„Die Ernestiner! Gestaltungs- und Lebensfelder einer Dynastie“ Arbeitsgespräch des Netzwerkes Reformationsforschung in Thüringen

„Die Ernestiner! Gestaltungs- und Lebensfelder einer Dynastie“ Arbeitsgespräch des Netzwerkes Reformationsforschung in Thüringen

Organisatoren
Netzwerk Reformationsforschung in Thüringen
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.06.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrike Eydinger, Projektgruppe Reformationsgeschichte, Theologische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Stiftung Schloss Friedenstein Gotha; Forschungsbibliothek Gotha

Am 17. Juni 2016 trafen sich zum achten Mal Reformationsforscher/innen aus Thüringen zu einem Workshop in Jena, der inhaltlich die aktuelle Thüringer Landesausstellung mit dem Thema „Die Ernestiner! Gestaltungs- und Lebensfelder einer Dynastie“ aufgriff. Das Netzwerk Reformationsforschung in Thüringen existiert seit dem Jahre 2012 und wurde von dem Reformationsbeauftragten der Thüringer Landesregierung, Thomas A. Seidel, mit dem Ziel initiiert, die Wissenschaft auf dem Gebiet der Reformationsforschung in Thüringen interdisziplinär stärker zu vernetzen. Aus dieser Grundidee heraus entstanden Forschungsprojekte, deren Mitarbeiter sowie einzelne Akteure in regelmäßig stattfindenden Workshops unter verschiedenen Fragestellungen arbeiten, Methoden und Quellen vorstellen sowie diese miteinander diskutieren.

Nach der Begrüßung durch THOMAS A. SEIDEL (Erfurt) und CHRISTOPHER SPEHR (Jena) führte SIEGRID WESTPHAL (Osnabrück) in den Workshop ein, indem sie die Besonderheiten der Dynastie der Ernestiner hervorhob. Als einzige Dynastie des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation haben die Ernestiner die Kurwürde dauerhaft verloren, was einen eklatanten machtpolitischen Absturz nach sich zog. Nur aus dieser Erfahrung heraus lässt sich das Handeln der Familie über die folgenden Jahrhunderte erklären. Die Ernestiner kreierten ein „Image“, das sie als Schutzherren der lutherischen Reformation auswies, und kompensierten mit diesem Zukunftskonzept – die Verpflichtung zur „Imagepflege“ wurde durch Hausverträge vererbt – ihren Verlust. Von den Mitgliedern der Familie wurde die unbedingte Nachfolge und Dynastietreue verlangt, was verhindern sollte, dass einzelne Mitglieder eigene Wege gingen. Weiterführend sei zu fragen, wieviel Spielraum wirklich für die einzelnen Mitglieder der Familie bestanden, ihren eigenen Lebensraum zu gestalten. In diesem Zusammenhang sei besonders auch auf die unstandesgemäßen Eheschließungen, die unehelichen Kinder und die Frauen der Dynastie zu schauen.

Anknüpfend an die Einführung wurde die Landesausstellung „Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa“ (24.4.–28.8.2016) von den beiden Kuratorinnen, KARIN KOLB (Weimar) und FRIEDEGUND FREITAG (Gotha) vorgestellt. Die Ernestiner haben durch ihr Handeln Luther und die Reformation unterstützt; ohne sie wäre die Geschichte anders verlaufen, weshalb Thüringen diese Dynastie im Rahmen der Reformationsdekade mit der Landesausstellung würdigt. An insgesamt vier Standorten in Weimar (Stadtschloss und Neues Museum) und Gotha (Schloss Friedenstein und Herzogliches Museum) werden sechs Themen – Glaube, Wissenschaft und Reich in Weimar sowie Familie, Land und Künste in Gotha – abgehandelt. Mittels dieser Themenkomplexe seien die Dynastie und ihre Strategien am besten zu greifen. Zeitlich spannt sich der Bogen von der Leipziger Teilung 1485 bis zur Abschaffung der Monarchie 1918. In den einzelnen Themenkomplexen werden exemplarisch Geschichten erzählt, die sich an Besucher auch ohne Vorkenntnisse richten. Im Gegensatz zu Gotha werden in Weimar die zu behandelnden drei Themenschwerpunkte nicht streng voneinander getrennt, sondern miteinander verwoben, da viele hier angesprochene Aspekte Auswirkungen auf die anderen Bereiche haben. An beiden Standorten erfolgt die Wissensvermittlung multimedial; neben herkömmlichen Beschriftungen der Ausstellungsobjekte finden sich Audio-, Video- und Hands-On-Stationen, an denen der Besucher mitunter selbst aktiv werden kann. Ergänzend werden während der Ausstellung verschiedene Veranstaltungen angeboten, die von zusätzlichen Führungen zu weiteren von den Ernestinern geprägten Orten (Ernestiner-Tage) über Vortragsreihen bis hin zu dem Schülerprogramm „Mit dem Bus nach Ernestinien“ reichen. Ein Tourentipp, ein Comic für die 5. bis 9. Klasse, ein Katalog,1 zwei wissenschaftliche Publikationen2 sowie ein Blog auf der Internetseite3 runden die Ausstellung ab. Die sich anschließende Diskussion war sowohl inhaltlicher, als auch praktischer Art. Es wurde bedauert, dass das 19. Jahrhundert relativ wenig repräsentiert sei – ein Umstand, der dem Mangel an vorzeigbaren Ausstellungsgegenständen geschuldet ist – und dass die Ausstellung abrupt 1918 ende, als wolle man den Glanz der Dynastie nicht gefährden. Dieses Vorwurfes erwehrten sich die beiden Kuratorinnen überzeugend, indem sie darauf verwiesen, dass sie das Typische der Dynastie zeigten und dass sie die Strategien ihres Agierens herausgearbeitet hätten, die durchaus negative Auswirkungen gehabt hätten (zum Beispiel bei der Heiratspolitik und der Memorialkultur). Die praktischen Fragen zielten auf Besucherzahlen/Einzugsgebiet sowie auf die unterschiedliche Präsentation der Objekte in den beiden Städten, die kritisch hinterfragt wurde. Die Entscheidung für zwei getrennte Gestalterbüros sei frühzeitig gefallen, da die verschiedenen Räumlichkeiten unterschiedliche Lösungen verlangten. Zudem hätte keine der in Frage kommenden Agenturen gleichzeitig beide Orte einrichten können. Der Kritik, die Exponate in Schloss Friedenstein verlören sich in den Räumen des Schlosses, begegnete Frau Freitag mit dem Argument, dass die Ausstellungsarchitektur gegenüber den Exponaten bzw. dem historischen Ambiente nicht zu dominant sein könne. Sie hebe sich aber von der Dauerausstellung deutlich ab. Diesen Preis müsse man zahlen, wenn man in historischen Räumen solch eine Ausstellung zeige.

In dem sich anschließenden Vortrag erläuterte ANDREAS DIETMANN (Jena) den Aufbau und die Entwicklung des Schulwesens in Thüringen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die von Anfang an als landesherrliche Aufgabe angelegt war. Eine treibende Rolle hatte hierbei Friedrich Myconius inne, der 1526 im Visitationsprotokoll von Tenneberg bereits den Wiederaufbau des Schulwesens und später immer wieder eine Stärkung des Ausbildungswesens forderte. Als drängend gestalteten sich die finanziellen Probleme der Schulen. Das Einkommen vor Ort (gemeiner Kasten) reichte vielfach nicht aus, obgleich die eingezogenen Kirchengüter, wie gefordert, freigegeben wurden. Es waren jedoch Zuwendungen an das Kirchenwesen, nicht an die Schulen. Dietmann bilanzierte, das Schulwesen war bis Mitte des 16. Jahrhunderts zwar fester Bestandteil der reformatorischen Kirchenpolitik, eine Vereinheitlichung konnte indes aber noch nicht erreicht werden. Die Rolle der Landesstände zur vertiefenden Analyse der Fragestellung sei jedoch unbedingt noch einmal genauer in den Blick zu nehmen.

DANIEL GEHRT (Gotha) eröffnete seinen Beitrag zur „Einbandgestaltung im Kontext ernestinischer Konfessionspolitik“ mit der Vorstellung der These, dass für die Reformation wichtige Schriften von den Ernestinern mit dem Ziel eingebunden wurden, diese bekenntnisgleich an ausgewählte Personen im Reich zu verteilen. Diese Schriften wie beispielsweise die Jenaer Luther-Gesamtausgabe zeigen auf den Einbänden im Wittenberger Stil Goldprägungen mit Porträts Luthers und der sächsisch-ernestinischen Herzöge. Damit wiesen die Herzöge auf ihre Identifikation mit dem Inhalt der Schriften hin und unterstrichen somit ihre Funktion als Schutzherren der Reformation. Joachim Ott (Jena) bestätigte indirekt diese These durch einen Negativbefund in der einst von den Herzögen zu Studienzwecken eingerichteten Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek. In ihr ließen sich Einbände dieser Art nicht finden. Daraus folgt, dass die Präsentation gewichtiger Luther- und Bekenntnisschriften im eigenen Territorium nicht in dieser kostspieligen Art erfolgen musste. Von der 1531 herausgegebenen deutschen Übersetzung der Confessio Augustana konnte Gehrt drei prächtig eingebundene Exemplare ausmachen. Er stellte die berechtigte Frage, ob bei den auf Vorder- und Rückdeckel aufgebrachten Stempeln mit den Porträts Friedrichs des Weisen und Johann des Beständigen ein funktioneller Zusammenhang zu den Gemälden und Holzschnitten bestehe, die 1532 von Johann Friedrich dem Großmütigen bei Cranach in Auftrag gegeben wurden. Frau Westphal regte zur Erhärtung der Thesen an, das auf den Einbänden gezeigte Bekenntnis an die Funktion der Bücher rückzubinden. Herr Gehrt bedauerte, dass dafür leider zumeist die Belege fehlen.

Die Historikerin ASTRID ACKERMANN (Jena) ging in ihrem Vortrag der Biographie Herzog Bernhards von Weimar (1604–1639) nach und fragte, ob dieser nicht vielleicht eher ein Renegat gewesen sei. Nach dessen Tod wurde Bernhard als Nachfolger von Gustav II. Adolf von Schweden stilisiert, indem man die Art der Kriegsführung, den Charakter und die Frömmigkeit der beiden parallelisierte. Bernhard galt später als protestantischer Held. Ackermann zeichnete den Lebensweg Bernhards nach, indem sie auf prägende Situationen einging, die die in religiösen Fragen gelebte Einigkeit der Dynastie gefährdeten: Bernhards Konkurrenz zu seinem Bruder Wilhelm im Heer des Schwedenkönigs; sein Wechsel auf die Seite der Franzosen; seine Weigerung, den Prager Frieden zu unterzeichnen; seine Hochzeitspläne mit nicht-protestantischen Fürstinnen. Ackermann kam zu dem Schluss, dass Bernhard kein konfessioneller Vorkämpfer gewesen sei. Er wurde nach seinem Tod für die Dynastie dienstbar gemacht und als Kämpfer für den rechten Glauben in die Ahnengalerie eingereiht. Bernhard selbst habe keine Bekenntnisschrift hinterlassen, aber durch die mütterliche Prägung und die Personen, mit denen er sich umgab, sei es sehr wahrscheinlich, dass er sich dennoch als Lutheraner verstand.

Mit STEFAN GERBER (Jena) wurde die Betrachtung der Ernestiner in das 19. Jahrhundert verlagert. Gerber beleuchtete ernestinische Repräsentanten vor dem Hintergrund der Reformationserinnerung und fragte nach der Ausrichtung ihrer Bau- bzw. Restaurierungsprojekte: das Schloss „Zur Fröhlichen Wiederkunft“ in Wolfersdorf bei Stadtroda und die Wartburg in Eisenach. Zunächst stellte Gerber jedoch als Gegenmodell ein Denkmal vor, das durch bürgerliches Engagement in Jena errichtet wurde: die Statue Johann Friedrichs I. von Sachsen von Friedrich Drake (1858), das durch Spendengelder finanziert wurde. Joseph von Sachsen-Altenburg kritisierte das Jenaer Denkmal. Er selbst war geprägt von einer konservativen Frömmigkeit und hing monarchischen Konzepten an. Entsprechend ließ er ab 1847 das von Johann Friedrich erbaute Jagdschloss bei Stadtroda in einen den Kurfürsten verherrlichenden Erinnerungsort umbauen – mit Spenden herzoglicher Geldgeber. Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach nahm sich dagegen der Wartburg an und bildete hier einen authentischen, auratischen Ort der Erinnerung aus. Ziel war es, ein Museum für die Geschichte der Dynastie und für ganz Deutschland zu erbauen und dabei inhaltlich und stilistisch einen Bogen von einem idealisierten Mittelalter bis hin zur Weimarer Klassik zu schlagen. Es sind dies zwei Modelle monarchischer Reformationserinnerungen, die vor dem Hintergrund des bürgerlich-kirchlichen Einflusses zwischen einer monarchisch-dynastischen und bürgerlich-nationalen Ausrichtung changieren. Gerber betonte den Unterschied zwischen den beiden Modellen, der sich weitgehend darin äußert, wie bereit die Erbauer waren, bei Johann Friedrich bürgerliche Tugenden zuzulassen. Weiterführend wäre zu fragen, wie spezifisch sich eine Memorialstruktur bei anderen, nicht-ernestinischen Fürsten in dieser Zeit ausbildete.

In der abschließenden Diskussion wurde festgestellt, dass in allen Betrachtungen der Ernestiner das 18. Jahrhundert weitgehend ausgespart wird, weshalb Frau Westphal fragte, ob die Aufklärung und folgende Weimarer Klassik einen Bruch im Reformationsgedenken hervorgerufen hätten bzw. ob man überhaupt von einem Bruch sprechen könne. Herr Gehrt pflichtete ihr insofern bei, als dass er auch eine Lücke in der Sammlung von Reformationshandschriften in der Forschungsbibliothek sieht. Herr Gerber konstatierte einen Zusammenhang mit der „irenischen Zeittendenz“ im 18. Jahrhundert. Ein Bruch wurde vermutlich gar nicht so wahrgenommen. Dagmar Blaha (Weimar) erinnerte hingegen an die veränderte Einstellung zum Glauben. Das Bürgertum wollte eine Tradition begründen, wodurch das Reformationsgedenken zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder verstärkt auflebte. Herr Spehr ergänzte, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Transformation des Religiösen auszumachen sei. Mit der Aufklärung habe sich das Lutherbild vom Glaubensvorbild und Wiederentdecker des Evangeliums hin zum Repräsentanten von Freiheit und individuellen Gewissen gewandelt. Im 19. Jahrhundert werde Luther dann als deutscher Held stilisiert.

Der Workshop hat wiederum gezeigt, wie wichtig und produktiv der Austausch zwischen den unterschiedlichen Disziplinen hinsichtlich der vorhandenen Quellen, ihrer Auswertung und Bewertung ist. Die Ernestiner, deren Geschichte in der Thüringer Landesausstellung schlaglichtartig und wissenschaftlich fundiert für die breite Öffentlichkeit ausgebreitet wird, regte zu weiterführenden Diskussionen über den Rang und Einfluss der Dynastie, ihren Handlungsspielraum und ihr Wirken innerhalb der Reformationsforschung an. Forschungslücken wie die Einbandgestaltung oder auch das 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit den Ernestinern und ihrem Reformationsgedenken machten deutlich, dass das Netzwerk Reformationsforschung in Thüringen auch über 2017 hinaus eine Berechtigung haben wird.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch Thomas A. Seidel (Erfurt)

Einführung ins Thema Siegrid Westphal (Osnabrück)

Moderation: Christopher Spehr (Jena)

Karin Kolb (Weimar): „Die Ernestiner. Eine Einführung in die Ausstellung in Weimar“

Friedegund Freitag (Gotha): „Die Ernestiner. Eine Einführung in die Ausstellung in Gotha“

Andreas Dietmann (Jena): „Die Anfänge einer ernestinischen Schulpolitik“

Daniel Gehrt (Gotha): „Einbandgestaltung im Kontext ernestinischer Konfessionspolitik“

Astrid Ackermann (Jena): „Herzog Bernhard von Weimar (1604–1639) – ein Renegat?“

Stefan Gerber (Jena): „Reformationserinnerung als monarchisch-dynastisches oder bürgerlich-nationales 'Projekt'? Joseph von Sachsen-Altenburg und Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach“

Anmerkungen:
1 Friedegund Freitag / Karin Kolb (Hrsg.), Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa, Dresden 2016.
2 Siegrid Westphal / Hans-Werner Hahn / Georg Schmidt (Hrsg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln 2016; Werner Greiling u.a. (Hrsg.), Die Ernestiner. Politik, Kultur und gesellschaftlicher Wandel, Köln 2016.
3 Klassik Stiftung Weimar, Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa, <http://www.ernestiner2016.de> (26.10.2016).


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