Economics of Poetry. Efficient techniques of producing neo-Latin verse

Economics of Poetry. Efficient techniques of producing neo-Latin verse

Organisatoren
Paul Gwynne, The American University of Rome; Bernhard Schirg, Freie Universität Berlin
Ort
Rom
Land
Italy
Vom - Bis
28.04.2016 - 30.04.2016
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Von
Christian Peters, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Unter Druck entstehen Diamanten“? Neulateinische Philologinnen und Philologen mögen sich dem Volksmund hier nur widerwillig anschließen. Zu groß scheint die Masse acht- und lieblos verfertigter dichterischer Konfektionsware humanistischer und neulateinischer Poeten, zu fadenscheinig bemäntelten die Verfasser Karriereanbahnung und Netzwerkoptimierung als alleinige raison d’être der Verse, die sie eilends schmiedeten. Wie ließen sich die dichterischen Qualifikationen solcher Autoren und die Rationalität ihrer literarischen Produktion angemessen taxieren, ohne in Binaritäten von künstlerischer Autonomie und ‚pen-for-hire‘ zu verfallen oder in die ‚Geniefalle‘ zu tappen? Was kann eine solche faire Neubewertung leisten, um textzentrierte und historisierende Lesarten literarischer Erzeugnisse miteinander zu versöhnen? Und wie können auch andere Disziplinen von diesem Zugriff profitieren?

Eine mögliche Antwort auf diese Fragen haben PAUL GWYNNE (The American University of Rome) und BERNHARD SCHIRG (FU Berlin) mit dem Konzept der „Economics of Poetry“ vorgeschlagen. Das Projekt identifiziert und systematisiert eine Reihe von Produktionstechniken neulateinischer Dichter, die diese einsetzten, um insbesondere Widmungsexemplare ihrer Werke zeitgerecht fertigzustellen. Das Konzept und seine Anwendungsmöglichkeiten in verschiedenen Zusammenhängen zu erproben, war Ziel einer internationalen Konferenz, die vom 28. bis 30. April an der American University of Rome mit Förderung von FU Berlin und American University of Rome stattfand. Die Konferenz konnte auf Vorarbeiten der Veranstalter aufbauen: Einem Panel bei der Jahrestagung der Renaissance Society of America in Berlin 2015 und einem in Ko-Autorschaft verfassten Beitrag.1 Nahezu zeitgleich zur Konferenz erschien ferner die einschlägige Monographie von Bernhard Schirg.2

Eröffnet wurde die Konferenz mit einem öffentlichen Abendvortrag von SUSANNA DE BEER (Leiden). De Beer unterstrich den Nutzen des Konzepts der “Ökonomie der Dichtung” bei der Neubewertung panegyrischer neulateinischer Dichtung und präzisierte es zugleich im Hinblick auf die Frage nach dem Nutzen, den humanistische Dichter aus dieser Art von Literatur zogen. Ihre Fallstudie machte im Werk von Giannantonio Campano Ovid nicht nur als imitierten Prätext, sondern auch als Modell einer Technik des Selbstzitats und der Repetitivität aus und schloss mit der Beobachtung, dass eine Arbeitsweise, die intratextuelle Analyse mit der „ökonomischen“ Betrachtung von Textkorpora sowohl für die Klassische, als auch die Neulateinische Philologie als Korrektiv von großem Nutzen sein könnte.

Der erste Tag der Konferenz schlug einen weiten Bogen vom achten bis zum achtzehnten Jahrhundert: MARCO CONTI (Rom) stellte Kompositionstechniken der Karolingischen Dichtung am Beispiel von Paulus Diaconus‘ Carmen 10 und dessen Imitation antiker Modelle vor. Paul Gwynne (Rom) untersuchte die serielle Verwendung der pseudo-ovidianischen Consolatio ad Liviam in einer Vielzahl von Handschriften des Johannes Nagonius vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Besonders luzide wird diese Arbeitsweise in Texten, bei denen die prosopographischen Grundlinien der Livia-Consolatio inkompatibel zu den persönlichen Parametern von Nagonius‘ Adressaten waren, die Werke somit gewissermaßen am Anlass vorbei geschrieben wurden. Wie Nagonius waren auch die Autoren, mit denen sich die folgende Sitzung befasste, ‚wandernde‘ Dichter, deren Ambitionen allerdings ganz unterschiedlicher Erfolg beschieden war: Antonietta Iacono (Federico II, Neapel) untersuchte die Werke des Porcellio Pandoni, eines Humanisten, der noch hochbetagt um sein Auskommen als Hofdichter ringen musste, während Basinio da Parma, dessen „Instant-Epen“ CHRISTIAN PETERS (Münster) beleuchtete, schon sehr früh eine dauerhafte und gut dotierte Position erhielt. Beide Vorträge identifizierten eine Reihe von Versatzstücken klassischer Autoren, die von den beiden Dichtern jeweils entweder als bloße Fertigbauteile oder als bewusstes Selbstzitat mit eigenem Material interpoliert und weiterverwendet wurden.

In der folgenden Sitzung ging es um Dichter, die in Mailand und der Lombardei tätig waren: ANGELO PIACENTINI (Mailand), befasste sich mit dem Phänomen der versus caudati cum auctoritate am Beispiel einer panegyrischen Ekloge für Gian Galeazzo Visconti, die ihre eigenen Verse mit jeweils einem Vers aus Vergils vierter Ekloge alternieren lässt. BERNHARD SCHIRG (Berlin) präsentierte ein breites Korpus an Dichtungen, welche Pietro Lazzaroni in Variation vorhandenen Materials gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts verschiedenen Empfängern zukommen ließ, die der Dichter sich bei der Verteidigung seiner Position als Professor in Pavia gewogen zu machen hoffte.

Mit einer genauen mikrophilologischen Analyse der Iuveniles ingenii lusus von Manilius Cabacius Rhallus und der Gegenüberstellung der Handschrift Berlin, Hamilton, 561 und der neapolitaner editio princeps des Werkes konnte GIUSEPPE GERMANO (Federico II, Neapel) aufzeigen, wie Jugendwerke mit wenig Aufwand Jahrzehnte später umgewidmet werden konnten und unterstrich dabei die Bedeutung auch paratextuellen Materials für die Bewertung der „Ökonomie der Dichtung“. Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortrag von ELENA DAHLBERG (Uppsala), die nachweisen konnte, wie der schwedische Dichter Magnus Rönnow durch Verwendung offizieller Kriegsberichterstattung die Abfassung seines panegyrisch-lyrischen Werks über den Großen Nordischen Krieg beschleunigte.

Den zweiten Abendvortrag steuerte MARC LAUREYS (Bonn) bei. Laureys untersuchte eine große Zahl von funeralelogischen Dichtungen aus dem deutschen und niederländischen Raum im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert und stellte dabei insbesondere die auf Statius Silvae zurückgehende Topik des Schreibens in Affekt und Eile, subito calore et quadam festinandi voluptate, heraus.

Die erste Sitzung des zweiten Tages lenkte den Blick ins ferne Asien: AKIHIKO WATANABE (Tokio) legte dar, wie in der lateinischen Dichtung, die im frühneuzeitlichen Japan von Jesuiten verfasst wurde, Spuren der zugrundeliegenden kompositionstechnischen Ausbildung, die die Gesellschaft Jesu in den Schulen ihrer Überseemissionen bot, sichtbar werden. Der Beitrag unterstrich damit die bisher zu wenig beachtete Rolle der Imitation im didaktischen Bereich. In einem zweiten Beitrag untersuchte Paul Gwynne (Rom) die mosaikartige und centonenartige Kompositionstechnik des ersten jesuitischen Epos, der Quinque Martyres in India von Francesco Benci SJ, und schlug damit eine Brücke zum zweiten Panel des Tages, das das Cento zum Gegenstand hatte: Sowohl Donatella Manzoli (Rom) als auch Maria Teresa Galli (Innsbruck) befassten sich mit der Dichtung Lelio Capilupis. Während Manzoli die hohen dichtungsökonomischen Anforderungen, die sich an den Autor mit der Abfolge von drei Päpsten als Widmungsnehmern in nur drei Monaten stellten, in den Blick nahm, kontextualisierte Galli das Werk Capilupis in der spätantiken Cento-Tradition. Hier, wie auch schon im Beitrag von Angelo Piacentini, stellte sich die wichtige Frage, inwieweit bei den hohen kompositorischen Anforderung centonischer Literatur, überhaupt noch die Rede von „ökonomischem“ Dichten in einem engeren Sinne sein kann.

Die letzte Sitzung widmete sich dem elisabethanischen England: HUGO TUCKER (Reading) stellte das acht Oden umfassende horazische Cento von Thomas Goad vor, mit dem dieser eine schnelle literarische Reaktion auf den Gunpowder Plot im November 1605 gab, und stellte für das Tagungsthema wichtige Fragen nach den ebenfalls „ökonomischen“ Faktoren von publizistischem Erfolg und Misserfolg. ELIZABETH SANDIS (Oxford) schloss mit einer detaillierten Analyse von William Gagers Dido, einem Stück, das der Autor anlässlich des mit nur wenig Vorlaufzeit angekündigten Besuchs Königin Elisabeths I. mit einem polnischen Ehrengast unter großem Druck schreiben und inszenieren musste. Auch hier, wo es unter anderem um verfügbare Budgets für stets sehr kostspielige repräsentative Inszenierungen ging, trat die Frage nach der „Ökonomie“ in einem ganz konkret wirtschaftlichen Sinne zutage.

Die abschließende Keynote wurde gehalten von KEITH SIDWELL (Calgary), der mit dem Ormonius von Dermot O’Meara ein Werk präsentierte, dessen Abschluss durch den nahenden Tod des Helden und Widmungsadressaten Sir Thomas Butler, 10th Earl of Ormond, zu einer drängenden Terminsache wurde und damit auf biographische Kontingenzen als einen die Dichtungsökonomie bedingenden Faktor verwies.

Die angekündigte, sehr rasche Publikation der Akten der fruchtbaren Tagung dürfte bei Latinisten aller Epochen Forschungsdesiderate füllen oder überhaupt erst sichtbar werden lassen. Auch fachübergreifend verspricht der Zugang wichtige Anregungen. Nähere Informationen zum Projekt sowie Abstracts zu allen Vorträgen unter http://economicsofpoetry.net/.

Konferenzübersicht:

Eröffnung
Susanna De Beer, Leiden: Reveal, Reuse, Recycle! How Digital Tools can help detect Efficiency in Giannantonio Campano’s (1429–1477) Poetry

Panegyric poetry from Medieval to Renaissance

Marco Conti, AUR Rom: Poetical technique and use of sources in early Carolingian court poetry. The poems of Peter of Pisa and Paul the Deacon

Paul Gwynne, AUR Rom: The Economics of Eulogy. Johannes Michael Nagonius (c.1450–c.1510)

Itinerant poets and the necessity of poetic reuse

Antonietta Iacono, Neapel (“Federico II”): L’officina di un poeta del Quattrocento. La tecnica del riuso nella produzione poetica di Porcelio de’ Pandoni (c.1409–c.1485)

Christian Peters, Münster: Bella novabo. Basinio da Parma’s (1425–1457) instant epics

Efficient ways onto the courtiers’ payroll. The case of Renaissance Milan

Angelo Piacentini, Milan (Cattolica): Versus caudati cum auctoritate. Matteo da Orgiano’s eclogue to Gian Galeazzo Visconti (1351–1402)

Bernhard Schirg, Berlin (Freie Universität): Spamming the Council of Milan. Pietro Lazzaroni (c.1420–c.1497) spreading his poems to Lombardian patricians

Praising Kings and Cardinals. Strategies of composition and (re)dedication

Giuseppe Germano, Neapel (“Federico II”): Two versions of the Iuveniles ingenii lusus by Manilius Cabacius Rhallus in Berlin ms. Hamilton 561 and in their Neapolitan editio princeps

Elena Dahlberg, Uppsala: String your lyre promptly! Magnus Rönnow’s (1665?–1735) Latin poetry from the Great Northern War

Marc Laureys, Bonn: The aesthetics of mourning. Techniques of composition in Neo-Latin funeral poetry from Germany and the Low Countries (16th and 17th centuries)

Spreading God’s message(s), quickly. Jesuit poetry in didactic theory and global practice

Akihiko Watanabe, Tokyo (Otsuma): Outdoing the original? The economics of early modern Japanese Latin poetry

Paul Gwynne, AUR Rome: Francesco Benci SJ, Quinque Martyres, Epic or Cento?

Economizing the genre of the Cento

Donatella Manzoli, Rome (“La Sapienza”): The centones of Lelio Capilupi (1497–1560)

MariaTeresa Galli, Innsbruck: Riuso ed economia nella pratica della poesia ‘centonaria’

English authors tackling time pressure

Hugo Tucker, Reading: Horatian pyrotechnics in the Latin verse-cento. Rapid response to the discovery of the Gunpowder Plot on 5 November 1605

Elizabeth Sandis, Oxford: Back to school for university men. Recycling classroom learning for unexpected visits

Concluding keynote
Keith Sidwell, Calgary: Short Cuts, or how to finish an epic when you hear your patron is dying. The Ormonius of the Irishman Demot O’Meara (1615)

Schlussbemerkungen

Anmerkungen:
1 Bernhard Schirg / Paul Gwynne, The ‘Economics of Poetry’. Fast production as a crucial skill in neo-latin encomiastic poetry, in: Studi Rinascimentali 13 (2015), S. 11–32.
2 Bernhard Schirg, Die Ökonomie der Dichtung. Pietro Lazzaronis Lobgedicht an den Borgia-Papst Alexander VI. (1497), Hildesheim 2016.


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