Predigten zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung

Predigten zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung

Organisatoren
Andreas Holzem / Florian Bock, Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2016 - 16.09.2016
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Von
Joachim Werz, Mittlere und Neure Kirchengeschichte / SFB 923 ‚Bedrohte Ordnungen‘, Eberhard Karls Universität Tübingen

Der zweitätige Workshop an der Universität Tübingen zu „Predigten zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung“ fand vom 15. bis 16. September 2016 in der Alten Aula der Eberhard Karls Universität in Tübingen statt. ANDREAS HOLZEM und FLORIAN BOCK (Tübingen) waren die Organisatoren und Veranstalter.

Nach der Begrüßung und Einführung in die Thematik und Konzeption des Workshops durch Florian Bock moderierte CARLOTTA LEA POSTH (Tübingen) das erste Panel zur Medialität in Predigten. Fragen der Spiegelung von Identitätsformierung laikalen Binnenmilieus in Predigten und auch die Erörterung medialer Inszenierung derselben in ihrer Form und Gebrauchsfunktion sollten den Ausgangspunkt dieses Panels bilden. Der konzeptionellen Ausrichtung des Workshops ist es zuzuschreiben, dass die Referenten kurze 20-minütige Vorträge hielten und das eigentliche Herzstück in den gemeinsamen Diskussionen über zuvor eingereichte Quellen bestand. Dieser Arbeitsform folgend, legte FRANZ EYBL (Wien) seine Beobachtungen im Kontext der Medialität zu einer Predigt Martin Luthers und zu zwei Predigten des Abraham a Sancta Clara dar. Besonderes Augenmerk legte der Referent auf die Hörererwartung und sprachliche Dynamik der jeweiligen Sermones, die – als textuelle Momentaufnahmen – von einer Dichte an Präsenzeffekten gekennzeichnet seien. Direkt daran schloss sich FLORIAN BOCK (Tübingen) mit einer quellenfundierten Bildbetrachtung des Frontispizes von Tiberio von Kayserstuells „Heilreiche Teuch zur Geistlichen Schaafschwemme“ (1723) an. Das in Bild und Wort medial-dual vermittelte Priester- und Laienbild des 18. Jahrhunderts verkörpere eine pastorale Strategie, die in erster Linie auf die von Trient noch einmal verstärkt geforderte cura animarum abziele. Dass sich ein Transfer vom Predigerbild des Pastor bonus hin zu einem aufgeklärten Tugend- und Moralwächter anhand der Quellen nachzeichnen ließ, stellte Bock anschaulich dar.

Für das zweite Panel zur Ritualität in Predigten des zu untersuchenden Zeitraumes konnten die Veranstalter zwei Liturgiewissenschaftler gewinnen: JÜRGEN BÄRSCH (Eichstätt) und BENEDIKT KRANEMANN (Erfurt). Sie sollten anhand ihres Quellenmaterials erörtern, welche Aufmerksamkeit Feste und Feiern in den Predigten erfuhren. Forderten aufgeklärte Prediger – lange vor Max Weber – eine „Entzauberung“ der Liturgie, betonte der Theologe Jörg Lauster noch jüngst vor allem die „verzaubernden“ Elemente des Christentums in der Geschichte. Jürgen Bärsch nahm eine Dreiteilung seines Vortrags vor und stellte normative Quellen aus verschiedenen rituellen Umfeldern vor: Er referierte zuerst über die Predigtliturgie anhand der Auswertung einiger Rituale des späten 17. Jahrhunderts. Des Weiteren thematisierte er die Predigt als Teil einer szenischen Liturgie, die er an Beispielen aus der Liturgie der Himmelfahrt Christi veranschaulichte. Zuletzt stellte der Liturgiewissenschaftler Modellansprachen bei Sakramentenfeiern aus der Mitte des 17. Jahrhunderts vor. Allen drei Beispielen gemeinsam war das Verständnis der Predigt als disziplinierendes Instrumentarium gegenüber der Gemeinde. Direkt im Anschluss daran referierte Benedikt Kranemann seine Beobachtungen zu Ansprachen bei Tauffeiern aus katholischen Ritualen der Aufklärungszeit vor. Er betonte die Reproduktion sozialer Ordnung in diesen Predigten. Seine gewählten drei Beispiele des frühen 19. Jahrhunderts untersuchte er auf Differenzen in Sprache, liturgischer Verortung und theologischer Aussage. Belehrung und Erbauung erhielten hier einen neuen Klang: Das Ritual der jeweiligen Liturgie brachte Gedanken der Aufklärungstheologie mitsamt ihrer Ordnungsmuster unters Volk. Die anschließende Diskussion leitete JOACHIM WERZ (Tübingen). Zahlreiche Wortmeldungen und Beiträge aus den verschiedenen Disziplinen bestätigten: Auch im Bereich der liturgiewissenschaftlichen Forschung zur Predigt warten zahlreiche Leerstellen – besonders für die offenbar sehr unterschiedliche nuancierte Semantik des Terminus „Erbauung“ zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung.

Das erste Panel des zweiten Tagungstages erörterte die Predigt in ihrer heilsökonomischen Stellung, das heißt: Welche differenten Heilswege werden dem Auditorium der Predigt angeboten? Beobachtungen zu konfessionellen Unterschieden sollten dabei ebenso berücksichtigt werden. Hierzu moderierte FLORIAN BOCK (Tübingen) die Vorträge von SABINE HOLTZ (Stuttgart) und ALBRECHT BEUTEL (Münster) an. Die Stuttgarter Professorin referierte über Norm und Praxis der lutherisch-orthodoxen Lehre. Sie ging der Frage nach, welche Heilswege protestantischen Hörerinnen und Hörern in Predigten des Zeitalters der Konfessionalisierung angeboten werden. Um dabei die Abgrenzung von altgläubigen Predigten hervorzuheben, stellte Holtz je eine Predigt von Jakob Andreae und eine von Johann Georg Sigwart als Quellenmaterial zur Verfügung, die sie auf ihre heilsökonomischen und sozial-historischen Aussagen hin untersuchte. Ihr Fazit: Das gute Wollen als Norm allein reicht nicht aus, in der Predigtpraxis muss, um Sozialdisziplinierung herbeizuführen, auf das alte Muster der Strafen Gottes zurückgegriffen werden. Der Münsteraner Albrecht Beutel rückte neben den Predigten vor allem die Person des aufgeklärten Predigers Johann Joachim Spaldings ins Zentrum seines Vortrags. Anhand des Barther Predigtbuches und verschiedener Zeugenberichte über die ars praedicandi Spaldings arbeitete Beutel heilsökonomische Aussagen Spaldings zur „Beruhigung auf dem Krankenbette“ heraus, die sich – entgegen dieses Titels – vor allem als eine Predigt für den gesunden Menschen entpuppt, der zur Umkehr aufgefordert werden soll. Es folgte auf der Basis der beiden Referate eine vielschichtige Diskussion über Predigt und ihre Reziprozität in gesellschaftlichen Kontexten.

Das letzte Panel zur Alltagsethik in Predigten wurde von DANIELA BLUM (Tübingen) moderiert. Predigten boten ethische Grundstrategien an, um den Alltag im jeweiligen Lebensraum zu bewältigen. Die sozialen Logiken, die in der Predigt verwendet werden, treten dabei oftmals – bewusst oder unbewusst – in Konkurrenz oder fruchtbare Verbindung zum religiösen Wissen der Zeit. Erster Referent war ANDREAS HOLZEM (Tübingen). Der Kirchenhistoriker entwarf aus den Predigten des Jesuiten Georg Scherers Beobachtungen zu einer Alltagsethik der Ökonomie um 1600. Neben den grundsätzlichen Klagen über den Wucher thematisiert der Jesuit Reichtum und Armut am Beispiel der biblischen Erzählung des Lazarus und des reichen Prassers (Lk 16). Holzem analysierte, dass die biblische Erzählung durch die ökonomische Fachkenntnis des Jesuiten nach Belieben erweitert und thematisch erschlossen wurde. Diskurse des Ökonomischen und des Sozialen wurden in den Predigtschriften oftmals miteinander verschränkt. Für das späte 18. Jahrhundert stelle MICHAELA COLLINET (Trier) unter anderem ihre Untersuchungen zu den Predigten des Eulogius Schneider vor. Collinet wertete die Predigten des herzoglichen württembergischen Hofpredigers auf ihre alltagsethischen Aussagen hin aus, die Einblicke in die württembergische Gesellschaft und das Leben am Hof geben. Die Differenzierung zwischen „guten“ und „schlechten“ Armen in der damaligen Lebenswelt wurde dabei besonders deutlich. Nach der sich daran anschließenden Diskussion über Predigt und Alltagsethik fasste Andreas Holzem in einem Abschlusskommentar die Ergebnisse, Beobachtungen und Diskussionen der vier Panels zusammen. Er verwies auf die zahlreich aufgedeckten Desiderate, die der Workshop auftat und plädierte für eine intensive Erforschung der Predigt und ihrer gesellschaftlichen, politischen, kirchlichen und liturgischen Settings. Dies könne über eine Analyse 1.) der Produktionsbedingungen, 2.) des Spannungsverhältnisses zwischen Rezeptionserwartung und Rezeptionswiderschein und 3.) des Raumes, innerhalb dessen die Predigt stattfand (Stichwort spatial turn) geschehen.

Konferenzübersicht:

Florian Bock (Tübingen): Einführung in Thema und Konzept des Workshops

Panel I: Medialität
Franz Eybl (Wien), Florian Bock (Tübingen)
Moderation: Carlotta Posth

Panel II: Ritualität
Jürgen Bärsch (Eichstätt), Benedikt Kranemann (Erfurt)
Moderation: Joachim Werz

Panel III: Heilsökonomie
Sabine Holtz (Stuttgart), Albrecht Beutel (Münster)
Moderation: Dr. Florian Bock

Panel IV: Alltagsethik
Andreas Holzem (Tübingen), Michaela Collinet (Trier)
Moderation: Dr. Daniela Blum

Andreas Holzem (Tübingen): Abschlusskommentar


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