HT 2016: Globaler Rausch. Das Projekt Pelz vom 15. bis in das 19. Jahrhundert

HT 2016: Globaler Rausch. Das Projekt Pelz vom 15. bis in das 19. Jahrhundert

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2016 - 23.09.2016
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Von
Ulla Kypta, Departement Geschichte, Allgemeine Geschichte des Mittelalters, Universität Basel

Die Sektion „Globaler Rausch. Das Projekt Pelz vom 15. bis in das 19. Jahrhundert“ nahm den Prozess unter die Lupe, der Pelz von einem Alltagsobjekt am Ort seines Vorkommens in ein Wunschobjekt verwandelte, das fern der Heimat der verarbeiteten Tiere das Begehren nicht nur adliger Schichten weckte. Auf Pelz, so die These der Sektion, gründete die höfische Konsumkultur des spätmittelalterlichen Westeuropa, die Kolonie New Netherland, die Wiener Berufsgruppe der Modisten wie die russische Eroberung Sibiriens. Der Pelzhandel kann so nicht nur als Folgeerscheinung, sondern auch als eine der Triebkräfte der Globalisierung gesehen werden. Erst im 20. Jahrhundert geriet der Pelzhandel als ressourcenvernichtend und tierfeindlich ins Zwielicht, das das Begehren nach Pelz überschattete.

Wie EVA BRUGGER (Basel) in ihrer Einführung darlegte, eignen sich Pelze besonders als Objekt einer Geschichte globalen Begehrens, weil die Nachfrage nach Pelz keinesfalls nur mit dem praktischen Bedürfnis nach warmer Kleidung erklärt werden kann. Vielmehr diente das Tragen von Pelz dazu, wirtschaftliche wie politische Potenz deutlich zur Schau zu stellen, soziale Distinktion zu untermauern. Deshalb geht die Verbreitung von Pelzen einerseits mit der Etablierung von Luxusordnungen einher: Pelz sollten eben nur die tragen können, die auch den sozialen Rang besaßen, den Pelz markierte. Andererseits wurde Pelz bis zur Unkenntlichkeit recycelt und konnte so auch zu ärmeren Gesellschaftsschichten vordringen. Diese Funktion als sozialer Marker konnte Pelz insbesondere dort einnehmen, wo er nicht herkam, denn in Russland, Kanada oder Sibirien galt Pelz als Alltagsgut und Währungsersatz. Das westeuropäische Begehren nach Pelz schuf Kontaktzonen zwischen Europäern und Indigenen, schuf und festigte Verbindungen von Europa nach Sibirien wie nach Nordamerika und wurde somit zum Katalysator des globalen Handels. Um die Veränderungen zu erfassen, die der Pelzhandel auslöste, schlug Eva Brugger das Konzept des Projekts vor. Angelehnt an Daniel Defoe soll ein Projekt dabei ein geplantes Vorhaben bezeichnen, das neuartig und innovativ gedacht ist. Ein Projekt heißt nur solange Projekt, wie es nicht abgeschlossen ist. Deshalb entfällt der Zwang zu beurteilen, ob ein Projekt scheiterte oder Erfolg zeitigte. Das Begehren nach Pelz initiierte solche Projekte, wie die folgenden Beiträge ausführten.

ANJA RATHMANN-LUTZ (Basel) zeichnete den Weg nach, den Felle aus Russland an die westeuropäischen Höfe des späten Mittelalters fanden. Aus der Währung in Russland wurden die Waren der Hansekaufleute und schließlich die Wunschobjekte des westeuropäischen Adels, dessen zeremonielle Roben aus Pelz Macht und Ehre symbolisieren sollten. Anja Rathmann-Lutz legte den Fokus auf Eichhörnchenfelle, die vor Marder- und Biberfellen in der größten Zahl aus Russland exportiert wurden. Die Eichhörnchenfelle gelangten meist unverarbeitet auf den westlichen Markt und wurden dort von Hofbeamten oder direkt von Kürschnern angekauft. Kürschner und Händler verkauften die fertigen oder halbfertigen Kleidungsstücke auf Messen, Märkten oder im blühenden Secondhand-Handel. Getragene Pelze wurden weiterverkauft oder an Bedienstete oder Bedürftige weitergegeben. Die Pelzkleidung bei Hof veränderte sich mit den Schwankungen der Mode. Neue Arten von Kleidungsstücken ließen den Fellaufwand pro Stück im Laufe des 14. Jahrhunderts um 300% Prozent steigen. Die symbolische Funktion des Pelzes als Marker für einen besonderen sozialen Stand blieb somit erhalten. Entsprechend diente Pelz auch als Brautgabe oder als Geschenk für zukünftige Mitglieder einer adligen Familie: Pelz markierte soziale Zugehörigkeit. Zur „dress-literacy“ (U. Rublack)1 gehörte auch, den richtigen Pelz zu tragen: Gegen Ende des Mittelalters kamen Eichhörnchen außer Mode, stattdessen kleidete man sich in Zobelpelze.

Eva Brugger unterfütterte die Ausführungen zum Projektbegriff, die sie in der Einführung dargelegt hatte, mit dem Fallbeispiel der Kolonie New Netherland. Sie berichtete zunächst von Henry Hudsons Projekt, die Nordwestpassage zu finden. Stattdessen entdeckte er einen natürlichen Hafen und ein Angebot an Pelzen, das ein neues Projekt anstieß, nämlich die Gründung von New Amsterdam, dem späteren New York. Die Besiedlung sollte helfen, Angebot in Nordamerika und Nachfrage in Europa zusammenzubringen. Um den Austausch von Waffen, Schießpulver, Eisen, auch Tabak, Zucker und Sklaven gegen die begehrten Pelze beständig am Laufen zu halten, reichte die Ansiedlung immer neuer Siedler aus Europa allerdings nicht aus. So entstand das nächste Projekt, die Westindienkompagnie, die gegründet wurde, um die Siedlung wirtschaftlich zu stabilisieren. Auf dieser Grundlage blühte der Handel insbesondere mit Biberpelzen. Die bearbeiteten Pelze wurden von Indigenen in die Handelsstützpunkte gebracht und dort von europäischen Händlern aufgekauft. Die Interessen der Indigenen, der europäischen Händler und europäische Konsumenten beeinflussten Angebot und Nachfrage nach Pelzen und somit die Geschichte der Kolonie New Netherland und der westindischen Handelskompagnie. Als Projektgeschichte lässt sich deren Schicksal erzählen, ohne sich für eine Interpretation als Erfolgs- oder Niedergangsgeschichte entscheiden zu müssen.

Anschließend wendete VERONIKA HYDEN-HANSCHO (Wien) den Blick wieder zurück auf die europäischen Absatzmärkte. Sie erzählte die Geschichte der französischen Biberhüte. Diese Dreispitze waren im 17./18. Jahrhundert ein must-have der europäischen Elite am Hof, in Militär und Administration. Auch hier zeigte sich die doppelte Erscheinungsform der Pelze als soziales Distinktionsmerkmal wie – in recycelter Form – als Konsumgut auch für ärmere Bevölkerungsschichten. Einerseits waren Biberhüte viermal so teuer wie einfache Hüte und somit ein Luxusartikel, andererseits wurden sie über den Gebrauchtwarenhandel in weniger zahlungskräftige Schichten verbreitet. Neben den Biberpelzen vor allem aus Kanada wurde auch das Fell der Vikunja, einer südamerikanischen Kamelart, verarbeitet. Die traditionell zünftisch orientierten Wiener Hutmacher konnten auf diese neuen Trends kaum reagieren. Französische und italienische Hutmacher siedelten sich in Wien an, konnten als Hofhutmacher die zünftischen Regulierungen umgehen und so den Hauptumsatz des Hutgewerbes an sich ziehen. Die Wiener Hutmacher reagierten darauf nicht, indem sie sich das Know-How der italienischen und französischen Konkurrenz aneigneten. Stattdessen gewannen neue Gewerbe an Prominenz, nämlich die Hutstepper und Modisten, die halbfertige Hüte ankauften, sie färbten, mit Applikationen oder Straußenfedern verfeinerten und wieder verkauften. Die Globalisierung restrukturierte in diesem Bereich das Wiener Gewerbe: An die Stelle des produzierenden trat das weiterverarbeitende und verkaufende Gewerbe.

In JÖRN HAPPELs (Basel) Vortrag stand die dunkle Seite des Begehrens nach Pelz im Vordergrund. Als in der Frühen Neuzeit die Pelzvorkommen im europäischen Teil Russlands zu Ende gingen, rückte Sibirien in den Fokus der Pelzhändler. Zobel und Eichhörnchen machten Sibirien zum begehrten Land. Der Zobel habe, so zitierte Jörn Happel die Forschung, die Eroberung Sibiriens nicht nur angestoßen, sondern zugleich finanziert. Die Pelzhändler nahmen dabei weder auf Grenzen noch auf die indigene Bevölkerung Rücksicht. Die Eroberer behandelten Pelze wie Luxusartikel, was das indigene Warengefüge durcheinanderbrachte, in dem Pelze lediglich den Status von Alltagsgegenständen eingenommen hatten. An Stelle des ehrenden Andenkens, das laut indigener Tradition den getöteten Tieren gewährt werden musste, blieb den Bewohnern Sibiriens nur der für die Pelze eingetauschte Alkohol. Als der Zar schließlich eine Pelzsteuer erhob, mussten die Pelze ohne Gegenleistung in immer höherer Zahl abgegeben werden. Sibirienreisenden des 18. Jahrhunderts fiel auf, dass ein solches Vorgehen nicht nachhaltig sein konnte: Wie zum Beispiel Georg Wilhelm Steller mahnte, würde der Zobelnachschub versiegen, wenn man nicht mehr auf Menschen, Tiere um Umwelt achte. Solche Appelle verfingen auf offizieller Seite allerdings nicht, erst im frühen 20. Jahrhundert unterzeichnete Russland das erste Tierschutzabkommen.

HEINRICH LANG (Bamberg) ging in seinem Kommentar zunächst auf den Projektbegriff ein. Er stellte eine mögliche negative Konnotation heraus, die bei der Diskussion um Projekte zu berücksichtigen sei: So charakterisiert zum Beispiel Zedlers Universal-Lexikon Projektemacher als Betrüger, deren falschen Versprechungen kein Glauben zu schenken sei. Zudem strich er noch einmal die verschiedenen Funktionen von Pelz als Luxus- und Konsumgut wie als sozialer Marker mit symbolischer Funktion heraus. Die starken konjunkturellen Schwankungen des Pelzhandels hängen mit diesen verschiedenen Funktionen zusammen und könnten daher noch genauer untersucht werden. Das Ziel der Gründer der Hudson’s Bay Company, andere Wettbewerber aus dem Pelzmarkt zu verdrängen, ging zwar auf, da jedoch die Beschaffungskosten für Pelz sehr hoch lagen, ließen sich die Gewinne trotzdem nicht in dem Masse steigern, das die Investoren sich erhofft hatten.

Insbesondere die Frage nach dem Projektbegriff wurde in der Diskussion ebenfalls aufgegriffen. Eva Brugger konturierte genauer, dass ein Projekt im Sinne von Defoe dem Gemeinwohl dienen müsse und außerdem stets vorläufig sei. Die Kolonie New Netherland sei insofern nur solange ein Projekt, bis sie mit Hilfe der Gründung der westindischen Handelskompagnie stabilisiert worden sei. Außerdem wurde diskutiert, wer die Kosten eines Projekts trage und ob Projekte nur solange Attraktivität besaßen, bis staatliche Aktivitäten im 18./19. Jahrhundert an die Stelle der Projektemacherei traten. Die Sektion bereicherte die geschichtswissenschaftliche Diskussion also um das Konzept des Projekts, einer aus der Quellensprache des 17./18. Jahrhunderts entwickelten Analysekategorie, die eine interessante Perspektive für alle Studien darstellen dürfte, die Planungen und Ideen erforschen wollen, ohne sich in Teleologien oder retrospektiven Urteilen über Erfolg oder Misserfolg zu verfangen. Zugleich demonstrierten die RednerInnen eindrücklich, wie anhand eines konkreten Objekts die Geschichte der Globalisierung epochenübergreifend und weltumspannend erzählt werden kann.

Sektionsübersicht:

Eva Brugger (Basel): Einführung

Anja Rathmann-Lutz (Basel): Währung, Ware, Wunschobjekt. Felle zwischen Markt und Hof im 14. und 15. Jahrhundert

Eva Brugger (Basel): Transatlantisches Begehren. Biberpelz und die Krone New Netherland (1609-1664)

Veronika Hyden-Hanscho (Wien): Biber und Vikunja: Globale Rohstoffe für die europäische Hutproduktion am Beispiel Wiens im 17. und 18. Jahrhundert

Jörn Happel (Basel): Pelzrausch. Sibirien in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts

Heinrich Lang (Bamberg): Kommentar

Anmerkung:
1 Ulinka Rublack, Dressing up. Cultural identity in Renaissance Europe, Oxford u.a. 2010.


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