Industrial Heritage and the Construction of Regional Identities: A Global Perspective

Industrial Heritage and the Construction of Regional Identities: A Global Perspective

Organisatoren
Stefan Berger / Christian Wicke / Jana Golombek, Institut für soziale Bewegungen, Ruhr-Universität Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.10.2015 - 30.10.2015
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Von
Jana Golombek, Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Die internationale Forschung beschäftigte sich in den letzten Jahren zunehmend mit den Themen „Industriekultur“1 und industriellen Kulturlandschaften, vor allem im Rahmen der critical heritage studies. Das zweijährigen Starterprojekts „Das Ruhrgebiet: ein globaler Leuchtturm der Industriekultur?“ am Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum beschäftigte sich in diesem Kontext mit der Frage, wie sich Industriekultur im Übergang von Schwerindustrie zur Postindustrie auf regionale Identitäten auswirkt und untersuchte die Rolle von Industriekultur als zentralem Erinnerungsort postindustrieller Gesellschaften. Im Mittelpunkt des historischen Vergleichs standen das Ruhrgebiet und zwölf weitere Montanregionen mit ihren regionalen räumlichen Spezifika bei der Ausprägung von Industriekultur und den unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich die industriekulturelle Entwicklungen jeweils vollzogen haben bzw. heute noch vollziehen.

Aufbauend auf der vorherigen Forschung wurde im Rahmen des internationalen, vom Land NRW, dem Regionalverband Ruhr, der RUB Research School und der DFG geförderten Workshops „Industrial heritage and the construction of regional identities: A global perspective“ mit Experten, Nachwuchswissenschaftlern und Kulturschaffenden diskutiert. Hierbei galt es, einerseits die regionalen räumlichen Spezifika bei der Ausprägung von Industriekultur zu untersuchen, andererseits aber auch die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen industriekulturelle Entwicklungen global vollzogen haben bzw. heute noch vollziehen, in den Fokus zu rücken. Der Workshop fand am 29. und 30. Oktober 2015 am Institut für soziale Bewegungen, Bochum statt und versammelte Experten aus und zu den Regionen Asturien, Nord-Pas de Calais, Wallonien, Südwales, Oberschlesien, Mährisch Schlesien, Schiltal, Nordungarn, Greater Pittsburgh, Kyushu-Yamaguchi und Newcastle/Hunter Valley. In einem zusätzlichen Panel präsentierten Nachwuchswissenschaftler ihre Dissertationsprojekte, die sich mit Industriekultur in Detroit, Sydney (Kanada), Kyushu, Oberschlesien, dem Donezbecken und dem Schiltal beschäftigen.

Mit einem Vortrag zum immateriellen industriekulturellen Erbe in der Region Asturien eröffnete RUBÉN VEGA GARCIA (Oviedo) die erste Sektion des zweitägigen Workshops. Er erläuterte die Bedeutung des künstlerischen Umgangs mit dem Strukturwandel im Prozess der Erinnerungskonstruktion und die Rolle der asturischen Sprache für die jüngere Generation im Umgang mit der industriellen Vergangenheit und der Schaffung einer neuen Identität.

LEIGHTON JAMES (Swansea) ging in seinem Vortrag zunächst auf die Vorreiterrolle Großbritanniens im Umgang mit dem industriellen Erbe ein. Diese „industrial archaeology“-Bewegung spielte auch in Südwales eine wichtige Rolle und bewirkte eine frühe Rettung einzelner Objekte, deren kommerzielle Umnutzung jedoch wiederum im Widerspruch zu den Anliegen der frühen Akteure stand und deren Entwicklung im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht annährend die Erwartungen erfüllte. Auch die Problematik der konkurrierenden Erinnerungsschichten in Wales wurde als wichtiger Faktor im Prozess der Identitätsbildung nach dem Strukturwandel genannt, ebenso wie die Verflechtung von walisischer Identität und der Identität der Arbeiterklasse.

CATHERINE BERTRAM (Lille) von der Welterbestätte Bassin Minier berichtete aus praktischer Sicht über den Prozess von der Schließung der Zeche bis zur Ernennung zum Weltkulturerbe und die Erfahrung in der praktischen Umsetzung bei zunächst geringem Zuspruch durch die Bevölkerung. Sie verwies auf die fehlende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem industriekulturellen Erbe und dessen Einfluss auf eine regionale Identität.

Ebenfalls aus einer praktischen Perspektive erläuterte JACQUES CRUL (Blégny) den schwierigen Stand des industriekulturellen Erbes in Belgien. Nach frühen, erfolgreichen Bemühungen um den Schutz des industriekulturellen Erbes, hauptsächlich getragen von Einzelpersonen und lokalen Initiativen, aber auch unterstützt auf politischer Ebene, brachten die 2000er-Jahre dort einen Umschwung auf, insofern als dieses Erbe nun als rückwärtsgewandt und für die Zukunft hinderlich betrachtet wurde. Eine fehlende globale Vernetzung gepaart mit einer geringen Wertschätzung sorgten dafür, dass nur noch unzusammenhängende Objekte von kleinen Initiativen gerettet werden konnten, trotz der immensen Bedeutung Walloniens als Geburtsstätte der industriellen Revolution auf dem europäischen Kontinent.

MONIKA GNIECIAK (Katowice) ging in ihrem Vortrag auf die umstrittene Rolle des industriekulturellen Erbes in Oberschlesien in Bezug auf eine Rückwärtsgewandtheit einerseits und die negative Konnotation aufgrund der Erinnerung an das politische Regime andererseits ein. Den Aspekt der Besonderheiten der schlesischen Identität(en) erläuterte Gnieciak anhand der Neugestaltung des Schlesischen Museum und den damit verbundenen Diskussionen und personellen Entscheidungen. Auch hier war auf politischer Ebene das Schaffen eines neuen Images ein zentraler Punkt.

In ihrem Überblicksvortrag zum Ruhrgebiet als der Ausgangsregion des zugrundeliegenden Forschungsprojekts gaben STEFAN BERGER, JANA GOLOMBEK und CHRISTIAN WICKE (Bochum) zunächst einen Überblick über die historische Werdung der Region und zeichneten die Entwicklung der Industriekulturbewegung von ihren Anfängen Ende der 1960er-Jahre bis heute nach. Im Hinblick auf eine regionale Identität betonten sie den konstruktivistischen Ansatz als Ausgangspunkt für eine Diskussion über die Region und ihre Identität(en) und verwiesen auf das von Dai Smith benannte Konzept der „mindcapes“ als Möglichkeit, Identitäts- und Erinnerungskonstruktionen zu fassen. Als ruhrgebietsspezifisch nahmen sie in diesem Kontext die Etablierung von Industriekultur zu einer regionalen (vermeintlich) harmonischen „mindscape“ wahr, deren Basis einen, vor 1945, stark segmentierten „mindscape“ bildet.

BARBARA VOJVODIKOVA (Ostrava) lieferte mit ihrem Vortrag zu Region Mährisch-Schlesien einen umfangreichen Überblick zur Industriekultur und den Arbeiten der technischen Denkmalpflege, den sie in die Geschichte der Region einbettete.

In ihrem Beitrag über die Arbeit der Denkmalpflege und den ambivalenten Umgang mit den materiellen Hinterlassenschaften in einer der am stärksten industrialisierten Regionen Ungarns, betonte GYÖRGYI NEMETH (Miskolc) vor allem die sozialen Herausforderungen, die durch den Strukturwandel entstanden und die Rettung und Umwandlung von Gebäuden erschwerten. Als weitere Gründe für den Abriss zahlreicher Gebäude führte sie die negativen Erinnerungen an die kommunistische Ära und die Erinnerung an das Scheitern der Industrie an. Die Initiativen zur Rettung gingen dementsprechend eher von jungen Aktivist/innen aus, die wiederum die Bevölkerung einbanden.

DAVID KIDECKEL (Washington) identifizierte ähnliche Gründe für die ablehnende Haltung gegenüber dem industriellen Erbe im rumänischen Schiltal. Zunächst gab er jedoch einen historischen Abriss und verwies auf seinen theoretischen Rahmen, der auf der Idee der „anti-politics“ nach James Ferguson basiert und im Bezug auf den Strukturwandel den Versuch des Wiederaufbaus als zweiten entleerenden Prozess identifiziert. Er beschrieb seinen Eindruck von einem unsichtbaren industriellen Erbe, das zwar noch vorhanden sei, aber nicht wirklich wahrgenommen und noch weniger geschätzt werde. Als einen möglichen Grund hierfür nannte er die sogenannten „Mineriaden“ – gewaltsame Protestaktionen, die von Bergleuten aus dem Schiltal durchgeführt wurden und für ihren schlechten Ruf sorgten, was wiederum das industrielle Erbe zu „dark heritage“ werden ließ. Gleichzeitig würde der Niedergang und Verfall der Industriekultur auch die politischen Möglichkeiten beschränken und die Chancen für einen Aktivismus von unten, wie er teilweise im Ruhrgebiet stattfand, verhindern, zumal auch die politischen und administrativen Strukturen in Rumänien positive Szenarien für die Denkmalpflege verhinderten. Kideckel zeichnete ein Bild von einer Landschaft voller Ruinen, deren Stimmen nicht gehört würden.

Der letzte Vortrag des Tages wurde von ALLEN DIETERICH-WARD (Shippensburg) per Videoübertragung gehalten. Auf der Basis eines umfangreichen historischen Abrisses zum Großraum Pittsburgh seit Beginn der Industrialisierung beschrieb er detailliert die stadtplanerischen und politischen Prozesse, die zu einer Vernachlässigung des materiellen industriellen Erbes zugunsten eines neuen Erfolgsnarrativs von technischen Innovationen, Erfindungen im Bereich der Medizin und Maßnahmen zur Ansiedlung einer kreativen Klasse führten, um schließlich zur lebenswertesten Stadt in den USA zu werden. Parallel hierzu zeigte er Gegenentwürfe wie die Bewahrung eines Stahlwerks und die Entwicklung dieses Geländes zur „national heritage area“ sowie andere Initiativen zur Bewahrung historischer Zeugen auf, die wiederum zu Attraktionen für eine historisch interessierte, nach Identität und Authentizität suchende kreative Klasse wurden.

Zu Beginn des zweiten Konferenztages gab REGINE MATHIAS (Bochum) eine Einführung zur Region Kyushu-Yamaguchi in Japan und verwies im historischen Kontext vor allem auf den Wissenstransfer zwischen Europa und Japan. In Bezug auf eine regionale Identität betonte sie den eher nationalen Bedeutungsgehalt, die nationalen Narrative seien das Verbindungsstück der teilweise sehr verstreuten Industriekulturstätten, die Bildung einer regionalen Identität aufgrund vieler unterschiedlicher Narrative eher unwahrscheinlich. Hinzu kam eine fehlende Tradition der Bergleute, die häufig Bauern mit geringem sozialem Ansehen und kein eigener Berufsstand waren.

ERIK EKLUND (Dublin) stellte Newcastle und das Hunter Valley vor, eine Region, die für ein ambivalentes Erbe steht. Newcastle war bis in die 1970er-Jahre ein wichtiger Exporthafen für Kohle, danach gab es stetigen Rückgang in den Bereichen Bergbau und industrieller Tätigkeit, bis der Kohlebergbau im Hunter Valley 2001 einen erneuten Boom erlebte. Der wichtigste Industriestandort in New South Wales, die BHP Eisen- und Stahlwerk in Newcastle wurden abgerissen, so dass sich das industriekulturelle Bewahren auf das immaterielle Erbe beschränkt. In Eklunds Einschätzung wird die industrielle Vergangenheit nicht als Ressource für die Zukunft gesehen, sondern eher als eine Hürde im Prozess der Weiterentwicklung.

Das Doktoranden Panel

Die beiden Doktoranden-Panels gaben jungen Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Dissertationsprojekte zu präsentieren. Im ersten Panel referierte HANNA AGAFONOVA (Donezk) zu einer Gruppe von Aktivist/innen und Künstler/innen – IZOLYTSIA – die bis zum Beginn der Konflikte in der Ukraine Aktionen zur Wiederbelebung ehemaliger Industrieareale durchführten. ZOFIA TRESZKOWSKA (Katowice) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Bedeutung von Zechensiedlung und lokalen Akteuren im Prozess der Sanierung ehemaliger Industrieareale. In ihrem Beitrag zur Petrila-Mine im Schiltal (Rumänien) ging ILINCA PĂUN CONSTANTINESCU (Bukarest) auf das Engagement junger Architekten und Stadtplanern zur Rettung einer Zeche und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen mit politischen Entscheidungsträgern ein. IRENE DIAZ MARTINEZ (Oviedo) ging auf soziale Aspekte des Strukturwandels in der Region Asturien und die damit verbundenen Erinnerungsprozesse ein.

Das zweite Doktoranden-Panel begann mit einem Vortrag von TOM ARENTS (Sapporo) zur Industriekultur in der Region Fukuoka, die dem Ruhrgebiet sehr ähnlich ist. Eine fast abgeschlossene Dissertation präsentierte LACHLAN MACKINNON (Montreal) mit einem Oral-History-Projekt zu Sydney Steel in Nova Scotia. Einen anderen Ansatz verwendete HAELIEGH HERSTAD (Indiana), die eine Diskursanalyse zur Deindustrialisierung und ihren Folgen in Detroit, Michigan vornahm.

Den Abschluss des zweitägigen Workshops bildete eine Diskussion, die von Stefan Berger und PAUL PICKERING (Canberra) moderiert wurde. Paul Pickering kommentierte die Vorträge aus Sicht eines Außenstehenden im Hinblick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Umgang mit dem industriekulturellen Erbe sowie dessen unterschiedlichen Funktionen und Nutzungen. Er verwies dabei auf den Faktor der Authentizität und die damit verbundene Notwendigkeit, auch negativen Erfahrungen und Erinnerungen Rechnung zu tragen und somit eine weitere Legitimation für den Erhalt des industriellen Erbes zu liefern. Damit einher gingen die Fragen, wer das kulturelle Erbe für wen erhält und wessen Geschichten dort erzählt werden. Pickering forderte im Sinne der critical heritage studies, diese Fragen noch mehr in die Forschung, aber auch in die konkrete Arbeit am Objekt einzubeziehen.

Der internationale Workshop bot einen umfangreichen Einblick in den unterschiedlichen Umgang mit dem industriekulturellen Erbe und war der erste Anstoß, Industriekultur in einem globalen Kontext im Hinblick auf ihren Einfluss auf regionale Identitäten vergleichend zu betrachten. Verschiedene Ansätze und lokale Besonderheiten wurden analysiert und diskutiert und die Notwendigkeit der Fortführung dieses Diskurses auf internationaler Ebene herausgestellt.

Konferenzübersicht:

Grußworte: Stefan Berger, Christian Wicke und Jana Golombek (Bochum)

PANEL 1- Asturias, South Wales and Nord-Pas de Calais

Rubén Vega García (Oviedo), Looking Back: Representations of the Industrial Past in Asturias

Leighton James (Swansea), Wales and its Industrial Heritage

Catherine Bertram (Lille), From brownfield regeneration to the inscription on the World Heritage List: a 30-year process in the Nord-Pas de Calais Coal Basin

PANEL 2 – Wallonia, the Ruhr and Upper Silesia

Jacques Crul (Blégny), Wallonia, cradle of the industrial revolution on the continent: decline and recovery

Monika Gnieciak (Katowice), After deindustrialization: in the search of a new Silesian identity

Stefan Berger, Christian Wicke and Jana Golombek (Bochum), Industrial Heritage and Representations of Regional Identity in the Ruhr

PANEL 3 – The Moravian-Silesian Region, Northern Hungary and the Jiu Valley

Barbara Vojvodikova (Ostrava), Industrial Heritage, Identity and Sustainability in the Moravian-Silesian Region

Györgyi Nemeth (Miskolc), To Preserve or Not to Preserve? Ambivalent Attitudes to the Industrial Heritage of the Borsod Industrial Area in Northern Hungary

David Kideckel (Washington), How Regional Identity Limits (but May Enable) Industrial Heritage Conservation in Romania’s Jiu Valley

PANEL 4 - Kyushu-Yamaguchi, Newcastle and Hunter Valley and Greater Pittsburgh

Allen Dieterich-Ward (Shippensburg), ‘Rivers of Steel’: Industrial Heritage and Regional Identity in Metropolitan Pittsburgh

Regine Mathias (Bochum), Industrial heritage in the Coal and Steel Region of North Kyushu in Japan

Erik Eklund (Federation University Australia): ‘There needs to be something there for people to remember’: industrial heritage in Newcastle and the Hunter Valley, Australia

PhD PANEL 1

Hanna Agafonova (Donetsk), Industrialism in Donbass as European Heritage

Zofia Trzeszkowska (Katowice), The workers settlements: the past and present. Brownfields' revitalization with the participation of local communities

Ilinca Păun Constantinescu (Bukarest), Industrial Heritage as source for Urban Regeneration. Petrila: a Divided Town

Irene Diaz (Oviedo), The Social Dimension of the Crisis. Memory, Identity and Heritage in the Asturian Coalfields

PhD PANEL 2

Tom Arents (Sapporo), An ‘Industrial Newcomer’ in the Japanese Heritage Spectrum

Lachlan MacKinnon (Montreal), When the Furnace Died: An Oral History of Deindustrialization at Sydney Steel, 1967–2001

Kaeleigh Herstad (Indiana), Blight Removal, Industrial Heritage, and Identity in the U.S. Rust Belt

Concluding Roundtable Discussion with all participants, Moderators: Prof. Stefan Berger and Prof. Paul Pickering (Australian National University)

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu: Stefan Berger, Industriekultur und Strukturwandel in deutschen Bergbauregionen nach 1945, in: Dieter Ziegler (Hrsg.), Geschichte des deutschen Bergbaus, Band 4, Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert, Münster 2013, S. 571–601.