"100 Jahre Osteuropäische Geschichte" Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft - Berlin 07/02

"100 Jahre Osteuropäische Geschichte" Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft - Berlin 07/02

Organisatoren
Humboldt- Universität Berlin, Verband der Osteuropahistorikerinnen und –historiker, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2002 - 06.07.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Anke Hilbrenner, Seminar für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn; Britta Lenz, Seminar für Osteuropäische Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

Am 30. Juni 1902 wurde an der Friedrich-Wilhelms Universität Berlin das erste Seminar für Osteuropäische Geschichte eingerichtet. Das hundertjährige Bestehen dieses Seminars bildete den Anlaß für eine Konferenz, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Entwicklung des Faches Osteuropäische Geschichte fortführen und eine vorläufige Bilanz ziehen wollte. Zu diesem Zwecke wurden sehr unterschiedliche Fragestellungen, Aspekte und Perspektiven einbezogen.

Die Sektion I unternahm zunächst den Versuch, der historischen Entwicklung des Faches Osteuropäische Geschichte von der wilhelminischen Zeit bis zum Ende des Nationalsozialismus nachzugehen.
Roger Chickering begann mit einer Verortung der Geschichtswissenschaft in Deutschland und besonders der Osteuropäischen Geschichte um die Jahrhundertwende, auch im Bezug auf den Methodenstreit in der Geschichtswissenschaft (Karl-Lamprecht Streit).
In dem sich anschließenden Vortrag über die Osteuropaforschung in der Zwischenkriegszeit untersuchte Dittmar Dahlmann die von Anfang an starke Politisierung des Faches vor allem anhand des Beispieles von Otto Hoetzsch, welcher, ganz im Sinne der Historiker seiner Zeit, eben diese Politisierung weit von sich wies.
Mit der Entwicklung des Faches unter nationalsozialistischer Herrschaft setzte sich Ingo Haar auseinander. Er machte deutlich, dass das positivistische Wissenschaftsverständnis der Zwischenkriegszeit hier zu einem Ende kam und sich die Osteuropäische Geschichte zu einer „kämpfenden Wissenschaft“ zur Unterstützung des „Volkstumskampfes im Osten“ wandelte.
Für die Aufarbeitung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR wurde eine besondere Perspektive gewählt, die für die Vortragenden gewisse Konflikte in sich barg. Die ReferentInnen in diesen Sektionen hatten die Entwicklungen des Faches in dieser Zeit zu einem großen Teil miterlebt und mitgeprägt und waren nun gefragt, diese nachzuzeichnen und zu bewerten.

Die Sektion II beschäftigte sich mit der Fachgeschichte in der Bundesrepublik. Zunächst wurde die Entwicklung des Faches durch Hans Lemberg vorgestellt, der sich mit Forschungsorten und Protagonisten der „Osteuropäischen Geschichte“ nach 1945 auseinandersetzte und dabei auch auf die Kontinuitäten im Bezug auf die Forschung vor 1945 hinwies.
Klaus Zernack beschäftigte sich danach in seinem Vortrag mit den mediävistischen Forschungen zur Osteuropäischen Geschichte. In einem fachgeschichtlichen Epochendurchgang zeigte er die Schwankungen des Interesses an mittelalterlichen Themen und versuchte dies einzuordnen. Sein Fazit hob das Defizit aktueller Forschungsauseinandersetzungen über das Mittelalter in der Osteuropäischen Geschichte hervor.
Als gesonderten Bereich innerhalb der Osteuropäischen Geschichte stellte Edgar Hösch die Entwicklungen der Südosteuropaforschung nach 1945 dar.

Die Sektion III unternahm den Versuch eines Rückblickes und einer Bewertung der Entwicklung der Osteuropäischen Geschichte in der DDR.
Wolfgang Küttler zeigte in seinem Referat über das Russlandbild in der DDR- Historiographie die Verhaftung der Osteuopaforschung innerhalb der DDR-Ideologie auf.
Der Vortrag von Ludmila Thomas beschäftigte sich mit der Russlandforschung in Ost- Berlin in den 1960er bis 1980er Jahren, dabei vor allem auch mit der Person Eduard Winter und seinem Werk. Sie wies dabei auf die Schwierigkeiten der Forschungstätigkeit in der DDR hin, ohne die wissenschaftlichen Verdienste der OsteuropahistorikerInnen in der DDR ungenannt zu lassen.
Den letzten Beitrag in der Sektion zur DDR Osteuropahistoriographie leistete Lutz-Dieter Behrendt, der die Entwicklungen des Faches am Beispiel Leipzigs vorstellte.
Die Diskussion, die sich an die Beiträge dieser Sektion anschloss, zeigte deutlich die Schwierigkeit der Aufarbeitung der nahen Vergangenheit, die noch sehr stark mit den Emotionen der Beteiligten verknüpft ist.

Nach der Beschäftigung mit der Vergangenheit sollte in den Sektionen IV und V nun auch Gegenwart und Zukunft des Faches untersucht und diskutiert werden. Aktuelle Schwerpunkte und Tendenzen innerhalb der osteuropäischen Geschichte sollten einen Einblick in die moderne Forschung und einen Ausblick auf die Fortentwicklung bieten.
Günter Schödl behandelte in seinem Beitrag die Historiographie zur Geschichte der Habsburger Monarchie. Sie sei im deutschsprachigen Raum ein eher vernachlässigtes Thema, zu dem innovative Beiträge vor allem aus dem anglo-amerikanischen Bereich kämen.
Andreas Kappeler betrachtete in seinem Vortrag das Fach gleich aus mehreren Perspektiven. Er versuchte Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Osteuropahistoriographie in der Schweiz, in Österreich und in der Bundesrepublik aus seinen eigenen Erfahrungen darzustellen. Seine Ausführungen verdeutlichten die Orts- und Zeitgebundenheit des Blickes auf Osteuropa.
Transnationale und vergleichende Aspekte in der Geschichte der Osteuropäischen Geschichtswissenschaft standen im Mittelpunkt des Referates von Dietrich Beyrau. Er zeigte die Möglichkeiten und Forschungsdesiderata für diesen Bereich auf und formulierte mögliche Aufgabenstellungen.

Auf den Ausgangspunkt der Konferenz, die Osteuropäische Geschichte in Berlin, zurückkommend, stellten Christoph Witzenrath und Holm Sundhaussen zum Beginn der Sektion V die aktuellen Forschungsschwerpunkte der Osteuropäischen Geschichte an den beiden Berliner Universitäten vor.
Der anschließende Vortrag von Rainer Lindner behandelte die Kulturgeschichte als aktuellen Trend innerhalb der Geschichtswissenschaft über Osteuropa. Sehr eindrucksvoll und anhand zahlreicher Beispiele zeigte er Gegenstände und Methoden der kulturwissenschaftlichen Forschungen im Bereich der Osteuropäischen Geschichte auf.
Carmen Scheide machte in ihrem Vortrag zur Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Osteuropaforschung deutlich, dass es hier noch einer weitreichenden Grundlagenforschung bedarf. Ihren Ausführungen zu Folge fehlt derzeit in der Osteuropäischen Geschichte eine eigenständige Forschungsdiskussion zur Frauen- und Geschlechtergeschichte, sowie eine Vernetzung der Forschenden auf diesem Gebiet.
Dittmar Schorkowitz befasste sich in seinem Vortrag mit dem Verhältnis zwischen Osteuropäischer Geschichte und Ethnologie am Beispiel der Geschichte Russlands bzw. der Sowjetunion. Er wies dabei auf zahlreiche Möglichkeiten, ethnologische Fragestellungen für das Fach Osteuropäische Geschichte fruchtbar zu machen.

Nicht zuletzt sollte die Sektion VI einen Blick aus dem osteuropäischen Ausland auf die deutsche Osteuropa-Historiographie werfen. Anhand der Fallstudien Sowjetunion beziehungsweise Russland und Polen sollte der Frage nachgegangen werden, wie die betroffenen Länder selbst die deutsche Historiographie rezipiert haben.
Sergej Allenov machte in seinem Beitrag die Bedeutung politischer Rahmenbedingungen für den deutsch-russischen Historikerdialog deutlich. Er würdigte in seinem Rückblick nicht nur die wissenschaftlichen Leistungen, die auf beiden Seiten erbracht wurden, sondern wies auch auf die wissenschaftlichen Verluste hin, die unterschiedlichen politischen Umständen geschuldet sind.
Den Abschluß der Konferenz bildete der Vortrag von Henryk Olszewski über die Rezeption deutscher Historiographie über Polen in Polen, der unter anderem die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaftlern in Polen und der DDR hervorhob.

An die Vorträge schlossen sich jeweils sehr intensive und fruchtbare Diskussionen an, die den manchmal nur knapp bemessenen Zeitrahmen immer wieder sprengten. Die Konferenz nahm mit der Sektion VI nach zwei Tagen mit einem sehr dichtem Programm ihr Ende. Von den Veranstaltern wurde die Konferenz jedoch erst als ein Anfang gesehen, als ein Versuch der wissenschaftlichen Diskussion über die Geschichte des Faches Osteuropäische Geschichte.


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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