transmortale VII – Neue Forschungen zum Tod

transmortale VII – Neue Forschungen zum Tod

Organisatoren
Norbert Fischer / Anna-Maria Goetz / Susanne Möllers, Historisches Seminar, Universität Hamburg; Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (AFD); Reiner Sörries / Dagmar Kuhle, Stiftung Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur, Kassel; Moritz Buchner / Stephan Hadraschek
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.02.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Stephan Hadraschek, Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V. (AFD), Berlin

Die Themen Sterben, Tod und Trauer rücken immer mehr in den Fokus der fächerübergreifenden Forschung. Inzwischen interessieren sich Disziplinen wie die Soziologie, Psychologie sowie Geschichte, Volkskunde und Medienwissenschaften für den Wandel der Trauer- und Bestattungskultur. Ziel der transmortale ist es, aus unterschiedlichen Disziplinen und Ansätzen neue Forschungsperspektiven vorzustellen und in einer größeren Fachrunde zu diskutieren – so können aktuelle Fragen und Ergebnisse interdisziplinär diskutiert und inhaltliche Gemeinsamkeiten transdisziplinär zusammengeführt werden. Die “Transmortale“-Tagung findet jährlich statt und bietet über den Workshop hinaus eine Plattform für das Forschungsfeld Sterben, Tod und Trauer.

Nach Begrüßung und Einführung begann der Historiker BENJAMIN VAN DER LINDE (Innsbruck) mit seinem Vortrag über „Die Inszenierung des Leichnams. Kulturelle Konstruktionen von toten Körpern in der frühen Neuzeit im deutsch-niederländischen Vergleich (circa 1600–1800)“. Der Tod eines menschlichen Individuums beendete zu damaliger Zeit keineswegs seine physische Existenz. Sofern keine Verfügungen für die Zeit nach dem Tod verfasst worden waren, stand der Umgang mit dem Körper in der Verantwortung der Hinterbliebenen. Dies konnten sowohl Verwandte als auch andere Personen, wie beispielsweise Ärzte und Amtspersonen sein. Zwischen Tod und Beisetzung gab es eine Zeit, in der der tote Körper sich in der Verantwortlichkeit dieser Hinterbliebenen befand. Van der Lindes Forschungsprojekt knüpft an diesen Punkt an und untersucht, wie Leichname in der frühen Neuzeit in Szene gesetzt wurden. Ziel des Projekts ist eine Verortung des Leichnams in der frühneuzeitlichen Gesellschaft und die Klärung der Rolle von Körperlichkeit von Toten. Van der Linde stellt dabei die These auf, dass sich gerade in der Betrachtung des Leichnams und dem Umgang mit dem toten Körper gesellschaftliche Prozesse, Vorstellungen und Annahmen widerspiegeln. Das Projekt analysiert drei thematische Komplexe: (1) Die frühneuzeitlichen Anatomien sowie die Kuriositätenkabinette; (2) Inszenierungen im Rechtswesen (Strafgerichtsbarkeit) sowie die sich daran anschließenden Körperteilverwendungen; (3) Der Leichnam in der „Volkskultur“ und der Frage nach der Inszenierung bei Aufbahrungen und Bestattungen. In thematischer Hinsicht wird ein Vergleich der Niederlande mit Fällen aus dem Heiligen Römischen Reich angestrebt. Gerade diese beiden Regionen erscheinen in Bezug auf ihre konfessionellen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen besonders divergierend gewesen zu sein.

Der zweite Vortrag schloss mit der Kulturwissenschaftlerin WIEBKE NEUSER (Paderborn) an: „Die Einführung der Feuerbestattung in Preußen und der Hagener Krematoriumsbau von Peter Behrens von 1907“. Der Vortrag beschäftigte sich mit den Entwicklungen bezüglich der Kremation in Preußen während der zweiten Hälfte des 19. und dem frühen 20. Jahrhundert. Dabei lag der Fokus auf der Stadt Hagen, in der das erste preußische Krematorium 1907 gebaut wurde. Gestützt wird die Forschung durch eine große Anzahl verschiedener Quellen unter anderem aus dem Stadtarchiv Hagen, dem Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen und dem Geheimen Staatsarchiv Preußischen Kulturbesitzes. Die kontroverse Debatte um die Kremation wurde durch Diskutanten des Bildungsbürgertums, durch (Natur-)Wissenschaftler und kirchliche Akteure geprägt. Besonders die beiden Kirchen positionierten sich gegen die Idee, Verstorbene zu verbrennen. Die Argumente für die Feuerbestattung kamen dabei aus der Wissenschaft (Hygiene) und der Ökonomie. Vorbehalte hatten die konservativ geprägte preußische Regierung und deren kirchlich-religiöse Abgeordnete. Die Aktivitäten des Hagener Feuerbestattungsvereins (Bau des Krematoriums) führten dazu, dass das Thema auch im preußischen Landtag in der Diskussion blieb. Dies führte letztlich zu einem Gesetz zur Feuerbestattung und ihrer Erlaubnis im Jahre 1911. Der Architekt des Krematoriums war kein unbekannter: Peter Behrens, ein deutscher Architekt, Maler, Designer und Typograf, führender Vertreter des modernen Industriedesigns, wurde von Karl Ernst Osthaus, einem Hagener Kunstmäzen, engagiert. Behrens Entwürfe unterscheiden sich stark von den ursprünglichen Plänen des Baumeisters F. Sanders, der gleichzeitig Mitglied des Hagener Feuerbestattungsvereins war. Neuser stellte die beiden Entwürfe für das Krematorium vor: Während Sanders ein historistisches Gebäude im Stil der Zeit entwarf, griff Behrens für seine Überlegungen auf geometrische Strukturen zurück. Die Quellen zeigten, so Neuser, dass Hagen, der dortige Feuerbestattungsverein und das Hagener Krematorium einen großen Einfluss auf die politische Diskussion zur Feuerbestattung ausübten und letztendlich auch für deren Einführung in Preußen im Rahmen eines Feuerbestattungsgesetzes von hoher Bedeutung waren.

Vor der Mittagspause referierte die Sinologin GRETE SCHÖNEBECK (Frankfurt am Main) über das Thema: „Wie soll man sie begraben? Elemente der Bestattungskultur in China im Wandel“. Der Vortrag stellte die ersten Ergebnisse der Feldstudien vor, die Schönebeck im Rahmen eines DAAD Jahresstipendiums 2014/2015 in China durchgeführt hat. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung war die Frage, wie und ob die chinesischen Bestattungsreformen in den einzelnen Regionen umgesetzt werden und welche Folgen dies hat. Insbesondere geht es dabei um die seit den 1990er-Jahren durchgesetzten Neuerungen des Kremationszwanges und der Einrichtung von öffentlichen Friedhöfen. Folgende Fragestellungen ergaben sich für die Untersuchung: Was für Regeln und Rahmenbedingungen gibt es in verschiedenen Provinzen auf dem Land und in Großstädten? Und wie sieht die Realität aus? Inwiefern werden die Regelungen umgesetzt? Das gefundene Material ist sehr disparat, so Schönebeck. Bestattungspraxen unterscheiden sich regional, sie sind abhängig von Religion und sozialem Hintergrund der Verstorbenen und deren Hinterbliebenen. Außerdem schafft die unterschiedliche Handhabung der nationalen Leitlinien zur Bestattungsreform in der lokalen Politik und Gesetzgebung eine eher pluralistische Bestattungskultur im heutigen China. Zudem mischen sich Elemente europäischer Tradition mit den traditionell chinesischen Formen.

Block II wurde mit dem Vortrag der Historikerin EVA MARIE LEHNER (Duisburg / Essen) über „Den Tod verzeichnen: Trauer und Hoffnung in frühneuzeitlichen Kirchenbüchern“ fortgesetzt. Kirchenbücher sind eine administrative Innovation der Frühen Neuzeit, denn im Kontext von Reformation und Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert haben kirchliche und weltliche Obrigkeiten das Verzeichnen von Taufen, Eheschließungen und Bestattungen für ihre Kirchengemeinden durchgesetzt. In diesen Büchern sollte nahezu jede Person über ihre biographischen Daten (Taufe, Ehe, Tod) schriftlich dokumentierbar und verwaltbar gemacht werden. Lehner betonte, dass dem Verzeichnen von Personen und kirchlichen Akten dabei auch eine wichtige Funktion bei der Seelsorge, der spirituellen und emotionalen Aufsicht über die Kirchengemeinden vor Ort zukam. In Ihrem Dissertationsprojekt beschäftigte sich Lehner bislang vor allem mit verwaltungsgeschichtlichen Funktionen der Kirchenbücher und möchte nun auch emotionsgeschichtliche Fragen an die Quellen stellen. Dabei geht es Lehner vor allem darum herauszufinden, wie Gefühle in den Registern narrativiert und produktiv gemacht wurden. Wie wurden Emotionen in Bezug auf Tod und Sterben in den Kirchenbüchern verzeichnet? Wie wurden Trauer und Hoffnung in den Einträgen fixiert und damit überzeitlich festgehalten? In Zeiten von Pest und Krieg nahm die Mortalitätsrate stark zu. Diese Extreme von Sterben und Tod beeinflussten auch die Verzeichnispraxis, indem beispielsweise die Einträge zu unübersichtlichen Nummernlisten wurden. Einträge zu hingerichteten Personen stellen eine weitere Besonderheit dar. Dabei wurde meist nicht die Straftat, sondern die Hinrichtungsart verzeichnet, womit der Text nicht auf die Sünde, sondern die Sühne (und damit auf eine potentielle Vergebung, so Lehner) bezogen wird. Eine weitere Herausforderung für die Kirchenschreiber war das Dokumentieren von ungetauften und totgeborenen Kindern, deren Seelenheil ungewiss blieb. Lehner verwies auf die wichtige Aufgabe beim Verzeichnen dieser Tode und deren Verschriftlichung und der damit überzeitlichen Fixierung von Trauer und Hoffnung. Dabei wurde die Sorge um die Seelen in einem offiziellen Dokument verzeichnet. Diese Möglichkeit, Trauer und Erinnerung permanent zu fixieren, hatte vermutlich auch Rückwirkung auf die Formung von religiösen Emotionen in Bezug auf Tod und Erinnerung und darüber auf die Herausbildung religiöser Identitäten.

Die Literaturwissenschaftlerin ANASTASIIA AFANASEVA (Moskau / Freiburg) sprach in ihrem Vortrag über „Erzähl- und Zeitstrukturen in den französischen und deutschen literarischen Trauernarrativen der 2010er“. Textkorpus für den Vortrag: Alexa Hennig von Lange Woher ich komme (2010), Michel Rostain Le fils (2011), Sylvia Baron Supervielle Lettres à des photographies (2013)1. Alle diese autofiktionalen Texte thematisieren das Leben und den Tod einer dem Erzähler nahestehenden Person und seine Trauer. Afanaseva fragte in ihren Ausführungen, ob diese Texte nicht nur über eine thematische, sondern auch über eine strukturelle Einheit verfügen? Um diese Frage zu beantworten, hat Afanaseva eine Analyse ihrer Erzähl- und Zeitstrukturen durchgeführt, die sich unter anderem auf ein von Achim Aurnhammer und Thorsten Fitzon zur Erforschung lyrischer Trauernarrative ausgearbeitetes narratologisches Modell stützt. Sie differenzieren beim Figurentext (Wolf Schmid) zwischen Hinterbliebenen-, Toten- und Partnertext, um ihre Überlagerung sowie die Aktualisierung und Distanzierung der Verlustemotionen im Text nachvollziehen zu können. Alle Texte sind als Ich-Erzählung verfasst. In fast allen Fällen ist der autodiegetische Narrator ein Hinterbliebener, und der Adressat des Textes die oder der Gestorbene, so Afanaseva. Michel Rostain führt eine Inversion dieses Modells durch, das sich allerdings bei genauerer Analyse als scheinbar erweist und eine komplexe Interferenz der Erzähler- und Totentexte darstellt. Die Werke ermöglichen, u.a. mithilfe der Prosopopöie und der Textinterferenz, einen Dialog mit den Gestorbenen und die Selbstidentifikation der Erzähler(innen) mit ihnen. Die Darstellung der Zeit vor und nach dem Tod unterscheidet sich wesentlich. Im Unterschied zur Autobiographie ist die Zeitschicht des Präsens hier sehr wichtig, denn sie umfasst gleichzeitig die erzählte und die Erzählzeit der Trauer, die simultane Narration wird aktiv benutzt. Die Zeit nach dem Tod wird entweder als stillstehend und starr dargestellt (Sylvia Baron Supervielle2), oder es kommt zu einer Überlappung der Zeitebenen (Alexa Hennig von Lange, teilweise Michel Rostain), was wiederum der Aktualisierung des Verlustes dient. Das alles ermöglicht die Vergegenwärtigung der Traueremotionen und der Erinnerung, die als Treue der oder dem Verstorbenen gegenüber zu verstehen sind.

Den Block II schloss der Soziologe EKKEHARD KNOPKE (Weimar) mit seinem Vortrag „Trauerfeier ist gleich Atmosphäre - ohne das geht es nicht. Ästhetische Praktiken und die professionelle Herstellung eines Ambientes auf Trauerfeiern“ ab. In Werbeanzeigen und Selbstbeschreibungen betonen Bestatter und Trauerredner oftmals die „ruhige“, „friedliche“ und „angemessene“ Atmosphäre der von ihnen organisierten Trauerfeiern, so Knopke. Doch wie gewährleisten sie und weitere professionelle Akteure die „Angemessenheit“ einer Sache, die zwar allgegenwärtig scheint, aber dennoch „etwas durchaus Vages ist, etwas Unbestimmtes, etwas Unfassliches“?3 fragt Knopke. Ihn interessiert dabei, wie die professionellen Akteure spezifische Atmosphären im Rahmen einer Trauerfeier produzieren. Aufbauend auf seiner Masterarbeit „Fühlbarer Abschied. Zur Produktion von Atmosphären auf Trauerfeiern aus praxistheoretischer Perspektive“ möchte Knopke diese Frage aus dem Blickwinkel einer Theorie sozialer Praktiken heraus beantworten, um somit die Rolle der Artefakte, der körperlich-routinierten Vollzüge und des impliziten Wissens der Akteure hervorheben zu können. Basierend auf der Grounded Theory hat Knopke im Raum von Erfurt bis zum Altenburger Land zwölf Trauerfeiern sowohl teilnehmend als auch nichtteilnehmend beobachtet, Experteninterviews mit je drei Bestattern, Trauerrednern, Friedhofsmitarbeitern und Pfarrern geführt sowie in einem Ausbildungsseminar der Theo-Remmertz-Akademie in Münnerstadt hospitiert. Anhand des empirischen Materials verdeutlichte Knopke in seinem Vortrag, wie die beteiligten professionellen Akteure routinemäßig jene materiellen Komponenten und körperlichen Tätigkeiten einer Trauerfeier arrangieren, welche das atmosphärenkonstituierende „Affektif“4 bilden. Diese Praktiken zielen somit nicht primär auf die Entlastung der Trauergemeinschaft, eine Sinngebung des Todes oder den Abschied vom Verstorbenen, sondern eher auf die sinnlich-ästhetische Erfahrung der Situation. Es sind zugleich „Techniken des Sozialen“5, die letztendlich nicht zur Freisetzung beliebiger Affektivitäten dienen, sondern deren Kontingenz reduzieren. Die Atmosphäre einer Trauerfeier erscheint somit im Wesentlichen beeinflusst von der Arbeitsteilung und dem Habitus der professionellen Akteure und deren Präferenzen.

Die Kulturwissenschaftlerin SANDRA BRAUN (Lübeck) sprach zu Beginn des letzten Tagungsabschnitts über „Trauer und Trauma der Weltkriegssoldaten: Mediale Fremd- und Selbstbetrachtungen historischer Krisensituationen, Kriegs- und Gewalterfahrungen“. Zur Verankerung von Heldenbildern im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft müssen heroische Figuren, Formen und Konstruktionen eine Projektionsfläche und ein Identifikationsangebot bzw. Identifikationssetzungen für breite Bevölkerungsschichten liefern, so Braun. Ihren gestalterischen Ausdruck finden sie in Form von Monumenten, in der Historienmalerei, in der Historiographie, in literarischen Texten, im historischen Roman wie in der Lyrik. Die verschiedenen Konzepte des „Kriegsheroismus“ selbst als politische Modelle regulieren den spezifischen Umgang mit verwundeten oder getöteten Soldaten, patriotischen Handlungen, Kriegsgeschehen, Kriegs- und Feindmustern, die in unterschiedlichen Perspektiven und durch Imaginationsakte visuell und rhetorisch dargestellt und inszeniert werden. Die Figur des Heroischen, das Kriegs- und Soldatendenkmal sowie die Kriegsgräberstätte, gewinnt Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft durch spezifische Visualisierungsstrategien, die zwischen der Medialität und Materialität des Dargestellten sowie dem idealistischem Anspruch und ideologischer Überhöhung die öffentliche Kriegswahrnehmung steuern und lenken – und somit „heroisches Handeln“ oder „die Heldentat“ als unmittelbare Option der soldatischen Selbstkonstitution präsentieren. Berücksichtigt werden müssen das politische Wirksamwerden von Emotionen, öffentliche Gefühlslagen sowie spezifische öffentliche Emotionen in Anlehnung an die Webersche Konzeption, nach der Emotionen eine legitime Stellung innerhalb des modernen politischen Gemeinwesens einnehmen und bewusst zur politischen Lenkung selektiert und instrumentalisiert werden (ikonische Politik).6 Im Zentrum ihres Beitrages beschrieb Braun die Kriegserinnerungen und die Erinnerungsfiguren der Zeit der Weimarer Republik in der Stadt Lübeck unter Schwerpunktsetzung auf den bildlichen Visualisierungen und den Visualisierungsstrategien (Politikstile) zur Inszenierung des Soldatentodes und seiner ästhetischen wie heroischen Präsenz. Braun zeigte damit auf, in welcher Weise der Erste Weltkrieg und die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten zum Gegenstand medialer Konstruktionen und Repräsentationen von Kriegserinnerungen wurden, welche formalen Ausgestaltungen gewählt wurden, wer Träger, Konzeptor und Initiator dieser Stiftungen war und welche Rolle sie innerhalb der öffentlichen Kommemorationspraktiken sowie der Offiziersgeschichtsschreibung spielten. Daneben erörterte Braun die zeitgenössische bürgerliche Kriegs- und Kriegerliteratur, die in die Diskussionen mit einbezogen werden soll: Durch poetische und pathetische Verse der Kriegslyrik an den einzelnen Denkmälern wurde das Soldatentum gefeiert oder glorifiziert und ein selbst-reflexives Moment innerhalb der Konzeption für den Bildbetrachter integriert, so dass schließlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Affekt und Erlebnisauthentizität geschaffen wurde.

Anschließend referierte die Soziologin und Politologin MIRIAM SITTER (Hildesheim) „Zum Wunsch des ‚Normalseins‘ von trauernden Kindern“. Das Thema „Trauer und Kind“ erhält seit einigen Jahren mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Evangelische und katholische Kirchengemeinden, ambulante Hospizdienste sowie Trauerzentren etc. bieten vielfältige Unterstützungsangebote etwa in Form von Gruppen- und Einzelberatungen oder offenen, kreativen Gesprächsrunden an, um Kinder in ihrer Verlust- und Trauererfahrung zu begleiten. Es wird hierbei als bedeutsam betrachtet, trauernden Kindern einen Raum zu geben, um über den Tod ihrer nahestehenden Bezugsperson(en) und die damit verbundenen Gefühle, Ängste und Sorgen sprechen zu können. In diesem Rahmen gilt es als selbstverständlich, Kindern nicht nur altersentsprechende Ausdrucksformen ihrer Trauer zu ermöglichen, sondern ihnen auch die Gelegenheit für „trauerfreie Zonen“7 zu bieten, damit sie ihre Gedanken und Gefühle kindgerecht ordnen können. Doch bis zu welchem Grad kann und sollte es als selbstverständlich gelten, wenn Kinder diese trauerfreie Zone für sich gänzlich in Anspruch nehmen wollen und den Wunsch äußern, nicht zu trauern, sondern ‚wieder normal zu sein‘? An dieser Fragestellung setzte der Vortrag von Sitter an: Einerseits griff sie auf Erfahrungsberichte in der Praxis der Trauerbegleitung und andererseits auf theoretische Konzepte eines Habilitationsprojektes zurück. Dabei stellte sich heraus, dass der Wunsch nach Normalität von trauernden Kindern unter anderem einen Schutzfaktor darstellen kann, den es im Rahmen der Trauerbegleitung entsprechend ernst zu nehmen gilt. Somit zeigt sich laut Sitter, dass die Erwachsenen-Perspektive innerhalb der Trauerbegleitung stärker hinterfragt und beleuchtet werden muss: Denn es sind die erwachsenen BegleiterInnen, die eine Vorstellung vom „normalen kindlichen Trauerverlauf“ formulieren und Entscheidungen darüber äußern, ab wann ein Kind zu viel trauerfreie Zonen nutzt und insofern Trauerverdrängung betreibt.

Den Schlussvortrag von Block III gab dann die Sozialpädagogin SUSANNE LOKE (Bochum) zum Thema „Unentdeckte Tode – Forschungsstand und –perspektiven“. Als „unentdeckt Verstorbene“ bezeichnete Loke in ihrem Vortrag Menschen die Wochen, Monate, in seltenen Fällen auch erst Jahre nach ihrem Tod „entdeckt“ werden. Wie viele Menschen einsam versterben, ist statistisch nicht feststellbar. In der Wahrnehmung von Personengruppen, die von Berufs wegen mit diesen Todesfällen konfrontiert sind ─ wie Bestatter, Geistliche, Polizei – und Ordnungsbeamte ─ handelt es sich um ein Phänomen mit wachsender Bedeutung. Diese unentdeckten bzw. einsamen Tode sind ein bisher im öffentlichen wie auch politischen Diskurs, in der Forschung und in der Sozialen Arbeit vernachlässigtes Thema. Die Relevanz für die Soziale Arbeit scheint zunächst erklärungsbedürftig, geht es doch um Verstorbene, um Menschen, die keine Hilfe mehr erreichen kann. Ausgehend von der Hypothese, dass einsam Verstorbene mehrheitlich sozial Exkludierte sind, deren physischem Tod ein sozialer Tod, ein allmähliches „Herausgestorben-Werden“ aus den gesellschaftlichen Bezügen vorweg geht, wird der Handlungsbedarf für alle gesellschaftlichen Akteure, auch für die Fachkräfte der Sozialen Arbeit, deutlich. Loke betrachtet in ihrer Forschung die Thematik einsamer Tode aus der spezifischen Perspektive des Sozialraums. Es ging darum ─ theoretisch und empirisch ─ zu überprüfen, ob im Fall einsam verstorbener Menschen der Prozess der sozialen Exklusion mit den jeweiligen räumlichen und sozialen Bedingungen im Zusammenhang steht. Die Untersuchung belegte dies und zeigte darüber hinaus, dass sich die inklusions- bzw. exklusionsförderlichen Wirkungen von Sozialräumen identifizieren lassen, wenn das Wechselwirkungsgefüge gesellschaftlicher (struktureller), sozialer, räumlicher und individueller Faktoren kleinräumig (unterhalb der Stadtteilebene) analysiert wird. Es ist zweifelsfrei, dass das Risiko einsamer Tode sowohl in einem beliebten Wohngebiet als auch in einem „sozialen Brennpunkt“ besteht, so Loke. Für diese augenscheinlich gegensätzlichen Sozialräume lässt sich eine Vielzahl gemeinsamer Wirkfaktoren benennen. Da die Gestaltungsmöglichkeiten einzelner Beteiligter ─ auch der Kommune und der Sozialen Arbeit ─ begrenzt sind, scheint ein breites Bündnis aller im Sozialraum wirkenden und wirksamen Akteure notwendig.

In der Abschlussdiskussion wurde der interdisziplinäre Austausch im „Diskurs über den Tod“ betont. Insbesondere den letzten Vortrag zu „Unentdeckte Toten“ aufgreifen, wurde die Notwendigkeit einer interdisziplinären Perspektive erörtert. Hier wurde die Dringlichkeit einer sorgenden Gesellschaft angemahnt, die auch als Gegenpol einer umgreifenden Professionalisierung auch im Kontext von Sterben und Tod zu begreifen ist. Zudem macht sich die Trauer im öffentlichen Raum immer bemerkbarer: Straßenkreuze, spontane und private Gedenkplätze sind sichtbare Zeichen dafür. Auch dies ein Hinweis für eine sorgende, mitfühlende Gesellschaft. Das große Interesse an der Transmortale VII hat auch in diesem Jahr wieder gezeigt, wie wichtig diese Veranstaltung für den interdisziplinären fachlichen Austausch zum Thema „Tod“ ist. Da die Veränderungen sowohl der Bestattungskultur als auch bei den Gesundheits- und Lebenswissenschaften rasant sind wird es zunehmend wichtig, diese Entwicklungen zu beobachten und kritisch-historisch, wissenschaftlich, zu begleiten.

Konferenzübersicht:

Block I

Begrüßung und Einführung

Benjamin van der Linde (Innsbruck): Die Inszenierung des Leichnams. Kulturelle Konstruktionen von toten Körpern in der frühen Neuzeit im deutsch-niederländischen Vergleich (ca. 1600 – 1800)

Wiebke Neuser (Paderborn): Die Einführung der Feuerbestattung in Preußen und der Hagener Krematoriumsbau von Peter Behrens von 1907

Grete Schönebeck (Frankfurt am Main): Wie soll man sie begraben? Elemente der Bestattungskultur in China im Wandel

Block II

Eva Marie Lehner (Essen): Den Tod verzeichnen: Trauer und Hoffnung in frühneuzeitlichen Kirchenbüchern

Anastasiia Afanaseva (Moskau/Freiburg): Erzähl- und Zeitstrukturen in den französischen und deutschen literarischen Trauernarrativen der 2010er-Jahre

Ekkehard Knopke (Weimar): „Trauerfeier ist gleich Atmosphäre; ohne das geht es nicht“. Ästhetische Praktiken und die professionelle Herstellung eines Ambientes auf Trauerfeiern

Block III

Sandra Braun (Lübeck): Trauer und Trauma der Weltkriegssoldaten: Regiments- und Soldatendenkmäler als mediale (Fremd-)Betrachtungen historischer Krisensituationen

Miriam Sitter (Hildesheim): Zum Wunsch des „Normalseins“ von trauernden Kindern

Susanne Loke (Bochum): Unentdeckte Tode – Forschungsstand und –perspektiven

Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Die Forschungsergebnisse gelten bedingt ebenso für einen weiteren Textkorpus, nämlich Laure Adler A ce soir (2002), Michel Deguy À ce qui n’en finit pas: thrène (1995), Annie Ernaux L’autre fille (2011), Philippe Forest L‘enfant étérnel (1997) und Toute la nuit (1998), Eric Fottorino L'homme qui m'aimait tout bas (2010), Jerôme Garcin Olivier (2011), Mikhail Kononov Похороны кузнечика [Die Beerdigung einer Heuschrecke] (2000), Camille Laurens Philippe (1995), Inna Lisnianskaya Без тебя [Ohne dich] (2003) und teilweise für Angelika Overath Nahe Tage (2005).
2 Aber auch, beispielsweise, in Michel Deguy À ce qui n’en finit pas: thrène oder Philippe Forest Toute la nuit.
3 Gernot Böhme, »Die Kunst des Bühnenbildes als Paradigma einer Ästhetik der Atmosphären«, in: ders., Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, 7., erweiterte und überarbeitete Auflage, Berlin 2013, S. 101–111; hier: S. 102.
4 Vgl. Robert Seyfert, »Atmosphären – Transmissionen – Interaktionen: Zu einer Theorie sozialer Affekte«, in: Soziale Systeme 17, S. 73–96.
5 Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin 2012, S. 25.
6 Bettina Plett, Problematische Naturen? : Held und Heroismus im realistischen Erzählen. München 2002.
7 Margit Franz, Tabuthema Trauerarbeit. Kinder begleiten bei Abschied, Verlust und Tod. München 2013.


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