Geschlecht und Gesundheit

Geschlecht und Gesundheit

Organisatoren
Eva Labouvie, Institut für Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung); Kultusministerium und Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt
Ort
Magdeburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.11.2004 - 20.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Ramona Myrrhe, Institut für Geschichte, Neuzeit, Schwerpunkt Geschlechtergeschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Am 19./20. November 2004 fand in Magdeburg die „Zweite interdisziplinäre Konferenz zur Frauen- und Geschlechterforschung in Sachsen-Anhalt“ zum Thema „Geschlecht und Gesundheit“ statt. Veranstalterin war Prof. Dr. Eva Labouvie vom Institut für Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung) in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium und der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt. Die Schirmherrschaft hatte das Ministerium für Gesundheit und Soziales übernommen.

Die Tagung diente nicht nur der Vernetzung sachsen-anhaltischer WissenschaftlerInnen, sondern auch dem breiten interdisziplinären Austausch mit Forscherinnen aus anderen Bundesländern.

Angesichts der Breite der Thematik konnten nur einzelne Forschungsfelder beleuchtet werden, die in den Bereichen Gesundheitswissenschaften/Medizin/Medizingeschichte, Geschichte, Politik- und Rechtswissenschaften, Volkskunde, Soziologie, Psychologie und Sportwissenschaft angesiedelt waren. Das Hauptaugenmerk aller Vorträge richtete sich auf eine Auseinandersetzung mit dem in den Geistes- und Sozialwissenschaften derzeit viel diskutierten Ansatz der Salutogenese.

In ihrem Eröffnungsvortrag betonte Prof. Dr. Eva Labouvie die vielseitigen Facetten der Thematik Geschlecht und Gesundheit unter einer neuen Perspektivierung durch das Modell der Salutogenese, die den Menschen in seiner unmittelbaren Lebenswelt und seinem alltäglichen Gesundheitsverhalten untersuche. Unter salutogenetischer und lebensweltlicher Perspektive stelle sich die Frage nach dem Beziehungsgeflecht von Gesundheit und Geschlecht durchaus neu und anders: Nicht nur so vielfältige Bereiche wie Hygiene, Körperlichkeit, Gesundheits- und Körpervorstellungen, Body Politics, geschlechtsspezifisches Gesundheitsverhalten oder Sport kämen verstärkt in die Diskussion. Vielmehr könne man die medizinischen wie populären Definitionen und Vorstellungen des Gesundheitsbegriffes und die aus derartigen Zuschreibungen resultierenden Konsequenzen für geschlechtsspezifische Identitätsbildung, Geschlechterstereotype oder -verhaltensweisen über die Jahrhunderte bis heute hinterfragen. Unklar sei in der derzeitigen Diskussion vor allem, was mit ‚männlich’ und ‚weiblich’ gemeint sei, wenn etwa von geschlechtsspezifischen Gesundheitsrisiken oder Krankheiten die Rede sei.

Sascha Möbius (Universität Göttingen/Magdeburg) leitete den ersten Tagungskomplex „Schutz der Gesundheit“ mit einem Vortrag zur „Sorge um männliche Gesundheit, Größe und Schönheit in der altpreußischen Armee zwischen Funktionalität und Repräsentation“. Er konnte plastisch die wichtige Rolle von Gesundheit sowohl bei der Anwerbung von Soldaten als auch im Feld vor Augen führen, indem er die Körperhygiene, die Ernährung, die medizinische Versorgung und die vielfältigen Aspekte der Körperertüchtigung im Spannungsfeld zwischen Funktionalität und Repräsentation beleuchtete.

Prof. Dr. Marita Metz-Becker (Universität Marburg) analysierte in ihrem Vortrag „ Von der ‚Weiberkunst’ zur Kunsthilfe. Zur Medikalisierung und Pathologisierung der Geburt im 19. Jahrhundert“ die Institutionalisierung der Geburtshilfe und zeichnete den Prozess der Verwissenschaftlichung des Faches nach, welcher den Berufstand der Hebamme und das Geburtsereignis selbst fundamental veränderte.

Den Bogen von der Geburt zur Sterilisation schlug Dr. Daphne Hahn (TU Berlin). Sie ging in ihrem Vortrag „ Vom Zwang zur Selbstbestimmung – Die Diskursivierung der Sterilisation in medizinischen und juristischen Texten nach 1945 in ost- und Westdeutschland“ der Frage nach, wann und mit welchen Argumentationsmustern und neuen Deutungen sich in beiden deutschen Staaten der Wandel vom Zwang zur positiv bewerteten Praxis der Sterilisation als selbstbestimmter Empfängnisverhütung vollzogen hat. Dabei habe die Veränderung des medizinischen Zugriffs auf den Körper und die Fruchtbarkeit die individuelle Internalisierung von Gesundheitsnormen voraus gesetzt.

Die zweite Tagungsrubrik „Gesundheitsförderung“ wurde von Dr. Angelika Uhlmann (Universität Freiburg) eröffnet, die in ihrem Vortrag zur „Gebärertüchtigung als gesundheitspolitisches Ziel der Sport- und Gymnastikbewegung in Weimarer Republik und Drittem Reich“ herausarbeiten konnte, dass Mädchen und Frauen durch Leibesübungen körperlich und geistig auf ihre Mutterrolle vorbereitet wurden. Diese Indienststellung der persönlichen Gesundheit für den Staat habe eine Pflicht zur Gesundheit ebenso befördert wie die Pflicht zur Mutterschaft, wenn es sich um eine gesunde ‚arische’ Frau handelte.

Nina Feltz (Universität Hamburg) ging in ihrem Beitrag „Bewegungskultur von Frauen als Beispiel eines gesunden Umgangs mit öffentlichen Räumen“ der Frage nach, ob und wie Frauen einen gesunden Umgang mit öffentlichen Räumen pflegen und wie sie für ihr Wohlbefinden sorgen. Sie stellte eine im Laufe des Heranwachsens sich verändernde körperliche Aktivität und Risikobereitschaft von Mädchen und jungen Frauen im städtischen Raum und einen Rückzug aus Sport- und Bewegungsräumen fest und beleuchtete vor diesem Ergebnis die Geschlechtergrenzen öffentlicher Räume für alltägliche weibliche Bewegungskultur(en).

Dr. habil. Viola Schubert-Lehnhardt (FIB beim BdWi e.V./Halle) stellte die Instrumente des „Gender Mainstreaming und Gender Budgeting in der Gesundheitsförderung“ vor und unterstrich, dass deren konsequente Anwendung und Umsetzung letztendlich der Gesundheitsförderung beider Geschlechter dienen würde.

Abgeschlossen wurde der erste Konferenztag mit einem öffentlichen Abendvortrag zur „Konstruktionen männlicher und weiblicher Gesundheit: Das Beispiel Diätetik“ von Prof. Dr. Karin Stukenbrock (Universität Halle/Magdeburg), der derzeitigen Inhaberin der Dorothea-Erzleben Gastprofessur an der Otto-von Guericke-Universität in Magdeburg.

Der dritte Abschnitt der Tagung richtete sein Augenmerk auf den ‚State of Well-Being’ und wurde von Dr. Claudia Bruns (Universität Hamburg) mit der Thematik „Männlichkeit – Gesundheit – soziale Leistungsfähigkeit um 1900. Die Konstruktion ‚gesunder’ Männlichkeit über die Diskursivierung von Homosexualität“ eröffnet. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand die These, dass die Diskursivierung von Homosexualität ein zentrales Element für die Neudefinition normaler, gesunder, leistungsfähiger Männlichkeit war. Diese Normierung von gesunder Männlichkeit habe um 1900 zu einer Selbstkonstruktion unter Ausschluss weiblicher Eigenschaften und einer fatalen Kombination zwischen männlicher Biologie und politischer Macht (‚Männerbünde’) geführt.

Dr. iur. Margrit Seckelmann (Dt. Hochschule für Verwaltungswiss., Speyer) beleuchtete in ihrem Vortrag „Ehehygiene oder ‚Beihilfe zur mutuellen Onanie der Frau’? – Die Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Verhütungsmitteln in der Praxis des Kaiserlichen Patentamts“ die Beurteilung der Behandlung von Verhütungsmitteln und ihre Anerkennung durch die Reichsbehörden. Während sich die jungen Wissenschaftler des Patentamtes und gutachtende Sexualwissenschaftler durchaus aufgeschlossen zeigten, hätten die kommerzielle Verwertung von Verhütungsmitteln sowie die damit verbundenen Möglichkeiten der sexuellen Liberalisierung und der weiblichen Emanzipation eine scharfe Kritik aus kirchlichen Kreisen hervor gerufen. Abschließend referierte Dr. Heidrun Schulze (Universität Kassel) über das Thema: „’Aber es ging mir nur um die Gesundheit, das hat der Arzt aber nicht verstanden’. Zur Kontextualität und Geschichtlichkeit von Krankheits- und Gesundheitserleben“. Unter der Prämisse, die Selbstdeutungen eines Subjektes zu Gesundheit und Krankheit seien nur biographisch und im Lebenskontext zu verstehen, beleuchtete sie die biographische und soziale Konstruktion von Gesundheit von Männern im Kontext von Migrationserfahrungen unter dem Gesichtspunkt der Selbst- und Fremdzuschreibung.

Die bei der Tagung thematisierten facettenreichen Aspekte haben unterschiedliche Zugänge zur Thematik Geschlecht und Gesundheit angeregt und neuartige Themenfelder eröffnet, die noch einer Untersuchung harren. Das Thema Gesundheit stellt nicht nur eine anthropologische Schlüsselkategorie zur Erforschung menschlicher Vorstellungen von sinnhaftem Leben und menschlicher Lebenspraxis dar, sondern ist auch Leitbegriff vieler aktueller gesellschaftlicher wie politischer Debatten. Es wird sicherlich in den nächsten Jahren auch die interdisziplinären Fachdiskurse vor dem Hintergrund der derzeitigen Überalterungs- und Gesundheitsdebatte unter dem Aspekt der Geschlechtsspezifik noch intensiv beschäftigen.

Eine Publikation der Beiträge ist angedacht.