Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken

Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken

Organisatoren
Heimatpflege des Bezirks Schwaben; Schwabenakademie Irsee
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2016 - 23.09.2016
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Von
Corinna Malek, Heimatpflege Bezirk Schwaben

Die Bayern und ihr Bier, natürlich nur rein aus Hopfen, Malz und Wasser gebraut, diese Verbindung hat bereits seit 500 Jahren Bestand. Die im Jahr 2016 im Kloster Aldersbach veranstaltete Landesausstellung „Bier in Bayern“ setzt das bayerische Nationalgetränk geschickt in Szene und auch die Publikationen zum liebsten Getränk der Bayern erscheinen derzeit sehr zahlreich. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass nur Altbayern und sein Bier im Fokus stehen, die neueren bayerischen Landesteile, vor allem Franken und Schwaben, treten nur als Randerscheinungen auf, obwohl beide ebenfalls über eine lange Biertradition verfügen. Um dieser bisherigen Vernachlässigung entgegen zu wirken, stellte die Heimatpflege des Bezirks Schwaben in Zusammenarbeit mit der Schwabenakademie Irsee und dem Lehrstuhl für bayerische und fränkische Landesgeschichte der Universität Erlangen-Nürnberg beide Regionen ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Die Tagung sollte anhand der beiden Regionen das extrem weite Themenfeld des Biers ergründen und zeigen, dass die Wurzeln der bayerischen Biertradition nicht nur in Altbayern liegen. Vielmehr sollte die Vielfältigkeit dieser Tradition, auch mit ihren fränkischen und schwäbischen Eigenheiten herausgearbeitet werden. Dazu trug auch die interdisziplinäre Zusammensetzung der Referenten bei, unter denen Braumeister aus Wissenschaft und Praxis sowie Landeshistoriker aus Franken und Schwaben vertreten waren.

Die zweitägige Veranstaltung befasste sich am ersten Tag zeitlich schwerpunktmäßig mit der Frühen Neuzeit, in der die grundlegenden Strukturen für die schwäbische Brautradition gelegt und ausgebaut wurden. Nach der Begrüßung und Einleitung durch den Tagungsleiter PETER FASSL (Augsburg) erläuterte HERMANN BIENEN (Marzling) die wesentlichen Entwicklungsstadien der Braukultur in Schwaben. Deren Anfänge finden sich bereits im Mittelalter und in der Brautradition der Klöster, als Volksgetränk konnte sich das Bier aber erst nach dem Dreißigjährigen Krieg durchsetzen, auch begünstigt durch die klimatischen Veränderungen der kleinen Eiszeit. Darüber hinaus führte er die wesentlichen Entwicklungen in der Technik des Bierbrauens sowie die Vorschriften der Brauerausbildung aus, die ebenfalls wichtig waren für den Durchbruch zum Volksgetränk. ALOIS KOCH (Schwifting) erweiterte den Fokus um die rechtlichen Regelungen des Bierbrauens in Schwaben, vor allem durch die Verleihung verschiedener Braurechte. Er machte deutlich, dass es bisher kaum Forschungen in diesem Bereich der Rechtsgeschichte gebe, und stellte die sogenannte Bräugerechtigkeit ins Zentrum seiner Überlegungen, die zum Brauen von Bier rechtlich befähigte. Ebenso arbeitete er die Unterschiede der altbayerischen und schwäbischen Braurechtstradition heraus.

Auf die Mikroebene mit zwei konkreten Beispielen aus Schwaben führten die Vorträge von FRANZ-RASSO BÖCK (Kempten) und CHRISTIAN SCHEDLER (Mindelheim), die die Geschichte des Kemptner und Mindelheimer Brauwesens darstellten. Der die Kemptner Geschichte prägende Dualismus von Reichs- und Stiftsstadt zeigte sich auch im Brauwesen. Dabei versuchte die Reichsstadt vergeblich, das Braumonopol des Fürststifts zu brechen. Brauwesen und Bierpolitik waren fortwährend Thema der Auseinandersetzungen zwischen Stifts- und Reichsstadt, die auch die weitere Entwicklung des Braugewerbes in Kempten bis zur Säkularisation und darüber hinaus prägten. Das Konfliktpotential des Bieres zeigte sich in Christian Schedlers Ausführungen zur Mindelheimer Braugeschichte. Auch hier kam es zu Streitereien zwischen geistlichen und weltlichen Brauern, nämlich der städtischen Brauerzunft und des dortigen Jesuitenkollegs mit seiner Klosterbrauerei. Die Konflikte ähnelten jenen in Kempten, gleichwohl ging es in der Hauptsache um den Ausschank jesuitischen Biers.

WOLFGANG WÜST (Erlangen) und MANFRED WEGELE (Tapfheim) richteten den Blickwinkel auf die Frühe Neuzeit. Wolfgang Wüst schilderte anhand fränkischer und schwäbischer Policey-Ordnungen, wie die Obrigkeit versuchte, Untertanen und Brauer zu disziplinieren, um übermäßige Trinkgelage und Bierexzesse zu verhindern. Er veranschaulichte seine Darstellung anhand vieler Beispiele für diese herrschaftliche Für- und Vorsorge. Aus der Perspektive der Familien- und Hausforschung zeichnete Manfred Wegele den Werdegang einer Gastwirtsfamilie nach und präsentierte die Geschichte ehemaliger und noch bestehender Wirtshäuser und ihrer vormaligen Besitzer in seinem Heimatort Tapfheim. Anhand der Rekonstruktion der Haus- und Familiengeschichte machte Wegele deutlich, welche Netzwerke innerhalb eines Ortes durch Heiratsbeziehungen entstehen und welche Reichweite sie haben konnten. Zum Abschluss des ersten Tages führte SEBASTIAN PRILLER-RIEGELE (Augsburg) mit seiner Expertise aus dem heutigen Braugewerbe die Zuhörer in die Gegenwart und legte anhand der sogenannten Craftbiere neue Tendenzen und Veränderungen im Braugewerbe dar. Zudem analysierte er die derzeitige rechtliche Situation auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene und die sich aus ihr ergebenden rechtlichen Probleme für die heimische Brauindustrie. Zum Ausklang am Abend genossen die Teilnehmenden einen musikalischen Ausschnitt aus dem Programm „Bier gewinnt“ der Gruppe Lampertz, Saam und Richter.

Der zweite Tagungstag stand ganz im Zeichen des Wirtshauses und seiner kulturellen Bedeutung seit dem 19. Jahrhundert. WILHELM LIEBHART (Augsburg) und CORINNA MALEK (Augsburg) präsentierten weitere Aspekte der Geschichte des Brauwesens. Wilhelm Liebhart widmete seinen Vortrag den zentralen Inhalten und der Entstehungsgeschichte des seit 500 Jahren unumstößlichen Reinheitsgebots. Demzufolge gehörten die als Reinheitsgebot bekannten Vorgaben zu den Beschlüssen des Landtagsabschieds von 1516. Dennoch ist der Begriff selbst erst eine Schöpfung des 20. Jahrhunderts. Corinna Malek schilderte die Rolle des Biers und der bayerischen Brauwirtschaft im Ersten Weltkrieg. Sie zeigte auf, dass das bayerische Braugewerbe eine wichtige Stellung innerhalb der bayerischen Kriegswirtschaft einnahm und welche Akteure sich besonders profilierten. Die Bedeutung des Biers als Volksgetränk blieb in der Kriegszeit ungebrochen, obwohl es mit zunehmender Kriegsdauer durch diverse Verdünnungsmaßnahmen immer mehr an Gehalt und Geschmack verlor.

Mit der Geschichte des Wirtshauses und seiner kulturgeschichtlichen Funktionen in Franken und Schwaben befassten sich die Referate von PETER FASSL (Augsburg), GÜNTER DIPPOLD (Bayreuth) und BIRGIT GENOVEFA SPECKLE (Würzburg). Peter Fassl fragte nach den Entstehungsumständen von schwäbischen Wirtshäusern und zählte ihre vielfältigen Funktionen in der dörflichen Lebenswelt der Frühen Neuzeit auf. Er machte deutlich, dass aufgrund fehlenden statistischen Materials die Zahl der Wirtshäuser im ländlichen Schwaben nur geschätzt werden könne, was die genaue Rekonstruktion einer Kulturgeschichte erschwere. Die zentrale Lage des Wirtshauses in schwäbischen Dorfanlagen lasse aber seine wichtige Funktion für und in der Dorfgemeinschaft erkennen. Dies verdeutlichte er anhand dreier denkmalgeschützter Wirtshausgebäude aus Schwaben.

Den Blick auf fränkische Wirtshäuser lenkten Günter Dippold und Birgit Genovefa Speckle. Ausgehend vom Beispiel des Hochstifts Bamberg, zeigte Günter Dippold die historische Bedeutung der Wirtshäuser als wichtiger Rast- und Umschlagplätze für den Straßenverkehr auf und grenzte sie von den Schankstätten auf dem Lande ab. Als exemplarisches Beispiel für die Entwicklung des Wirtshauses entlang der Straße zog er die Landstraße von Bamberg in nördlicher Richtung nach Sachsen heran. Anhand dieser Route arbeitete er die Zunahme von Wirtshäusern als Straßenanrainer im 18. Jahrhundert heraus und präsentierte darauf aufbauend das im 19. Jahrhundert einsetzende Wirtshaussterben im Zuge des Ausbaus der Eisenbahn. Ergänzt wurde der fränkische Blickwinkel um die volkskundliche Perspektive Birgit Genovefa Speckles, die die Rolle des Wirtshauses im öffentlichen Leben der 1950er- Jahre untersuchte. Dabei verglich sie das Dorfwirtshaus früher und heute und wies es als festen Bestandteil der öffentlichen Alltagskultur aus. Dabei seien die heutigen Voraussetzungen für das Überleben von Dorfwirtshäusern sehr viel schwieriger als nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die 1950er- Jahre konstruierte sie aufgrund der besonderen Merkmale von Architektur und Einrichtung das ideale Wirtshaus der damaligen Zeit, das heute in der nostalgischen Erinnerung von Zeitzeugen verklärt und glorifiziert wird.

Auch MARITA KRAUSS (Augsburg) ging auf kulturhistorische Aspekte ein. Sie brachte den Zuhörern die Ambivalenz des Rausches näher, der zumeist eine Folge des geselligen, sozialen Trinkens im Wirtshaus war. Sie schlug damit die Brücke vom Wirtshaus als Raum für den Genuss von Alkohol zur Konsumgeschichte des Alkohols. Sie legte dar, wie sich das Trinken und seine kulturgeschichtliche Bedeutung seit dem 17. Jahrhundert bis in die heutige Zeit veränderten und welche Wirkungen dies auf das Wirtshaus als kommunikativen Raum ausübte. Die zunehmende Reglementierung, die mit dem Wandel des Ansehens und der Interpretation des Trinkens einher ging, ließ das Wirtshaus mit der Zeit seine Funktion als kommunikativer Raum verlieren und trug mit zur Verlagerung des Trinkens ins Private bei.

Bier, Bayern, Schwaben und Franken sind kulturhistorisch aufs Engste miteinander verbunden. Diese Erkenntnis wurde im Verlauf der Tagung in Referaten und lebhaften Diskussionen bestätigt. Zugleich wurde deutlich, dass im Bereich der Forschung über Bier in Schwaben noch viele Desiderate und Lücken bestehen, die es in den nächsten Jahren zu schließen gilt. Durch das 500-jährige Jubiläum des Reinheitsgebots ist nun ein Anlass gegeben, sich dieser Lücken in der landesgeschichtlichen Forschung anzunehmen, auch wenn dies durch die Kleinteiligkeit des schwäbischen Raums mühsam zu sein scheint. Mikrohistorische Studien eröffnen jedoch eine Chance, die Kleinteiligkeit zu überwinden und durch Rekonstruktion und Vergleich eine überblicksartige gesamtschwäbische Perspektive zu erreichen. Besser scheint die Situation in Franken, dort wurde die Bier- und Wirtshausgeschichte als lohnendes Thema der alltagshistorischen Forschung früher erkannt und erarbeitet. Es bleibt zu wünschen, dass der Impuls, der derzeit von den Jubiläumsfeiern rund ums Bier ausgeht, sich weiter positiv auf die Forschung über Bier und Wirtshäuser in Schwaben auswirkt.

Konferenzübersicht:

Peter Fassl (Augsburg): Begrüßung und Einführung in die Tagung

Hermann Bienen (Marzling): Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben

Alois Koch (Schwifting): Braurechte in Schwaben

Franz-Rasso Böck (Kempten): Braugewerbe in der Reichsstadt und Stiftsstadt Kempten

Christian Schedler (Mindelheim): Die Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert

Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Bier-, Wein- und Schnapskonsum im Fokus landesherrlich-frühneuzeitlicher Fürsorge

Manfred Wegele (Tapfheim): Wirtshaus- und Brauereigeschichte aus der Sicht der haus- und familiengeschichtlichen Forschung

Sebastian Priller-Riegele (Augsburg): Neue Tendenzen im Braugewerbe

Bier gewinnt: 500 Jahre Reinheitsgebot. Musik und Geschichten rund ums Bier, mit David Saam, Res Richter, Christoph Lambertz (Volksmusikberatungsstelle Krumbach)

Wilhelm Liebhart (Augsburg): Zur Geschichte des Reinheitsgebotes

Peter Fassl (Augsburg): Die dörfliche Bedeutung des Wirtshauses in Bayerisch-Schwaben von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert

Günter Dippold (Bayreuth): Wirtshaus und Verkehrswege

Corinna Malek (Augsburg): Bier im Ersten Weltkrieg

Marita Krauss (Augsburg): Vom „sozialen Trinken“ zum einsamen Alkoholiker

Birgit Genovefa Speckle (Würzburg): Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945–1970 am Beispiel von Unterfranken


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