen in den Blick, das in besonderer Weise geeignet ist, das Spektrum religionshistorischer und -soziologischer Diskussion in der gegenwärtigen Frühneuzeitforschung exemplarisch zu bündeln. Die Tagung konzentrierte sich dabei auf die bisher selten und zumeist unsystematisch untersuchten innerchristlichen Konversionen, einem Phänomen, daß bisher auch quantitativ kaum untersucht wurde. Die Übertritte von Juden und Muslimen, von der Forschung systematisch besser erforscht, waren bewußt ausgeklammert worden. Als Forum für Nachwuchswissenschaftler konzipiert, erwies sich gerade diese thematische Konzentration der Tagung als glücklich gewählt und brachte eine intensive Diskussion hervor.

Der Fokus auf die innerchristlichen Aspekte der Konversion legte es nahe, diese einerseits im Spannungsfeld von frühneuzeitlicher Konfessionsbildung und Konfessionalisierung zu betrachten. Andererseits galt es, sie im erweiterten Komplex von "Transkonfessionalität, Interkonfessionalität und binnenkonfessioneller Pluralität"1 zu verorten. Zwischen diesen Polen wurde von den Organisatoren ein weiter Untersuchungshorizont aufgespannt, unter dem zum Beispiel danach gefragt wurde, ob es im Umgang mit Konvertiten Unterschiede zwischen den Konfessionskirchen gab. Schließlich maß die katholische Kirche der Missionierung einen eindeutig höheren Stellenwert zu als die übrigen Konfessionen. Wie sahen die konkreten Praktiken bei Konversionen aus? Gab es unterschiedliche Typen und lassen sich geschlechtsspezifische Merkmale belegen? Zentrales und immer wieder diskutiertes Thema der Tagung war die Frage nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Kontexten von Konversionen. Kann ein Konfessionswechsel als Beleg für ein individualisiertes Religionsverständnis dienen? Unterschieden die Menschen zwischen äußerer Konfessionszugehörigkeit und innerer Religionsüberzeugung? In welchem semantischen Kontext wird über Konversionen berichtet, welches sind die Medien, in denen das geschieht? Wo taucht hinter den Topoi der Konversionsberichte das Individuum mit seinen Glaubenszweifeln und seiner Suche nach Heilsgewißheit auf? Welches Maß theologischen Wissens besaßen die Konvertiten? Wie lassen sich Berichte von Gruppenkonversionen in diesem Zusammenhang einordnen?

Um das breite Spektrum von Fragen und Forschungsansätzen zu gliedern, war die Tagung in drei Sektionen unterteilt: Die erste Sektion "Religiöse Authentizität und Politik" behandelte die politischen Folgen von Konversionen, vor allem von Fürstenkonversionen, mit denen Konfessionspolitik gemacht wurde. Die leitende Frage war die nach den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Authentizitätserwartungen im Kontext von Konversionen. Die zweite Sektion "Indifferenz und Radikalität" nahm das Phänomen in den Blick, daß Konvertiten schon von den Zeitgenossen entweder als "laue Christen" oder als besonders radikale Konfessionsvertreter gesehen wurden. Gerade bei Konversionen von Fürsten und Gelehrten wurde oft der Vorwurf des Opportunismus laut. Die dritte Sektion schließlich befaßte sich mit den "Ästhetischen und rhetorischen Strategien" von Konversionen, die auch in den beiden vorangegangen Sektionen bereits des öfteren verhandelt worden waren. Hierbei wurden neben den Konversionsberichten und ihren semantischen Konzepten auch Kirchenausstattungen und Kirchenmusik als Quellenmaterial herangezogen.

Der Religionssoziologe Detlef Pollack (Frankfurt/O./ New York) bot einleitend einen Überblick über verschiedene soziologische Modelle zu Konversionen. Bereits hier wurde das prinzipielle Problem der Konversions-Thematik insgesamt deutlich: Inwiefern geht eine Konversion auf die bewußt getroffene, freie Entscheidung eines Individuums zurück, und inwieweit ist sie bloße Folge äußerer Zwänge? Der u.a. von T. Luckmann entwickelte konstruktivistische Ansatz begreift die Konvertiten dabei als abhängig von ihren sozialen Bedingtheiten und Normen. Welche Bedeutung der individuellen Entscheidung im Konversionsprozeß zugemessen wird, welches Selbstbild der Konvertit im Konfessionsbericht von sich aufbaut, hängt demzufolge von den Gruppennormen der Neukonfession ab. Erst im Konversionsbericht, erst in der Erzählung, wird die Konversion dann nach den vorgegebenen Mustern generiert; nur der ist bekehrt, der anderen davon erzählt und dies in einer bestimmten Art und Weise tut.
Vor diesem Hintergrund und in Abgrenzung dazu entwickelte Pollack ein eigenes Modell, in dem er einen stärkeren Akzent auf die individuellen Optionen legte. Er traf dabei eine Unterscheidung zwischen der Konversion als einem radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit und der "Alternation" als einer Anpassungshaltung, die dem Individuum nicht viel mehr als eine graduelle Neuorientierung abverlangt.
Für eine Konversion im eigentlichen Sinne ist die persönliche Krisensituation, ein wie auch immer sich gestaltendes mentales Moment, von entscheidender Bedeutung. Der Pluralismus der Angebote und die Spannungen zwischen diesen Angeboten bestimmen die Entscheidung zur Konversion freilich mit. Man konvertiert zu der Konfessionskultur, die sozial und kulturell als attraktiver erscheint und höher eingeschätzt wird.
In der Diskussion ergab sich daraus eine zunehmende Differenzierung zwischen den Begriffen Konversion und Konfessionswechsel, der eine Unterscheidung zwischen innerem Bewußtseinswandel und äußerem, nicht selten medial inszenierten Übertritt erlaubt. Konversion und Konfessionswechsel können demnach miteinander zusammenfallen, müssen es jedoch keineswegs, wohingegen "nach außen" hin stets der Anschein eines authentischen Wandels über Selbst- wie Fremdbeschreibung hergestellt werden muß.

Die erste Sektion über "Religiöse Authentizität und Politik" begann mit einem Vortrag von Cornel Zwierlein (München) über "Fürstenkonversionen in den Strategiedenkrahmen der römischen Europapolitik um 1600: Zum Verhältnis von ,Machiavellismus' und ,Konfessionalismus'". Die päpstliche Politik unter Clemens VIII. verfolgte das Ziel, deutsche Reichsfürsten zur Konversion zu überzeugen, um so eine Isolation der protestantischen Reichsfürsten herbeizuführen. Dabei erhoffte man sich von einer besonders spektakulären Konversion einen Dominoeffekt. Federführend bei diesen Bemühungen war Minuccio Minucci, Sekretär an der päpstlichen Kurie und Verfasser verschiedener Gutachten ("discorsi"), mit denen er versuchte, diese Strategie umsetzbar zu machen. Zwierlein deutete die machtpolitische Funktionalisierung von Konversionen als Machiavellismus im Sinne einer Politik, die die Konfessionsspaltung als Faktum anerkennt und zur Grundlage einer pragmatischen Politikplanung macht, ohne theologische Erwägungen als Argumentationsgrundlage zu nutzen.

Einen "Domino-Stein" im Sinne Minuccis stellte Eric Mader (München) mit Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg vor, einem der prominenten Konvertiten zum Katholizismus unter den deutschen Fürsten, der dann zum Beispiel und Vorbild für andere wurde, und der auch seine Untertanen mit Eifer zwangskonvertieren ließ. Seine anfangs geheimgehaltene Konversion (1613) steht dabei im Zusammenhang mit dem Jülich-Klevischen Erbfall, und schon die Zeitgenossen äußerten den Verdacht, daß Wolfgang Wilhelm aus rein politischem Kalkül gehandelt habe. Ähnlich wie Zwierlein hob auch Mader hervor, daß Wolfgang Wilhelm als Rezipient zeitgenössischer italienischer Politiktheorie seinen Konfessionswechsel als Teil fürstlicher ‚prudentia' betrachtete. Der Übertritt war das Ergebnis eines politischen Entscheidungsfindungsprozesses, der die Konfession als Teil der politischen Sphäre behandelte und operationalisierbar machte.

Das Thema adliger und städtischer Konversionen in Frankreich zwischen dem Erlaß des Edikts von Nantes und dessen Revokation behandelten zwei Vorträge. Jan-Friedrich Mißfelder (Zürich) analysierte die politische Funktion von Konversionsberichten über Massenkonversionen französischer Hugenotten. Flugschriften, die über solche Ereignisse berichteten, dienten ihm als Quelle zur Rekonstruktion semantischer Strategien im religionspolitischen Diskurs. Reformierte Städte wie Saint-Jean d'Angély, deren Bevölkerung in aufwendigen Inszenierungen zum Katholizismus übertraten, avancierten damit zum Medienereignis. Signifikant dabei war die Engführung von Konversion und Königstreue: Die städtischen Massenkonversionen endeten mit Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Monarchen. Der Besuch der Messe wurde in den Texten folglich stets auch als Abkehr von politischer Rebellion gedeutet. Die Konversion zum Katholizismus bedeutete die Konversion zum König.
In den von Mißfelder vorgestellten Konversionsberichten wurden die Differenzierungs- und Entdiffernzierungsprozesse von Religion und Politik in der Frühen Neuzeit exemplarisch verhandelt.

Die Folge von Konversionen für hochadlige Familiennetzwerke und Familienpolitik in Frankreich behandelte Leonhard Horowski (TU Berlin). Am Beispiel der Familien de Bouillon und de La Tremoille wurden die Auswirkungen solcher adliger Konversionen auf die internationalen adligen Familiennetzwerke untersucht, die durch einen derartigen Schritt nicht selten praktisch zerschnitten wurden. Konnten sich hugenottische Familienverbände durch eine geschickte Heiratspolitik (etwa durch Eheschließungen mit dem reformierten europäischen Adel oder durch Einheirat einer Tochter in eine katholische französische Familie) ihre Position noch lange behaupten, so erhöhte sich der Druck nach 1661, in einer Zeit, als der französische Hof neu organisiert wurde und es galt Hofchargen zu erlangen, immer mehr. Wer nun noch Zugang zum Hofe bekommen wollte, mußte auch den Konfessionsübertritt ins Auge fassen. So konnte die Revokation des Edikts von Nantes 1685 schließlich auch damit begründet werden, daß es eben keine hugenottischen Adligen mehr gäbe.

Stefan Ehrenpreis (HU Berlin) lenkte in seinem Vortrag den Blick auf eine Gruppe von Juristen und Räten am Reichshofrat Maximilians II. Die kaiserlichen Räte um Hubert Gyphanius, Wacker von Wackenfels sowie den kaiserlichen Hofdrucker Hugo Blotius vertrat eine erasmisch-konziliante Haltung in der Konfessionsfrage, die von der älteren Forschung lange Zeit mit dem Kompromißkatholizismus Maximilians II. in Verbindung gebracht worden ist. Von Georg Eder, ebenfalls kaiserlicher Rat, wurden sie als "Hofchristen", also als religiös indifferent, diffamiert. Die Konversion, Gyphanius etwa konvertierte 1589 zum Katholizismus, bedeutete für sie einen Karriereschub und war unter anderem die Voraussetzung für den Aufstieg zum Reichshofrat. Anhand ihrer Korrespondenzen läßt sich rekonstruieren, daß sie ihre Konversion nicht als inneren religiösen Schritt, sondern als notwendige äußere Anpassung an die zunehmend konfessionalisierte Umwelt begriffen. Für diese Gruppe beinhaltete der Konfessionswechsel nicht den Eintritt in eine neue Gruppenzugehörigkeit, sondern geschah aus karrieretechnischen Motiven.

Die zweite Sektion über "Indifferenz und Radikalität" leitete Matthias Pohlig (Berlin) mit einem Vortrag über Gelehrtenkonversionen am Beispiel des Tübinger Rechtsprofessors Christoph Besold (1577-1638) ein. Der Polyhistor war 1635 zum Katholizismus übergetreten und hatte damit Reaktionen hervorgerufen, die für die Beurteilung des Gelehrtenstandes durch die Zeitgenossen durchaus typisch waren. Wankelmütigkeit, Heuchelei, Charakterlosigkeit waren die Vorwürfe: Der Gelehrte erwies sich als unzuverlässiger Kandidat. Ausufernde Lektüre und vielfältige Gelehrsamkeit galten nicht gerade als Ausweis konfessioneller Zuverlässigkeit, sie waren vielmehr Charakteristika eines gesellschaftlichen Bereichs, der sich offenbar der nachhaltigen konfessionellen Durchdringung entzog und in einem andauernden Konflikt mit den Anforderungen der Konfessionskirchen stand. Dieser Umstand deutet auf ein strukturelles Merkmal des Konfessionalisierungsprozesses insgesamt hin, nämlich die Genese heterodoxer Glaubensvorstellungen quasi als Nebenprodukt der Ausgestaltung einheitlicher Konfessionssysteme. Gelehrte wie Besold avancierten damit durchaus zu "Intellektuellen" avant la lettre. Mit seiner Konversion zum Katholizismus freilich wollte Besold gerade diesen unsicheren Grund schließlich wieder verlassen.

Heike Bock (Luzern) wies darauf hin, daß strukturell bedingte Konversionen für die Frühe Neuzeit typisch waren, zumindest für die Bevölkerung in gemischtkonfessionellen Gebieten, die auch aus ökonomischen Erwägungen und familiären Gründen heraus konvertierten. Gegenstand ihres Beitrags war die Konversion eidgenössischer Geistlicher in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie stellte einen lutherischen Pfarrer Rüegg, der zum Katholizismus, und einen Benediktinermönch Maurus Heidelberger, der zum Reformiertentum übertrat, vor. Bock hob den besonders hohen Legitimationsdruck für Geistliche hervor. In den wenig individuell verfaßten Selbstdarstellungen ihrer Konversionen lieferten beide das Bild eines konsequenten Überzeugungstäters. Während auch der spätere Lebenslauf Rüeggs in das Bild eines "wahrheitssuchenden Geistlichen" paßt, konvertierte Heidelberger im hohen Alter wieder zum Katholizismus zurück, und vieles läßt ihn als "entlaufenen Mönchen" erscheinen. Beide Fallbeispiele lassen sich also nur schwer auf der Skala von Radikalität und Indifferenz im Sinne individueller Haltungen verorten.

Auch Emden und die Niederlande bieten als gemischtkonfessionelle Gebiete reiches Anschauungsmaterial für die Konkurrenz der Konfessionen. Nicole Grochowina (Jena) und Christine Kooi (Baton Rouge) behandelten dabei vor allem Konversionen des "Gemeinen Mannes". Religiöse Indifferenz, so Grochowina, war in der Frühen Neuzeit ein Alltagsphänomen, wobei Indifferenz eben nicht als religiöse Gleichgültigkeit oder Areligiösität zu definieren ist, sondern als Gleichwertigkeit der religiösen Gruppen in der Wahrnehmung der Akteure verstanden werden muß.
In der pluriformen religiösen Kultur Emdens gab es einen regelrechten Wettbewerb um den Gläubigen, was nicht selten zu Mehrfachkonversionen führte. Entscheidend für die Orientierung der Gläubigen und ihre Wahl aus den verschiedenen Glaubensangeboten konnten dabei nicht selten die unmittelbaren Nachbarschaften sein: Die Zugehörigkeit zu einer Konfession war somit auch abhängig von den Beziehungsnetzwerken der einzelnen Viertel.
Einen konfessionellen Wettbewerb konstatierte auch Christine Kooi für die Niederlande. Die Missionsarbeit der katholischen Minorität hatte auch hier einen kleinräumlichen, privaten Charakter. Calvinisten, die im Verdacht standen, katholisch werden zu wollen, wurden vor den reformierten Kirchenrat zitiert. Ihre Motive lassen wiederum darauf schließen, daß die Wahl der Konfession in der Regel familiäre Gründe hatte. Oftmals konvertierten Frauen zur Konfession ihres Ehemannes. In dieser konfessionell gemischten Situation hatte die Entscheidung zur Konversion für den Einzelnen eher geringe soziale und politische Konsequenzen, insgesamt scheinen gemischtkonfessionelle Gesellschaften die Möglichkeit zur Konversion erleichtert zu haben.

Anders lag der Fall im von Ulrich Rosseaux (Dresden) behandelten Dresden. Die Lutheraner der Stadt sahen sich hier erst in der Folge des spektakulären Übertritts Augusts des Starken (1697) einer kleinen katholischen Minderheit gegenüber und entwickelten das Selbstbild eines "bedrohten Zions". Ein rechtlicher Rahmen zur Regelung des Zusammenlebens der Konfessionen mußte hier erst noch gefunden werden, wobei es den Katholiken nie gelang, volles Bürgerrecht in der Residenzstadt zu erlangen. Empfindliche Punkte des Zusammenlebens der Konfessionen waren die Formen der öffentlichen Glaubensausübung wie Meßbesuch, Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Prozessionen. Spannungsreich war aber gerade auch die Besetzung des städtischen Raumes durch den Kirchenbau: Der von der lutherischen Gemeinde finanzierte Neubau der Dresdner Frauenkirche erfuhr seinen "Gegenbau" in der katholischen Hofkirche, die städteplanerisch geschickt in das Stadtbild eingeschrieben wurde. Die Einweihung der Hofkirche (1751) markierte auch das Ende der "heißen Phase" der interkonfessionellen Auseinandersetzungen in Dresden.

Jenseits lokaler und regionaler Spezifika präsentierte Dagmar Freist (Oldenburg) eine aufschlußreiche Debatte um erzwungene Kinderkonversionen. Das Reichskammergericht hatte Fälle von Kindesentführung zu verhandeln, bei denen die Kinder gegen den Willen eines Elternteils konvertiert worden waren. Da es keine reichsrechtliche Regelung des Konversionsalters gab, stellte sich die Frage, wann der Konfessionswechsel von Kindern als rechtmäßig zu betrachten und ab wann ein Kind religionsmündig war. Das blieb zwischen den Konfessionen umstrittenen. Die Katholiken sahen den Zeitpunkt, ab dem ein Kind mit Vernunft erklären könne, zu welcher Religion es gehören wolle, schon mit zehn Jahren erreicht, die Lutheraner dagegen erst im Alter von 18. In den von Freist untersuchten gerichtlichen Befragungen wurde versucht zu ermitteln, ab welchem Alter die Kinder fähig waren, die Unterschiede zwischen den Konfessionen zu erkennen, um ihre "Konversionsreife" festzustellen.

Die Sektion "Ästhetische und rhetorische Strategien" begann mit einem Vortrag von Petr Mat'a (Prag) über die Konversion und die Glaubensvorstellungen des Oberkanzlers Wilhelm Slavata (1572-1652), der der Nachwelt vor allem durch seine 1618 erfolgte Defenestrierung im Prager Fenstersturz im Gedächtnis blieb. Er konvertierte bereits 1597 unter dem Einfluß von Jesuiten, wandelte sich zu einem radikalen Katholiken und kann als Paradebeispiel eines Konvertiten gelten, der keine Zugeständnisse an die Protestanten mehr erlauben und die Rechte der böhmischen Stände beschneiden lassen wollte. Von Bedeutung ist diese Konversion, weil sie vor der eigentlichen Phase verstärkten konfessionellen Drucks von Seiten der Katholiken geschah und zugleich ein rebellischer Akt gegen den Willen des Vaters, eines Mitglieds der Brüderunität, war. Slavatas Konversion war keine graduelle Anpassung sondern kann als komplexer Bewußtseinswechsel bezeichnet werden. In seinen umfangreichen Rechtfertigungsschriften stellte Slavata seinen Übertritt ekklesiologisch, als Rückkehr zur einen wahren Kirche und als freiwillige Gewissensentscheidung dar.

Alexander Schunka (Stuttgart) sprach über die narrativen Strategien in Revokationspredigten, die von ehemaligen, aus habsburgischen Ländern kommenden und nach Sachsen exilierten Ordensangehörigen stammten. Diese Konvertiten waren in Sachsen kein Randphänomen und zeigen den Zusammenhang von Konversion und Emigration auf. Die Predigten wurden oftmals in Wittenberg und Leipzig gehalten, nachdem die Konvertiten über längere Zeit "umerzogen" worden waren. Der Großteil der Predigten folgte einem bestimmten homiletischen Schema, in dem polemische Rhetorik gegen den Katholizismus, autobiographische Elemente und biblische Exempel zur Begründung der Konversion zu den festen Bestandteilen gehörten. Das Motiv der plötzlichen Erleuchtung taucht hier selten auf, im Gegenteil wird der Entschluß zur Konversion als langwieriger Entscheidungsfindungsprozeß geschildert, in dessen Verlauf man sich mit den Mißständen und Irrlehren der katholischen Kirche sowie den Defiziten des alten Glaubens auseinandergesetzt habe. Diese Revokationspredigten sind somit weniger Zeugnis persönlicher Rechenschaft als vielmehr Mittel zum Zweck der konfessionellen Abgrenzung.

Das Spannungsfeld von "Individualität" und "Topos" behandelte Ute Lotz-Heumann (HU Berlin) am Beispiel von vier markanten irischen Konversionsberichten zwischen 1660 und 1690. In Irland, dessen Konfessionsgeschichte vom Gegensatz zwischen anglikanischer Staatskirche und katholischer Minderheitenkirche geprägt war, verschärfte sich nach 1665 das Klima zwischen den Konfessionen wieder, zahlreiche katholische Kleriker wurden verhaftet oder des Landes verwiesen. In dieser angespannten Situation wurden nun von beiden Seiten erstmals Konversionsberichte in größerer Zahl als publizistische Mittel verwendet. Es entwickelte sich ein Konversionsdiskurs aus aufeinander bezogenen Schriften und Gegenschriften, dessen kommunikative Muster Lotz-Heumann analysierte. Die starke Prägung der Texte durch bestimmte Topoi dürfe dabei nicht dazu führen, die individuelle Dimension der jeweiligen Erfahrungen gänzlich verschwinden zu lassen. Vielmehr eröffne gerade die Entlastung des Individuums durch vorgegebene argumentative Muster diesem wiederum die Möglichkeit, seine individuelle Haltung in einzelnen Punkten zum Ausdruck zu bringen.

Eine andere Form konfessioneller Rhetorik erschloß Jens Baumgarten (Hamburg, Sao Paulo) anhand der Ikonographie zweier jesuitischer Kirchenausstattungen in Rom und Glatz, mit denen sich zugleich die Verschränkung von katholischer Bildtheorie und Missionsabsicht belegen ließ. In ihrer Kunst verfolgten die Jesuiten eine "Überwältigungsstrategie", die Baumgarten vor dem Hintergrund des posttridentinischen Diskurses über Visualisierung und Memotechnik deutete. Autoren wie Borromeo und Bellarmin entwarfen eine differenzierte Bildtheorie, die diesem Medium eine Schlüsselfunktion für die Gewinnung neuer Missionare zuwies: Wer etwa das Vorbild der frühchristlichen Märtyrer für den Glauben tagtäglich vor Augen geführt bekam, sollte umso eher bereit sein, ihnen nachzufolgen, und zwar in Schlesien und Rom ebenso wie in den außereuropäischen Missionsgebieten.

Mediale Inszenierungen blieben nicht auf den Kirchenraum beschränkt. Am Beispiel des Jesuitendramas behandelte Kai Bremer (Osnabrück) das Thema Konversion und Konvertiten im Theater des 17. Jahrhunderts, wobei allerdings die Missionsdramen ausgeklammert blieben. Konfessionswechsel im eigentlichen Sinne waren dabei eher ein Randthema der Stücke, vielmehr lag ganz generell ein Schwerpunkt auf der individuellen Entscheidung zur Umkehr aus Einsicht. Häufige Protagonisten waren Figuren wie Maria Magdalena, Paulus und Ignatius von Loyola, deren "conversio" als Bekehrung und Hinwendung zum rechten Glauben gedeutet wurde. Das galt in ähnlicher Weise für die vergleichend herangezogene Gattung des protestantischen Trauerspiels, in welchem der Held oder die Heldin, dem Ideal der constantia verpflichtet, allen teuflischen Anfeindungen Widerstand leistete.

Die beiden abschließenden Vorträge zeigten am Beispiel von Musik und Literatur nochmals die Grenzen der Konfessionalisierbarkeit auf und belegten, daß eine unmittelbare Inanspruchnahme von Kunst und Literatur durch die Konfessionen nicht immer möglich war. Bezeichnenderweise waren es konkrete Biographien, die sich dem konfessionellen Zugriff zumindest partiell entziehen konnten.
Sebastian Klotz (Leipzig) stellte den englischen Komponisten und "Musikunternehmer" William Byrd (gest. 1623) vor. Dieser war, obwohl Katholik, 54 Jahre lang an der Chapel Royal tätig, die direkt der Krone und damit der Königin als Kirchenoberhaupt unterstand. Byrd fand für seine Musik überkonfessionelle Anerkennung und besaß trotz seiner Konfession beste Verbindungen zum Elisabethanischen Hof. Der schon von den Zeitgenossen als "Vater der Musik" bezeichnete Byrd hatte außerdem großen Einfluß auf die Musikproduktion in England, da er von Elisabeth I. das Patent für Notendruck in England verliehen bekommen hatte. Seine Musikstücke widmete er, taktisch geschickt, sowohl Katholiken als auch Anhängern der Anglikanischen Kirche. Erst nachdem sich in den 1570er Jahren der Druck auf die Katholiken erhöhte, zog sich Byrd auf seine ländlichen Besitztümer zurück, wo er den katholischen ländlichen Adel mit Musikstücken versorgte, für die er den Duktus einer spezifisch katholischen Kirchenmusik wählte und sich bei seiner Textwahl teilweise von Jesuiten anregen ließ.

Andreas Merzhäuser (Bonn) knüpfte in seinem abschließenden Vortrag an den alten Streit an, ob Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus so etwas wie eine konfessionelle Signatur trage. In Merzhäusers Deutung allerdings entzog sich die Figur des Simplicius einer konkreten konfessionellen Deutbarkeit. Vielmehr wird der Romanheld im Verlauf seiner verschlungenen Abenteuer zwar mit einer Vielzahl von Entwürfen zur rechten Lebensführung konfrontiert, auch die verschiedensten ästhetischen Überzeugungsstrategien der Konfessionen begegnen ihm. Letztlich jedoch bleiben die Welthändel Äußerlichkeiten, denen sich Simplicius zu entziehen vermag und die ihm zwar Anlaß, aber nicht Richtung der Reflexion bieten. So setzte am Ende der Tagung schließlich das Individuum als Romanheld den Schlußpunkt unter die komplexen Fragen von Konfession und Konversionen.

Der Bericht wird auch veröffentlicht in: frühneuzeit-info 15 (2004), h 1+2

Anmerkung:
1 So der Titel des von Kaspar von Greyerz herausgegebenen Sammelbandes: Interkonfessionalität - Transkonfessionalität - binnenkonfesionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), Gütersloh 2003.


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