Religion - Kultur - Geschlecht

Religion - Kultur - Geschlecht

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit
Ort
Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.11.2004 - 06.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Aumüller, Freiburg

"Religion - Kultur - Geschlecht" lautete der Titel der nun schon zehnten Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit.
Vom 4. bis zum 6. November 2004 versammelten sich ca. 40 HistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, KunsthistorikerInnen und andere Interessierte in der gastlichen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim. Die Fachtagung stellte das Forum für die Diskussion komplexer Prozesse im Spannungsfeld von Religion, Kultur und Geschlecht in der Frühen Neuzeit dar. Organisiert und geleitet wurde die Tagung von Dieter R. Bauer (Stuttgart), Andrea Griesebner (Wien), Maren Lorenz (Hamburg), Monika Mommertz (Berlin) und Claudia Opitz-Belakhal (Basel).

Im abendlichen Eröffnungsvortrag "Religion, Gesellschaft und Geschlecht in transkultureller Perspektive" stellte Ulrike Gleixner (Berlin) vier Forschungsfelder zur Diskussion, die ihrer Meinung nach Innovationspotential aufweisen. Die Dominanz der protestantischen Perspektive, die sie vor allem auf den Einfluß von Max Weber zurückführte, habe ihrer Meinung nach dazu geführt, dass das Verhalten der anderen Konfessionen heute ein Forschungsdesiderat darstellt. Als zweites lohnenswertes Forschungsfeld schlug sie einen transkulturellen Vergleich zwischen den christlichen Konfessionen, dem Judentum und dem Islam vor, der nicht nur Differenzen sucht, sondern auch nach Ähnlichkeiten fragt. Eher Ähnlichkeiten als Differenzen machte sie etwa in den Geschlechterordnungen der christlichen Konfessionen und dem Judentum aus. Mit Rekurs auf Ulrike Strasser's "State of Virginity" (2004) stellte sie die These zur Diskussion, wonach die Kategorie Geschlecht die zentrale Größe für die moderne Staatsbildung - unabhängig von der Konfession - gewesen sei. Das dritte untersuchenswerte Forschungsfeld stellten für Ulrike Gleixner die christlichen Missionen außerhalb Europas dar, wobei sie hier besonders einen Vergleich zwischen protestantischen und katholischen MissionarInnen einforderte. Als viertes regte sie an, nach den Kommunikationspraktiken der verschiedenen Religionen und Konfessionen zu fragen, da Kommunikation für sie die Voraussetzung für die Formierung religiöser Gruppen und Identitäten bildet.

Am Freitagmorgen leitete Christina Lutter mit ihrem Vortrag "Mulieres fortes, Sünderinnen und Bräute Christi - kulturelle Muster und spirituelle Symbolik in mittelalterlichen Geschlechterkonzepten" (Wien) die Sektion "Homogenisierung und Differenzierung" ein. Zunächst betonte sie, dass religiöse Differenzierung nicht nur die Frühe Neuzeit, sondern auch das europäische Mittelalter prägte. Ausgehend von Quellen des Admonter "Doppelklosters" aus dem 12. Jahrhundert analysierte Christina Lutter die Wechselwirkung zwischen gedachten und gelebten Ordnungen. Neben Identifikationsmodellen, die über die Kategorie Geschlecht wirksam werden konnten, stellte sie auch Identifikationsmodelle vor, bei denen die Zuordnung zu den Gruppen "Männer" oder "Frauen", "Mönche" oder "Nonnen" keine vorrangige Rolle spielte. Dies gilt etwa für das Bild der Bräute Christi, welches aufgrund der jungfräulichen Lebensform für Mönche wie Nonnen als Identifikationsmodell wirksam werden konnte. Christina Lutter plädierte dafür, die im Kontext spiritueller Religiosität entstandene Überlieferung nicht außerhalb und unabhängig von den sozialen und diskursiven Bedingungen ihrer Entstehung zu lesen, sondern sie in Bezug zur Praxis ihres Gebrauchs zu setzen. Dadurch würde die Relationalität der Kategorie "Geschlecht" deutlich. Ähnliches gilt für "Kultur", die niemals nur Bedingung oder Ergebnis von sozialer Praxis sei. Kulturelle Praktiken seien vielmehr selbst ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung sozialer Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung.

In ihrem Vortrag "Klösterliches Liedgut und christliche Hausmütter. Frauen als Vermittlerinnen christlicher Lehre anhand des geistlichen Liedes", zeigte Linda Maria Koldau (Frankfurt a.M.) die Bedeutung des geistlichen Liedgutes bei der Vermittlung theologischer Lehren in unterschiedlichen konfessionellen Kontexten. Wie Koldau darlegte, wiesen die verschiedenen christlichen Konfessionen bei der Vermittlung von Glaubenslehren durch Lieder und Gesänge Frauen eine bedeutsame Rolle zu. Die den TeilnehmerInnen auszugsweise vorgetragenen Lieder aus vorreformatorischer Zeit bezogen sich auf die Klöster, also auf einen eng begrenzten Lebensbereich. Die weiter verbreiteten evangelischen Gesangbücher basierten hingegen auf einer spezifisch reformatorischen Rollenzuweisung der Frau als Erzieherin im Glaubensleben, wie sie sich in den katholischen Gebieten nicht fand.

Den letzten Vortrag der ersten Sektion hielt Antje Flüchter (Münster) zum Thema "Der Zölibat als ordnende Kategorie in ländlichen Gemeinden?". Ihre Untersuchung der Prozess- und Visitationsakten des Herzogtums Jülich-Berg aus dem 16. und 17. Jahrhundert ergab, dass es unter einer oberflächlich erfolgreichen katholischen Konfessionalisierung, deren Ziel es u.a. war den Zölibat bei den Geistlichen durchzusetzen, durchaus Gestaltungsmöglichkeiten für Beziehungen zwischen Geistlichen und Frauen gab. Nicht der Bruch des Zölibats brachte die Gemeinde gegen den Geistlichen auf; ausschlaggebend waren oft andere Konflikte zwischen Pfarrer und Gemeinde. Zwar verschwand seit dem 17. Jahrhundert das Konkubinat aus den Akten. Für Antje Flüchter hatte sich aber weniger die "Wirklichkeit", als der Umgang mit dem Zölibat geändert. Der Zölibatsbruch wurde als menschliche Sünde betrachtet. Diese Praxis der Toleranz gegenüber abweichendem Verhalten von Personen, die sich ansonsten konform verhielten, wird durch andere Frühneuzeitforschungen, etwa zum Kindsmord bestätigt.

Nach der Mittagspause folgte die Sektion "Ordnungen und Grenzziehungen". Kim Siebenhüners Referat stand unter dem Titel "Erunt duo in carne una. Römische Inquisition, Ehe und Konfession im Italien des 17. Jahrhunderts". Sie legte dar, dass sich die zunehmende Kontrolle der Geschlechterbeziehungen durch obrigkeitliche Instanzen seit der Reformation dies- und jenseits der Alpen kaum unterschied. Die Beschränkung legitimer Sexualität auf die Ehe wurde auch auf katholischer Seite zu einem zentralen Reformanliegen und durch die Inquisition kontrolliert. In Abgrenzung gegenüber den neuen reformatorischen Ehekonzepten hielt Rom aber an der Vorstellung der sakramentalen, unauflöslichen und monogamen Ehe fest. Anhand der Bigamieprozessakten des Sant' Ufficio beleuchtete Siebenhüner die konfessionell bestimmte Ehepolitik der Inquisition. Dabei zeigte sich, dass Konvertiten vom Judentum oder Islam die Integration in die katholische Gesellschaft über die Erlaubnis zur christlichen Zweitehe erleichtert wurde, während man im Fall innerchristlicher Bigamie, d.h. bei protestantischen oder orthodoxen Konvertiten, ein Exempel für die Unauflöslichkeit der Ehe statuierte, und dies jeweils ohne Unterschiede für Männer und Frauen. In den römischen Bigamieprozessen scheint der Aspekt des katholischen Glaubens über allen anderen Aspekten zu stehen und die Unterschiede der Geschlechterrollen zu nivellieren.

Mit seinem Thema "Gender und Konfession in der Ratsgerichtsbarkeit der multiethnischen Stadt Polack im 17. Jahrhundert" setzte Stefan Rohdewald (Passau) bei der Frage an, ob für das heute weißrussische Polack die städtischen Gerichte und deren Gerichtsöffentlichkeit eine Plattform zur Herstellung und Reproduktion der konfessionellen Ordnung und der Geschlechterordnung darstellten. Mittels der Untersuchung von Unzuchts-, Ehe-, und Hexenprozessen konnte er aufzeigen, dass, den Städten des westlichen Mitteleuropas vergleichbar, auch in Polack eine "Moralisierung aller Lebensbereiche" stattfand. Diese verlief in Polack jedoch nicht entlang konfessioneller Trennlinien, sondern transkonfessionell. Stefan Rohdewald vermochte kaum Unterschiede zwischen orthodoxen oder katholischen Vorstellungen vom moralischen Zusammenleben der Geschlechter festzustellen. Sowohl die durchgängige Diskriminierung orthodoxer Frauen und Männer durch den uniert-katholischen Stadtrat als auch die Exklusion der Juden erwies sich in der Praxis vor Ort als unmöglich.

Barbara Staudinger (Wien) "Super communi negotiatione et societate inter virum et uxorem - Perzeptionen von Jüdinnen zwischen Ehe- und Handelsfrauen in der Frühen Neuzeit", beschäftigte sich mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung jüdischer Frauen. Jüdinnen treten in frühneuzeitlichen Quellen sowohl als eigenständige Kauffrauen als auch als Geschäftspartnerinnen ihrer Ehemänner auf. Dies hatte rechtliche Konsequenzen: Während christliche Frauen durch das Senatus Consultum Velleianum des Römischen Rechts davor geschützt waren, zur Tilgung der Schulden ihres Ehepartners herangezogen zu werden, wurden diese "weiblichen Freiheiten" bei Jüdinnen in Frage gestellt. Obwohl innerjüdische Zuschreibungen über die Aufgaben einer Ehefrau kaum vom christlichen Rollenbild abwichen, war die Sicht von außen auf die eheliche Gemeinschaft von Juden ganz unterschiedlich. Denn die beobachtete (oder imaginierte) partnerschaftliche Arbeitsteilung der Eheleute im Handels- und Kreditgeschäft trug dazu bei, Jüdinnen - in antijüdischem Kontext - generell als Handelsfrauen zu kategorisieren, mit den angedeuteten Folgen. Im Blick von außen waren jüdische Frauen in erster Linie Juden und erst in zweiter Linie Frauen. Religion bzw. die Zugehörigkeit zu einer Minderheit war, so scheint es, in der Wahrnehmung von außen eine wichtigere Kategorie als Geschlecht.

Nach dem Abendessen folgte der Round-Table zum Thema "Frühe Neuzeit in den Neuen Medien. (Re-) Präsentationen von Geschlecht und historischer Erkenntnis". Auf dem Podium diskutierten Stefanie Krüger, Maren Lorenz und Susan Müller-Wusterwitz (alle Hamburg). Kontrovers eingeschätzt wurde die Gefahr einer positivistischen Geschichtsdarstellung im WWW, nicht zuletzt mitbedingt durch die informatisch-formalen Rahmenbedingungen der Digitalisierung von historischen Quellen überhaupt. Eine Gefahr, die wegen der Vorteile, die z.B. die Hypertextstruktur zur Vertiefung und Vernetzung von Informationen darstellt, zu oft übersehen wird. Eine der ersten Differenzierungen, die durch die wieder belebte Tendenz zur Kürze und Verallgemeinerung unsichtbar zu werden droht, sei die Kategorie Geschlecht.

Nach anregenden Diskussionen in der "Trinkstube" fand man sich am Samstagmorgen "Jenseits der Orthodoxien" wieder. Elisabeth Gössmann (Japan/München) führte in dieser Sektion in "Die theologischen Hintergründe und die Praxis der Japanmission des Jesuitenordens unter der Berücksichtigung der Geschlechterfrage" ein. Zunächst betonte Elisabeth Gössmann, dass die Anfänge des Christentums in Japan nicht kolonialistischen Ursprungs waren, sondern von den Jesuiten ausgegangen seien. Da in Japan der Vernunft ein hoher Stellenwert zugemessen wird, war es für die JapanerInnen wichtig, dass sich die Worte und Taten der Missionare deckten. Gössmann hob besonders die traditionell "starken Frauen in Asien" hervor. Neben der Kinderkatechese zeigte sich deren bedeutende Stellung in der Gemeinde in ihrer Funktion als Streitschlichterinnen. Die Frauen wurden von den Jesuiten hoch geachtet. Dass die Japanmission dennoch scheiterte, führte Elisabeth Gössmann vor allem auf die Missionspraxis der über die Philippinen gekommenen spanischen Franziskaner zurück. Bedingt war dieses Scheitern aber auch durch die Furcht der japanischen Obrigkeit vor Kolonialisierung.
Jesuitischen Missionaren wandte sich auch Mary Baine Campbell (Waltham/ Mass.) in ihrem Vortrag "Conversion, Holiness and Dreams. Holy Women and Jesuit Missionaries in the 17th-Century Iroquois ‚culture du rêve'" zu. Sie untersuchte die Entstehung der Ethnographie als Wissenschaft und die unterschiedlichen Bewertungen der Träume der Ureinwohner Quebecs durch die dortigen Missionare. Diese Erkenntnisse kontrastierte sie mit Briefen und Berichten religiöser Frauen, die in Quebec Frauen und Kinder im katholischen Glauben unterrichteten. In Moeurs des sauvages amériquains (1724) stellte Joseph Lafitau die von den Ureinwohnern geschilderten Seelenwanderungen als eine Form des kartesianischen Leib-Seele-Dualismus' dar. Im Gegensatz zu Paul Le Jeune sah er die kanadischen Ureinwohner zwar nicht mehr durch Dämonen oder Träume gesteuert, sondern durch ihre Sitten und Traditionen. Da ihnen die Erziehung zu moralischem Handeln fehle, blieben sie für ihn letztendlich "Puppen". Ganz anders der Blick von Marie de l'Incarnation (1599-1672), die ihre eigenen Träume als für ihren Werdegang bedeutend ansah. Sie zeichnete die Träume ihrer kanadischen Schülerinnen auf - und schenkte ihnen Glauben. Mary Baine Campbell stellte die Frage, wie anders sich die Ethnographie wohl entwickelt hätte, wenn die Werke von Frauen wie Marie de l'Incarnation Einfluss auf ihre Entwicklung gehabt hätten? Umso wichtiger, so Mary Campbell, seien die Werke jetzt, gewähren sie doch einen komplementären Blick auf den generalisierenden Diskurs der männlichen Ethnographen Neufrankreichs.

Die Schlussdiskussion wurde mit dem Impulsreferat "Dissimulierende Netzwerke - Religion, Geschlecht und Kommunikation" von Caroline Gritschke (Stuttgart) eingeleitet. Ihrem Referat legte sie die Prämisse zugrunde, dass "Anderssein" nicht der Grund für Verfolgung und Ausgrenzung, sondern deren Resultat ist. Für Strategien, in denen das Bekenntnis zur und das Verbergen der eigenen religiösen Kultur komplex miteinander verwoben sind, führte Gritschke den Begriff "dissimulatio" ein. Am Beispiel des Schwenckfeldertums führte sie exemplarisch vor, dass erfolgreiche "Dissimulierer", die dem forschenden Zugang zunächst entzogen sind, durch eine Netzwerkanalyse sichtbar gemacht werden können. Auch wenn sich Frauen nach außen, den Rollenerwartungen gemäß - passiv, zurückhaltend, schweigend - verhielten, wird in der Netzwerkanalyse deutlich, dass es in der internen Kommunikation des Schwenckfelder-Netzwerkes - im Unterschied zu den orthodoxen protestantischen Gemeinden - keine Geschlechterhierarchie gab. In der transkulturellen Analyse mit Täufern und Marranen lassen sich Gemeinsamkeiten erkennen. Um ihren inneren, verborgenen "Glauben des Herzens" von ihrer symbolischen Teilhabe an der orthodoxen religiösen Kultur der Mehrheit abzutrennen, mußten sie sich externer kommunikativer Strategien des Verbergens bedienen. Im komplexen Ineinandergreifen von Bekennen und Dissimulieren, von internen und externen kommunikativen und sozialen Netzwerkbeziehungen verschwimmen, so auch ein zentrales Ergebnis der Tagung, Kategorien wie Religion, Ethnie oder Geschlecht.

Insgesamt war die Tagung ein schönes Beispiel dafür, wie wichtig inter- und transkulturelle Vergleiche sind. Erst der Vergleich macht deutlich, wie problematisch vorschnelle Pauschalisierungen sind. Deutlich wurde auch, wie lohnenswert es ist, verschiedene Kategorien aufeinander zu beziehen. Denn selbst wenn manche Kategorien weniger wichtig / deutlich zu sein scheinen als andere, ist zu vermuten, dass sie dennoch eine Rolle spielten. Hervorzuheben ist nicht zuletzt das angenehme und konstruktive Arbeitsklima, welches sich der Arbeitskreis über Jahre bewahrt hat.
Die nächste, vom 3. bis 5. Nov. 2005 stattfindende Tagung, wird sich mit dem Thema "Emotionen" beschäftigen. Es bleibt zu hoffen, dass der AK Geschlechtergeschichte weiterhin das Diskussionsforum für an Geschlechtergeschichte interessierte (Nachwuchs-) ForscherInnen bleibt, methodische Denkanstöße liefert und es seinen VertreterInnen gelingt, die geschlechtergeschichtliche Perspektive stärker als bisher zu etablieren. Dass dies wohl noch ein steiniger Weg sein wird, zeigte das Beispiel des Deutschen Historikertages 2004 unlängst nur zu deutlich.


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