15 Jahre Samtene Revolution

15 Jahre Samtene Revolution

Organisatoren
Waldviertel Akademie in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Ost- und Südosteuropainstitut mit seiner Zweigstelle Niederösterreich und dem Verein Kuklturen an der Grenze
Ort
Waidhofen an der Thaya
Land
Austria
Vom - Bis
10.12.2004 - 11.12.2004
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Von
Niklas Perzi, Waldviertel Akademie

15 Jahre nach den November-Tagen des Jahres 1989 in der Tschechoslowakei ist die „Samtene Revolution“ nicht im historischen, sondern im „lebendigen“ Gedächtnis nicht nur der Akteure von damals, sondern auch der tschechischen (und slowakischen) Gesellschaft zu verorten.1 Es war daher notwendig, zur Konferenz „15 Jahre Samtene Revolution“, die von der Waldviertel Akademie, dem Österreichischen Ost- und Südosteuropainstitut und dem Verein Kulturen an der Grenze am 10. und 11. Dezember 2004 in Waidhofen/Thaya veranstaltet wurde, nicht nur Historiker, sondern auch Akteure und Zeitzeugen von damals einzuladen.

Der Tagungsverlauf zeigte, dass sich diese Verbindung unterschiedlicher Perspektiven bewährte. Beata Blehová, Assistentin am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, führte mit in ihrem Referat über die späten 80er Jahre in der Tschechoslowakei in die Vorgeschichte des Themas ein. Blehová arbeitete darin vor allem die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der Kommunistischen Partei heraus, die sich 1987 nach dem Rücktritt von Gustav Husák als Parteichef und der Nachfolge von Miloš Jakeš immer stärker bemerkbar machten. Sie ging dabei vor allem auf die Rolle der letzten beiden tschechoslowakischen KP-Ministerpräsidenten Lubomír Štrougal und Ladislav Adamec ein, denen sie zwar den Willen zu (vor allem ökonomischen) Reformen zubilligte, von denen sie aber glaubte, dass sie aufrund der mangelnden Unterstützung innerhalb der KP, aber auch von Seiten Moskaus (Gorbačov) diese nicht durchsetzen konnten.

Diese differenzierte Sicht auf die Strukturen innerhalb der KP löste keine ungeteilte Zustimmung aus. Jan Čarnogurský, führender katholischer Dissident in der Slowakei der 1980er-Jahre, betonte vor allem die veränderte geopolitische Situation nach dem Machtantritt Gorbačovs als das auslösende Moment für die Reformbemühungen bzw. den späteren Zusammenbruch des Regimes. In seinem Vortrag strich er die große Bedeutung des katholischen „Untergrundes“ für die innere Zersetzung des „real existierenden Sozialismus“ in der Slowakei heraus. Die oppositionellen bürgerlich-liberalen Gruppen, aber auch die 1968/69 aus der Partei ausgeschlossenen Reformkommunisten spielten hingegen in der Slowakei im Gegensatz zu den Böhmischen Ländern keine besondere Rolle, obgleich sie in den späten 1980er-Jahren zu einer gewissen Form der Kooporation untereinander fanden.

Kam mit Čarnogurský ein Dissident zu Wort, der nach 1989 zum Bestandteil des Establishment wurde, so blieb Emanuel Mandler seiner „Dissidentenrolle“ in gewissem Sinne auch nach 1989 – wenn auch ungewollt – treu. Mandler vertrat vor 1989, im Gegensatz zur Charta 77 mit ihrer Betonung auf den moralischen und menschenrechtlichen Charakter des „Dissens“, eine betont (partei-)politische Orientierung , die 1987 in der Gründung der Demokratischen Initiative und dem Versuches der Umwandlung zur politischen Partei noch vor der November-Wende 1989 gipfelte. Mandlers Vorwürfe an die Charta, der er „elitäre Abgehobenheit“ vorwarf, übertrugen sich nach 1989 relativ rasch auf die neuen Eliten. So sah er in den Vorbehalten Havels gegen die klassische Parteipolitik eine Fortsetzung seiner „antipolitischen Politik“ des Dissens. Den mangelnden Erfolg der Demokratischen Initiative sieht Mandler in ihrer gezielten Ausschaltung von Seiten der neuen Eliten nach 1989 begründet, die sich mit dem Ancien Regime auf die Art und Weise der Machtübernahme geeinigt und in der Demokratischen Initiative nur einen lästigen Konkurrenten gesehen hätten. Diese – von Mandler im übrigen in zahlreichen Publikationen 2 vorgelegten – Thesen riefen scharfen Widerspruch von Čarnogurský, aber auch Václav Žák hervor. Žák, Erstsignatar der Charta und 1989 im inneren Zirkel des Bürgerforums (Občanské Forum) aktiv, wies darauf hin, dass dieses sich nicht als Opposition, sondern als Gündungsnukleus für neue Parteien verstanden hätte. Václav Havel wäre 1989 der Mann mit der höchsten politischen, Václav Klaus der mit der größten ökonomischen Autorität gewesen, deshalb hätten sich gerade diese beiden durchgesetzt.

Mit Mandler in gewisser Weise konform ging Čestmír Čísař, einer der führenden Politiker des „Prager Frühlings“. Er war in den späten 1980er-Jahren einer der Gründerväter der „Obroda“ (Wiedergeburt), des „Klubs für den demokratischen Sozialismus“ und 1989 genauso wie schon 1968 als Präsidentschaftskandidat im Gespräch. Die Obroda unterschied sich mit ihrer dezidiert politischen Ausrichtung ähnlich wie die Demokratische Initiative von der Charta, war aber personell eng mit dieser verbunden. Obwohl sie die Gruppe mit dem wohl am detailliertest ausgearbeiteten Reformprogramm gewesen war, spielte sie nach dem Umbruch keine wesentliche Rolle mehr. Čisař führte dies einerseits auf die zu große Kompromissbereitschaft der Obroda-Führung gegenüber dem Bürgerforum zurück, das eine Rückehr zum „Sozialismus mit menschlichen Antlitz“ energisch ablehnte, aber auch eine allgemeine Stimmung in der Bevölkerung, die vom „Sozialismus“ in allen seinen Varianten einfach genug gehabt hätte. Čisařs Einschätzung, die auch der deutsche Politikwissenschafter Markus Mauritz teilte, stehen in gewissen Widerspruch zu Meinungsumfragen 3, die kurz vor und nach dem November 1989 durchgeführt wurden und in der sich eine überwiegende Mehrheit für die Beibehaltung des „sozialistischen“ Modells aussprach. Zur Aufklärung dieser Diskrepanz sind jedoch weitere Forschungen notwendig.

Jan Bureš, Historiker an der Prager Karls-Universität, versuchte die Ereignisse rund um den 17. November1989 theoretisch einzuordnen und stellte die Frage, ob man dabei von einer Revolution sprechen könne. Er kam zum Schluß, dass der Begriff – alleine auf die Novembertage angewandt –, nicht zutreffe. Begreift man die Ereignisse aber in einer längeren Perspektive bis hin zum Dezember 1992, so könne man durchaus von revolutionären Veränderungen sprechen. Bureš kam auch auf die zentralen Fragen rund um die Ereignisse des 17. Novembers zu sprechen. Bis heute ist nicht klar, wer den Befehl zum brutalen Einsatz der Sicherheitskräfte gegen die demonstrierenden Studenten auf der Prager Nationalstraße gab und wer ein Interesse an der Weitergabe der Falschmeldung über den dabei getöteten Studeten Martin Šmid gehabt hatte. Sollte es der Staatssicherheit mit diesem Vorgehen darum gegangen sein, die KP-Führung zu diskretitieren und eine Art tschechoslowakische „Perestrojka“ in Gang zu bringen, so scheiterte dies zum einem an den diamentral unterschiedlichen Vorstellungen des sich rasch bildenden Bürgerforums, dem es gelang, die „Strasse“ für sich zu gewinnen, zum anderen an der Unfähigkeit des Regimes, auf die Ereignisse angemessen zu reagieren. Der Versuch von Ministerpräsident Ladislav Adamec, ohne Rücksprache mit der paralysierten und handlungsunfähigen Parteiführung die führende Rolle an sich zu reißen und somit zu retten, was noch zu retten war, war ebensowenig von Erfolg gekrönt, wie die Vorschläge aus der Armeeführung, die Massenproteste gewaltsam niederzuschlagen. „Die Partei reagierte, aber agierte nicht“, so Bureš. Als Schlüsselfigur für die Inzensierung der friedlichen Übergabe der Staatsmacht sollte sich schließlich der KP-Minister Marian Čalfa erweisen, der – ursprünglich Vertrauensmann von Adamec – die Wahl von Havel durch das KP-Parlament zum neuen Staatspräsidenten arrangierte und damit dem ursprünglichen Favoriten Alexander Dubček, dem aus der Versenkung wieder aufgetauchten Symbol des Prager Frühlings, den Weg ins höchste Staatsamt verwehrte. Bureš Aussage, wonach die Dissidenten (etwa im Unterschied zu Polen) auf die Machtübernahme nicht vorbereitet gewesen seien, rief wiederum scharfen Widerspruch bei den anwesenden Zeitzeugen hervor – niemand habe sich vor 1989 auf ein Ministeramt vorbereiten können.

Die Beiträge der Zeitzeugen Ferenc Wilfing, Barbara Coudenhove-Kalergi, Přemysl Janyr und Václav Žak stellten interessante Ergänzungen zu den Referaten dar. Lukás Valeš gab anhand des Kreises Westböhmen einen Einblick in die Geschehnisse in der „Provinz“ und stellte die Frage, wie groß die Handlungsspielräume der einzelnen Akteure auf regionaler Ebene gewesen sind. Auch hier sind noch weitere Forschungen anzustellen. Ján Rychlík, Professor und Vizedekan der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität skizzierte in seinem eingesandten Beitrag den Weg von der „samtenen Revolution“ zur „samtenen Teilung“ des Landes.

Insgesamt bot die Konferenz eine gute (und in ihrer Vielfalt die einzige) Plattform, um 15 Jahre danach eine Bilanz zur Vorgeschichte und Ablauf der „Samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei zu ziehen. Ihren besonderen Reiz erhielt sie durch die Anwesenheit der Akteure aus dem Dissens, die das damalige ideologische Spekturm abdeckten und mit ihren Referaten und Kommentaren Einblicke in die Mechanismen der Machtübernahme ermöglichten, aber auch ihre damalige – und heutige – Sicht der Dinge kritisch reflektierten. Die Diskussionen zeigten, dass von einem einheitlichen Block des Dissens nicht gesprochen werden kann. Das gleiche gilt auch für das Regime. Leider ist es nicht gelungen, ebenso relevante politische Vertreter zur Teilnahme zu bewegen. Es werden weiteren Forschungen notwendig sein, um die Mechanismen zwischen Bevölkerung, Macht und Opposition auf allen (auch regionalen) Ebenen zu untersuchen. Ein Tagungsband zur Konferenz (gemeinsam mit weiteren Beiträgen) wird 2005 erscheinen.

Anmerkungen:
1 Josef Válka, Dĕjiny a součastnost 1 (2005) 50.
2 Etwa Emanuel Mandler, Oba moji prezidenti („Beide meine Präsidenten“) : Václav Havel Václav Klaus , Praha 2004.
3Miroslav Vanĕk, Veřejné Mínění o socialismus před 17. listopadem 1989 („Die öffentliche Meinung über den Sozialismus vor dem 17. November 1989“), Praha 1994.

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