45 Jahre „Kleine Strafrechtsreform“. Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Homosexualität(en) in Österreich im 20. Jahrhundert

45 Jahre „Kleine Strafrechtsreform“. Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Homosexualität(en) in Österreich im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Franz X. Eder, Universität Wien; Johanna Gehmacher, Universität Wien; Gabriella Hauch, Universität Wien; Ilse Reiter-Zatloukal, Universität Wien; QWIEN – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
23.06.2016 - 24.06.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Philipp Selim, Wien

Mit der „Kleinen Strafrechtsreform“ 1971 wurden gleichgeschlechtliche Sexualkontakte in Österreich weitgehend entkriminalisiert. Die rechtliche Grundlage für das bis dahin aufrechte Totalverbot, nämlich § 129 I b Strafgesetz 1852 (StG), war seit ihrem Inkrafttreten und auch während des Nationalsozialismus in Österreich unverändert in Geltung. Außerdem umfasste sie – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern – die Kriminalisierung weiblicher Homosexualität. Die „Kleine Strafrechtsreform“ war allerdings kein radikaler Bruch, sondern von zahlreichen Kontinuitäten geprägt: So wurden noch 1971 vier flankierende Verbote eingeführt, die auf eine Einschränkung und Diskriminierung homosexuellen Lebens zielten und kurz darauf unverändert in das neue Strafgesetzbuch 1975 (StGB) übernommen wurden: ein Werbe-, Vereins- und Prostitutionsverbot (§§ 220, 221 bzw 210 StGB) sowie eine ‚Jugendschutzbestimmung‘, die homosexuelle Handlungen zwischen männlichen Jugendlichen und Erwachsenen unter Strafe stellte (§ 209 StGB). Letztere hob der Gesetzgeber erst 2002 aufgrund eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs auf.

Aus Anlass des 45. Jahrestags der Reform fand im Juni 2016 in Wien eine internationale und multidisziplinäre Tagung statt, die von einer Regenbogenführung durch das Hauptgebäude der Universität Wien mit ANDREAS BRUNNER (Wien) sowie einer Führung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien mit dessen Präsidenten FRIEDRICH FORSTHUBER (Wien) umrahmt wurde. An zwei Tagen sollten Vor- und Nachgeschichte der Entkriminalisierung beleuchtet und in einen breiteren historischen Kontext gestellt sowie Bezüge zu aktuellen Gleichstellungsbestrebungen hergestellt werden. Dabei sollten sowohl Geschichts- und KulturwissenschaftlerInnen als auch RechtswissenschaftlerInnen wie auch Aktivistinnen und Aktivisten zu Wort kommen.

In ihrem Keynote-Vortrag ging ELISABETH HOLZLEITHNER (Wien) der Frage nach, inwieweit Recht ein emanzipatorisches Instrument sein kann. Hierzu stellte sie die „Trägheit des Rechts“ der „queeren Ungeduld“ gegenüber und analysierte die Gleichzeitigkeit von Subversion und Normalisierung. Zur Veranschaulichung unternahm sie einen beispielhaft-anekdotischen Streifzug durch Geschichte und Gegenwart rechtspolitischer Diskurse in Österreich – von der Entkriminalisierung bis hin zu aktuellen Forderungen nach zivilrechtlicher Gleichstellung homosexueller Paare. Abschließend verwies sie auf „intersektionelle Verkomplizierungen“, mit denen emanzipatorische Rechtsreformen konfrontiert seien.

Das daran anschließende erste Panel widmete sich einem historischen Rechtsvergleich der Strafverfolgung von ‚gleichgeschlechtlicher Unzucht‘ in Österreich, Ungarn, Slowenien und Jugoslawien im späten 19. und 20. Jahrhundert. JOHANN KIRCHKNOPF (Wien) beschrieb die Entwicklung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und stellte anhand kriminalstatistischer Daten die These auf, dass die Verfolgung zwar kontinuierlich hoch, aber nie so intensiv wie im Nationalsozialismus gewesen sei. Schließlich merkte Kirchknopf an, dass Strafakte zwar nur ein verzerrtes Bild homosexueller Beziehungen vermittelten, jedoch illustrierten, wie staatliche Institutionen eine binäre Geschlechterordnung exekutierten. JUDIT TAKACS (Budapest) skizzierte anschließend die Entwicklung in Ungarn seit dem Kodex Csemegi (1878) bis zur Entkriminalisierung 1961. Als Argument gegen das Totalverbot sei vorgebracht worden, dass strafrechtliche Ahndung bei einem „biologischen Phänomen“ nicht zielführend sei, sondern bloß Erpressungen fördere. Takacs konstatierte, dass es keine systematische Verfolgung gegeben habe, aber die Kriminalisierung eine Verdrängung Homosexueller aus dem heteronormativ kodierten öffentlichen Raum bedeutet habe. Zu diesem Schluss kam auch ROMAN KUHAR (Ljubljana) für Slowenien. Bei der Analyse von 28 Gerichtsfällen aus den Jahren 1955 bis 1977 sei zwar eine heteronormative Moral deutlich geworden, von einer systematischen Verfolgung könne man aber ebenso wenig sprechen wie von einer politischen Verfolgung unter dem Vorwand homosexueller Straftaten. Kuhar arbeitete heraus, aus welchen Gründen ‚Täter‘ mal strenger, mal milder bestraft wurden, welche Rolle essentialistische Deutungsmuster vor Gericht spielten und welche Bedeutung die Forderung nach weniger staatlicher Einmischung ins Privatleben für die Entkriminalisierung hatte. Das Panel schloss mit einem Vortrag von FRANKO DOTA (Zagreb), der für Jugoslawien ebenfalls keine systematische Verfolgung – abgesehen von einer kurzen Periode zwischen 1948 und 1950 – ausmachte. Während sich der Anwendungsbereich des Unzuchtsparagrafen – rechtsdogmatisch – zwar auf männlichen Analverkehr eingrenzte, erweiterte sich demgegenüber die Verfolgungspraxis auf Homosexualität als solche. Dota bezeichnete diesen Übergang von Tat- zu Täterstrafrecht als „Homosexualisierung der Unzucht“.

In der anschließenden Diskussion waren sich die Vortragenden einig, dass es bei der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexualität kein erkennbares Ost-West-Gefälle gegeben habe und die Annahme einer Ost-West-Dichotomie als Analysekategorie nicht sinnvoll sei, weil die Verfolgungspraktiken der einzelnen Staaten im Osten und Westen viel zu unterschiedlich gewesen seien.

Im zweiten Panel wurde das Zusammenspiel von strafrechtlich und medizinisch geprägten Diskursen erörtert. ELISABETH GREIF (Linz) veranschaulichte dies anhand der Topoi der „lesbischen Prostituierten“ und des „schwulen Knabenschänders“. Prostituierte seien besonderer staatlicher Kontrolle unterlegen und schon qua Beruf als transgressiv wahrgenommen worden. In Folge sei etwa die Sexualwissenschaft im frühen 20. Jahrhundert davon ausgegangen, dass sie aufgrund ihres „unsittlichen Berufs“ deviant veranlagt seien, und ein unmittelbarer Konnex zwischen Prostitution und weiblicher Homosexualität hergestellt worden. Das Bild des „schwulen Knabenschänders“ sei demgegenüber weniger sexualwissenschaftlich als juristisch geprägt worden, da gleichgeschlechtlicher sexueller Missbrauch von Unmündigen in der österreichischen Judikatur nicht unter ‚Schändung‘ (§ 128 StG), sondern unter ‚gleichgeschlechtliche Unzucht‘ (§ 129 I b StG) subsumiert wurde. An diese Vermengung von ‚Schändung‘ und ‚gleichgeschlechtlicher Unzucht‘ knüpfte SONJA MATTER (Bern/Wien) an, die Teile eines Forschungsprojekts präsentierte, das sich mit Judikaten des Obersten Gerichtshofs sowie des Kreisgerichts St. Pölten zu sexuellem Missbrauch von Unmündigen nach 1945 befasste. Obwohl das Schutzalter einheitlich mit 14 Jahren festgelegt war, sei der Opferstatus von Kindern, die von einer Person desselben Geschlechts missbraucht wurden, durch die problematische Grenzziehung zwischen § 128 StG und § 129 I b StG gefährdet worden, indem sie infolge dessen oft als sexuell verwahrlost und verdorben stigmatisiert worden seien.

Weg von der Strafverfolgungspraxis hin zu zivilgesellschaftlichem Aktivismus führte das dritte Panel. Während CHRISTOPHER TREIBLMAYR (Wien) in seinen Beitrag herausarbeitete, dass die Österreichische Liga für Menschenrechte zwischen 1945 und 1971 als Ersatz für eine kaum vorhandene Homosexuellenbewegung fungierte, beleuchtete RAIMUND WOLFERT (Berlin) im Anschluss das bisher wenig beachtete Leben einer einzelnen Aktivistin, Charlotte Ilona Steurer (1921-1986). VOJIN SAŠA VUKADINOVIĆ (Zürich) befasste sich schließlich mit dem progressiven Engagement der österreichischen Zeitschrift Neues Forvm, das gegen die damalige Sexualmoral und die Tabuisierung von Homosexualität intervenierte. Vukadinović arbeitete dabei heraus, wie sich das Neue Forvm in den 1960er- und 1970er-Jahren – in Form und Inhalt – von damals gängigen Formen von linkem Aktivismus unterschied.

Das vierte Panel leitete wieder zu rechtlichen Dimensionen über. BARBARA KRAML (Wien) analysierte die argumentative Verknüpfung von männlicher Homosexualität und sexuellem Missbrauch anhand des § 209 StGB. Sei bei Einführung des Straftatbestands primäre Intention gewesen, männliche Jugendliche vor unerwünschter homosexueller Prägung zu schützen, deuteten konservative BefürworterInnen die Strafbestimmung ab den 1990er-Jahren in eine Gewaltschutzbestimmung um, um ihren Fortbestand zu rechtfertigen. Mit den weiterbestehenden Strafregistereinträgen wegen § 209 StGB befasste sich anschließend JAKOB TSCHACHLER (Wien). Zwar sei es seit Ende 2015 infolge einer unscheinbaren Gesetzesnovelle möglich, Verurteilungen nach den strafrechtlichen Homosexuellenparagrafen tilgen zu lassen, doch mit dieser „stillen Reform“ habe die österreichische Politik eine öffentliche Diskussion um die Aufhebung der Strafurteile und finanzielle Entschädigungen, wie sie gegenwärtig in Deutschland geführt wird, vermeiden wollen. Die Brücke vom Straf- zum Zivilrecht schlug der Beitrag von THOMAS SCHODITSCH (Graz). Welch große Bedeutung die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die schrittweise Gleichstellung von homosexuellen Paaren und Regenbogenfamilien hatte, zeichnete Schoditsch anhand der österreichischen Rechtslage zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nach: Die Diskriminierungen bei medizinisch unterstützter Fortpflanzung und Adoptionen seien – infolge eines Wandels im Grundrechtsverständnis – in vergleichsweise kurzer Zeit gefallen.

Zu Beginn des fünften Panels unter dem Titel „Handlungsräume und Lebenswelten“ stellte HANS-PETER WEINGAND (Graz) Bezüge zwischen Diskussionen um 1900 in Bezug auf Entkriminalisierung und Debatten rund um die Strafrechtsreform 1971 her. Hinweise auf frühe Gegendiskurse entdeckte er in Zuschriften an Minister und in Leserbriefen, die zum Teil die Entkriminalisierungsargumente der nächsten Jahrzehnte vorweggenommen hätten. BENNO GAMMERL (Berlin) untersuchte aus emotionshistorischer Perspektive das Wechselspiel zwischen Recht und Gefühlsstilen homosexueller Männer in der BRD seit den 1950er-Jahren. „Gesetze prägen Gefühle prägen Gesetze“, zu diesem Schluss kam Gammerl auf Grundlage von Oral History-Interviews und Zeitschriftenquellen. Er illustrierte etwa, wie bürgerliche Partnerschaftsvorstellungen in homophilen Zeitschriften rezipiert und propagiert worden seien, um durch eine Angleichung der Partnerschaftsmodelle jene Akzeptanz zu erreichen, die wiederum für Strafrechtsreformen und eingetragene Partnerschaften maßgeblich gewesen seien. MARIA BÜHNER (Leipzig) verfolgte ebenfalls einen emotionshistorischen Zugang und präsentierte anhand der Ostberliner Gruppe „Lesben in der Kirche“, die in den 1980er-Jahren für ein offizielles Andenken an lesbische Opfer des KZ Ravensbrück kämpften, ein Beispiel für emanzipatorische Intervention in heteronormative Erinnerungskulturen. Bühner behandelte unter anderem, welche identitätspolitische Bedeutung das Gedenken für die Aktivistinnen hatte.

Regulationen im Umgang mit Trans-Personen in Österreich und Deutschland im 20. Jahrhundert waren das Thema des sechsten und vorletzten Panels. RAINER HERRN (Berlin) rekonstruierte den behördlichen Umgang mit Transvestitismus vor und während des Nationalsozialismus in Deutschland. Obgleich alle Transvestiten unter Homosexuellenverdacht gestanden seien, seien jene, die glaubhaft machen konnten, heterosexuell zu sein, nicht verfolgt worden. Das bislang wenig beachtete Feld weiblichen Transvestitismus und weiblicher Transsexualität beleuchtete ILSE REITER-ZATLOUKAL (Wien) näher, und zwar auf Grundlage der zwei einzigen bisher bekannten Fälle eines juristischen female-to-male Geschlechtswechsels in der NS-Zeit in Österreich. Reiter-Zatloukal bettete den tolerant scheinenden Umgang mit weiblichen Transvestitinnen bzw. Transsexuellen in den Kontext der NS-Geschlechterordnung ein, die darauf zielte, eine geschlechtliche Mehrdeutigkeit oder gar ein drittes Geschlecht zu vermeiden. Schließlich plädierte Reiter-Zatloukal für einen genaueren Blick auf Personenstandsakten, um staatliche Regulation nicht nur aus strafrechtlicher Sicht zu analysieren. Der Frage nach Kontinuitäten des nationalsozialistischen Umgangs mit Trans-Personen ging PERSSON PERRY BAUMGARTINGER (Berlin/Wien) anhand des zwischen 1980 und 2010 in Österreich geltenden Transsexuellen-Erlasses nach, nach dem ein juristischer Geschlechtswechsel beispielsweise Scheidung, Psychotherapien, hormonelle und operative Eingriffe verlangte. Er zeichnete vier relevante Phasen der Regulierung nach und suchte diskursanalytisch Parallelen in gesetzlicher Diktion und Normierung.

Das siebente Panel befasste sich schließlich mit Erinnerungspolitiken und Gedenkkulturen in Bezug auf Verfolgung und Diskriminierung in der NS-Zeit. ELISA HEINRICH (Wien) untersuchte in ihrem Beitrag erinnerungspolitische Auseinandersetzungen in Österreich seit den 1970er-Jahren und illustrierte, wie lesbisch-schwule Gruppen emanzipatorische und gedenkpolitische Forderungen verknüpften und sich etwa den ‚Rosa Winkel‘ als identitätsstiftendes Symbol aneigneten. Inwiefern sich die homosexuelle Erinnerungspolitik in Österreich von der in Deutschland unterscheidet, wurde von CORINNA TOMBERGER (Berlin) thematisiert. So seien etwa Gedenkinitiativen in Österreich stark mit der Forderung nach Entschädigung und Rehabilitierung verbunden gewesen, während es in der BRD mehr um Symbolpolitik und Sichtbarkeit im Gedenken gegangen sei. Im letzten Beitrag des Panels befasste sich NINA REUSCH (Stuttgart) anhand des Beispiels eines derzeit laufenden Projekts der Forschungsstelle Ludwigsburg mit der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Aktivismus, wobei sie dafür plädierte, diese Dichotomie zu durchbrechen und mit Konzepten der Public History zu arbeiten.

Die Tagung endete mit einer Podiumsdiskussion, die symbolträchtig an einem ehemaligen Ort der Verfolgung stattfand, nämlich im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts für Strafsachen. HANNA HACKER (Wien) thematisierte die Unsichtbarkeit von lesbischen Frauen und erinnerte mit Foucault daran, dass die Strafverfolgung von vorwiegend Männern nicht nur repressiv, sondern auch produktiv gewesen sei und die Aufmerksamkeit für männliche Homosexualität erhöht habe. KATHARINA MIKO (Wien) erzählte von der Schwierigkeit, Protagonistinnen und Protagonisten für ihren gemeinsam mit Raffael Frick produzierten Dokumentarfilm „Warme Gefühle“ (Ö 2012) zu lesbisch-schwulem Leben in den 1960er- und 1970er-Jahren zu finden, und reflektierte die unterschiedlichen Selbstverständnisse in den filmisch porträtierten Biografien. Auf ein Beispiel für die von Elisabeth Holzleithner erwähnten „intersektionellen Verkomplizierungen“ verwies MARTY HUBER (Wien), die auf die besonderen Probleme von LSBTIQ-Personen auf der Flucht einging, wo Diskriminierung auf der Reise, bei der Unterbringung, im Asylverfahren und schließlich bei der (Verweigerung der) Familienzusammenführung eine Rolle spiele. Auf eine unbefriedigende Rechtslage verwies auch HELMUT GRAUPNER (Wien), der kritisierte, dass das neue Tilgungsgesetz für Verurteilungen nach den strafrechtlichen Homosexuellenparagrafen eine individuelle Antragstellung erforderten und zudem nicht die Urteile selbst aufgehoben, sondern nur die Strafregistereinträge gelöscht würden. HANNES SULZENBACHER (Wien) problematisierte schließlich, dass ein Großteil der historischen Quellen vor allem Produkte der Verfolgung seien und daher ein kritischer Quellenumgang von besonderer Bedeutung sei.

Die vielen Perspektiven und Blickwinkel, die bei der abschließenden Podiumsdiskussion zu Wort kamen, waren es auch, die die ganze Tagung prägten. Rechtswissenschaftliche und rechtshistorische Beiträge waren dabei das Fundament für abstrahierende Reflexionen zu Diskursen, Normalisierungstendenzen und Emanzipationsbestrebungen. Die Verfolgung und Diskriminierung in Österreich wurden dabei in einen internationalen Kontext gestellt – sowohl rechtshistorisch als auch geschichts- und erinnerungspolitisch. Juristische und medizinische Argumentationsmuster der Kriminalisierung bzw. Pathologisierung wurden analysiert und unterschiedliche Formen von Aktivismus sowohl aus historischer als auch tagesaktueller Sicht bewertet. Trotz des dichten Programms blieb ausreichend Zeit für Diskussion, sodass auf diverse Aspekte vertiefend eingegangen, Desiderate thematisiert und quellenkritische Fragen behandelt werden konnten.

Konferenzsübersicht:

Begrüßung
Paul Oberhammer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
Claudia Theune-Vogt, Dekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien

Keynote
Elisabeth Holzleithner (Wien): Emanzipation oder Normalisierung? Rechtsreform aus queeren Perspektiven
Moderation: Franz X. Eder (Wien)

Panel 1: Criminal prosecution for „same-sex fornication“ …
Moderation: Elisabeth Greif (Linz)

… in Austria: Johann Kirchknopf (Wien)
… in Hungary: Judit Takacs (Budapest)
… in Slovenia: Roman Kuhar (Ljubljana)
… in Yugoslavia: Franko Dota (Zagreb)

Panel 2: Problematische Grenzziehungen: Strafrechtliche Definitionen von „Kindesmissbrauch“ und „gleichgeschlechtlicher Unzucht“
Moderation: Manuela Bauer (Wien)

Elisabeth Greif (Linz): Von lesbischen Prostituierten und schwulen Knabenschändern. Bilder gleichgeschlechtlicher Unzucht im Österreich der 1930er-Jahre
Sonja Matter (Bern/Wien): Was ist „der Fall“? Kindheit, Homosexualität
und sexuelle Gewalt in Österreich (1950 – 1970)

Panel 3: Zivilgesellschaftlicher Aktivismus: Gegenrede, Interventionen und Kämpfe wider die Strafverfolgung
Moderation: Li Gerhalter (Wien)

Christopher Treiblmayr (Wien) „... mit dem heutigen Begriffe der Menschenrechte unvereinbar“. Zum Engagement der Österreichischen Liga für Menschenrechte für die Entkriminalisierung von Homosexualität (1930 – 1971)
Raimund Wolfert (Berlin): Gut vernetzt – Charlotte Steurer, eine „mutige Kämpferin“ in Österreich
Vojin Saša Vukadinović (Zürich): Das Neue Forvm gegen die Macht der Sexualmoral in Österreich

Panel 4: Homosexualität(en) im Lichte der Grund- und Menschenrechte
Moderation: Alexia Stuefer (Wien)

Barbara Kraml (Wien): Aufstieg und Fall des § 209, oder: Umkämpfte Deutungen strafrechtlichen Schutzes
Jakob Tschachler (Wien): Die „Stille Reform“. Bruch getarnt als Kontinuität oder Kontinuität getarnt als Bruch?
Thomas Schoditsch (Graz): Gleichgeschlechtliche PartnerInnen und ihre Kinder

Panel 5: Akteur_innen – Lebenswelten und Handlungsräume
Moderation: Roman Birke (Wien)

Hans-Peter Weingand (Graz): „Freiheit und Gerechtigkeit“. Diskurse Betroffener jenseits Kriminalisierung und Pathologisierung um 1900
Benno Gammerl (Berlin): Gesetze und Gefühle. Zum Wechselspiel zwischen der rechtlichen Lage und den emotionalen Stilen männerliebender Männer in Westdeutschland seit den 1950er-Jahren
Maria Bühner (Leipzig): Die Kontinuität des Schweigens. Die verhinderten Gedenken der Ost-Berliner Gruppe „Lesben in der Kirche“ im KZ Ravensbrück

Panel 6: trans_national. Regulationen im Umgang mit trans_Personen in Österreich und Deutschland im 20. Jahrhundert
Moderation: Eva Matt (Wien)

Rainer Herrn (Berlin): Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Transvestit_innen vor und nach 1933 in Deutschland
Ilse Reiter-Zatloukal (Wien): „Transvestitismus“ und juristische Geschlechterzuschreibungen in Österreich unter der NS-Herrschaft
Persson Perry Baumgartinger (Berlin/Wien): Die staatliche Regulierung von trans* zwischen 1980 und 2010 in Österreich und mögliche Kontinuitäten aus der NS-Zeit

Panel 7: Erinnerungspolitiken und Gedenkkulturen zu strafrechtlicher Verfolgung und Diskriminierung
Moderation: Renée Winter (Wien)

Elisa Heinrich (Wien): Lesbisch-schwule Erinnerungspolitiken. Auseinandersetzungen um homosexuelle NS-Opfer im Nachkriegsösterreich
Corinna Tomberger (Berlin): Von zivilgesellschaftlicher Initiative zu staatlicher Symbolpolitik: Das Gedenken an verfolgte Homosexuelle in Österreich und Deutschland
Nina Reusch (Stuttgart): Die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen zwischen akademischer Forschung, aktivistischer Aufarbeitung und gesellschaftlicher Erinnerung – Möglichkeiten einer Public History

Podiumsdiskussion: Straftatbestand „gleichgeschlechtliche Unzucht“ Geschichte und Nachwirken der Strafverfolgung im Kontext lebensweltlicher Erfahrungen und aktivistischer Politiken
Moderation: Barbara Kraml (Wien)

Helmut Graupner (Wien)
Hanna Hacker (Wien)
Marty Huber (Wien)
Katharina Miko (Wien)
Hannes Sulzenbacher (Wien)


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