Werte und Symbole im frühneuzeitlichen Rom

Werte und Symbole im frühneuzeitlichen Rom

Organisatoren
Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Sonderforschungsbereich 496: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution; Teilprojekt B6: Päpstliches Zeremoniell in der Frühen Neuzeit)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.01.2005 - 29.01.2005
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Von
Nicole Reinhardt, Centre de recherches historiques/EHESS

Der Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 befasst sich mit dem Verhältnis von symbolischer Kommunikation und zugrundeliegenden Wertesystemen. Die Dechiffrierung symbolischer Kommunikationsformen soll Aufschluss geben über das Verhältnis von Dauer und Wandel gesellschaftlicher Wertesysteme. Der Teilbereich B6 untersucht in diesem Zusammenhang das päpstliche Zeremoniell von 1563-1789 in der Spannung von höfischer Repräsentation, theologischem Anspruch und liturgischer Symbolik, welche die besonders komplexe römische Welt des „heiligen Hofes“ kennzeichnen. Wie Norm und zeremonielle Performanz sich zu einander verhalten, soll einerseits durch die Erschließung normativer Quellen (Diarium des päpstlichen Zeremonienmeisters) und andererseits durch die Dechiffrierung der ästhetischen und pragmatischen Umsetzung anhand der Akten der Zeremoniarkongregation beantwortet werden. Zur Kontextualisierung der projektierten Ansätze waren in Münster Repräsentanten der seit einigen Jahren neu belebten frühneuzeitlichen Romforschung geladen, die ihre Forschungsergebnisse vorstellten und zur Diskussion stellten.

Wie Hubert Wolf (Münster) in seinem einleitenden Vortrag feststellte, durchlief die Romforschung seit den 1970er Jahren einen grundlegenden Wandel. Nach einer Epoche der konfessionellen Standortgebundenheit, die mit den Namen Ranke und Pastor verbunden ist, richtete sich infolge der wegweisenden Arbeiten von Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard der Blick auf die politischen und sozialen Aspekte des Papstgeschichte, wodurch diese einerseits in die gesamteuropäische Geschichte der Modernisierung und Rationalisierung eingeordnet wurde (Prodi) und andererseits die sozialen Mechanismen von Herrschaft durch Verflechtung (Reinhard) sichtbar gemacht wurden. Zuletzt kam auch eine kunsthistorische Dimension hinzu, die gegenwärtig mit dem „Requiem-Projekt“ (H. Bredekamp, Humboldt-Universität Berlin und V. Reinhardt, Fribourg) neue Akzente setzt. Dies führte zwar zu einer „Entmoralisierung“ des Forschungsfeldes, doch wurden zugleich theologie- und kirchengeschichtliche Fragestellungen vernachlässigt, auch weil sich Theologen und Kirchenhistoriker kaum an der sozial- und politikhistorischen Debatte beteiligten. Diesen abgebrochenen Gesprächsfaden zwischen den Disziplinen wiederaufzugreifen, die theologischen und kulturhistorischen Dimensionen wieder in die Romforschung zu integrieren und so die Frage nach der impliziten Theologie der nach-tridentinischen päpstlichen Selbstdarstellung in Zeremoniell und Ritual zu entschlüsseln, sei auch ein Anliegen des SFB, wobei auf der Tagung selbst vor allem die Vertreter der von Wolf benannten sozial- und kunsthistorischen Romforschung zu Wort kamen. Schon beim gegenwärtigen Forschungsstand sei erkennbar, dass die Kurie keineswegs monolithisch, sondern von Normen- Wertekonflikten durchzogen gewesen sei, welche u.U. die besondere Produktivität Roms im Bereich der symbolischen Kommunikation begründe.

Paolo Prodi (Bologna) merkte hierauf einleitend kurz an, dass eine Besonderheit der symbolischen Kommunikation – insbesondere im römischen Kontext – gerade darin liege, vergangene und „abgelaufene“ Inhalte zum Ausdruck zu bringen, was eine chronologische Interpretation von Zeremoniell und Ritual erschwere. Symbole überdauerten ihre Entstehungszeit, wie auch an den von Prodi näher beleuchteten Vorstellungen der vier „figurae“ des Papstes deutlich wurde: Spitze der Weltkirche, Patriarch des Westens, Bischof von Rom und weltlicher Fürst des Kirchenstaats. Prodi zeigte die Entwicklung dieser unterschiedlichen Rollen, ihr Verblassen und ihre Reaktivierung bis in die jüngste Zeit nach, wobei er auch einen Ausblick wagte auf die Folgen der jüngsten Änderungen, welche die tausendjährige Kirchenstruktur und die Position des Papsttums in Frage stellen. Nach der Aufgabe des Anspruchs direkter Herrschaft über die Mitglieder der Christenheit nach dem Konzil von Trient habe die Kurie zunehmend das Prinzip klerikaler Hierarchie gegenüber den Laien betont und die Produktion ethischer Normen in Parallelität und Konkurrenz zu staatlichen Normen in den Mittelpunkt gestellt. Die anschließende Diskussion thematisierte vor allem die Fragen der Darstellbarkeit der von Prodi genannten „personae“ sowie die Bedeutung des staatlichen Charakters der Kirche für das Verhältnis von Symbol und Symbolisiertem.

Wolfgang Reinhard (Freiburg) ging in seinem Vortrag „Symbol und Performanz zwischen kurialer Mikropolitik und kosmischer Ordnung“ dem römischen Normenkonflikt zwischen „pietas“ und Gemeinwohl und ihrer performativen Umsetzung nach. Nicht-sprachliche Symbole aber auch Ritual und Zeremoniell wirkten hier, so Reinhard, vornehmlich auf einer vorargumentativen Ebene, die eine Kommunikationsform darstellten, die durch Standardisierung und Ausschaltung von Spontaneität und Vernunft, Ordnung in Form festgelegter Handlungsketten generierten und Verhaltenserwartungen stifteten. Letztlich käme der symbolischen Kommunikation die Rolle der Domestizierung und Beherrschung des Sakralen, der Veralltäglichung der Transzendenz zu. Zeremoniell und Ritual vermittelten dabei die Richtigkeit des Weltbildes und veranschaulichten die „pietas“ als kosmisches Ordnungsprinzip. In der anschließenden Diskussion hob Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) hervor, dass dieser Entwurf letztlich eine langfristig subversive Entwicklung zulasse, da die im symbolischen Handeln ausgedrückte Einheit des Handelns die Einheit des Glaubens überflüssig mache, sich hinter dem normkonformen Handeln innere Distanz und Unglauben verbergen können. Hiergegen unterstrich Reinhard, dass die ritualisierte Handlung der Verstärkung des Glaubens und des transportierten Inhalts diene. Gerd Althoff (Münster) wandte sich gegen das Reinhardsche Verständnis des „unreflektierten“ Ritualvollzugs. Insbesondere Rechtsrituale seien keineswegs vorargumentativ, sondern hoch bewusste (Ver)-Handlungen.

Mit dem Vortrag von Volker Reinhardt (Fribourg) wurden unter dem Titel „Normenvielfalt, Normenkonkurrenz, Normenkonflikt im frühneuzeitlichen Rom. Debatten, Symbole, Propaganda“ die am Vortrag schon aufgeworfenen Fragen vertieft. Ausgehend vom Borgia-Pontifikat als „negativem Höhepunkt“ des bewussten Normenbruchs bzw. der Normabweichung stellte Reinhardt fest, dass Abweichungen für die Stabilisierung von Normsystemen unverzichtbar seien. So trage die Stigmatisierung des „Normabweichlers“ Alexander VI. geradezu ritualisierte Züge, welche die Artikulation anderer Normvorstellungen erst ermögliche. Er betonte, dass das Rom der frühen Neuzeit von einer tiefgehenden Normenvielfalt, ja einer Normenkonkurrenz gekennzeichnet gewesen sei, die sich in einem ständigen Pendelschlag zwischen Normabweichung und anschließender Normwiedereinsetzung äußerte. Ein intensiver Normenkonflikt sei in der Handhabung und Rechtfertigung des Nepotismus nachweisbar. Diese Zerrissenheit konnte nur durch die Einsetzung von Beschwichtigungsriten, von „Überwölbungsnormen“, die den Soll- und den Ist-Zustand verbanden, gelebt werden. Die römische Normenkonkurrenz kristallisierte sich immer wieder in positiven Leitpontifikaten, aber auch in spezifischen Distanzierungsgesten, mit denen sich rigoristische Kleriker von der „normverletzenden“ Realpolitik abzusetzen wussten.

Am Beispiel der Ludovisi und Borghese führte Arne Karsten (Berlin) konkurrierende Strategien der Förderuung von Ordengemeinschaften durch die Papstfamilien Borghese und Ludovisi vor. Im Gegensatz zur wenig stringenten Politik der Borghese, gelang den Ludovisi hier eine konsequente, auf den Jesuitenorden konzentrierte Selbstdarstellung, welche die nicht weniger energische Familienförderung begleitete und somit symbolhaft überhöhte und rechtfertigte.

In ihrem Vortrag „Rangordnungen der Orthodoxie? Zum Gesandtschaftszeremoniell am päpstlichen Hof“ thematisierte Julia Zunckel (Genua) den Anspruch päpstlicher Deutungshoheit und die dahinter liegenden Wertekonflikte, welche das römische soziale Leben im 17. Jahrhundert durchzogen. Die internationalen Spannungen zwischen Frankreich und Spanien führten zu Präzedenzstreitigkeiten, in denen der Rangordnung in der päpstlichen Kapelle ordnungsstiftende Funktion zukam. Dieser Anspruch wurde durch die sich verschärfenden Konflikte, in denen Spanien seine Suprematie von seiner religiösen Orthodoxie ableitete, sowie die politische Schwächung des Papsttums andererseits, zunehmend hinfällig. Die ganze Ohnmacht der päpstlichen Ordnungsansprüche zeigte sich schliesslich in der gescheiterten Durchsetzung des republikanisch egalitär konzipierten Kardinaldekrets Urbans VIII. Die Tragweite der Konflikte und der zugrundeliegenden Wertvorstellungen sei von der historischen Forschung bislang nur unzureichend in den Blick genommen worden und harre noch der eingehenden Untersuchung in den Archiven der Ritenkongregation.

Wie die konkurrierende Normvorstellungen sich in der Reform des päpstlichen Wahlzeremoniells niederschlugen und auswirkten, stand unter dem Titel „Vorsehung und Verflechtung: Theologie und Mikropolitik im Konklavezeremoniell Gregors XV.“ im Zentrum der Ausführungen Günther Wassilowskys (Münster). Nach allgemeinen Anmerkungen zur semiotischen Kodierung, welche die Papsttod und Sedisvakanz begleiteten, konzentrierte er sich auf die Verfahren zur Ermittlung des neuen Papstes im Konklave. Die Isolation der Konklavemitglieder sollte durch Verfahrensautonomie die Ergebnislegitimität sicherstellen. Gerade an der Ergebnislegitimität hakten jedoch Kritiker des Anfang des 16. Jahrhunderts eingeführten Adorationswahl ein, da diese in ihren Augen in erster Linie Klientelnetzwerke mobilisierte und durch den Gruppendruck „Dissimulation“ und Heuchelei beförderte. Die von Gregor XV. durchgesetzte Reform des Papstwahlverfahrens, das nunmehr auf einem komplexen, geheimen Scrutinium beruhte, wurde denn auch mit einer Überordnung des Gemeinwohls über persönliche Verpflichtungen begründet. Wie Wassilowsky feststellte, bedeutete die Wahlreform eine Installation neuer Wertekomplexe, welche durch „Entflechtung“ eine neue „Gewissensbindung“ durchsetzten. Hierdurch seien neue religiös-politische Legitimationsmuster installiert worden, die im Umkreis der „Zelanti“ und im Kontext des Gnadenstreits zu verorten seien. Unklar sei jedoch, ob die Änderung des Wahlverfahrens die deutliche Verlängerung der Konklave nach 1623 verursacht habe. In der regen Diskussion wies V. Reinhardt darauf hin, dass es sich bei der Wahlreform um eine Verinnerlichungsleistung und Selbstdisziplinierung handle, während W. Reinhard die komplette Entflechtung durch das Scrutinium in Frage stellte. Barbara Stollberg-Rilinger hingegen verwies darauf, dass es sich hier um die Ersetzung eines Rituals (Adoratio) durch ein Verfahren (Scrutinium) handle.

„Rituale der Papstkrönung“ untersuchte Birgit Emich (Freiburg i. Br.), wobei sie sich vornehmlich auf den „Possesso“-Umzug des Papstes vom Vatikan zum Lateran konzentrierte. Anhand zeitgenössischer Stiche und Beschreibungen illustrierte sie, wie Landsmannschaft, Patronage, Freundschaft und Nepotismus in diesem Zeremoniell, das keinerlei kirchliche Elemente enthielt, dargestellt wurden. Insbesondere die Frage der Darstellbarkeit des Nepotismus stand hierbei im Zentrum. Zwar waren Nepoten von Vorgängerpontifikaten immer im Possesso präsent, doch ordneten sie sich bezeichnenderweise in die Reihen des römischen Adels ein; gleichzeitig war die Symbolsprache des Zeremoniells insgesamt meritokratisch angelegt. Die besondere „Schwerkraft der zeremoniellen Struktur“, die nur langsame Veränderungen zuließ, artikulierte zwar durchweg die legitime Norm des Nepotismus, ließ aber auch allmähliche Umorientierung und Distanzierung (z. B. durch Aufschub und Reduktion von Pomp) zu.

In der Abschlussdiskussion thematisierte Barbara Stollberg-Rilinger nochmals grundsätzlich den Normbegriff. Es sei in den Vorträgen deutlich geworden, dass Normen größtenteils kontrafaktisch stabilisiert würden, wobei Symbolen die Funktion der Normstabilisierung und –visualisierung zukomme. So würden einerseits Brüche überbrückt und zugleich die Norm in ritualisierten Formen aktualisiert. Ob dauernder Normbruch hingegen nicht die Aufhebung oder Aufweichung der Norm selbst bedeute, sei besonders angesichts der von V. Reinhardt gemachten Ausführungen fraglich. Gerd Althoff bekräftigte, dass er durch die Tagungsbeiträge grundsätzlich die Ansätze des SFB bestätigt sehe. Zeremoniell und Ritual stifteten Ordnung, seien verhandelbar und begründeten in die Zukunft gerichtete Verpflichtungen. V. Reinhardt präzisierte in Antwort auf die Anmerkungen von Stollberg-Rilinger die Geltung von Normen in drei konzentrischen Kreisen: im Kern stehe die Idealnorm; der Bereich des „Akzeptablen“ und des „Tolerierbaren“ stellten noch die Norm selbst und nicht ihre Entwertung dar. W. Reinhard meldete Widerspruch gegen die von Althoff behauptete „Verhandelbarkeit“ von Ritualen an. Die Bedeutung des Rituals liege vielmehr im nicht hinterfragten „Automatismus“, in der Einübung von Verhalten. Dabei ersetze das Ritual nicht den Glauben an die zum Ausdruck gebrachten Normen, sondern sei selbst durch seine Performanz Ausdruck der Norm und vertiefe und bekräftige diese („Glauben durch Handeln“). Im Blick auf die auf der Tagung immer wieder aufgeworfene Frage, inwieweit der Nepotismus zu den verschleierten oder aktualisierten Normen gehöre, betonte er, dass der Nepotismus zu den durch die „pietas“ normierten Bereichen gehört, zugleich aber in Konkurrenz zum älteren Normbereich des päpstlichen Amtsverständnisses gestanden habe.

Als Fazit des Kolloquiums kann festgehalten werden, dass von einer Verbindung der sozialhistorischen Romforschung mit theologie- und kirchengeschichtlichen Fragestellungen neue und vielversprechende Anregungen für die Erschließung symbolischer Kommunikationsformen im allgemeinen sowie für die frühneuzeitliche Geschichte Italiens und des nachtridentinischen Katholizismus überhaupt zu erwarten sind. Die Zusammenführung beider Stränge dürfte zum einen die Erschließung bislang ungehobener Quellenbestände nach sich ziehen und zum anderen das Verständnis der geistigen und kulturellen Fundamente des römischen Gesellschafts- und Sozialsystems auf neue Grundlagen stellen. Am „Modell Rom“, so wurde schon während der regen Diskussionen in Münster deutlich, lassen sich die Beiträge und Fragestellungen unterschiedlicher Disziplinen aufs fruchtbarste verbinden. Insbesondere für das bislang vernachlässigte 18. Jahrhundert, das historisch gerne als Epoche der „Säkularisierung“ und „Aufklärung“ verbucht wird, dürfte der Blick auf die Parallelität oder Diskrepanz theologischer, sozialer und geistesgeschichtlicher Entwicklungen neue Akzente setzen und das Verständnis für die Veränderung der alteuropäischen Wertesysteme und Mentalitäten erhöhen.


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