„Vom Löwen zum Adler“. Der Übergang Schwedisch-Pommerns an Preußen 1815

„Vom Löwen zum Adler“. Der Übergang Schwedisch-Pommerns an Preußen 1815

Organisatoren
Historische Kommission für Pommern e.V.; Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V.; Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund
Ort
Stralsund
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2015 - 24.10.2015
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Von
Katja Jensch, Interdisziplinäres Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN), Universität Osnabrück

Vor 200 Jahren zogen sich die Schweden aus Pommern zurück und die Preußen nahmen das Zepter in die Hand. Symbolischer Akt der Übergabe der Herrschaft über Pommern war das Einholen der schwedischen und das Hissen der preußischen Fahne. In Stralsund wurde er am 23. Oktober 1815 vollzogen. Die Hansestadt Stralsund nahm dies zum Anlass, ihrer „Schwedenzeit“ vom 19. bis 25. Oktober 2015 mit umfangreichen Festaktivitäten zu gedenken. Die eigens konzipierte Vortragsreihe „Stralsund schwedisch“ würdigte jene Persönlichkeiten, die für den kulturellen und politischen Austausch zwischen Schweden und Deutschland stehen. BIRTE FRENSSEN (Stralsund), Kunsthistorikerin am Pommerschen Landesmuseum, widmete sich dem wohl bekanntesten Pommern – Caspar David Friedrich. Einen besonderen Programmpunkt bildete das Konzert des Militärmusikkorps aus Karlskrona. In diesem Rahmen fand vom 23. bis 24. Oktober 2015 im ehemaligen Landständehaus, vor dem vor 200 Jahren die schwedische Fahne zum letzten Mal eingeholt wurde, die internationale Tagung „Vom Löwen zum Adler. Der Übergang Schwedisch-Pommerns an Preußen 1815“ statt. Organisiert wurde die Tagung von der Historischen Kommission für Pommern e. V., der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e. V. sowie dem Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund. Die Leitung lag in Händen der beiden Kommissionsmitglieder Nils Jörn und Dirk Schleinert, zugleich Leiter des Stadtarchives der Hansestadt Stralsund.

Die von der Tagung aufgeworfenen Fragestellungen nach möglichen Perspektiven wie auch Schwierigkeiten der Integrationsprozesse reihen sich in die aktuellen Geschehnisse um die Flüchtlingspolitik und -krise unserer Tage ein. Pommern wurde in der Frühen Neuzeit des Öfteren zum Spielball der europäischen Mächte, bevor es letzten Endes den Preußen gelang, die Oberhand zu behalten und die Provinz ihrem Konglomeratstaat einzuverleiben. Ziel der Tagung war es nicht nur, die daran geknüpften Integrationsprozesse zu untersuchen, sondern zugleich verschiedene Ansätze der Eingliederungspolitik unterschiedlicher frühmoderner Landesherrschaften mit differierenden Ausgangssituationen miteinander zu vergleichen. Die Inhalte der Tagungsbeiträge waren daher breiter gestreut und bezogen auch Norwegen, Finnland und Wismar ein. Im Zentrum der Untersuchungen standen die Frage nach der Integrationsfähigkeit der betroffenen Provinzen und Länder und die damit verbundene Unterscheidung zwischen Adaptions- und Austauschprozessen. Dabei galt es neben wechselseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und konstitutionellen Aspekten auch die Bedeutung emotionaler Ambivalenzen zu hinterfragen.

Auf die emotionale Ebene rekurrierte KJELL ÅKE MODÈER (Lund) bereits mit dem Titel seines abendlichen Festvortrages „Willkommen und Abschied. Schwedisch-Pommern als Spielball europäischer Politik“. Er attestierte dem Ereignis eine bis in die heutige Zeit reichende Tragweite und sah in der pommerschen Schwedenzeit Erklärungen für die aktuellen Identitäten, Kulturen und Tiefenstrukturen der Region. Modèer führte dies auf die ambivalente Wertung zurück, die von Seiten aller beteiligten politischen Parteien, jedoch vor allem der Pommern selbst an den Kieler Frieden und die damit verbundene Übergabe Pommerns an Preußen geknüpft wurden. So sei „die gute alte Schwedenzeit“ auf die Wahrnehmung als „Teil der schwedischen Kolonialgeschichte“ getroffen und Identitäten wie Loyalitäten seien zum Ende der Schwedenzeit stark zersplittert gewesen.

Den Auftakt markierte am Sonnabendvormittag der Beitrag von NILS JÖRN (Wismar), der einen Überblick der historischen Entwicklung in Schwedisch-Pommern seit Verlust seiner Eigenständigkeit als Ergebnis der Westfälischen Friedensverhandlungen bis zum schwedisch-preußischen Staatsvertrag von 1815 präsentierte und damit in die Thematik einleitete. Den Fokus legte er dabei auf die „Reformversuche am Ende der Schwedenzeit“, welche auf den erbitterten Widerstand der selbstbewussten Landstände trafen. Selbige hätten sich bereits beim Anfall an Schweden ihre alten Privilegien von ihrem neuen Landesherrn bestätigen lassen. Jedwede grundsätzliche Entscheidung war damit an ihre Zustimmung gebunden. Daher sei bereits von vornherein ein gewisses Konfliktpotential anhängig gewesen. Die Auseinandersetzung um die geplante Anpassung der Besteuerung von schwedischer Seite zur angemessenen Kostenbeteiligung der Provinz und die damit verbundene Einführung einer neuen Landesmatrikel, welche den Landständen unweigerlich als rigoroser Eingriff in ihre etablierten Rechte erscheinen mussten, mündete dann auch in einer Klage der Landstände vor dem Reichshofrat. Lediglich Unsicherheiten auf beiden Seiten hätten eine Entscheidung der Auseinandersetzungen durch Prozessvergleich bedingt. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage, ob die Preußen vor einer ähnlichen Herausforderung stehen würden.

An diese Fragestellung knüpfte JOHANNES WEISE (Barnin), der eine Darstellung der zentralen Erkenntnisse seiner bereits 2005 erschienenen Dissertation zur „Integration Schwedisch-Pommerns in den preußischen Staatsverband“1 bot, nahtlos an. Von Seiten der preußischen Regierung sei nicht nur eine Integration des neu erworbenen Schwedisch-Pommern in das staatliche und gesellschaftliche Gefüge, sondern gleichfalls eine Wiederzusammenführung eines durch Traditionen verbundenen Gebietes innerhalb der Grenzen der preußischen Provinz Pommern angestrebt worden. Das von Weise attestierte Scheitern eben jener Integrationsprozesse führte er auf drei prinzipielle Faktoren zurück: die Rückständigkeit in Bezug auf die allgemeinen Modernisierungsmaßnahmen im vormals schwedischen Landesteil, die auf Verträgen basierende friedvolle Angliederung anstelle einer zuvor erfahrenen Besatzungspolitik und die schwere Haushaltslage Preußens nach den Napoleonischen Kriegen, welche ein Verharren in den vorgefundenen Strukturen bedingt hätte.

ANJA ERDMANN (Kiel) bot einen Überblick über die „Kriminalgerichtsbarkeit in Neuvorpommern ab 1815“ und fragte nach den Folgen und Auswirkungen auf das lokale Gerichtswesen nach Abzug der Schweden. Daran anschließend wandte sich SASCHA OTT (Greifswald) der „Organisation der höchsten Gerichtsbarkeit in Neuvorpommern“ zu. Auch nach dem vollzogenen Übergang an Preußen sei dem ehemals schwedischen Landesteil ein gewisser Sonderstatus in Rechtsfragen vorbehalten gewesen. Seinen Ausdruck fand er im Greifswalder Oberappellationsgericht, welches als Nachfolgeeinrichtung des Wismarer Tribunals bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Betrieb blieb und erst mit Einführung des Preußischen Strafgesetzbuches im Jahr 1851 aufgelöst wurde. Den preußischen Reformbestrebungen, welche sich im weitesten Sinne auf die Einführung einzelner Rechtsnormen beschränkten, unterlagen bis dato lediglich jene Bereiche, die im direkten Zusammenhang mit dem staatlichen Abläufen standen, wie es beispielsweise für das Zoll- und Steuerrecht konstatiert werden könne.

Unter dem Titel „Ich habe die Genugtuung … daß Seine Königliche Majestät … sich … unter den treuen und braven Pommern wohl befunden haben …“ ordnete GABY HUCH (Berlin) das Verhältnis von Friedrich Wilhelm III. zu seinen „neuen Preußen“ ein. Den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildete die 1820 von Friedrich Wilhelm III. getätigte Rundreise durch seine neue Provinz. Bei seinem Besuch, der ihn unter anderem nach Wolgast, Greifswald, Stralsund und auf die Insel Usedom führte, befand er sich in Begleitung des Kronprinzen wie auch der Prinzen Wilhelm und Carl.

ANKE WIEBENSOHN (Potsdam) bot mit ihrem Beitrag zur Integration Wismars in das Herzogtum Mecklenburg nach dem Malmöer Vertrag von 1806 einen ersten Blick auf vergleichende Integrationsprozesse und präsentierte damit zugleich die Ergebnisse ihrer Magisterarbeit.2 Sie betonte, dass sich die Rückführung der Seestadt unter die einstige Landesherrschaft, an welche anfänglich von beiden Seiten große Hoffnungen geknüpft wurden, durchaus ambivalent darstellte. Während sich eine Eingliederung in die gerichtlichen Strukturen des mecklenburgischen Landesverbandes zwar langwierig, jedoch schrittweise vollzog, sei Wismar auf wirtschaftlicher Ebene in weiten Teilen eine rigorosere Abgrenzung vom Hinterland zugekommen als noch zu Zeiten der schwedischen Besatzung. Als gemeinsames Moment zur Eingliederung Vorpommerns in den preußischen Staatsverband und zentraler Stolperstein bei der umfänglichen Integration erwies sich laut Wiebensohn das Beharren auf alten Gewohnheiten und Vorrechten der Schwedenzeit.

DIRK SCHLEINERT (Stralsund) wandte sich demgegenüber wieder den pommerschen Landen zu. Mit seiner Analyse des Anfalles von Altvorpommern an Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts brachte er jedoch einen weiteren Integrationsprozess in die Diskussion ein, der zum einen bereits durch seine zeitliche Ansiedlung von einem anderen gesellschaftlichen und historisch-politischen Kontext geprägt war. Zum anderen war die Übernahme Stettins, Vorpommerns bis zur Peene sowie der Inseln Usedom und Wollin durch Preußen an den Friedensvertrag von Stockholm 1720 gebunden und hätte daher grundsätzlich eine andere Ausgangssituation bedingt als knapp hundert Jahre später der Gewinn des restlichen Schwedisch-Pommerns. Maßgeblicher Anteil käme dabei der Tatsache zu, dass diese Gebiete bereits seit 1713 der preußischen Besatzungspolitik ausgesetzt waren. Entgegen der rechtlichen Sonderstellung, welche Neuvorpommern noch geraume Zeit im preußischen Staat genoss, sei Altvorpommern von Beginn an und umfänglich in selbigen inkorporiert und den preußischen Reformbewegungen unterworfen worden.

Mit Friedrich Rühs (1781-1820) beleuchtete LUDWIG BIEWER (Berlin) einen gebürtigen Pommern, der mit Neugründung der Berliner Universität von Greifswald an selbige wechselte und dort das Amt des ersten Ordinarius für deutsche und skandinavische Geschichte versah und ab 1817 die Position des offiziellen Historiographen des preußischen Staates innehatte. Biewer analysierte Rühs´ Bewertung der Integration Schwedisch-Pommerns in den preußischen Staatsverband. In einem Nebenstrang ging er zudem auf Rühs‘ Beschäftigung mit der Geschichte der finnischen Völker und den damit in unmittelbarer Verbindung stehenden Verlust Finnlands 1809 an Russland ein.

Den Hoffnungen, welche sich Mecklenburg in den Jahren 1808–1815 auf Schwedisch-Pommern machte, widmete sich KATHLEEN JANDAUSCH (Schwerin). Obgleich die beiden mecklenburgischen Landesteile 1808 dem Rheinbund beigetreten waren, hätten sie des Öfteren als Verhandlungsmasse zur Diskussion gestanden. Dergestalt unter Druck hätten die mecklenburgischen Herzogtümer ihre Kräfte auf eigene territoriale Erweiterungsambitionen, die gleichsam als Gegenmaßnahme fungierten, fokussiert. Hinsichtlich der Fragestellung „Erobert oder erobert werden“ hätte sich jedoch ein Patt eingestellt. Ihre diplomatischen Bestrebungen blieben ebenso fruchtlos wie der Versuch der schwedischen Krone die Herrschaft über die beiden Herzogtümer sowie Schwedisch-Pommerns gegen den Verzicht Dänemarks auf Norwegen zu tauschen.

JENS E. OLESEN (Greifswald) fragte nach der „schwedisch-norwegischen Union von 1814“. Zentraler Punkt seiner Darstellungen war die Auflösung der dänisch-norwegischen Personalunion und deren Vorgeschichte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Dabei kamen zahlreiche Aspekte aus Politik und Gesellschaft sowohl aus dänischer als auch aus norwegischer Perspektive zur Sprache. Diesen stellte er abschließend die veränderten Bedingungen des Zusammenschlusses von Schweden und Norwegen 1814 gegenüber.

Mit dem letzten Tagungsbeitrag lenkte MANFRED MENGER (Jeeser) das Augenmerk nochmals Richtung Finnland. Obgleich 1809 mit der „Angliederung Finnlands an Rußland“ nahezu ein Drittel der Bevölkerung und gar ein Drittel des Territoriums verloren ging, sei ihr in der zeitgenössischen schwedischen Publizistik erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zugekommen. Davon ausgehend wäre die Vermutung naheliegend, dass der Verlust Finnlands von den Schweden scheinbar weit weniger traumatisch empfunden wurde als es die spätere nationale Geschichtsschreibung vermuten ließe. Weitergehende Forschungen zur Verifizierung dieser Annahme seien unbedingt wünschenswert.

Im Rahmen der von Nils Jörn (Wismar) geleiteten Abschlussdiskussion wurden die wichtigsten Forschungserkenntnisse nochmals zusammengefasst und mögliche weitergehende Perspektiven hervorgehoben. Gleichfalls wurden Forschungsdesiderate aufgedeckt. So wäre beispielsweise zu prüfen, ob sich eine entsprechende Reflexion der Integrationsprozesse auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt, in Flugschriften etc. niederschlug. In den Diskussionen wurde zudem der Wunsch offenkundig, über die Tagungsbeiträge hinaus weitere, nach Möglichkeit auch interdisziplinär angelegte Aufsätze, für die Drucklegung des Tagungsbandes zu gewinnen. Das Erkenntnisinteresse zielte u.a. auf Einschätzungen der Übernahme aus preußischer Sicht. Aus geopolitischer Perspektive wären Darlegungen der dänischen, norwegischen, finnischen, russischen wie auch französischen Interessen an Pommern und ihre Reaktionen auf den letztendlichen Fall an Preußen ebenfalls wünschenswert, aufgrund einer objektiven Einschätzung der Verfügbarkeit jedoch leider nicht umsetzbar. Die Ideen der Tagungsteilnehmer/innen zu den verschiedenen Schwerpunkten wurden gesammelt und werden nun von der Historischen Kommission, insbesondere der Tagungsleitung, auf ihre Realisierbarkeit geprüft. Vorschläge für in dieses Konzept passende Beiträge sind willkommen und werden von der Tagungsleitung entgegengenommen.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag
Kjell Åke Modéer (Lund): Willkommen und Abschied. Schwedisch-Pommern als Spielball europäischer Politik

Dirk Schleinert (Stralsund): Begrüßung und Einführung

Sektion I:
Henning Rischer (Loitz): Moderation

Nils Jörn (Wismar): Reformversuche am Ende der Schwedenzeit

Johannes Weise (Barnin): Die Integration Schwedisch-Pommerns in den preußischen Staatsverband

Anja Erdmann (Kiel): Kriminalgerichtsbarkeit in Neuvorpommern ab 1815

Sascha Ott (Greifswald): Organisation der höchsten Gerichtsbarkeit in Neuvorpommern

Sektion II:
Haik Thomas Porada (Leipzig): Moderation

Gaby Huch (Berlin): „Ich habe die Genugtuung … daß Seine Königliche Majestät … sich … unter den treuen und braven Pommern wohl befunden haben …“. Friedrich Wilhelm III. und seine neuen Preußen in Neuvorpommern 1820

Anke Wiebensohn (Potsdam): Die Integration Wismars in das Herzogtum Mecklenburg nach 1803

Dirk Schleinert (Stralsund): „Damit ein jeder der Justice … sich unverändert zu erfreuen habe“. Die Integration Altvorpommerns in Preußen 1713-1722

Ludwig Biewer (Berlin): Der Berliner Historiker Friedrich Rühs und die Integration Schwedisch-Pommerns in den preußischen Staatsverband

Kathleen Jandausch (Schwerin): Erobern oder erobert werden. Mecklenburgs „Hoffnungen“ auf Schwedisch-Vorpommern 1808-1815

Jens E. Olesen (Greifswald): Die schwedisch-norwegische Union von 1814

Manfred Menger (Jeeser): Die Angliederung Finnlands an Rußland von 1809

Schlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Johannes Weise, Die Integration schwedisch-Pommerns in den preußischen Staatsverband. Transformationsprozesse innerhalb von Staat und Gesellschaft, München 2005.
2 Anke Wiebensohn, Die Integration Wismars in das Herzogtum Mecklenburg nach 1803 (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft, Bd. 9), Hamburg 2015.


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