Generationen linker Politik in der Bundesrepublik 1947–1984

Generationen linker Politik in der Bundesrepublik 1947–1984

Organisatoren
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam; Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin; Institut für Soziale Bewegungen, Bochum
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.06.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Marcel Bois, Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg

Er ist unermüdlich: THEODOR BERGMANN (Stuttgart) feierte in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag – und tourt noch immer durch die Republik, um aus seinem bewegten Leben zu berichten. Der langjährige Professor für Agrarökonomie an der Universität Hohenheim ist vermutlich der letzte lebende Zeitzeuge des Kommunismus der Weimarer Republik. Im Jahr 1927 trat er dem Jungspartakusbund bei, kurz darauf wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands-Opposition (KPO) und musste schließlich aufgrund seiner jüdischen Herkunft ins Exil gehen. Noch heute bezeichnet er sich als kritischen Kommunisten.

Bergmann war gewissermaßen der Stargast eines Workshops, der am 23. Juni 2016 in den Räumlichkeiten des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam stattfand. Organisiert wurde dieser von Mitgliedern des Promotionskollegs „Geschichte linker Politik in Deutschland jenseits von Sozialdemokratie und Parteikommunismus“, das die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Jahr 2015 ins Leben gerufen hat. Angesiedelt ist das Kolleg am ZZF und am Institut für Soziale Bewegungen (ISB) in Bochum. Vier Doktorandinnen und Doktoranden sowie ein Habilitand forschen hier.

MARIO KESSLER (Potsdam), der von Seiten des ZZF das Kolleg betreut, betonte in seinem Begrüßungsbeitrag die dahinterstehende Intention. Es gehe darum, die Geschichte der Linken zurück in den Wissenschaftsdiskurs zu holen. Dabei sei es lohnenswert, sich von den Denkfiguren des Stalinismus zu lösen. Derweil machte sein Kollege STEFAN BERGER (Bochum) vom ISB auf die Bedeutung der einzelnen Forschungsvorhaben im Kolleg aufmerksam. In der Bundesrepublik sei überwiegend über die Geschichte der SPD geforscht worden, in der DDR fast nur über die der KPD: „Dazwischen gibt es viel zu entdecken.“

Thematisch standen die Beiträge des mit fünfzig Personen gut besuchten Workshops unter der Überschrift „Generationen linker Politik in der Bundesrepublik 1947–1984“. Einen Schwerpunkt bildete die „erste Generation“ der 1950er-Jahre. Lange Zeit, so betonten die Organisatoren, sei diese Generation vergessen worden. Dabei hätten ihre Akteure gegen NS-Kontinuitäten, Remilitarisierung und KPD-Verbot gekämpft und so erst die Grundlage für die Neue Linke von 1968 gelegt. Stalins Tod und die Umwälzungen des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei der Sowjetunion von 1956 hätten zudem neue Räume für marxistisches Denken jenseits der Lager von Marxismus-Leninismus und Sozialdemokratie geöffnet: „In der britischen Debatte werden daher die ‚56er‘ der New Left längst den 68ern gleichgestellt.“

Auch Zeitzeuge und Keynote-Speaker Bergmann konzentrierte seinen Beitrag auf die Neuformierungsprozesse der Nachkriegszeit. Unter dem Titel „Die 1950er-Jahre als Ausgangspunkt der Neuen Linken in der BRD“ berichtete er von den erfolglosen Bemühungen, die gespaltene Arbeiterbewegung zu vereinigen. Vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten, die gemeinsam die Konzentrationslager des NS-Regimes überlebt hatten, hätten sich hier hervorgetan. Zudem erinnerte Bergmann an die von Wolfgang Leonard im Jahr 1951 gegründete Unabhängige Arbeiterpartei Deutschlands – eine recht kurzlebige, am Jugoslawien Titos orientierte Formation. Die meiste Zeit seines knapp einstündigen Vortrags widmete er allerdings der Geschichte der Gruppe Arbeiterpolitik, der Nachfolgeorganisation der KPO der Weimarer Zeit. Bergmann selbst gehörte der Gruppe viele Jahre lang an. Insofern ist es verständlich, dass er sie als Zeitzeuge ins Zentrum seiner Ausführungen stellte. Doch sein Vortrag verdeutlichte auch, dass die Organisation außerhalb ihrer Hochburgen Nürnberg, Salzgitter und Hamburg lediglich eine untergeordnete Rolle bei der Entstehung der Neuen Linken spielte.

Ein anderer, möglicherweise einflussreicherer Akteur im Neuformierungsprozess war die „Verteidigungsbewegung“ der 1950er- und 1960er-Jahre, die SARAH LANGWALD (Bochum) vorstellte. Hierbei handelte es sich um parteiübergreifende Zusammenschlüsse von Juristen, die zur Zeit des KPD-Verbots Kommunistinnen und Kommunisten unterstützten, die ins Visier der Justiz geraten waren. Prominentester Vertreter der Bewegung war der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. In ihren Ausführungen machte Langwald auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die Akteure in gängige Generationsmodelle einzuordnen. Häufig würden unter das Schlagwort „Generation“ nur die zum jeweiligen Zeitpunkt dominierende oder im Nachhinein als solche konstruierte Generationseinheit gefasst. So entstammten die meisten Akteure der „Verteidigungsbewegung“ den Geburtsjahrgängen 1900 und 1915, deren Angehörige gemeinhin als „Kriegsjugendgeneration“ bezeichnet werden. Doch mit dieser Alterskohorte, welche die Demokratie von Weimar ablehnte und einen radikalen Nationalismus vertrat, hatten die Akteure der „Verteidigungsbewegung“ politisch nicht viel gemein.

Vielmehr geht Langwald davon aus, dass sie „aufgrund eigener Erfahrungen während der Zwischenkriegszeit, während der NS-Zeit und wegen ihres Außenseiterdaseins – mag es aus politischen oder religiösen Gründen gewesen sein oder wegen tiefer biografischer Einschnitte – sich in den Nachkriegsjahren nicht zum ersten Mal für politische Verfolgte engagierten: dass hier vielmehr eine Kontinuität zurück in die Vergangenheit vorliegt“. Zudem sei zu bedenken, dass es sich bei der „Verteidigungsbewegung“ um eine multigenerationelle Gruppe handelte. Ihr gehörten beispielsweise auch spätere „68er“ wie Hans-Christian Ströbele und Otto Schilly an. Dementsprechend sei eine stärkere konzeptuelle Differenzierung nach verschiedenen „Generationseinheiten“ innerhalb einer Altersgruppe notwendig.

DOMINIK RIGOLL (Potsdam) würdigte in seinem Kommentar, dass Langwald eine plausible Kritik an den Begrifflichkeiten der Generationengeschichte hervorgebracht habe. Sie habe zu Recht gezeigt, dass es auch unter den um das Jahr 1900 Geborenen Gegner des NS-Regimes gegeben habe. Dies zeige, dass die Zusammenfassung von verschiedenen Akteuren zu einer Generation immer auch konstruiert sei. Zugleich wies er darauf hin, dass Historikerinnen und Historiker häufig die Jüngeren, also die „68er“, als treibende Akteure der Demokratisierung und Liberalisierung der Bundesrepublik ansehen würden. Dabei würden sie jedoch vergessen, dass gerade Akteure der älteren Generationseinheit wichtige Stichwortgeber gewesen seien. Zugleich müsse jedoch auch gefragt werden, ob tatsächlich immer nur die Jüngeren von den Älteren gelernt hätten. Auch sei offen, wie die generationelle Erfahrung weitergegeben werde.

Derweil lenkte DAVID BEBNOWSKI (Potsdam), wie Langwald Stipendiat im Kolleg, den Blick auf eine spätere „Generation“ der Neuen Linken. In seinem Beitrag stellte er die beiden als undogmatisch geltenden Zeitschriften „Prokla“ und „Das Argument“ als wichtige Organe des akademischen Marxismus der 1970er-Jahre vor. Beide seien in fünfstelligen Auflagenhöhen erschienen und „demselben sozialen und politischen Biotop“ entstammt, nämlich der Freien Universität in Westberlin. Hier wurden sie gegründet – „Das Argument“ bereits 1959 im Umkreis der philosophischen Fakultät, die „Prokla“ im Jahr 1971 am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut – und ihre prägenden Figuren wie Wolfgang Fritz Haug („Das Argument) und Elmar Altvater („Prokla“) hätten als Dozenten weiterhin starke Verbindungen zur Freien Universität besessen.

Ins Zentrum seines Beitrags stellte Bebnowski jene Debatten, die in den 1970er-Jahren in beiden Zeitschriften über die „Krise des Marxismus“ geführt wurden. Dabei vertrat er die These, dass diese international diskutierte Krise den politischen Binnendynamiken innerhalb der Westberliner Linken Worte verlieh. Im Westen der geteilten Stadt sei sie die Folge von Konflikten gewesen, die zum Teil seit Beginn der Studentenbewegung geschwelt hätten. Die „Prokla“ habe in den Jahren nach 1968 eine „stark ökonomistische Marx-Auslegung“ entwickelt und dem Sozialistischen Bund nahegestanden. „Das Argument“ hingegen sei indirekt in eine theoretische Nähe zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und zur Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) gerückt. Nun, knapp ein Jahrzehnt später, hätten die Autoren der Zeitschriften versucht, sich aus diesem selbstgeschaffen „Getto“ zu befreien. Als zweiten Grund für die Krise der Zeitschriften benennt Bebnowski Repressionen durch den Staat. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass die Zeitschriften vor allem von Wissenschaftlern getragen wurden, deren Berufsperspektiven im öffentlichen Dienst gelegen hätten: „Mit der Verabschiedung des Radikalenerlasses 1972 schlossen sich Karrierewege an der Universität, die erst am Anfang der 1970er-Jahre für einige ‚neulinke‘ Hochschullehrer aufgegangen waren.“

Zudem habe – und damit knüpfte Bebnowski am Tagungsthema an – auch ein generationeller Konflikt zwischen jüngeren und älteren Redaktionsmitgliedern eine große Rolle für die Krise des Westberliner Marxismus gespielt: Es habe eben einen Unterschied gemacht, „ob man 1965 noch Student war oder aber in den Mittelbau überwechselte. Und um 1970 war die Situation, nachdem die Politisierungsschübe durch die Studentenbewegung gingen, man die wilden Jahre als Student noch voll durchlaufen hatte, erst recht eine andere.“ Seine These verdeutlichte er unter anderem am Beispiel des etwa dreißigjährigen Wolfgang Fritz Haug, der „Das Argument“ „qua Senioritätsprinzip“ geführt habe. Er sei der unumstrittene Kopf gegenüber einer Schar jüngerer „Schüler“ gewesen, aus denen sich die Redaktion rekrutierte.

Eine Krise der Linken gäbe es doch auch heute noch, konstatierte derweil ein Teilnehmer in der Abschlussdiskussion und fragte in Richtung Theodor Bergmanns, ob ihn das nicht verzweifeln lasse. „Es gibt so viel Hoffnungslosigkeit“, erwidert der Hundertjährige. Ihn hingegen könne so leicht nichts mehr erschüttern. „Ich habe Hitler, Stalin und das tausendjährige Reich überlebt“. Deshalb bleibe er ein „vorsichtiger Optimist“. Mit diesen Worten endete eine Tagung, die verdeutlichte, dass die westdeutsche Nachkriegslinke noch ausreichend Stoff zur Aufarbeitung bereithält. Produktiv wird die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte, das zeigte die Diskussion über den Generationenbegriff, wenn dabei Konzepte der bundesrepublikanischen Historiografie angewandt werden – und zugleich kritisch hinterfragt werden.

Konferenzübersicht:

Katrin Schäfgen (Berlin), Mario Keßler (Potsdam), Stefan Berger (Bochum): Begrüßung und Tagungseröffnung

David Bebnowski (Potsdam): Theoretische Sackgasse oder generationeller Bruch? Die „Krise des Marxismus“ am Ende der 1970er-Jahre in Argument und Prokla

Moderation: Richard Stoenescu (Potsdam)

Sarah Langwald (Bochum): Generationelle Brüche und Kontinuitäten in der „Verteidigungsbewegung“ der 1950er- und 1960er-Jahre.

Kommentar: Dominik Rigoll (Potsdam)

Moderation: Jule Ehms (Bochum)

Theodor Bergmann (Stuttgart): Die 1950er-Jahre als Ausgangspunkt der Neuen Linken in der BRD

Einleitung: Mario Keßler (Potsdam)

Moderation: Ralf Hoffrogge (Bochum)


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger