Kredit im Mittelalter. Kultur-, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Herangehensweisen

Kredit im Mittelalter. Kultur-, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Herangehensweisen

Organisatoren
Arbeitskreis für spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2015 - 04.12.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Janina Lea Gutmann / Simone Würz, Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Nach den beiden Tagungen des Arbeitskreises spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte der Jahre 2013 und 2014, die sich mit Methoden und Quellen der Wirtschaftsgeschichte befasst hatten, stand die Konferenz 2015 in Köln unter dem inhaltlichen Schwerpunkt „Kredit“.

In ihrer Begrüßung umriss Julia Bruch (Köln) die Themenschwerpunkte, die in den folgenden kultur-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Beiträgen untersucht werden sollten. Im Zentrum stünden dabei Fragen nach Kreditwürdigkeit, nach der Höhe von Zinsen sowie nach Formen von Institutionalisierungsprozessen im Geldverleih. Außerdem sollten unter Berücksichtigung verschiedener Quellengattungen Normen und Vorschriften thematisiert werden, welche diese Wirtschaftspraktiken regelten. Weiterhin werde untersucht, welche Einflüsse auf das soziale Gefüge sich durch die teils gefestigten, teils neu geschaffenen Strukturen im mittelalterlichen Kreditwesen nachweisen ließen. Zudem würden auch Fragen nach dessen Akteuren sowie dessen gesellschaftlicher und kirchlicher Akzeptanz aufgeworfen.

Die Tagung wurde eröffnet von LAWRIN ARMSTRONGS (Toronto / Bielefeld) Keynote. Er ging der Frage nach, welchen Einfluss das kanonische Wucherverbot auf die reale Handelspraxis der Kaufleute im spätmittelalterlichen Florenz hatte. Dazu wertete er Rechtsquellen und Testamente aus, die verschiedene Phasen erkennen lassen: Während sich bis 1400 in den Hinterlassenschaften regelmäßig Angaben zu Entschädigungszahlungen auch in Bezug auf Wucher fänden, etablierten sich im Laufe des 15. Jahrhunderts stattdessen Mitgiftzahlungen für arme Mädchen. Entgegen der gängigen Forschung nimmt er deshalb an, dass die Debatte über das Wucherverbot das wirtschaftliche Handeln der Menschen sehr wohl beeinflusste.

Die erste Sektion, moderiert von Julia Bruch (Köln), befasste sich mit Fragen der Kreditwürdigkeit. DAVID SCHNUR (Trier / Frankfurt am Main) eröffnete sie mit einem Vortrag über die Abwicklung „fauler“ Kredite durch jüdische Geldgeber. Er untersuchte dabei das reichsweit verbreitete Phänomen, das es Gläubigern erlaubte, im Falle eines (Teil-)Ausfalls der Rückzahlungen Geld „auf Schaden“ des Schuldners bei einer dritten Partei aufzunehmen. Dies sei außerordentlich häufig bei jüdischen Geldverleihern erfolgt. Schnur vertrat die Ansicht, dass die christliche und jüdische Geldleihe sich ergänzten und aufeinander abgestimmt waren. Anhand einer quantitativen Auswertung von Judenbetreffen in Stadtgerichts- und Stadtrechnungsbüchern des Mittelrheingebiets zeigte er, dass einem Großteil jüdischer Kreditgeschäfte das Scheitern eines innerchristlichen Kredits vorangegangen war. Die Schadennahme habe daher das Vorhandensein finanzkräftiger Juden für Städte und Landesherren attraktiv gemacht.

Die Kunsthistorikerin VERA-SIMONE SCHULZ (Florenz) brachte einen neuen Quellentypus ein. Anhand verschiedener Bildquellen stellte sie orientalische Knüpfteppiche als Statussymbol lizensierter Geldwechsler dar. Deren Bedeutung für die visuelle und materielle Kultur des mittelalterlichen Florenz manifestiere sich durch häufiges Vorkommen in bildlichen Darstellungen. Immer wiederkehrend sei dabei das Motiv der Berufung des Hl. Matthäus, des Patrons der Geldwechsler und Bankiers, wobei das Zöllnerhaus in diesen Darstellungen stets einen solchen Teppichschmuck aufweise. Dabei stellte sie fest, dass Knüpfteppiche wegen ihrer hohen Preise als Statussymbole galten, die auch auf Portraits oder anderen bildlichen Darstellungen gerne gezeigt wurden. Die Teppiche hätten einen Wiedererkennungswert gehabt und könnten auch als Zeichen einer „corporate identity“ des Berufsstandes der Geldwechsler gedeutet werden. Die Verwendung der Teppiche sei ein Vorrecht gewesen, das Status und repräsentative Selbstdarstellung ausdrückte.

PHILIPP HÖHN (Frankfurt am Main) beschäftigte sich mit Schuld und Schulden im kaufmännischen Kontext. Hierbei machte er deutlich, dass es eine Infrastruktur der Schlichtung gab, mit dem Ziel, die immaterielle Ressource „Kreditwürdigkeit“ der beteiligten Parteien aufrechtzuerhalten. Kreditwürdigkeit habe sich nicht nur finanziell entschieden, sondern sei auch auf sozialer Ebene abhängig vom Verhalten der betroffenen Personen im Konfliktfall gewesen. Durch persönliche Netzwerke, die aus finanziellen Verbindlichkeiten entstanden seien, habe eine Transformation von sozialem in ökonomisches Kapital stattgefunden. Gleichzeitig habe eine schnelle Konfliktlösung nicht immer im Interesse der Beteiligten gelegen, denn aktionsarme Phasen hätten Schuldnern und Gläubigern mehr Zeit gegeben, ihre gegenseitigen Verpflichtungen einzulösen, ohne dass ein Verlust von Geld und Vertrauen habe eingeräumt werden müssen.

In der zweiten Sektion, die von Tanja Skambraks (Mannheim) geleitet wurde, lag der Fokus auf Städten in ihrer Funktion als Gläubiger und als Schuldner.

OLIVER LANDOLT (Schwyz) sprach über die Kreditfinanzierung und die häufig daraus folgende Verschuldung spätmittelalterlicher Kommunen. Im Mittelalter hätten vor allem Kriege, der Erwerb von herrschaftlichen Rechten, Ausgaben für repräsentative Zwecke, Bauvorhaben und unvorhersehbare Katastrophen die Stadtkasse belastet und vielfach die Aufnahme von Krediten nötig gemacht. Während kurzfristige Engpässe teilweise noch durch Eigenvermögen von Beamten aufgefangen worden seien und ein solches finanzielles Engagement als Bürgerpflicht gegolten habe, seien ansonsten Wiederverkaufs- und Leibrenten ein zentrales Mittel städtischen Wirtschaftens gewesen. Dies habe zu zum Teil massiver Verschuldung der Kommunen geführt. So habe in Basel fast ein Drittel der Ausgaben dem Schuldendienst gegolten, zu Spitzenzeiten bis zu zwei Drittel. Einerseits habe die Zahlung von Schuldzinsen so zu einer Lähmung der Wirtschaft geführt, andererseits seien Kredite als „Schmiermittel politischer Handlungsfähigkeit“ trotzdem unerlässlich gewesen.

NIELS PETERSEN (Göttingen) beleuchtete anschließend politische Kredite am Beispiel der Orte Braunschweig und Lüneburg und ihrer Verbindung zu den Welfen. Hier seien Pfandgeschäfte, vor allem die Verpfändung von Burgen und Schlössern an Städte, eine gängige Praktik gewesen. Die Pfänder hätten sich aber oft als Minusgeschäft erwiesen: Die Ausgaben für die Instandhaltung der Burg und die Zahlung von Löhnen an die Burginsassen habe die Erträge bei weitem überstiegen. Häufig habe der Rat Kredite aufnehmen oder Renten verkaufen müssen, um die Kosten decken zu können. Der positive Aspekt der räumlichen Einflusserweiterung und der Gewinn politischer Einflussnahme durch die Anbindung an Herrschaftsträger im näheren Umland habe sich hingegen nicht so schnell in Geld umwandeln lassen.

Die dritte von Ulla Kypta (Basel) moderierte Sektion befasste sich mit den Netzwerken und Handlungsräumen, die sich durch Kreditvergabe bildeten.

Dazu beleuchteten ANGELA L. HUANG (Kopenhagen) und ALEXANDRA SAPOZNIK (London) städtische Rentengeschäfte vom 14. bis 16. Jahrhundert im Hanseraum anhand einer breiten Quellenbasis aus Briefen, Registern, Stadtbüchern und städtischen Rechnungsbüchern. Dabei konnten sie die Entfernung zum Geschäftsort als wichtigen Faktor für die Entscheidung zu einer Geldanlage ermitteln, zudem habe es Unterschiede zwischen Institutionen und Privatpersonen gegeben. Erstere hätten eher in weiter entfernten Städten gekauft als letztere. Die Forschungen legten den Schluss nahe, dass Renten dort gekauft wurden, wo Bargeld vor Ort benötigt wurde. Die gleichartige Entwicklung im Hanseraum habe dabei Kapitalmärkte gefördert und Geschäftskontakte erleichtert. Somit stellten sich die Rentengeschäfte als alltägliche Transaktionen langfristiger Kapitalanlagen in gut integrierten Märkten dar.

BENJAMIN HITZ (Basel) untersuchte die Topographie von Schuldverhältnissen in und um Basel im späten Mittelalter. Dafür wertete er beispielhaft alle Schuldverhältnisse des Jahres 1497, die sich in Gerichtsakten fanden, aus. Die wechselseitigen Beziehungen der Konfliktparteien, die häufig ein soziales Gefälle der Beteiligten aufwiesen, verortete er topographisch auf Karten. So wurde unter anderem deutlich, dass im Stadtzentrum die meisten Kreditgeschäfte getätigt wurden und die Schuldner mit größerer Distanz zu Basel seltener wurden. Unter den verschiedenen juristischen Verfahren zur Klärung von Schuldverhältnissen habe sich als das niederschwelligste und häufigste Mittel die sogenannte Vergicht erwiesen, die formale Schuldanerkennung und Verpflichtung auf fristgerechte Rückzahlung.

Mit den Studentenbriefen, die MARTINA HACKE (Düsseldorf) bearbeitet, wurde eine für wirtschaftshistorische Fragestellungen bislang unerforschte Quellengattung erschlossen, in der das Kreditwesen häufig aufscheint. Denn Studenten wurden unter anderem durch Kredite an ihrem Studienort versorgt. Beispielhaft wurde dies an dem Baseler Brüderpaar Bruno und Basilius Amerbach dargestellt, die an ihrem Studienort Paris Anfang des 16. Jahrhunderts über einen ortsansässigen Treuhänder mittels der Wirtschaftsbeziehungen ihres Vaters, des Baseler Druckers und Verlegers Johann Amerbach, aus der Heimat mit Geld versorgt wurden. Teils seien dabei auch Darlehensschulden mit Geschäftsschulden abgegolten worden. Briefe als Quellengattung verhalfen hier zu Erkenntnissen über wirtschaftlich-soziale Netzwerke, die sich so in anderen Quellenarten nicht nachweisen ließen.

Sabine von Heusinger (Köln) leitete die vierte und letzte Sektion, die die Frage nach Krediten als Grundlage für Institutionalisierungsprozesse verhandelte.

CHRISTOF PAULUS (München / Erlangen) ging der Frage nach Krediten für Kriegsvorhaben nach. Am Beispiel des Landshuter Erbfolgekrieges der Jahre 1504/05 ließe sich die Aufnahme gewaltiger Summen von Geld und Getreide vor allem bei kirchlichen Institutionen und Klöstern durch Herzog Albrecht IV. von Bayern(-München) nachvollziehen. Dass die Zahlungen dabei vielfach einen Zuwachs an politischem Kapital bedeuteten, zeige sich daran, dass in den finanziellen Verflechtungen dieser Kriegsjahre die Wurzeln des modernen Territorialstaats Bayern zu suchen seien: Da die verleihenden Institutionen mit einer Rückzahlung der Gelder erst „am jüngsten Tag“ rechnen konnten, war für sie der Gewinn an politischer Einflussnahme prägendes Element im kriegsbestimmten Geldverleih jener Zeit.

TANJA SKAMBRAKS (Mannheim) stellte den römischen Monte di Pietà in seinen verschiedenen Funktionen als Leihhaus, Bruderschaft und Bank dar. Entstanden als „Berge der Barmherzigkeit“ seien diese Pfandleihinstitute, die ihrer karitativen Ausrichtung entsprechend hauptsächlich Klein- oder Konsumkredite an Bedürftige und Bauern vergaben, in über 200 Städten Italiens nachweisbar. Im Zuge der Institutionalisierung hätten sie sich mit Wucherdiskursen, aber auch mit der Konkurrenzsituation zu lokalen, vielfach jüdischen Geldleihern auseinandersetzen müssen. Anhand der überlieferten Statuten ließen sich die Funktionsweise und die Organisationsstrukturen gut nachvollziehen. Dabei zeichneten sie das Bild einer nicht gewinnorientierten Einrichtung. Als niederschwelliges Angebot hätten sie eine attraktive Anlageform geboten, die rege genutzt wurde, die dabei aber immer die duale Stellung, Bank und Caritas zu sein, behalten habe.

Einen Ausblick in die Frühe Neuzeit leistete schließlich SEBASTIAN FELTEN (Berlin) mit seiner Frage nach persönlichen Beziehungen im Kreditwesen der Vormoderne. Er definierte den Kredit dabei als Entscheidungsproblem in einer Finanzwelt noch ohne Dominanz der Banken. So stellte er drei Binärpositionen gegenüber, die finanzielle Transaktionen beschreiben können: persönliche versus institutionelle Kreditgeschäfte, Geschäfte zwischen Vertrauten oder Fremden, sowie formlose versus förmliche Transaktionen. Zur Entscheidung der Kreditwürdigkeit waren Informationen nötig, deren Beschaffung aber – je umfangreicher die Personengruppen – zunehmend problematischer geworden sei. Er konkretisierte diese These am Beispiel dreier kreditgebender Einrichtungen im 18. und 19. Jahrhundert im Gelderland, eines Pfandhauses, einer Sparkasse und eines adligen Landgutes.

In ihrem Abschlussstatement fasste SABINE VON HEUSINGER (Köln) noch einmal zusammen, wie die Referentinnen und Referenten der Tagung ausgehend von der zunächst „unterkomplex“ anmutenden Fragestellung „Was ist ein Kredit?“ das große Potential dieses Themas ausleuchteten. Der eingangs formulierte Anspruch, das Phänomen aus möglichst vielen Perspektiven zu betrachten, sei eingelöst worden. Der Schwerpunkt habe dabei auf der Darstellung städtischen Kreditwesens vom Hanseraum bis nach Italien gelegen. Unterrepräsentiert seien mit wenigen Ausnahmen kirchliche und adelige Akteure gewesen. Als Quellengrundlage hätten in der Regel textliche Informationen verschiedener Art und Provenienz gedient. Materielle Quellen wie etwa Zahlsteine, Abakusse oder Münzen seien nicht herangezogen worden – die Ausnahme bildeten hier die bildhaften Darstellungen der Knüpfteppiche. Auch die an den Rändern der Gesellschaft häufig vergebenen Mikrokredite seien weitestgehend außen vor geblieben. Interessant sei auch, dass wenige Beiträge sich den Bankiers, den eigentlich Aktiven der Finanzwelt, gewidmet hätten. Sie regte an, die Vielzahl der Einzelbeobachtungen aus den referierten Mikroanalysen mit der historischen Gesamtentwicklung zusammen zu bringen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Julia Bruch (Köln)

Keynote
Lawrin Armstrong (Toronto/Bielefeld): Credit and Homo Economicus in Late Medieval Florence

Sektion I: Die Frage der Kreditwürdigkeit
Moderation: Julia Bruch (Köln)

David Schnur (Trier/Frankfurt am Main): Jüdische ‚Bad Banks‘ im Mittelalter? Zur Abwicklung fauler Kredite durch jüdische Geldleiher

Vera-Simone Schulz (Florenz): ‚Tal fatto è fiorentino e cambia e merca‘. Orientalische Knüpfteppiche als Statussymbol lizensierter Geldwechsler und Bankiers im 14. und 15. Jahrhundert

Philipp Höhn (Frankfurt am Main): Kreditwürdigkeit im Konflikt – Schuld und Schulden in kaufmännischen Auseinandersetzungen im Lübeck des 15. Jahrhunderts

Sektion II: Städte als Gläubiger und Schuldner
Moderation: Tanja Skambraks (Mannheim)

Oliver Landolt (Schwyz): Kreditfinanzierung und die Verschuldung spätmittelalterlicher Kommunen

Niels Petersen (Göttingen): Politische Kredite: Braunschweig, Lüneburg und die Welfen

Sektion III: Kreditnetzwerke
Moderation: Ulla Kypta (Basel)

Angela L. Huang (Kopenhagen), Alexandra Sapoznik (London): Städtische Rentengeschäfte und städteübergreifende Kreditbeziehungen, 14.-16. Jahrhundert

Benjamin Hitz (Basel): Schuldenlandschaft. Netzwerke und Topographie von Schuldverhältnissen im spätmittelalterlichen Basel

Martina Hacke (Düsseldorf): Studentenbriefe als Quelle zur Erforschung des mittelalterlichen Kreditwesens: Die Darlehen von Bruno und Basilius Amerbach im Paris des beginnenden 16. Jahrhunderts

Sektion IV: Kredite als Grundlage für Institutionalisierungsprozesse
Moderation: Sabine von Heusinger (Köln)

Christof Paulus (München/Erlangen): In die novissimo – Kredit im Zeichen des Krieges

Tanja Skambraks (Mannheim): Der römische Monte di Pietà zwischen Leihhaus, Bruderschaft und Bank (1539 - ca.1590)

Sebastian Felten (Berlin): Persönlichkeit und Unpersönlichkeit von Kredit als das Ergebnis selektiver Sensibilität komplexer Wirtschaftseinheiten gegenüber ihrer Umwelt (1650-1850)

Abschlussstatement
Sabine von Heusinger (Köln)


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger