Historisches Lernen mit Informations- und Kommunikationstechnologien

Historisches Lernen mit Informations- und Kommunikationstechnologien

Organisatoren
Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/M. Unterstützt durch: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.12.2004 - 11.12.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Marius Herzog, nexus-Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung, Berlin

Geschichte lernen und lehren kann man seit etwa zehn Jahren auch multimedial. Dabei zeichnet sich das Feld der geschichtswissenschaftlichen Lehre in Institutionen wie Schulen, Museen, Gedenkstätten und Archiven noch als unsystematisch und disparat aus, wiewohl verschiedene, sogar äußerst gute didaktische Auseinandersetzungen mit neuen Medien existieren. Um dieser unkoordinierten Entwicklung eine gemeinsame Plattform zu geben, luden Gerhard Henke-Bockschatz (Frankfurt/M.), Reinhard Wendt (Hagen) und Jan Linke (Freiburg) zu diesem Symposium ein.
In seiner Einleitungsrede fasste Henke-Bockschatz den gegenwärtigen Stand der Entwicklungen zusammen. Dabei nannte er u.a. das Selbstlernen mit neuen Medien in der Schule, die Herstellung eigener Lernmittel durch Studierende als Teil der Lehre, die unabhängige/professionelle Produktion von CD-Roms, virtuelle Rekonstruktionen historischer Plätze, nicht-lineare, modularisierte Hypertexte (z.B. im Internet) oder dynamische Karten und Grafiken. Ziel sei es, mehr Kompetenzen für reflektiertes Lernen zu entwickeln und einen aufgeschlossenen, kritischen Medienumgang zu pflegen. Neue Medien zu nutzen heiße nicht, mehr Wissen mit mehr Medien auf die Anwender abzuladen.

Franz Eder (Wien) befasste sich mit Lerntheorien und ihrer Umsetzung in der universitären Geschichtslehre. Dabei stellte er ein Projekt der Universität Wien vor, das Studierenden die Möglichkeiten des webbasierten Geschichtslernens anbietet.1
In unterschiedlichen Lernphasen und Zielgruppen kommen dort behavioristische, kognitive und konstruktivistische Ansätze zum Einsatz. Fünf Lernniveaus können in vier Modulen von der Literaturrecherche bis zur Präsentation in Form einer Web-Ausstellung angesprochen werden. Dabei werden die Vorteile der digitalen Medien (permanenter Zugriff, große Informationsmengen oder die Kopierfähigkeit der Daten) genutzt. Die oft kritisch gestellte Frage nach dem Mehrwert solcher Lernformen beantwortete Eder mit den Chancen, die in den vernetzten Strukturen des Mediums liegen und vernetztes Denken fördern. Es gehe nicht um „richtige“ Lösungen, sondern um „Lösungsmuster statt Musterlösungen“.

Vadim Oswalt (Gießen) nahm die Frage nach dem didaktischen Mehrwert auf. So könnten manche Schüler zwar im Internet problemlos navigieren, Texte aber nicht richtig lesen oder umgekehrt. Anhand seiner langjährigen Auseinandersetzungen mit Lern-CD Roms stellte er fest, dass die „Vernetzungswut“ mit den neuen Programmen nachgelassen habe. Probleme sind indes bei einer Schere zwischen Inhalts- und Technologiewissen auszumachen. Aus Kostengründen wird ein starres Schema vorgegeben, in das dann nur noch die Inhalte eingefüllt werden können. So müssen sich CD-Rom Autoren manchmal an technische Strukturen anpassen, so dass die Gefahr besteht, die ursprünglichen Inhalte aus den Augen zu verlieren. Insgesamt aber böten die neuen Technologien reizvolle, noch unbekannte Möglichkeiten.

Eine dieser Möglichkeiten stellten Jan Linke (Freiburg), Sebastian Hübner und Rainer Spittel (Bremen) vor. Sie präsentierten den derzeitigen Stand und die Zukunft der „Visualisierung historischer Daten mit dynamischen, interaktiven Karten“. Linke führte in den Begriff der (historischen) Visualisierung ein und stellte die konventionellen Formen des bisherigen Umgangs mit historischen Karten den virtuellen Visualisierungen gegenüber. Hübner erklärte das Prinzip der dynamischen Karten anhand eines konkreten Beispiels. In numerische Daten umgesetzte Informationen, wie die Start- und Zielhäfen von Handelsschiffen oder deren An- und Ablegezeiten, werden in virtuelle Karten übertragen, so dass Fahrtrouten dynamisch darstellbar sind, die optisch an die Wetterkarten aus dem Fernsehen erinnern. Es gibt Zoom-Funktionen, kombinierbare Darstellungsebenen und die Möglichkeit die Daten problemlos zu ändern und deren Quellen genau anzuzeigen. Spittel vertiefte die dahinter befindlichen technischen Standards: Auch der normale Internetnutzer kann so eigene Daten im Netz zur Verfügung stellen oder dort erlangte Daten in eigene Karten integrieren und gegebenenfalls vervollständigen.2 Probleme bestehen allerdings häufig noch in der mangelnden Bereitschaft der meist öffentlichen Institutionen, Geodaten zur Verfügung zu stellen. Die Anwendung dynamischer Karten stellt eine Herausforderung der Nutzerkompetenz dar. Nicht jedem im Publikum mag der Gedanke vertraut gewesen sein, dass zukünftig auch Historiker in der Lage sein sollten, ein „Storyboard“ zu schreiben, das dann von Informationstechnologen visualisiert werden kann.

Bettina Alawi (Heidelberg) bezog sich auf ein Lehrprojekt der PH Heidelberg, in dem Studierende ohne besondere IT – Kenntnisse oder spezialisiertes Geschichtswissen eine didaktische aufbereitete webbasierte Lernplattform gestalteten. Zunächst wurden die Inhalte (das Kurfürstentum in Heidelberg) erarbeitet und visuell präsentiert, dann erfolgte die Umsetzung unter reflektiertem Einsatz multimedialer Möglichkeiten. Als Fazit konnte Alawi einen Lernfortschritt bei ihren Studierenden feststellen, die einen praktischen Einblick in die verschiedenen Lehrmöglichkeiten auf unterschiedlichen Lernstufen erlangen konnten.

Alfons Kenkmann und Julia Volmer stellten anschließend die multimediale Anwendung „Landesgeschichte Nordrhein-Westfalen“ für die Oberstufe und das universitäre Grundstudium vor. Dessen Ziel ist die Hinführung zu landes- und regionalgeschichtlichen Themen, die Einübung in Methoden historischer Forschung und die Nutzung neuer Medien. Ferner soll der dominante Einsatz schriftlicher Quellen in der historischen Darstellung relativiert werden. In den Themenbereichen wie Bildungspolitik oder Migration sollen Schüler, Studierende und Lehrer sich reflektiert mit Geschichte auseinandersetzen und interaktiv Quellen nutzen und erarbeiten z.B. durch authentisch gehaltene Originaldokumente wie unbearbeitete Interviews.

Um eine ebenfalls für Schüler konzipierte Lernsoftware ging es im Vortrag von Gerhard Henke-Bockschatz (Frankfurt/M.). Er berichtete von Möglichkeiten und Grenzen des interaktiven Umgangs mit Text- und Bildquellen am Beispiel einer CD-Rom zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die auf die LeMo-(Lebendiges Museum Online)-Website des Deutschen Historischen Museums und des Hauses der Geschichte zurückgreift. Ziel der Arbeit war es, den Widerspruch zwischen trockener Literatur und den Unterhaltungselementen der neuen Medien in einem lebendigen virtuellen Museum aufzulösen und die Schüler selbst navigierend, also nicht linear, Geschichte erschließen zu lassen. Der Quellenzugang war durch die umfassenden Bestände der Kooperationspartner gewährleistet. Henke-Bockschatz stellte fest, dass trotz der im Produktionsvorfeld proklamierten grenzenlos erscheinenden technischen Machbarkeiten später immer wieder technische Beschränkungen auftauchten. Die Aufmerksamkeit der Geschichtsdidaktik sei besonders auf die Arbeitsaufträge zur richten, die den Möglichkeiten des Mediums adäquat sein und den Schülern ein motivierendes Feedback geben müssten.

Eher auf breitere Zielgruppen bezogene Multimedia-Projekte stellte Gorch Pieken (Berlin) vor: virtuelle Ausführungen zu bestimmten Themen für die Besucher des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Auch hierbei ging es darum, die spröde Wissenschaftlichkeit konventioneller Darstellungsformen durch die Möglichkeiten im virtuellen Raum abzulösen. Das gelang in beeindruckender und technisch perfekter Weise mit einem virtuellen Stammbaum bei dem die Bourbonen durch eine blaue, die Habsburger durch eine rote Linie gekennzeichnet werden und der Betrachter wählen kann, ob und wie er sich nur die Vorfahren ausgewählter Personen anzeigen lassen kann. Ein anderes Projekt stellt die Geschichte der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus dar. In zwei parallelen Zeitleisten lassen sich die Eingriffe des NS-Staates in das Leben der deutschen Juden verfolgen und gleichzeitig mit konkreten Lebensstationen einer jüdischen Familie vergleichen.3 Erfreulicherweise und zur allgemeinen Überraschung halten sich derartig aufwendige Darstellungen in einem durchaus überschaubaren Kostenrahmen.

Christoph Schäfer, Angelika Meier, Tatjana Timoschenko und Jan Bierweiler, (Universität Hamburg), stellten den Zwischenstand ihrer Multimedia-Anwendung mit digitalen Filmsequenzen (DVD) zum Thema Römer und Germanen vor. Hierbei ging es darum, sich als Althistoriker den neuen Medien zu stellen und - auch aufgrund fehlender Filmrechte - eigene Produktionszugänge für eine Lern-DVD zu erschließen, indem man selbstständig historische Szenen nachspielte. Auch hier wird bewusst mit Roh-Versionen und nicht perfekten Filmumsetzungen gearbeitet, um kein fertiges Geschichtsbild zu produzieren. Als zukünftige Ziele nannte Schäfer die Vermarktung des Projektes über die FWU. Zudem seien Veranstaltungen zur Erstellung neuer Lernmedien sowie ein Studiengang für moderne Geschichtsdidaktik geplant.

Uwe Danker und Astrid Schwabe (Flensburg) berichteten anschließend über „Schleswig-Holsteins Weg durch die Moderne (1830-2000)“. Auch hier handelte es sich um eine laufende Arbeit. Die interaktive historische Multimedia-Präsentation versteht sich als grenzüberschreitendes Regionalprojekt, das sich im Internet behaupten soll, und bei dem Schüler und Lehrkräfte als Sonderzielgruppen fungieren. In politik-, gesellschafts-, kultur- und sozialgeschichtlichen Dimensionen können die User frei navigieren. In Karten verschieben sich per Doppelklick die historischen Landesgrenzen und Verlinkungen auf Hintergrundkurztexte verfügen grundsätzlich über Quellenangaben. Schwabe und Danker wiesen darauf hin, dass es kein didaktisches Konzept gegeben habe, auf das man zurückgreifen konnte. Danker sah mit skeptischer Vorsicht allzu verzweigten Vernetzungschancen entgegen: Man wolle in erster Linie ein virtuelles Museum bleiben.

Die sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung ziehende Frage nach dem Mehrwert multimedialer Geschichtsdidaktik konnte nicht eindeutig beantwortet werden. Auch nach gut zehn Jahren Anwendung in diesem Bereich können immer wieder in guter Absicht erstellte Programme technisch und nutzerseitig zu schwerfälligen Ergebnissen führen. Eine von allen geteilte Forderung lautete, dass bei den Darstellungen die Zusammenhänge klar nachvollziehbar und quellentransparent sein müssen. Es gehe letztlich darum, „die Identität der Historiker nicht aufs Spiel zu setzen“. Eindringlich wurde davor gewarnt, das Publikum durch schöne Bilder „verblöden“ zu lassen. Eine quellen- und medienkritische Geschichtsdidaktik dürfe weder die „Suggestion von Exaktheit“ erzeugen, wo die Quellenlage dieses nicht hergebe, noch die online-Geschichtslehre als Hintertür von Sparmaßnahmen unterschätzen.
Dennoch zeigte sich, dass auch äußerst anspruchsvolle und perfekt erscheinende Visualisierungen bezahlbar sind und Emotionalität in der Präsentation erlaubt, ja unvermeidlich ist. Dabei muss behutsam mit chronologischen Abläufen umgegangen werden, sonst droht der Überblick in der Geschichtsdarstellung verloren zu gehen. Dabei ist die Frage entscheidend, was beim Nutzer am Ende ankommt.
Abschließend kann zusammengefasst werden, dass sich Historiker, Geschichtsdidaktiker und Informatiker auf dieser Tagung in einer offenen Atmosphäre aktiv und intensiv mit den neuen Lernmedien auseinander gesetzt haben. Eine Fortführung des Austausches und die Notwendigkeit für Historiker und Geschichtsdidaktiker, Schnittstellenkompetenzen zu erwerben, wurde deutlich. Die Tagung in Frankfurt kann als erster Schritt gesehen werden, dieses zu erreichen.4

Anmerkungen:
1http://www.geschichte-online.at
2 Vgl. http://geoshare.tzi.de/ms_historic/
3 Ab 27. Januar unter http://www.chotzen.de
4 Als Einstieg in Formen des E-Teaching empfehlenswert: http://www.e-teaching.org


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