Stadt - Region - Strukturwandel: Ruhrgebiet - Oberschlesien

Stadt - Region - Strukturwandel: Ruhrgebiet - Oberschlesien

Organisatoren
Wojewodschaft Schlesien; Land Nordrhein-Westfalen
Ort
Zabrze/Hindenburg / Katowice/Kattowitz
Land
Poland
Vom - Bis
24.11.2004 - 26.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Susanne Abeck, Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e.V., Dortmund; Susanne Peters-Schildgen, Oberschlesisches Landesmuseum

Im Herbst 2002 und im Frühjahr 2003 fanden unter dem Titel "Oberschlesien an Rhein und Ruhr" Kulturtage der Wojewodschaft Schlesien in Nordrhein-Westfalen statt. Höhepunkt war im April 2003 eine vergleichende Tagung auf dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein zum Thema Strukturwandel im Ruhrgebiet und Oberschlesien. Im Jahr 2004 präsentierte sich das Land Nordrhein-Westfalen mit einem vielfältigen Kulturangebot in der Wojewodschaft Schlesien. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungsreihe standen deutsch-polnische Gemeinschaftsprojekte, die dazu geeignet sein sollten, dauerhafte Kontakte zu begründen.
Mit dem Themenschwerpunkt "Stadt · Region · Strukturwandel: Ruhrgebiet - Oberschlesien" befassten sich Ausstellungen, Filme und eine Konferenz. Die vom 24. bis zum 26. November in Zabrze/Hindenburg und in Katowice/Kattowitz veranstaltete Konferenz setzte den auf Zollverein angestoßenen Dialog zum Strukturwandel beider Regionen fort und diente der Diskussion gemeinsamer Probleme. Tagungsschwerpunkte waren: Sozial- und Urbanisierungsgeschichte, Stadt- und Regionalplanung, Siedlungsgeschichte, Industriedenkmalpflege, Menschen in Ballungsräumen, ökonomisches Potential von Tourismus und Kultur, Nutzen und Last des Einsatzes von EU-Mitteln und Philosophie und Visionen des Strukturwandels.

Die Konferenz wurde nach der Begrüßung durch Vertreter des gastgebenden Museums, des Bergbaumuseums in Zabrze/Hindenburg, der Stadt Zabrze und des Landes Nordrhein-Westfalen mit einem Beitrag von Maria Popczyk über "Dimensionen der Verantwortung" eröffnet. Sie näherte sich dem Tagungsthema kulturphilosophisch auf einer Metaebene, indem sie sich eingehend mit den Begrifflichkeiten "Identität" und "Verantwortung" befasste und die Auseinandersetzung mit mentalen Grenzen und fremden (Vor-)Urteilen forderte. Inwiefern dies im Verlauf der folgenden Tage geschehen ist, mag dahin gestellt sein. Sicher ist, dass Tagung und Exkursion in das - hinsichtlich seiner Industriegeschichte und Strukturprobleme dem Ruhrgebiet ähnliche - Oberschlesische Industrierevier bei vielen Teilnehmern und Teilnehmerinnen der deutschen Tagungsgruppe einen nachdrücklichen Eindruck hinterlassen haben.

Klaus Tenfeldes vergleichender Beitrag zur Sozial- und Urbanisierungsgeschichte im Ruhrgebiet und in Oberschlesien führte in die Themenstellung der Konferenz ein. Die Bevölkerungs- und Urbanisierungsgeschichte schwerindustrieller Ballungsregionen in Europa ließen, so Tenfelde, einen eigenen Stadttypus entstehen, nämlich die weitestgehend durch die Montanindustrie geprägte Industriestadt. Sie wird durch Merkmale charakterisiert, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgebildet und die Entwicklung der Städte bis um 1960 bestimmt haben. Tenfelde zeichnete im Vergleich der beiden Ballungsregionen, Oberschlesien und Ruhrgebiet, deutliche Abweichungen in den Wachstumsphasen und geschwindigkeiten nach und hob zugleich große Gemeinsamkeiten hinsichtlich der sozialgeschichtlichen Merkmale in der Bevölkerungsentwicklung, Familienbildung und Lebensweise der industriestädtischen Einwohnerschaften hervor, unbeschadet ethnisch-nationaler Einflüsse und Besonderheiten. Im Zeitablauf kennzeichne den Typus der Industriestadt durchweg defizitäre Urbanität, die auch durch die nachholende Urbanisierung der Nachkriegszeit nur bedingt aufgeholt worden sei. Vergleichbare Grundzüge zeigten auch die nachindustriellen Herausforderungen im Schrumpfungsprozess der Montanindustrien.

Joachim Dietz referierte über "Bevölkerungsfluktuation und Migration in Oberschlesien". Für Dietz stellt das Oberschlesische Industrierevier ein "Versuchsgebiet" dar, dessen Städte in erster Linie auf Produktivität hin ausgerichtet seien. Die Kultur spiele in diesen Zentren noch immer eine untergeordnete Rolle. In seinem Rückblick auf die Pläne nach der Abstimmung in Oberschlesien im Jahr 1921 ging er auch auf ehrgeizige Projekte im polnischen und deutschen Teil Oberschlesiens in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein, so auf die Verbindung der durch die drei Industriestädte Bytom/Beuthen, Zabrze/Hindenburg und Gliwice/Gleiwitz bestimmten, dicht besiedelten Grenzzone zu dem integrierten Organismus einer "Dreistädteeinheit". Dieses Projekt wurde jedoch nicht realisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es kein Integrationskonzept für die drei Wojewodschaften. Neue städtebauliche Projekte, Bevölkerungswachstum und schlechte Lebensbedingungen kennzeichnen die weitere Entwicklung in Oberschlesien in der kommunistischen Ära. Das Oberschlesische Industrierevier diente als Energielieferant für den gesamten polnischen Staat. Nach der politischen Wende Ende der 1980er Jahre führte die Abwanderung deutschstämmiger Bevölkerungsteile zu einem Einbruch in der Bevölkerungsentwicklung. Erst seit einigen Jahren gibt es Pläne, die vernachlässigten Stadtzentren zu sanieren und kulturell neu zu beleben. Immerhin entscheiden sich gegenwärtig 40% der jugendlichen Bevölkerung in Oberschlesien für ein Hochschulstudium; in der kommunistischen Zeit waren es nur 10%. Problematisch ist für Dietz einerseits die Entwicklung der Volkskultur hin zu einer Popkultur. Andererseits hat die Distanzierung eines Teils der Bevölkerung von nationalen und internationalen Ideologien zu einer Wiedergeburt regionaler Tendenzen geführt. Der EU-Beitritt wird größtenteils befürwortet, verbinden sich in der Bevölkerung doch damit Hoffnungen auf Investitionen und eine weitere Verbesserung der Lebensverhältnisse.

Dass auch die Städte im Ruhrgebiet durch Bevölkerungsrückgang, Alterung der Bevölkerung und zunehmende soziale Segregation charakterisiert sind, bestätigte Klaus Strohmeier in seinem Beitrag über "Bevölkerungsrückgang, Segregation und soziale Stadterneuerung im altindustriellen Ballungsraum". Anhand zahlreicher Folien zeigte er auf, dass die Stadtgesellschaft sich insgesamt entmischt, wobei sich die soziale Benachteiligung in bestimmten Stadtteilen, überwiegend im Norden der Städte, konzentriert, da dieser noch oftmals stark durch die jüngste Vergangenheit von Kohle und Stahl geprägt ist. Die Mehrheit der nachfolgenden Generation in der Stadt wächst heute in einem Milieu auf, in dem die soziale Integration der Bevölkerung und die politische und zivilgesellschaftliche Partizipation abnehmen. Strohmeier prognostizierte einen Migrationshintergrund für die Mehrheit der Bevölkerung der um die Vierzigjährigen in einen Jahrzehnt und insgesamt eine Polarisierung der Lebensformen im Ruhrgebiet. Die Förderung von Partizipation und die soziale Stabilisierung der segregierten Armutsviertel fungieren in diesem Zusammenhang als Schlüssel zum Abbau von Benachteiligungen, woraus sich Handlungsansätze und Lösungsstrategien der sozialen Stadterneuerung ergeben können.

Joanna Rostropowicz blickte in ihrem Referat "Über den Wertekonflikt in Oberschlesien" zunächst auf die wechselvolle Geschichte Oberschlesiens zurück und beschrieb das problematische Verhältnis zwischen der polnischen und deutschstämmigen Bevölkerung in Oberschlesien. Vor der politischen Wende habe es, so Rostropowicz, eine starke polnische Dominanz in Oberschlesien gegeben, die selbst heute noch an vielen Stellen sichtbar und spürbar sei. Nach wie vor gebe es einen Denkmal- und Symbolstreit und somit einen Streit über Inhalte und Formen des Erinnerns. Ihre Ausführungen über die quantitative Erfassung von Straßennamen, von denen die meisten an Persönlichkeiten der polnischen Historie erinnerten, während die eigene oberschlesische Geschichte im öffentlichen Raum nicht präsent sei, machten deutlich, wie angespannt auch heute noch das Verhältnis zwischen dem polnischen Staat und der sich auch über die deutsche Geschichte definierenden Region ist. In der Autonomiebewegung in Oberschlesien sieht die Referentin einen Ausweg aus diesem Konflikt.

Dass Stadt- und Regionalplanung besonders in postindustriellen Ballungsräumen mit ihren Strukturproblemen eng aufeinander abgestimmt werden müssen, betonte Benjamin Davy in seinem Beitrag über "Visionen für die Städteregion Ruhr". Die von Davy geleitete "Städteregion Ruhr 2030" war ein Forschungsverbund der Ruhrgebietsstädte Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Herne, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen sowie der Fakultät Raumplanung an der Universität Dortmund. Das Ziel der gemeinsamen Forschung lag in der Entwicklung eines langfristigen Leitbildes nach dem Motto "Kooperation und Eigensinn". Dieses Leitbild soll Antwort geben auf die Frage, wie Städte, ohne ihre Selbständigkeit und eigenen Interessen aufzugeben, durch Zusammenarbeit regionale Aufgaben erfüllen und überörtliche Interessen berücksichtigen können. Davy zeigte in seinem Referat die wichtigen Elemente des Leitbilds für die Städteregion Ruhr auf, nämlich die aufgabenorientierte Zusammenarbeit, eine Konkurrenz der Ideale, die Kultur der Differenz sowie stadtregionale Spielregeln. Das Leitbild wurde am 6. Juni 2003 von den Oberbürgermeistern der Ruhrgebietsstädte in Form eines "Stadtregionalen Kontraktes" vereinbart und feierlich unterzeichnet. Seitdem kooperieren die Städte in mehreren Leitprojekten, durch die der Kooperationsvertrag umgesetzt wird, wie der Masterplan Ruhr 2030, das Wohnen am Wasser, die Haushaltskonsolidierung durch Verwaltungskooperation und der gemeinsame Flächennutzungsplan.

Eugeniusz Paduch gab einen Überblick über die "Industriedenkmalpflege in Oberschlesien". Die TeilnehmerInnen erfuhren, dass bereits eine "Route der Holzarchitektur" existiert und dass derzeit eine "Route der Industriedenkmale" mit insgesamt 40 Objekten, technischen Denkmalen, Bergarbeitersiedlungen, Wassertürmen, Schmalspurbahnen usw. entwickelt wird. Insgesamt sind jedoch zahlreiche Anlagen vom Abriss bedroht und es mangelt an dem Bewusstsein des Bewahrens, wobei bei dem Erhalt der Industriedenkmale immer die Aktivitäten lokaler Initiativen von großer Bedeutung sind. Paduch stellte einen Katalog an Forderungen auf: So müsse ein Fonds gegründet, ein entsprechender Lehrstuhl an einer der Universitäten sowie ein Zentrum für Industriedenkmalpflege für die auf lokaler Ebene aktiven Initiativen eingerichtet werden. Als Standort für ein solches Zentrum schlug Paduch die stillgelegten Anlagen der Guido-Grube und der Königin-Luise-Grube vor. Notwendig sei auch die systematische Erfassung aller Denkmale. Bei der jeweiligen Beurteilung des Standortes seien Denkmalpfleger hinzuzuziehen. Viele Industrieanlagen könnten und sollten einer Neunutzung zugeführt werden. Als besonders interessantes Projekt in diesem Zusammenhang hob Paduch den Neubau des Schlesischen Museums in Katowice/Kattowitz hervor, das unter anderem mit einem Kredit aus Deutschland errichtet werden soll. Hauptattraktion soll die Befahrung des unterirdisch wasserführenden Erbstollens werden.

Hat sich der Wunsch nach Bewahrung von Industriedenkmalen noch nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit in Oberschlesien verfestigt, blickte Axel Föhl in seinem Beitrag über "Industriedenkmalpflege im Ruhrgebiet - Denkmale der Montanindustrie und ihre Nutzung" auf einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren zurück, in dem die von den Landschaftsverbänden in Nordrhein-Westfalen getragene Denkmalpflege Bauten und Anlagen der Montanindustrie erfasst und bewertet hat. Siedlungen, Zechen, Hüttenwerke und Anlagen der mit dem Bergbau verbundenen Infrastruktur wurden von der Denkmalpflege beschrieben und als denkmalwert befunden. Trotz vieler Verluste gelang es vor allem in den 1970er bis in die 1990er Jahren, viele Gebäude zu erhalten und Konzepte für ihre Neunutzung zu entwickeln. Jeweils im Wettlauf mit den zunehmenden Stilllegungen und damit drohenden Abbrüchen solcher Anlagen war es möglich, nicht nur für jede Gattung und Zeitstufe, sondern auch für nahezu jede Bergbau betreibende Kommune des Ruhrgebietes repräsentative Denkmale von Arbeit, Technik und Industriearchitektur zu bewahren. So gewähren die erhaltenen Bauten und Anlagen einen Gesamtüberblick über die mehr als 150jährige Geschichte des sich industrialisierenden Bergbaues. Die Internationale Bauausstellung Emscher Park (1988/89-1999) ermöglichte die Erhaltung und Nutzung sehr großer Bergbauanlagen und bereitete deren touristische Erschließung vor. Didaktische und informative Hilfestellung geben dabei die 14 nordrhein-westfälischen Außenstellen des Westfälischen (seit 1979) und des Rheinischen (seit 1984) Industriemuseums, deren Hauptsitze jeweils im Ruhrgebiet, in Dortmund und Oberhausen, liegen. Daneben erwähnte Axel Föhl die landesweite Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, die ebenfalls in Dortmund ansässig ist. Axel Föhl persönlich und mit ihm die Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege der deutschen Denkmalpflegervereinigung pflegen - zusammen mit den Industriemuseen - bereits seit 1983 innerhalb und außerhalb Deutschlands den Kontakt mit wichtigen Bergbaugebieten in Mähren und Oberschlesien, mit dem Saarland, Wales, Lothringen, Katalonien, Wallonien und Nordfrankreich.

Im Bereich der zu erhaltenden Industriedenkmale in Oberschlesien nehmen die Bergarbeitersiedlungen einen hohen Stellenwert ein. Auf die "Entwicklung der Wohnsiedlungen in Oberschlesien seit Anfang der Industrialisierung" konzentrierte sich Irma Kozina in ihrem Beitrag, in dem sie vor allem die unterschiedlichen Formen von Arbeiterhäusern und -siedlungen in den einzelnen Phasen der Industrialisierung vorstellte. Das Spektrum umfasst hier frühe Schrotholzhäuser, später feuerbeständigere und kostenintensivere Fachwerkhäuser sowie Backsteinhäuser, Fünffamilienhäuser, wie sie sich in Chorzów/Königshütte erhalten haben, aber auch den Plattenwohnungsbau. Kozina wies Anleihen an Filarete und Schinkel im Bergarbeiterwohnungsbau des 19. Jahrhunderts nach. Besonders interessante Beispiele des Arbeiterwohnungsbaus bietet die Stadt Katowice/Kattowitz, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts von einem privaten Dorf, das der Familie Thiele-Winckler gehörte, rasant zu einer Industriestadt entwickelte. Kozina hob die Leistungen des Stadtbauinspektors Heinrich Moritz August Nottebohm hervor, der für die Familie Thiele-Winckler arbeitete und die alten ländlichen Verkehrssysteme in seinen neuen organischen Städtebau integrierte. Die unterschiedlich gestalteten Wohnsiedlungen sind auch das Resultat freier Entscheidungsmöglichkeit der Bewohner über die Ausgestaltung der Grundstücke, die den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zugeteilt wurden. Außer den eindrucksvollen Siedlungen Nikiszowiec/Nikischau und Giszowiec/Gieschewald in Katowice/Kattowitz mit für damalige Verhältnisse hohem sozialen Standard stellte Kozina in ihrem Beitrag Beispiele aus Chorzów/Königshütte vor und wies nach, dass der Arbeiterwohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg bisweilen noch an die Konzepte aus der NS-Zeit anknüpfte.

Einen detaillierten Überblick über "Die Entwicklung der Wohnsiedlungen in Zabrze/Hindenburg (18.-20. Jahrhundert)" gab zum Abschluss des ersten Konferenztages Adam Frużyński.

Mit der historischen Entwicklung und den Auswirkungen des Strukturwandels auf die Bergarbeitersiedlungen im Ruhrgebiet befasste sich Gabriele Unverferth. Sie ging zunächst auf die Entwicklung des Bergarbeiterwohnungsbaus ein, der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weite Teile des Ruhrreviers prägte und dazu diente, die vornehmlich in den preußischen Ostprovinzen massenhaft angeworbenen Arbeitskräfte längerfristig an den Betrieb zu binden. Obwohl der Wohnungsbedarf stetig wuchs, verzichteten die Bergwerksgesellschaften grundsätzlich auf den Bau von mehrgeschossigen Mietskasernen und favorisierten vielmehr die Anlage von Reihenhäusern oder von aufgelockerten Siedlungen (Kolonien) mit kleinen, frei stehenden Häusern, die meist für vier Familien bestimmt und stets mit Gärten und Ställen ausgestattet waren. Gabriele Unverferth zeichnete dann die verschiedenen Baustile ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach. Einst Prunkstücke der betrieblichen Sozialpolitik, erlitten die Siedlungen dann nach dem Zweiten Weltkrieg einen massiven Image- und Funktionsverlust. Das "Wirtschaftswunder", die 1958 beginnende Kohlenkrise und der sich beschleunigende Strukturwandel brachten die alten, nicht selten vernachlässigten und zu Problemzonen gewordenen Kolonien in existentielle Gefahr. Dass dennoch viele Siedlungen weder der seit den 1960er Jahren grassierenden "Flächensanierung" noch der anschließenden Privatisierungswelle zum Opfer gefallen sind, ist auch dem Einsatz von Bürger- und Mieterinitiativen zu verdanken, die einen Prozess des Umdenkens in Gang setzten. Die öffentliche Aufmerksamkeit, das Denkmalschutzgesetz von 1980 und die Impulse, die hier wiederum von der Internationalen Bauausstellung Emscher Park ausgingen, haben einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung nicht nur der historisch oder städtebaulich besonders wertvollen Arbeitersiedlungen geleistet.

Im Anschluss an die Referate wurde im Bergbaumuseum in Zabrze/Hindenburg die unter der Federführung der Stiftung Zollverein konzipierte Ausstellung "Symmetrie und Symbol - Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer" eröffnet, die 2002 auf Zollverein in Essen und danach in München zu sehen war. Es sprachen Jolanta Nölle, Stiftung Zollverein, und der Architekt und Ausstellungskurator Wilhelm Busch.

Am 25.11 sowie am Vormittag des 26.11. stand die Besichtigung herausragender (Industrie )Bauten in der Region Zabrze/Hindenburg, Bytom/Beuthen und Katowice/Kattowitz auf dem Tagungsprogramm. Genannt seien hier beispielhaft die von dem Kölner Architekten Dominikus Böhm 1930 erbaute St.-Josephskirche in Zabrze/Hindenburg, die Kokerei Jadwiga/Hedwigswunsch, das Zechen-Museum Königin Luise mit seiner noch funktionstüchtigen Dampfmaschine ebendort, das nach dem Entwurf des Berliner Architekten Zillmann 1923 erbaute Kraftwerk Schomberg in Bytom/Beuthen und die 1908 bis 1915 und 1920 bis 1924 von eben diesem für die Bergleute der Giesche-Grube, heute "Wieczorek", in Katowice/Kattowitz, gebaute Siedlung Nikiszowkiec/Nikischau. Die z.T. von namhaften Architekten wie Hans Poelzig oder Bruno Taut entworfene Architektur der Weimarer Republik ist aufgrund der geringen Bombardierung im Zweiten Weltkrieg vielerorts erhalten. Ansonsten sind die dortigen Städtelandschaften weniger durch Neubauten der letzten Jahre wie in Katowice/Kattowitz, sondern vor allem durch triste Plattenbauten der 1950er und 60er Jahre geprägt. Förder- und Wassertürme, Schornsteine und Fabrikhallen geben dem Oberschlesischen Industrierevier, und dies in viel stärkerem Maße als im Ruhrgebiet, sein charakteristisches Bild. Die stark zersiedelte Landschaft legt Zeugnis davon ab, dass sich der Strukturwandel dort noch in seinen Anfängen befindet. Ob sich ähnlich wie im Ruhrgebiet derart viele Industriedenkmale erhalten lassen, ist zur Zeit mehr als fraglich, da die finanzielle Situation selbst den Erhalt eines hochwertigen Denkmals wie des Hammerkopfturms der Hohenzollern-Grube in Bytom/Beuthen in Frage stellt.

Am Abend des zweiten Konferenztags eröffnete Thomas Parent im Stadtmuseum in Zabrze/Hindenburg die Ausstellung "Industriekultur: Industriedenkmale in NRW. Ansichtskarten aus dem Ruhrgebiet und aus Oberschlesien".

Die Reihe der Vorträge wurde am Nachmittag des 26.11. in dem eindrucksvollen Gebäude der Schlesischen Bibliothek in Katowice/Kattowitz fortgesetzt. Im Mittelpunkt des Referates von Zbigniew Kamiński über "Raumplanung in Oberschlesien" standen die beiden Fragen nach der gegenwärtigen Lage der Schlesischen Wojewodschaft im Transformationsprozess und nach Möglichkeiten der Bewältigung der mit diesem Prozess verbundenen Probleme. Charakteristisch für Oberschlesien ist die im Vergleich zu anderen Regionen in Polen besonders starke Verstädterung und die damit einhergehende hohe Bevölkerungsdichte. Problematisch sind ähnlich wie im Ruhrgebiet die hohe Arbeitslosigkeit und die Abwanderung der Bevölkerung aus den industriell geprägten Städten. Als übergeordnetes Ziel strebt der neue Raumordnungsplan von Juni 2004 daher die Verbesserung der Lebensqualität in der Wojewodschaft an. Sie soll durch Steigerung der Effektivität, Wettbewerbsfähigkeit, Metropolenförderung und durch Imageverbesserung erreicht werden. Geplant ist in diesem Zusammenhang eine engere Kooperation der Städte Gliwice/Gleiwitz, Sonowiec/Sosnowitz und Katowice/Kattowitz. Geplant ist außerdem der Ausbau einer Autobahn der Hochtechnologien, die entlang der Autobahn 4 zwischen Wrocław/Breslau, Opole/Oppeln, Katowice/Kattowitz und Kraków/Krakau verlaufen soll. Die Errichtung des neuen Schlesischen Museums in Katowice/Kattowitz stellt für Kamiński eine Schlüsselaufgabe dar.

Ähnliche Konzepte wurden bereits für das Ruhrgebiet entwickelt. Wesentliche Probleme konnten damit allerdings nicht gelöst werden, wie Martin Junkernheinrich in seinem Beitrag über "Bevölkerung - Wirtschaft - Finanzen. Zur ökonomischen Tragfähigkeit des Ruhrgebiets" feststellte. Besonders problematisch für die Region sind der Bevölkerungsrückgang, der derzeit auch nicht durch die Zuwanderung von Ausländern aufgefangen werden kann, und die Umschichtung der Sozial- und Altersstruktur. Der Bevölkerungsrückgang führe aber nicht automatisch zu einer Reduzierung der Ausgaben. Vielmehr habe im Jahr 2015 eine geringere Einwohnerzahl als heute eine Zusatzbelastung von 466 Mio. Euro zu tragen. Als Erfolge für das Ruhrgebiet wertete Junkernheinrich die Ansiedlung der Opelwerke in Bochum, auch wenn diese sich derzeit in einer Krise befänden, die dichte Hochschullandschaft, die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben sowie die Errichtung von "kulturellen Leuchttürmen". Da auch in den nächsten Jahren nicht mit einer Geburtenerhöhung zu rechnen sei, könne der für das Ruhrgebiet notwendige Bevölkerungszuwachs nur durch Zuwanderung zu erzielt werden.

Bei der Entwicklung und Realisierung neuer Strukturkonzepte sind die beiden postindustriellen Ballungsräume Ruhrgebiet und Oberschlesien auf EU-Mittel angewiesen. Über deren Einsatz in der Wojewodschaft Schlesien referierte eine Vertreterin von Elżbieta Bieńkowska. Sie stellte zunächst förderwürdige Projekte vor, die in das Regionalprogramm der Wojewodschaft Schlesien eingebunden sind, z.B. die Revitalisierung von Industriebrachen, städtischen Räumen, die Erhaltung und Neunutzung alter Bausubstanz sowie den Ausbau der Verkehsrinfrastruktur. Die ZuhörerInnen erhielten einen Einblick in die komplizierte Struktur der Beantragung von EU-Mitteln. Antragsberechtigt sind unter anderem Kommunen und Akteure, die öffentliche Dienstleistungen anbieten. Ziele des Programms sind die Belebung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Ansiedlung neuer Unternehmen und sogenannte "weiche" Projekte, u.a. im Kulturbereich. Die Referentin stellte einige für Europa beispielhafte Projekte vor und ging schließlich auch auf förderwürdige Vorhaben in Oberschlesien ein. So wurden für die Revitalisierung der Altstadt von Bielsko Biała/Bielitz Biala 2,5 Mio. Zloty bewilligt. Auf EU-Mittel kann auch die Stadt Chorzów/Königshütte, eine der am dichtesten besiedelten Städte im oberschlesischen Ballungsgebiet, bei ihren Revitalisierungsplänen zurückgreifen.

Für das Ruhrgebiet zeigte schließlich Stefan Goch in seinem Beitrag über "Nutzen und Probleme des Einsatzes von EU-Mitteln im Strukturwandel" anschaulich auf, wie die europäische Politik mit der Ausdehnung der eigenen Kompetenzen und mit dem Ausbau einer gemeinschaftlichen Regional- und Strukturpolitik seit den späten 1970er Jahren Einfluss auf die ökonomische, soziale und ökologische Bewältigung des Strukturwandels in dieser altindustriellen Region gewonnen hat. Mit einem wesentlich vergrößerten Mitteleinsatz sowie mit eigenen und gemeinschaftlichen Förderprogrammen bestimme die EU, so Goch, die regionale Strukturpolitik mit, kofinanziere sie mindestens, und kontrolliere mit der immer weiter ausgebauten Beihilfenkontrolle die nationale Regional- und Strukturpolitik. Die EU versuche, die Regionalpolitik europaweit zu koordinieren und Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Als eine durch den Strukturwandel besonders betroffene Region ist das Ruhrgebiet in Teilen Fördergebiet der EG-Regionalpolitik für Montanregionen. Wesentliche Infrastrukturprojekte, Wirtschaftsfördermaßnahmen, Qualifizierungsaktivitäten und Umstrukturierungshilfen werden hier durch die Politik der europäischen Ebene unterstützt. Dabei haben sich zwischen den politischen Ebenen konsensuale Formen des Interessenausgleichs über Fragen der Struktur- und Regionalpolitik herausgebildet, welche die notwendige Funktion der Koordinierung der Regionalpolitiken der unterschiedlichen Ebenen erfüllen. Es hat sich somit ein komplexes Verbundsystem herausgebildet, in dem politische Entscheidungen nach dem Muster horizontaler Verhandlungen getroffen werden. Insbesondere in NRW wurde auf starke dezentrale Entscheidungsebenen mit regionalem Bezug als Gegengewichte einer möglicherweise zu stark werdenden europäischen Zentrale gesetzt. Eine Stärkung der Regionen soll einer Machtbalance dienen, aber auch darüber hinaus Bürgernähe und Vielfalt gewährleisten. In NRW ist dies der Inhalt des für Goch wenig eindeutigen Schlagwortes von einem "Europa der Regionen" und einer teilräumlichen Konzentrierung auf besondere Kompetenzfelder.

Die Beiträge dieser vergleichenden Tagung haben einmal mehr zum Ausdruck gebracht, dass sowohl das Ruhrgebiet als auch das Oberschlesische Industrierevier sich noch lange mit großen Strukturproblemen auseinandersetzen werden müssen. Die präsentierten Projekte stellten aber auch die Erfolge des Strukturwandels mit seinen räumlichen, demographischen und kulturellen Veränderungen in beiden Regionen heraus. Fraglich ist allerdings, ob derartige Vorhaben Modellcharakter besitzen und übertragbar sind. Experten unterschiedlicher Disziplinen aus Oberschlesien und dem Ruhrgebiet, schließlich aus anderen postindustriellen europäischen Ballungsräumen, sind zu weiterer Kooperation und zur Entwicklung neuer Konzepte aufgerufen.

Referentinnen und Referenten:

Krystyna Barszczewska
Muzeum Górnictwa Węglowego w Zabrzu (Bergbaumuseum Zabrze/Hindenburg)
http://www.muzeumgornictwa.pl/

Elżbieta Bieńkowska
Urząd Marszałkowski (Marschallamt)

Prof. Dr. iur. Benjamin Davy
Fakultät für Raumplanung der Universität Dortmund
http://www.raumplanung.uni-dortmund.de/bbv/web/de/index.html

Dr. habil. Joachim Dietz
Uniwersytet Jagielloński w Krakowie (Jagellonen Universität Krakau)

Axel Föhl
Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Pulheim
http://www.lvr.de/reload.asp?U=http://www.lvr.de/kultur/rad/

Adam Frużyński
Muzeum Górnictwa Węglowego w Zabrzu (Bergbaumuseum Zabrze/Hindenburg)
http://www.muzeumgornictwa.pl/

Dr. habil. PD Stefan Goch
Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen
http://www.institut-fuer-stadtgeschichte.de/

Prof. Dr. Martin Junkernheinrich
Universität Trier, Fachbereich IV: Volkswirtschaftslehre, Kommunalwirtschaft und Kommunalfinanzen
http://www.uni-trier.de/~kuk/

Dr. habil. arch. Zbigniew Kamiński
Konsultant Planu Zagospodarowania Przestrzennego Województwa Sląskiego (Marschallamt, Abteilung für Raumplanung in der Wojewodschaft Schlesien)

Dr. Irma Kozina
Uniwersytet Śląski w Katowicach (Schlesische Universität Kattowitz)

Eugeniusz Paduch
śląskie Centrum Dziedzictwa Kulturowego w Katowicach (Schlesisches Zentrum für Kulturerbe in Katowice/Kattowitz)

Dr. Maria Popczyk
Uniwersytet Śląski w Katowicach (Schlesische Universität Kattowitz)

Prof. Dr. habil. Joanna Rostropowicz
Uniwersytet Opolski (Universität in Oppeln)

Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier
Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) der Ruhr-Universität Bochum
http://www.ruhr-uni-bochum.de/zefir/

Prof. Dr. Klaus Tenfelde
Institut für soziale Bewegungen im Ruhrgebiet an der Ruhr-Universität Bochum
http://www.ruhr-uni-bochum.de/iga/isb/frameset_isb.htm

Gabriele Unverferth
Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund
http://www.archive.nrw.de/home.asp?wwa-dortmund


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