Transition and Transformation: China in the Twentieth Century

Transition and Transformation: China in the Twentieth Century

Organisatoren
Hoover Institution on War, Revolution, and Peace; Freie Universität Berlin
Ort
Palo Alto
Land
United States
Vom - Bis
01.08.2016 - 10.08.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Suy Lan Hopmann, SFB 700 „Regieren in Räumen begrenzter Staatlichkeit“, Freie Universität Berlin

Zum vierten Mal hielt die Hoover Institution on War, Revolution, and Peace ihren jährlichen Workshop zu Themen rund um China ab. Die Hoover Institution besitzt umfangreiche Sammlungen zum Gründer Herbert Hoover, ehemaliger Präsident der USA, zum Ersten und Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg. Regionale Schwerpunkte liegen bei den USA, der ehemaligen Sowjetunion und dem China des 20. Jahrhunderts. Erstmalig wurde der Workshop im Jahr 2016 in Kooperation mit der Freien Universität Berlin veranstaltet. Schwerpunkt der Tagung „Transition and Transformation: China in the Twentieth Century“ waren wirtschaftliche Aspekte der Geschichte Chinas seit 1900.

POSHEK FU (University of Illinois at Urbana-Champaign) eröffnete den Workshop mit einem Vortrag zum chinesischsprachigen Unterhaltungsfilm der 1950er-Jahre im kolonialen Hong Kong. Er wies auf die weitreichenden Folgen des politisch-strategischen Klimas des Kalten Krieges hin, die bis tief in die Alltagskultur hineinreichten. Anhand der Dreiteilung der staatlichen und privaten Filmbranche (China, Taiwan, USA) zeigte er auf, wie Kinofilme für die jeweiligen nationalen, politischen Interessen genutzt wurden. Sowohl die USA als auch Taiwan und die noch junge Volksrepublik China versuchten in den Nachkriegsjahren mittels Filmhäuser ideologisch auf die chinesische Community in Hong Kong einzuwirken und ihre gegensätzlichen Auffassungen von Modernität, Transformation und Utopie durchzusetzen.

KLAUS MÜHLHAHN (Freie Universität Berlin) stellte die zentralen Thesen seines aktuellen Buchprojektes „The Making of Modern China“ vor. Er regte an, eine neue Geschichtsschreibung Chinas zu versuchen, die sich an Aufbau und Zerfall sozialer Institutionen orientiert. Damit setzte er einen Gegenpol zu aktuellen Trends in der westlichen, historischen Chinaforschung des 20. Jahrhunderts, die vor allem mittels dichter Beschreibungen von lokalen Prozessen und „oral history“ mikrohistorische Zugänge zur modernen Geschichte Chinas sucht. Als roter Faden zogen sich fünf Themen durch seine Untersuchung vom imperialen China (19. Jahrhundert) bis heute: Formen des Regierens, politische Ökonomie, Souveränität und Grenzregime, Natur und Umwelt und die soziale Produktion von Bedeutung. Mit Hilfe der Verknüpfung konkreter thematischer Schwerpunkte und einem Blick auf Geschichte, der die sozialen Institutionen in den Mittelpunkt stellt, zeigte Mühlhahn die widersprüchliche Entwicklung einer, zweier, vieler chinesischer Modernen auf.

XU XIAONIAN (China Europe International Business School, Shanghai) präsentierte den zeitlich gesehen aktuellsten Beitrag. Er analysierte die chinesische Wirtschaftslage und deren Hintergründe und argumentierte, dass weitreichende, wirtschaftliche Reformen notwendig seien, um den seit einigen Jahren einsetzenden Wirtschaftsrückgang aufzuhalten. Ein Hindernis stelle die politische und rechtliche Reformunwilligkeit der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) seit den 1990er-Jahren dar. Als weitere Faktoren nannte er eine zu stark keynesianistisch orientierte Wirtschaftspolitik, die Verzerrung der chinesischen Marktwirtschaft, Überschusskapazitäten und sinkende Kapitalerträge. Auf dieser Analyse aufbauend schlug Xu vor, die Handelsbilanzen nicht weiter zu manipulieren, die Überschüsse zu reduzieren und die staatlichen Monopole abzubauen. Besonders betonte er den Schutz des Privateigentums, um chinesisches Kapital in der Volksrepublik zu halten.

FELIX BOECKING (University of Edinburgh) beschäftigte sich aus wirtschaftshistorischer Perspektive mit den chinesischen Landreformen zwischen 1945 und 1965. Besonders interessierte ihn die Frage, in welchem Ausmaß die Reformen tatsächlich die Umverteilung der ländlichen Besitzverhältnisse bewirkten, wie weithin angenommen sei. Damit stellte Boecking Argumentationen in Frage, die davon ausgehen, dass die positiven Ergebnisse der Landreformen in den Anfangsjahren der Volksrepublik wesentlich zur Legitimation der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) beigetragen haben. Anhand von zwei lokalen Fallbeispielen kam er zu dem Schluss, dass die Effekte der Landreformen starke lokale Varianzen aufzeigen. Die Neu- und Umverteilung erfolgte anhand des sogenannten „Klassenstatus“. Die ländliche Bevölkerung wurde in die Kategorien „Großgrundbesitzer“, „reicher Bauer“, „mittlerer Bauer“ und „armer Bauer“ eingeteilt. Allerdings ließen sich laut Boecking keine allgemeingültigen Kriterien der „Klassenstatus“-Vergabe feststellen, so dass die Umverteilung der Landflächen entsprechend willkürlich ausgefallen sei. Die Ergebnisse des Vortragenden stellten somit die parteioffizielle Bezeichnung der 1950er-Jahre als „Goldener Ära“ der Volksrepublik China in Frage, in der die Kommunistische Partei wesentliche Erfolge im Wiederaufbau der Nation nach drei Jahrzehnten diverser Kriege (Chinesischer Bürgerkrieg, 1927-1949, Zweiter Sino-Japanischer Krieg, 1937-1945, Zweiter Weltkrieg, 1939-1945) erzielte.

DEBIN MA (London School of Economics) konzentrierte sich, ähnlich wie Klaus Mühlhahn, auf die Entwicklung und Transformation von Institutionen. Anders als bei letzterem lag Mas Fokus auf politischen statt sozialen Institutionen. Ein wesentlicher Treiber in der Entstehung von Institutionen und ihrem Wandel seien unterschiedliche Vorstellungen des Regierens, die der chinesischen politischen Ideengeschichte entsprängen. Als wesentlich arbeitete Ma die Idee eines vereinten, einzigen und großen Chinas heraus: Die Idee von dayitong. So habe der Wunsch nach dem Aufbau eines gemeinsamen Chinas seit der Sui Dynastie (581-618 n.Chr.) hinweg immer wieder zu Kriegshandlungen geführt. Gleichzeitig hätten die äußeren Kriegshandlungen innerhalb der eigenen Grenzen nach dem Aufbau von Institutionen verlangt. Anhand der Kriegsausgaben, die Ma über Jahrhunderte hinweg rekonstruierte, machte er die Entstehung eines vereinten chinesischen Staates in genau diesem Spannungsfeld deutlich. Dies führte zu Fragen von Governance in großen, politischen Einheiten, wie sie sich derzeit in den USA, der Europäischen Union oder auch der Volksrepublik Chinas stellen. Ebenso beschäftigten ihn Fragen nach dem historischen Erbe chinesischer imperialer Institutionen und deren Einfluss auf die politischen Institutionen heute.

SHIRLEY YE (University of Birmingham) arbeitete mit Fotografien aus der chinesischen Republikzeit (1912-1949). Besonders interessierten sie Darstellungen des Kaiserkanals und des Gelben Flusses aus den 1920er-Jahren, weil dem Kaiserkanal – neben der Chinesischen Mauer – seit dem 6. Jahrhundert n.Chr. als Symbol chinesischer Staatsmacht ein großer Stellenwert zugeschrieben worden sei. Ebenso sei der Gelbe Fluss über Jahrhunderte hinweg von sowohl wirtschaftlicher als auch strategischer Bedeutung gewesen. Mit Hilfe republikzeitlicher, fotografischer Darstellungen des Kanals und des Flusses zeigte Ye die Interessen sowohl chinesischer als auch internationaler Akteure an der Gestaltung der Region auf. Als Beispiele nannte sie die Kuomintang-Regierung unter Chiang Kaishek (1912-1949), das amerikanische Rote Kreuz oder die American International Corporation. Die Beweggründe, vor denen sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen agierten, waren unterschiedlich, teils staatlich, teils privatwirtschaftlich, teils ethisch-moralisch motiviert. Gemeinsam waren ihnen allen jedoch Visionen des Modernen.

GREG LEWIS (Weber State University, Ogden, UT) sprach über die große Inflation, die das China der Republikzeit zwischen 1937 und 1945 beschäftigte und das dahinterliegende Finanzwesen. Von besonderer Bedeutung seien in diesem Zusammenhang die beiden Bankiers, Geschäftsmänner und Politiker T.V. Soong (Song Ziwen) und H.H. Kung (Kong Xiangxi) gewesen. Beide zählten zu den in China wirtschaftspolitisch einflussreichsten Personen der 1930er- und 1940er-Jahre. Basierend auf den der Hoover Institution zur Verfügung stehenden umfangreichen Archivalien beider Persönlichkeiten zeichnete Lewis die wirtschaftliche Entwicklung der Kriegsjahre nach, wobei er insbesondere die Charaktere beider Persönlichkeiten sowie deren persönliche Entscheidungen miteinbezog. Gleichzeitig betonte er aber auch die Bedeutung dreier organisationeller und institutioneller Einheiten für die damalige Wirtschaftspolitik: Die der Fooshing Trading Corporation (1938-1958), des Sino-American-British Currency Stabilization Board (1941-1944) und die Anleihe in Höhe von 500 Millionen US-Dollar seitens der USA. Damit versuchte Lewis, die Ansätze, die bisher zur Wirtschaftsgeschichte Chinas bestehen – der institutionelle, der personenbasierte, der chinazentrierte und der multilaterale oder internationale Ansatz – zu verbinden.

FELIX WEMHEUER (Universität Köln) präsentierte seine Forschungsergebnisse zur Praxis der Vergabe eines neuen Klassenstatus (Bauern/ländliche Bevölkerung, Intellektuelle, Parteikader, Arbeiter, Soldat/innen) unter Mao Zedong, die gravierende Folgen für den Alltag des und der Einzelnen hatte. So gingen mit dem neuen Klassenstatus bestimmte Privilegien beispielsweise in der Essensrationierung einher oder hatten Enteignungen zur Folge. Ziel sei es gewesen, vormals benachteiligte Gruppen systematisch zu bevorteilen, um eine bestimmte Form sozialer Gerechtigkeit herzustellen. Theoretisch ordnete er diese politische Praxis der Kommunistischen Partei Chinas den Politiken der „affirmative action“ zu. Wemheuer konnte in seinem Vortrag aufzeigen, wie stark der Akt der Klassenzuordnung vom politischen und gesellschaftlichen Kontext beeinflusst wurde. So wurde der Klassenstatus zu politischen Zwecken instrumentalisiert, indem die Klassenzugehörigkeit mal über die persönlichen, politischen Leistungen, mal über den Familienhintergrund der väterlichen Linie entschieden wurde. Entscheidend sei dafür das Ziel der politischen Massenmobilisierung gewesen, weil die Bestimmung des Klassenstatus nach Leistung ermöglichte, mehr Menschen in die revolutionäre Klasse zu inkludieren. Wemheuer zeigte aber auch, dass die Zuordnung zu bestimmten Klassen gleichzeitig unter dem Einfluss alter Kategorien wie Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit stand. Mittels eines intersektionalen Ansatzes konnte Felix Wemheuer das Zusammenwirken der verschiedenen Kategorien nachverfolgen mit dem Fazit, dass das neue Statussystem sein Ziel der sozialen Transformation und der Bevorzugung vormals benachteiligter, sozialer Gruppen nur unzureichend erfüllt habe. Offen blieb die Frage, ob die Entstehung neuer Hierarchien dies behindert habe oder ob die raschen und häufigen politischen Richtungswechsel, die eine politische Kontinuität erschwerten, als mögliche Erklärungsansätze zu nennen seien.

Der rote Faden des Workshops war das Spannungsverhältnis von Mensch und Institution. Auch wenn je nach Disziplin und Fragestellung der Ausgangspunkt der Untersuchung zeitlich und methodisch verschieden gewählt wurde, so stießen doch alle Vortragenden darauf, dass Mensch und institutioneller Kontext sich gegenseitig beeinflussen und vorantreiben. Immer wieder wurde deutlich, dass Institutionen das Handeln der Akteure rahmten und dadurch Einfluss auf Entscheidungen nahmen, Akteure wiederum immer wieder ihre Handlungsmächtigkeit zu entfalten wussten, die ihrerseits letztendlich wieder das institutionelle Setting formten. Dies ließ darauf schließen, dass weder eine Geschichte der Institutionen, noch eine Geschichte der Akteure allein das große Bild erfassen kann, sondern der Austausch zwischen theoretischen Ansätzen entlang dichter Empirie ein vielversprechender Ansatz ist.

Konferenzübersicht:

Containing Mao’s Cinema: The Politics of Entertainment in Hong Kong
Speaker: Poshek Fu (University of Illinois at Urbana-Champaign)
Chair: Eric T. Wakin (Robert H. Malott Director of the Hoover Institution Library & Archives)

The Making of Modern China
Speaker: Klaus Mühlhahn (Free University Berlin)
Chair: Stephen Kotkin (Hoover Research Fellow)

A Balance Sheet Problem
Speaker: Xu Xiaonian (China Europe International Business School)
Chair: Paul Gregory (Hoover Research Fellow)

“All Animals are Equal, but Some Animals are More Equal than Others”: Communist Land Reform in China, c.1945-1965
Speaker: Felix Boecking (University of Edinburgh)
Chair: Alvin Rabushka (Hoover Senior Fellow)

Political Institutions and Long-Run Development: The Case of Imperial China
Speaker: Debin Ma (London School of Economics)
Chair: Klaus Mühlhahn (Free University Berlin)

Engineering Landscapes: Photo Albums of the Yellow River and Grand Canal in Republican China
Speaker: Shirley Ye (University of Birmingham)
Chair: Hsiao-ting Lin (Hoover Research Fellow & co-curator of East Asian Collection)

Kong Xiangxi, Song Ziwen, and China’s Wartime Finances and Inflation, 1937-1945
Speaker: Greg Lewis (Weber State University)
Chair: Ling Huping (Hoover Visiting Fellow)

Class, Gender and Ethnicity: Classification and Intersectional Hierarchies in Maoist China
Speaker: Felix Wemheuer (University of Colongne)
Chair: Alvin Rabushka (Hoover Senior Fellow)