Konfession und Nation. Zur "zweiten Konfessionalisierung" im polnischen Raum

Konfession und Nation. Zur "zweiten Konfessionalisierung" im polnischen Raum

Organisatoren
Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen
Ort
Gersfeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2004 - 07.11.2004
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Von
Markus Krzoska, Mainz

Die Rückkehr der Religion in die Geschichtswissenschaft ist in aller Munde. Galten vor wenigen Jahren noch Historiker als rückständig, die sich mit ihrer Rolle im Leben der Menschen beschäftigten, so finden sich nun gestützt durch neue methodologische Herangehensweisen, die mit der klassischen biederen Kirchengeschichte alter Prägung nur noch wenig zu tun haben, immer neue Ansätze für eine tiefer gehende Erforschung religiöser und konfessioneller Phänomene.
Vor diesem Hintergrund widmete sich die Jahrestagung der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen, die vom 5. bis 7. November 2004 in Gersfeld (Rhön) stattfand, der Rolle von Konfessionen im modernen Nationalstaat.

In seinem Einführungsvortrag ging der scheidende Kommissionsvorsitzende Wolfgang Kessler (Herne) am Beispiel der Entwicklung in den Teilungsgebieten Polens und im südslavischen Raum unter anderem der Frage nach, ob man das von Olaf Blaschke aufgeworfene Schlagwort der „Zweiten Konfessionalisierung“ im 19. Jahrhundert auch auf die behandelten Regionen übertragen könne bzw. inwieweit das daraus entwickelte Konzept für die zukünftige Forschung wirklich tragfähig sein wird. Dabei hob er einige Punkte hervor: die konfessionell motivierte politische Spaltung der Nationsgesellschaft mit Auswirkungen auf Kultur und Historiographie zum Beispiel in Ungarn oder Preußen, die Zusammenhänge von politischer Emanzipation, moderner Nationsbildung und Konfessionalität in den historisch polnischen Gebieten sowie die Tatsache, dass durch die soziale Entwicklung – politische Emanzipation, Demokratisierung und Nationalisierung der Gesellschaft in unterschiedlichem Maße in den Teilungsgebieten – die organisierte Konfession seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als staatstragendes oder als staatsfernes Element neue Qualität erlangt hatte: staatstragend bei der Orthodoxie im Königreich Polen, dem Protestantismus in Posen und Westpreußen sowie dem Katholizismus in Galizien, staatsfern beim Katholizismus in Preußen und im Königreich Polen usw. Ein endgültiges Urteil über den Begriff „zweite Konfessionalisierung“ könne man noch nicht fällen. Trotz aller Zweifel habe das Konzept eine Reihe wichtiger Fragen aufgeworfen, die für die jeweiligen Regionen nun en détail erforscht werden müssten.

Stefan Dyroff (Frankfurt/Oder) untersuchte in seinem sehr anschaulichen und mit zahlreichen Fotografien unterlegten Vortrag die Entwicklung des christlichen Kirchenbaus in der Provinz Posen von Ende des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf dem westlichen Kujawien. Dabei konnte er zeigen, dass allzu stereotype Vorstellungen vom deutsch-polnischen Konflikt als evangelisch-katholischer Auseinandersetzung der historischen Realität nicht gerecht werden. Vor allem in der Frühphase stellte es demnach keine Besonderheit da, dass ein katholischer Architekt eine evangelische Kirche plante oder ein deutscher Baumeister mitten in einer nationalpolnischen Umgebung tätig war. Es zeigte sich, dass die jeweiligen lokalen Verhältnisse immer genau unter die Lupe genommen werden müssen, was jeder Form von Theoriebildung natürlich nicht unbedingt entgegenkommt. Immerhin legte sich der Referent auf die These fest, dass der Wille zur konfessionellen und nationalen Unterscheidung in der Architektur erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sichtbar wurde, bevor er dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts manifest wurde. Am Beispiel führender Architekten wie Oskar Hossfeld und Roger Sławski stellte Dyroff dar, wie sehr die Entwicklung in der peripheren Region in gesamtstaatliche und -nationale architektonische Diskurse der Vergangenheit wie der Gegenwart einbezogen war.

Wolfgang Daniel Engeldinger (Frankfurt/Oder / Berlin) stellte einen Teil seiner im Entstehen begriffenen Dissertation über deutsche und polnische Intellektuelle in der Provinz Posen vor und widmete sich dabei dem Theologen Martin Rade (1857-1940) und der Zeitschrift „Christliche Welt“ in den Jahren 1902 bis 1914. Die 1886 gegründete Zeitschrift, die sich an Nichttheologen wandte und die Kluft zwischen gebildetem Bürgertum und Kirche, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in verschärftem Maße aufgetan hatte, aufheben wollte, beschäftigte sich u.a. auch mit der polnischen Frage. Der Referent erläuterte das theologisch-politische Netzwerk Rades, das aus zahlreichen bekannten Personen bestand, unter anderem Friedrich Naumann und Adolf von Harnack, jedoch zugleich keineswegs frei von persönlichen und weltanschaulichen Konflikten war. Im Unterschied etwa zum Verhältnis Rades gegenüber Türken und Armeniern oder Dänen ist seine Haltung den Polen gegenüber bisher nicht untersucht worden, weswegen die spezifische Situation im Posener Land, die für Rade auch wegen seiner eigenen beruflichen Pläne und deren nur schleppender Umsetzung wichtig war, von größerer Bedeutung für sein Gesamtwerk sein kann.

Eligiusz Janus (Marburg) wandte sich in seinem Vortrag der Frage zu, ob es in der Provinz Posen ein deutsches katholisches Milieu gegeben habe. Nach einer einleitenden Definition des Begriffes Milieu als durch kollektiver Sinndeutung organisierter gesellschaftlicher Großgruppen skizzierte er in der Forschung verwendete verschiedene Formen von Konflikten, die er für das Untersuchungsgebiet um den Aspekt des Konfliktes des Staates mit seinen nationalen Minderheiten erweiterte. Als Ergebnis verwies Janus auf die überraschenden Parallelen zwischen den Entwicklungen etwa in Westfalen und in Posen in Bezug auf die großen Konflikte des 19. Jahrhunderts wie den Mischehenstreit und den Kulturkampf. Was die Frage der Organisiertheit der Posener deutschen Katholiken angeht, untersuchte der Referent anschließend deren Vereinswesen, vor allem anhand von Berichten in einschlägigen Zeitschriften. Dabei betonte er die Absicht der Kirchengremien, nicht nur möglichst viele Katholiken als Mitglieder zu gewinnen, sondern auch möglichst viele ihrer Lebensbereiche durch Vereinsaktivitäten abzudecken. Als Ergebnis sah Janus in diesem Zusammenhang die zunehmende Annäherung der deutschen Katholiken an den preußischen Staat, der die steigende Bereitschaft zur Loyalität nach Ende des Kulturkampfs durch eine Reihe von Zuschüssen immer mehr erleichterte. So sei es durchaus vorgekommen, dass bei Vereinssitzungen neben der „Papsthymne“ auch die deutsche Nationalhymne gesungen worden sei. Inwieweit solche Fälle eine Ausnahme darstellten oder die Regel waren, müsste die weitere Forschung noch klären, sofern dies aufgrund der Quellenlage überhaupt möglich ist. Am Ende entstanden in der Provinz Posen die Grundzüge eines eigenen Milieus, das sich durch dreifache Abschottung nach außen definierte: konfessionell gegenüber Protestanten und Juden, ideologisch gegenüber den Sozialisten und national gegenüber den Polen, wenngleich diese Trennung im Alltag nicht immer durchgehalten wurde.

Zum Abschluss wandte sich noch einmal Wolfgang Kessler der wohl umstrittensten Figur des polnischen Protestantismus der Jahre bis 1939, dem evangelisch-augsburgischen Bischof Juliusz Bursche (1862-1942) und seiner Rolle im Konflikt zwischen deutschen und polnischen Protestanten in der Zeit zwischen den Weltkriegen zu. Dabei betonte er im Unterschied zu älteren deutschen Positionen, die sich in einigen kirchlichen und nationalen Kreisen bis weit nach 1945 gehalten haben, dass Bursche nach 1919 keine Alternative zu einer bewusst propolnischen Haltung gehabt habe, wollte er den polnischen Evangelikalismus nicht dem Verdacht der Staatsfeindlichkeit aussetzen. Eine Annäherung an die – antipolnischen – deutschen Kirchenkreise war somit nicht möglich. Kessler betonte zudem, dass man in Zukunft sowohl die Positionen des Bischofs wie die seiner Gegner stärker kontextualisieren müsse, um sie von rein persönlichen Schablonen zu befreien.

Vor dem Hintergrund dieser Vorträge wurde deutlich, dass in vielen Bereichen, die das Thema Religion und Nation betreffen, für die Geschichte der Deutschen in Polen noch hoher Forschungsbedarf besteht, obwohl sich die ältere Forschung gerade mit kirchlichen Fragen eingehend beschäftigt hat. Ihr gelang es jedoch häufig nicht, die eigene Rolle hierbei zu hinterfragen und nationale Grenzen zu überwinden. In einigen Themenfeldern böte dabei die Quellenlage durchaus Spielraum für eine neue, häufig zweisprachige Wissenschaftlergeneration. Wichtige Ansätze hierfür hat die Tagung jedenfalls geliefert.


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Deutsch
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