Die Schwäbische Hausfrau – sparsam, sorgfältig und innovativ

Die Schwäbische Hausfrau – sparsam, sorgfältig und innovativ

Organisatoren
Heimatpflege des Bezirks Schwaben; Schwabenakademie Irsee
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2016 - 05.10.2016
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Von
Corinna Malek, Heimatpflege Bezirk Schwaben

Als Metapher für ein sparsames Wirtschaften, bei dem man nicht über seine Verhältnisse leben solle, steht die schwäbische Hausfrau. 2008 von Angela Merkel als Vorbild für eine sparsame Politik ausgerufen, reicht die Tragweite der Idee doch weit in die heutige Alltagswelt hinein. Die aktuellen Probleme von endlichen, sich verknappenden Ressourcen sowie die weltweit stetig wachsenden Müllberge verleihen dem Leitbild der schwäbischen Hausfrau eine neue Aktualität, ebenso die damit verbundene Forderung nach einem nachhaltigen Wirtschaften, auch für zukünftige Generationen. Die interdisziplinäre Tagung in Irsee, die von der Heimatpflege des Bezirks Schwaben zusammen mit der Schwabenakademie Irsee veranstaltet wurde, versuchte über das Leitbild der schwäbischen Hausfrau und den ihr zugeschriebenen Attributen der Sparsamkeit, Sorgfältigkeit und ihrem Innovationsgedanken eine Annährung und kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der Nachhaltigkeit. Hierzu tauschten sich Referierende aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen über das Thema aus, dessen Komplexität im Verlauf der Tagung immer deutlicher wurde, auch durch eine ausgewogene Präsentation aus aktuellen Bezügen und historischen Beispielen. Zentrale Fragestellungen waren dabei einerseits die Wiederverwertungsmöglichkeiten von Alltagsprodukten und Bauteilen sowie andererseits die Haltbarkeit, Dauerhaftigkeit und Möglichkeiten der Reparatur von Dingen im aktuellen wie historischen Kontext.

In seinen einleitenden Bemerkungen präsentierte Tagungsleiter PETER FASSL (Augsburg) die Grundfragen der Tagung und stellte nochmals den Tugendkanon des Sinnbildes der Schwäbischen Hausfrau sowie die Bedeutung des Fragens nach Beziehungen, Brüchen und Kontinuitäten zwischen Vergangenheit und Gegenwart heraus. Der thematische Schwerpunkt des ersten Tages lag auf der historischen Auseinandersetzung mit nachhaltigen Denk- und Wirtschaftsmustern. Diese wurden epochenübergreifend in den Blick genommen. Der Einstieg erfolgte über die Referate von WOLFGANG WÜST (Erlangen) und FELIX GUFFLER (Biberach), die nachhaltige Denkweisen der Frühen Neuzeit und ihre Durchsetzung untersuchten. Sie konnten deren Existenz durch eine Analyse verschiedener Dorf- und Policey-Ordnungen aus dem südbayerischen Raum beweisen und darlegen, wie Landesherren über den Erlass von regulierenden Ordnungen ihre Untertanen gezielt beeinflussten, um ihre Erträge durch nachhaltiges Wirtschaften zu optimieren. Den komplementären Blickwinkel der Bewohner nahmen hingegen Peter Fassl und WOLFGANG OTT (Weißenhorn) ein, indem sie die sparsame Lebensweise der Landbewohner mittels biographischer Zeugnisse beschrieben. Peter Fassl zeichnete anhand dreier autobiographischer Berichte den eng begrenzten Nahrungsspielraum der größten Bevölkerungsschicht im ländlichen Raum Schwabens im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, den Kleinbauern, nach. Aus diesem engen Spielraum erwuchs zwangsweise der sparsame Umgang der Bewohner mit dem wenig Verfügbaren, um ihr eigenes Überleben durch das gänzliche Verwerten des Wenigen zu sichern. Wolfgang Ott rekonstruierte anhand dreier Quellen aus Ostschwaben, dem Haushaltsbuch des Pfarrers Sebastian Seiler, diversen Lehrbüchern für das Landvolk und dem Nachlassinventar der Hafnerfamilie Frank, das dortige ländliche Wirtschaften. Der Referent bot zugleich einen autobiographischen Einblick in das ländliche Oberschwaben des 19. Jahrhunderts, das ebenfalls von einer sparsamen Wirtschafts- und Lebensweise geprägt war.

Ebenfalls im ländlichen Raum blieb JOHANN KIRCHINGER (Regensburg) mit seinen Ausführungen über das konstruierte und idealisierte Bild des bäuerlichen Familienbetriebs, einer Schöpfung des 19. Jahrhunderts. Er nahm hierbei die Ressource Mensch in den Blick, die zur Führung eines landwirtschaftlichen Betriebs unerlässlich war. Im Rahmen der Industrialisierung mussten neue Wege gefunden werden, um das Überleben der Landwirtschaft zu sichern, sodass im Zuge der einsetzenden Landflucht, der Bauernbefreiung und der Freiheit des Eigentums das Modell des bäuerlichen Familienbetriebs entstand. Weitere historische Beispiele zum nachhaltigen bzw. sparsamen Umgang mit Dingen des täglichen Bedarfs sowie Baumaterialien zeigten CORINNA MALEK (Augsburg) und SIMON KOTTER (Bad Windsheim). Simon Kotter untersuchte am Beispiel des Schlosses Binswangen, das im Zuge der Säkularisierung verkauft und schließlich abgebrochen wurde, wie ein Bauwerk im 19. Jahrhundert als Rohstoffquelle dienen konnte, indem es systematisch und schonend abgebrochen wurde. Darüber hinaus zeichnete er den Weg einzelner Bauteile nach, die wohl im Ort weitere Verwendung fanden, stellte aber zugleich fest, dass es keine gesicherten Erkenntnisse gebe, wo einzelne Teile schließlich wieder verbaut wurden. Obwohl es vor über 150 Jahren abgebrochen wurde, wirkt es nachhaltig bis heute als identitätsstiftendes Merkmal im Ort. Corinna Malek unternahm hingegen einen Zeitsprung zu ihren Vorrednern und widmete sich dem Thema der Ersatzstoffe und -mittel, die vor und während des Ersten Weltkriegs Verwendung fanden. Sie zeigte anhand ihrer Beispiele den innovativen Aspekt der „Schwäbischen Hausfrau“, getreu dem Motto „Not macht erfinderisch“, legte aber auch dar, dass eine Vielzahl der Innovationen aus der Not qualitativ große Mängel aufwiesen und dadurch keine nachhaltige Wirkung entfalten konnten.

Bis in die Gegenwart führten die Beiträge von AMANDA NATTERER (Augsburg) und EBERHARD PFEUFFER (Augsburg). Eberhard Pfeuffer erläuterte am Beispiel der Lechheiden ein Modell nachhaltiger Landnutzung, die sich über Jahrhunderte hinweg erstreckt hatte und heute durch ökologische Schutzmaßnahmen wieder auflebe. Er zeigte auf, wie nachhaltige Nutzung nicht nur zur Gestaltung, sondern auch zur Bewahrung von Landschaften beitragen kann und muss. Ergänzend zu Eberhard Pfeuffer griff Amanda Natterer die Augsburger Initiativen zum Thema Nachhaltigkeit auf. Sie erläuterte am Beispiel der Stadt Augsburg, die 2013 mit dem Preis für die nachhaltigste Großstadt ausgezeichnet wurde, verschiedene Projekte und Maßnahmen, die einen sparsamen Umgang mit den in der Stadt vorhandenen Ressourcen erreichen sollten. Als exemplarisches Beispiel griff sie das Augsburger Kleingärtnerwesen heraus sowie heutige gärtnerische Initiativen zur Begrünung der Stadt.

Der zweite Tag stand im Zeichen aktueller Sachverhalte und Debatten, insbesondere im Bereich der Bau- und Abfallwirtschaft. Außerdem fand das Thema der Ersatzstoffe und ihrer historischen Dimension nochmals Eingang in die Diskussion durch Vorträge von MARITA KRAUSS (Augsburg) und KARL BORROMÄUS MURR (Augsburg). Marita Krauss untersuchte die Aufeinanderfolge von Mangel- und Überflussgesellschaften. Diese, so stellte sie fest, ließen sich als wiederkehrende Wellenbewegungen interpretieren und wirkten sich als jeweilige Erfahrung auf den Umgang mit Mangel und Überfluss aus. Anhand des Beispiels der Mangelgesellschaft und -wirtschaft in Folge des Zweiten Weltkriegs verdeutlichte sie den sparsamen Umgang mit dem wenig Vorhandenen durch jegliche denkbare Verwertungsart anhand zeitgenössischer Tipps zweier Münchner Frauenzeitschriften. Karl Borromäus Murr hingegen widmete sich den textilen Ersatzstoffen des Ersten Weltkriegs, die exemplarisch für eine restlose Verwendung und Verwertung verschiedener einheimischer pflanzlicher Rohstoffe im Bereich der Textilproduktion standen. Zudem zeigte er auf, wie sich Textilindustrie auf die Gegebenheiten des Krieges und ihrer Mangelwirtschaft, besonders in der Produktion, anpasste und welche Akteure, auch aus der Augsburger Textilindustrie, sich über verschiedene Ebenen, wie Verbände oder Kriegsgesellschaften, einbrachten.

Die Diskussion über nachhaltiges Bauen und die Verwertung abgebrochener Baumaterialien, die derzeit in den Debatten über die Sanierung des Bundeskanzleramtes nach 15 Jahren Bestandszeit neue Nahrung erhält, wurde von JULIA LUDWAR (Thierhaupten) und FRANK LATTKE (Augsburg) erörtert. Frank Lattke brachte den Teilnehmenden den Werk- und Rohstoff Holz als nachhaltiges Baumaterial näher, indem er an von ihm ausgewählten Projekten die Vorteile des Bauens mit Holz darlegte. Ebenso zeigte er neue Methoden der Verarbeitung von Holz zu einem nachhaltigen Baustoff auf. Die Wiederverwendung von bereits verbauten Baumaterialen legte Julia Ludwar dar, die auch aus ihren Erfahrungen als Leiterin des Bauarchivs Thierhaupten und der dortigen historischen Bauteilesammlung sprach. Sie präsentierte ausgewählte Beispiele der Wiederverwendung, an denen sich die Wertschätzung von abgebrochenen Bauteilen als Rohstoffquellen für neue Bauvorhaben bzw. die Verwendung im Bestand in früher Zeit als ein Aspekt von Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft herausarbeiten ließ.

Als zweiter großer Themenkomplex wurden die heutige Abfallwirtschaft und das damit verbundene Recycling behandelt, wozu als Experten zwei Referenten aus der Praxis, DIRK MATTHIES (Augsburg) und ANDREAS THALER (Augsburg), gewonnen werden konnten. Einen Blick auf die Problematik der Wiederverwendbarkeit von Elektrogeräten warf VOLKER ZEPF (Augsburg), der sich damit bereits seit längerer Zeit im Zusammenhang seiner Forschungen zu seltenen Erden befasst.

Durch die regen Diskussionen zu den einzelnen thematischen Schwerpunkten der Tagung wurde deutlich, dass Nachhaltigkeit und ihre Assoziation mit den Tugenden der Schwäbischen Hausfrau an ihrer Aktualität über die Jahrhunderte hinweg nichts verloren hat. Das Thema bewegte die Menschen früher wie heute und regte zahlreiche Generationen zum Nachdenken und Handeln an, wozu auch die Tagung einen entsprechenden Beitrag leisten konnte. Es zeigte sich, dass die Interdisziplinarität und Verschiedenheit der einzelnen Fachdisziplinen beim Thema Nachhaltigkeit überwunden werden konnten, wenn Lösungsansätze für heutige Probleme durch den Blick in die Geschichte bereichert wurden. Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit der Ressourcen und ihrer optimalen Nutzung zeigte sich als verbindendes und zugleich entzweiendes Element, das weit über den Rahmen der Tagung hinaus relevant ist.

Konferenzübersicht:

Markwart Herzog (Irsee): Begrüßung

Peter Fassl (Augsburg): Einführung in das Thema der Tagung

Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Hausfrauliche Tugenden – Sparsamkeit, Sorgfalt, Sauberkeit und Schnelligkeit im Spiegel „guter“ Policey-Ordnung

Felix Guffler (Biberbach / Augsburg): Die bäuerliche Subsistenzwirtschaft in Bayerisch-Schwaben im Spiegel schwäbischer Dorfordnungen

Eberhard Pfeuffer (Augsburg): Ökologie und angepasste Landnutzung am Beispiel der Lechfeldheiden

Peter Fassl (Augsburg): Der Nahrungsspielraum der „kleinen“ Leute auf dem Land nach autobiographischen Zeugnissen

Wolfgang Ott (Weißenhorn): Sparsames Wirtschaften im ländlichen Bereich, Beispiele aus Ostschwaben

Johann Kirchinger (Regensburg): Die Erfindung des bäuerlichen Familienbetriebes im Kampf um die landwirtschaftlichen Ressourcen in der Industriegesellschaft

Corinna Malek (Augsburg): Ersatzstoffe und Ersatzmittel während des Ersten Weltkriegs

Karl Borromäus Murr (Augsburg): Textile Ersatzstoffe im Zeitalter der Weltkriege am Beispiel der schwäbischen Textilindustrie

Amanda Natterer (Augsburg): Augsburger Initiativen zum sparsamen Umgang mit Ressourcen

Simon Kotter (Bad Windsheim): Bauwerke als Rohstoffquellen – Wiederverwendung von Baumaterial am Beispiel des Schlosses Binswangen

Julia Ludwar (Thierhaupten): Wiederverwendung von Baumaterialien. Ein Beitrag zur Denkmalpflege

Frank Lattke (Augsburg): Holzbau – eine noch wenig genutzte natürliche Ressource

Andreas Thaler (Augsburg): Baustoffrecycling heute am Beispiel des Kies- und Sandwerks Thaler

Marita Krauss (Augsburg): Leben in der Mangelgesellschaft. Hausfrauentipps nach 1945

Dirk Matthies (Augsburg): Die Abfallverwertung Augsburg

Volker Zepf (Augsburg): Wiederverwertbarkeit. Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel von Elektrogeräten

Verena Jaschke (Pfaffenhofen a.d. Roth): Nachhaltigkeit bei Lebensmitteldiscountern


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