Reichsstadt im Religionskonflikt

Reichsstadt im Religionskonflikt

Organisatoren
Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, Nordhausen; Stadt Mühlhausen; Evangelisches Kirchspiel Mühlhausen; Katholische Pfarrgemeinde Sankt Josef Mühlhausen; Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegeverein e. V.
Ort
Mühlhausen
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.02.2016 - 10.02.2016
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Von
Antje Schloms, Stadtarchiv, Stadtverwaltung Mühlhausen

Die nunmehr vierte wissenschaftliche Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte fand traditionell von Rosenmontag bis Aschermittwoch (in diesem Jahr 8. bis 10. Februar 2016) als Gemeinschaftsveranstaltung von Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, Nordhausen, Stadt Mühlhausen, Evangelischem Kirchspiel Mühlhausen, Katholischer Pfarrgemeinde Sankt Josef Mühlhausen und Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegeverein e. V. statt. Unter dem Thema „Reichsstadt im Religionskonflikt“ widmete sich die Tagung stadtgeschichtlichen Phänomenen wie den spätmittelalterlichen Häresien, religiösen Minderheiten, Reformation und Konfessionalisierung sowie religiös gegründeten oder verbrämten sozialen oder politischen Konflikten. Trotz eines deutlichen Schwerpunktes, den die Tagung auf die Reformation als dem Ereignis besonderer Tragweite für die Reichsstädte insgesamt legt, wurde der Rahmen doch bewusst weiter gesteckt. Denn, wie Thomas Lau in seiner Einführung darlegte, war die Reformation nicht die erste und auch nicht die letzte religiös gegründete soziale Bewegung, die Brüche innerhalb der Stadt krisenhaft zuspitzte und eine Neufundierung der politischen und sozialen Ordnung erzwang. Sie stand vielmehr in einer langen Tradition der performativen Formulierung von Unzufriedenheit und der sakralen Selbstermächtigung von Oppositionsgruppen. Auch der Versuch, einen von lokaler und situativer Pluralität gekennzeichneten urbanen Sakralraum durch ein hegemoniales Gegenkonzept abzulösen, besaß Vorläufer und natürlich Nachahmer.

Zu Beginn gedachten die Tagungsteilnehmer des kürzlich verstorbenen Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt (Rostock). Helge Wittmann würdigte ihn als hervorragenden Stadt- und Landeshistoriker und engagierten Kollegen, der von Beginn an im Arbeitskreis mitgewirkt hat.

Zur inhaltlichen Einführung der Tagung zeichnete der Fribourger Neuzeithistoriker Thomas Lau (Fribourg) als einer der beiden Organisatoren ein lebhaftes Bild der Stadt der religiösen Vielfalt schlechthin – Jerusalem. Nicht immer konfliktfrei, aber dennoch ohne große Gewalttätigkeiten funktioniere dort heutzutage ein Miteinander, wozu er die Verhältnisse im beschaulichen Mühlhausen des 16. Jahrhunderts in scharfem Kontrast darstellte. Das Experiment einer bikonfessionellen Stadt scheiterte dort, der Rat entschied sich gegen eine eindeutige Stellungnahme und hielt sich aus religiösen Angelegenheiten heraus bzw. blieb widersprüchlich. Dies führte zu einem kräftezehrenden jahrelangen Rechtsstreit Mühlhausen gegen Mühlhausen vor dem Reichshofrat, bis 1566 die verbliebenen katholischen Geistlichen die Reichsstadt verlassen mussten.

Die erste Sektion zur mittelalterlichen Stadtgeschichte moderierte Olivier Richard aus Mulhouse. Zunächst setzte sich Ingrid Würth (Halle an der Saale) mit der Frage auseinander, ob Reichsstädten eine Sonderstellung beim Auftreten von spätmittelalterlicher Häresie zukam. Anhand von drei verschiedenen Fallbeispielen wurde deutlich, dass bei der Verfolgung von Ketzern nicht nur religiöser Eifer eine Rolle spielte, sondern dass insbesondere die Außenwahrnehmung der Reichsstadt und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Eliten handlungsleitend waren. Würth stellte das Agieren der Räte vor allem als „Imagepolitik“ dar, die unter anderem auch die Möglichkeit der religiösen Kompromissbereitschaft zum Zweck der Bewahrung des inneren Zusammenhalts der Bürgerschaft eröffnete. Dem folgte der Beitrag von Andreas Willershausen (Gießen) zu religiösen und militärischen Aspekten der Geschichte der Reichsstädte der Wetterau im Zeitalter der Hussitenkriege. Er konnte dabei aufzeigen, dass die Hussitenkriege durch die Wetterauer Reichsstädte als Kreuzzüge verstanden wurden, die deshalb ein vergleichsweise größeres militärisches Engagement entwickelten. Dass die Darstellung der militärischen Konflikte mit den Hussiten als Kreuzzug durch die Eliten auch in der Bürgerschaft Resonanz fand, erweist die Teilnahme von Bürgern an Feldzügen, die nicht den eigentlich städtischen Kontingenten angehörten.

Die Moderation der zweiten Sektion übernahm Gerold Bönnen (Worms). Der Leiter des Stadtarchivs Heilbronn, Christhard Schrenk (Heilbronn), stellte die Geschichte der jüdischen Bewohner der Reichsstadt Heilbronn dar. Nach mittelalterlichen Pogromen im 13. und 14. Jahrhundert, wurde die jüdische Gemeinde im 15. Jahrhundert endgültig vertrieben. Es folgte eine Zeit ohne jüdische Einwohner, in der gleichwohl jüdisches Leben in Heilbronn in gewandelter Form fortbestand. So gestattete etwa der Rat den Juden des Umlands in militärisch brenzligen Zeiten den Aufenthalt in der Stadt gegen einen täglichen Leibzoll. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Geschichte der Juden im pfälzischen, schwäbischen und fränkischen Kreis annähernd gleichlautend erzählt werden könnte. Die zunehmende Reglementierung in der Zeit der Reformation sei dabei weniger unter religiösen Aspekten zu betrachten, sondern als Ausdruck einer generell zunehmenden obrigkeitlichen Reglementierung. Rolf Hammel-Kiesow (Lübeck) widmete sich im anschließenden Vortrag einer vergleichenden Analyse der Hamburger und Lübecker Politik im späten 16. und 17. Jahrhundert. Beide lutherischen Städte entwickelten in dieser Zeit einen völlig unterschiedlichen Umgang mit Glaubensflüchtlingen. 1567 endete eine gemeinsame „Asylpolitik“ und Lübeck verschloss sich daraufhin dem Zuzug von Fremden. Hammel-Kiesow stellte dem das völlig andersartige Agieren des Hamburger Rates entgegen, der sich offenkundig von massiven Zuzügen wirtschaftliche Vorteile versprach und sich deshalb über den Widerstand der Geistlichkeit und alteingesessener Bürger hinwegsetzte und kaufmännisch versierten Immigranten (sephardische Juden, niederländische Händler, Manufakturisten etc.) die Niederlassung in der Stadt gewährte, was langfristig den Status Hamburgs als bedeutende Handelsmetropole mit etablierte. Lübeck blieb wegen seiner ganz andersartigen Politik unter maßgeblichem Einfluss der dortigen Geistlichkeit diese Möglichkeit verwehrt. Erst 1616 ermöglichte ein hansischer Vertrag die zaghafte Ansiedlung von auswärtigen Reformierten, die jedoch häufig aus dem armen Milieu stammten. Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung beider verglichenen Städte dürfte demnach in ihrer unterschiedlichen Haltung zum Zuzug von Glaubensflüchtlingen eine nicht unerhebliche Ursache gehabt haben.

In Zusammengang mit der Besichtigung der für die Reformation in Mühlhausen besonders wichtigen Franziskanerkirche am Kornmarkt erläuterte Helge Wittmann (Mühlhausen) die Verehrungs- und Rezeptionsgeschichte des heiligmäßigen Franziskanerbruders Hermann. In nachreformatorischer Zeit hielt die verbliebene katholische Minderheit noch über zwei Jahrhunderte an der Verehrung an Hermanns Grab fest. Die protestantische Kornmarktkirche wurde so zu einem Ort innerhalb der Stadt, an dem konfessionelle Unterschiede unmittelbar wahrgenommen wurden, was sowohl von protestantischen Kirchengeschichten, als auch von der franziskanischen Hagiographie widergespiegelt wird. Eine Auswahl solcher Dokumente wurde am Ort in einer kleinen Ausstellung präsentiert. Die Besichtigung leitete über zur öffentlichen Abendveranstaltung, die dem Themenfeld Reformation und Konfessionalisierung gewidmet war. In das Haus der Kirche am Kristanplatz luden dafür der Evangelische Kirchenkreis Mühlhausen und die Katholische Pfarrgemeinde Sankt Josef Mühlhausen gemeinsam ein. Thomas Lau moderierte beide Vorträge. Zuerst gab Wolfgang Reinhard (Freiburg i. Br.) eine pointierte historiografische Rückschau auf die nicht zuletzt durch Bernd Moellers Werk „Reichsstadt und Reformation“ geprägte Sichtweise eines engen Zusammenhangs von Stadt und Reformation, wobei die jüngere Forschung noch stärker betont, dass die Reformation nicht nur zuerst ein reichsstädtisches, sondern ein allgemein städtisches Phänomen gewesen ist und dass vor allem spezifisch städtische Faktoren die Reformation ermöglicht und ihren Verlauf geprägt haben. Er betonte außerdem die Attraktivität der evangelischen Konfession bei den städtischen Unter- und Mittelschichten. Im Anschluss beschrieb Gérald Chaix (Paris) wie sich die Konfessionalisierung im Verlauf der Reformation allmählich formierte und stellte dabei heraus, was diesen Prozess in einer Reichsstadt von jenem in einer Territorialstadt unterschied.

Der zweite Tagungstag begann unter der Moderation von Pierre Monnet (Frankfurt am Main / Paris) mit einem Beitrag von Klaus Krüger (Halle an der Saale) zum Bild des Toten im Religionskonflikt. Im Zentrum seiner Ausführungen standen dabei Fragen des Umgangs mit Bildern und Grabmalarchitekturen insgesamt in Zeiten des Religionskonflikts. Es zeigt sich etwa, dass der Bildersturm durchaus auch Auswirkungen auf Grabanlagen hatte. Auffällig sind dabei häufig zu beobachtende Teilzerstörungen von Grabmalen, die ihrer Materialität nach erhalten blieben. Oftmals betraf die Zerstörung nur die Heiligendarstellungen nicht jedoch die Stifterfiguren. Eine weitere Wirkung der Reformation war das von breiteren Bevölkerungsgruppen wahrgenommene ius inscriptones, so dass etwa gehäuft Inschriften und Grabmonumente entstanden, die Personen der bäuerlichen Schicht galten, oder auch, dass das Deutsche mehr und mehr das Lateinische als Inschriftensprache verdrängte. Das figürliche Grabbild als solches blieb jedoch über die Zeit erhalten, weil diese Darstellungsform die Hoffnung auf fleischliche Auferstehung widerspiegelt, die gleicherweise im katholischen und im protestantischen Milieu getragen wird.

Im folgenden Beitrag des Vormittags behandelte Michael Matthäus (Frankfurt am Main) die Frage nach der Balance zwischen Kaisertreue und Protestantismus in der Reichsstadt Frankfurt. Dem Frankfurter Patriziat gelang die allmähliche Einführung der Reformation durch die Einrichtung bestimmter Institutionen wie etwa einer humanistisch orientierten Lateinschule. Der Rat nahm demgegenüber zunächst eine passive Rolle ein, bis es um 1525 zu gewaltsamen Übergriffen aus der Bürgerschaft auf katholische Geistliche kam. Dieser Aufstand schränkte den regierenden Rat ein und zwang ihn zur Annahme eines Rezesses mit 46 Artikeln. Erst nach Niederschlagung der Bauernaufstände war der Rat wieder handlungsfähig und Frankfurt wurde seitens des Kaisers als rechtgläubig anerkannt. Alle Neuerungen der Protestanten aus der Zeit vor den Aufständen wurden damit einhergehend jedoch hinfällig. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelang es der Stadt zugleich evangelisch zu werden und kaisertreu zu bleiben.

Die Rolle des Reichsoberhauptes untersuchte auch Thomas Kirchner (Aachen). Die Präsentation der Ergebnisse seiner gerade erschienenen Dissertation machte auch für Aachen deutlich, dass gewaltsame Aufstände in der Reformationszeit lediglich Episode blieben. Prägend waren hingegen über lange Zeit das Zusammenspiel der Konfessionskulturen und ein relativ friedliches Miteinander aller drei Konfessionen. Konfliktbringende Impulse kamen dabei eher von außen, da etwa die Rats- und Amtsfähigkeit nichtkatholischer Bürger Eskalationen auslöste. Auch in Aachen verstätigte sich die Reformation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Mischverhältnis innerhalb des Aachener Rates von reformierten, lutherischen und katholischen Räten blieb jedoch bestehen und ist kontinuierlich vom Reichshofrat begleitet worden.

Die erste Nachmittagssektion wurde moderiert von Werner Greiling (Jena). In seinem Vortrag näherte sich Christian Helbich (Wolfenbüttel) der Religionsfrage anhand des Reichskammergerichtsprozesses zwischen Stift und Stadt Essen von 1568 bis 1670. Zu klären galt hierbei, ob der Rat der Stadt Essen befugt war, eigenständig die Reformation im Sinne des ius reformandi einzuführen, oder ob dadurch Rechte des Stifts als obrigkeitlicher Reichsstand übergangen wurden. Das Urteil nach einem Jahrhundert bestätigte der Äbtissin des Stiftes die Hoheit über die Stadt, verlangte allerdings die freie Ausübung und Beibehaltung der bis dahin längst etablierten Confessio Augustana. Anschließend referierte Werner Freitag (Münster) über Autonomiestädte und das Reich im Zeitalter der Reformation am Beispiel Westfalens. Er beleuchtete dabei das Reformationsgeschehen in Nicht-Reichsstädten, um in vergleichender Perspektive die häufig in der Forschung konstatierte besondere Rolle von Reichsstädten für das Reformationsgeschehen kritisch zu hinterfragen. Im Ergebnis stellte er fest, dass der Umgang mit innerstädtischen Konflikten aufgrund der Eigenständigkeit in Reichstädten viel besser eingeübt war, dass dennoch aber der historiografisch verwendete Begriff „Reichsstadt“ kaum spezifische Konturen aufweise und lediglich deren „Herrenlosigkeit“ feststelle. Diese „Herrenlosigkeit“ gelte aber auch für andere autonome Städte. So sei demgegenüber der Status als Reichs-, Residenz- oder Hansestadt weniger bedeutend für den jeweiligen Verlauf der Reformation. Dafür verlief der Prozess bei vergleichbarem Grad an Autonomie allerorten ähnlich: Protest, Ausschussbildung, Androhung von Gewalt, Infragestellung der Integrität des Rates, Neuvereidigung mit Akzeptanz der neuen Konfession.

Die abschließenden beiden Vorträge, moderiert von Sabine Graf (Hannover), widmeten sich den religiösen Herausforderungen des späten 17. und 18. Jahrhunderts. Andrea Riotte (Biberach) zeigte dabei die Divergenz zwischen Wunschbild und Wirklichkeit der Parität in Biberach zwischen 1649 und 1825. Obwohl dort die Idee der numerischen Parität bereits im 16. Jahrhundert existierte, wurde diese katholischerseits abgelehnt und torpediert. Das äußerte sich unter anderem auch in Hexenverfolgungen, denen zunächst vor allem Protestanten zum Opfer fielen. Hexerei schien ein evangelisches Delikt, und wurde vom katholisch dominierten Rat verfolgt. Das Präzedenzdekret vom April 1649 hatte in Biberach die Parität festgelegt, die Praxis hingegen war davon weit entfernt. Biberach war konfessionell und politisch irregular; im 18. Jahrhundert entwickelte sich der paritätische Rat auch im übertragenen Wortsinn konfrontativ, saßen sich doch die katholischen und evangelischen Räte auf Bänken gegenüber. Das Wunschbild einer friedvollen Koexistenz in Form einer Parität war nicht praktikabel und verlor spätestens mit der Übergabe der Stadt in württembergische Herrschaft 1825 an Bedeutung. Fortan gab es nur noch eine Bürgerschaft und einen Rat. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass in anderen paritätischen Städten, wie etwa Dinkelsbühl, die Praxis ebenfalls schwierig war. Die Diskussion zu diesem Beitrag profitierte wie so oft auf dieser Tagung von der Anwesenheit zahlreicher Archivare und Forscher aus anderen ehemaligen Reichsstädten, die in vergleichender Perspektive wichtige Aspekte beisteuern konnten. Anschließend stellte Hanspeter Jecker (Bienenberg) die hochinteressante Problematik des Umgangs mit Täufertum und Pietismus in der Zeit von 1700 bis 1720 in Bern dar. Beide kirchlichen Oppositionsbewegungen traten zeitgleich in der reformierten Stadt auf und lösten schwerwiegendste Reaktionen seitens der Obrigkeit und der Kirche aus. Durch gemeinsames Auftreten von Täufertum und Pietismus in Bern werden dort die Konvergenzen und Divergenzen, aber auch die Interaktionen und Interdependenzen zwischen diesen beiden europaweit bedeutsamsten Bewegungen ihrer Zeit auf eine Weise vergleichbar, wie dies wohl nirgendwo sonst möglich ist. Dabei fällt auf, dass auch in Bern seitens der politischen und kirchlichen Obrigkeit in der Regel eine Doppelstrategie angewandt wurde: Neben den eigentlichen Kampf gegen die Bewegungen trat immer wieder der Kampf gegen die Missstände im eigenen Lager. Man war sich durchaus bewusst, dass oppositionelle religiöse Bewegungen wohl wenigstens so lange Zulauf haben würden, als diese einerseits auf allgemein bekannte Defizite in Kirche und Gesellschaft hinweisen konnten, und sich selbst als glaubwürdige und einladende Alternative zu positionieren vermochten. Damit erzwang die religiöse Kritik innerhalb der frühneuzeitlichen Gesellschaft einen intensivierten obrigkeitlichen Kampf gegen soziale Missstände, Laster und Unmoral und trug damit zu einem Ausbau der „Sozialdisziplinierung“ bei.

Die abschließende Zusammenfassung aller Beiträge unter der Moderation von Michael Diefenbacher (Nürnberg) übernahm André Krischer (Münster). Er lieferte in seiner Rückschau auf die vergangenen beiden Konferenztage eine pointierte, klare Zusammenfassung. Im Sinne Bernd Möllers unterstrich er nochmals, dass die Reformation in der Stadt ein Sprungbrett fand. In dieser Tradition gelang es der Tagung, die Reformation als stadtgeschichtliches Phänomen zu fassen. Deutlich habe sich herausgestellt, dass Bikonfessionalität keinesfalls als Vorreiter von religiöser Toleranz zu bewerten sei. Als weiteres Ergebnis stellte Krischer heraus, dass die von der Tagung vermiedenen epochalen Eingrenzungen statt für eine üblicherweise angenommene Zäsur im frühen 16. Jahrhundert eher für eine kulturelle Transformationsphase 1400 bis 1600 sprächen, die zudem weniger von religiöser als von politischer Intention geprägt sei. Die Sicherung der (reichs-)städtischen Eintracht stand bei dem Verhalten der meisten städtischen Räte mehr im Vordergrund als der religiöse Konflikt an sich und war somit handlungsleitend für diese.

Traditionell fand am Abend des zweiten Tages die Sitzung des informellen Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte statt. Die kommende Tagung 2017 wird sich dem Thema „Reichsstadt und Geld“ widmen. Im Jahr 2018 sollen dann „Reichsstädtische Argumente und reichsstädtische Argumentationen“ Gegenstand der Tagung sein.

Der dritte Tag war der Exkursion in das Panoramamuseum Bad Frankenhausen vorbehalten. Der einführende Vortrag von Thomas T. Müller (Mühlhausen) machte noch einmal in vergleichender Perspektive deutlich, wie unterschiedlich die Reformation in zwei benachbarten, eng verbundenen Reichsstädten verlaufen konnte und welche Faktoren diesen unterschiedlichen Verlauf bestimmten. Während in Mühlhausen die frühe Reformationsphase in einen, dann letztlich niedergeschlagenen Aufstand gegen das Ratsregiment mündete, setzte in Nordhausen der Rat die Reformation durch. Die Vorgänge in Mühlhausen, die zur Teilnahme von Mühlhäusern unter Führung Thomas Müntzers an der Schlacht des Bauernheeres gegen fürstliche Truppen bei Frankenhausen führten, bildeten die thematische Brücke zur Besichtigung des 1989 fertiggestellten monumentalen Schlachtengemäldes „Die frühbürgerliche Revolution“ von Werner Tübke, das das Exkursionsziel bildete.

Konferenzübersicht:

Thomas Lau (Freiburg/CH): Einführung

Moderation: Olivier Richard (Mulhouse)

Ingrid Würth (Halle an der Saale): Reichsstadt und Häresie im Spätmittelalter

Andreas Willershausen (Gießen): Die Reichsstädte der Wetterau im Zeitalter der Hussitenkriege (1419–1431) – Religiöse und militärische Aspekte

Moderation: Gerold Bönnen (Worms)

Christhard Schrenk (Heilbronn): Juden in der Reichsstadt Heilbronn

Rolf Hammel-Kiesow (Lübeck): Glaubenspolitik im Vergleich – Hamburg und Lübeck im späten 16. und 17. Jahrhundert

Besichtigung der Kornmarktkirche mit Vortrag Helge Wittmann (Mühlhausen): Als Heiliger unter Protestanten – Der Franziskanerbruder Hermann in Mühlhausen

Öffentliche Abendveranstaltung

Begrüßung durch Pfarrer Teja Begrich

Grußworte des Oberbürgermeisters der Stadt Mühlhausen, Johannes Bruns, des Stadtdechanten Gerhard Stöber, des Stiftungsvorstandes der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, Andreas Lesser

Moderation: Thomas Lau (Freiburg/CH)

Vorträge

Wolfgang Reinhard (Freiburg i. Br.): Reichsstadt und Reformation

Gérald Chaix (Paris): Reichsstadt und Konfession

Moderation: Thomas Lau (Freiburg/CH)

Diskussion zu den Abendvorträgen

Moderation: Pierre Monnet (Frankfurt a. M./Paris)

Klaus Krüger (Halle an der Saale): Das Bild des Toten im Religionskonflikt

Michael Matthäus (Frankfurt am Main): Die Reformation in Frankfurt – Zwischen Kaisertreue und Protestantismus

Thomas Kirchner (Aachen): Welchem Kaiser gehorchte Aachen? Aspekte des Reichsoberhaupts in der Causa Aquensis

Moderation: Werner Greiling (Jena)

Christian Helbich (Wolfenbüttel): Reichsunmittelbarkeit und ius reformandi – Die Religionsfrage im Reichskammergerichtsprozess zwischen Stift und Stadt Essen 1568–1670

Werner Freitag (Münster): Autonomiestädte und das Reich im Zeitalter der Reformation – Das Beispiel Westfalen

Moderation: Sabine Graf (Hannover)

Andrea Riotte (Biberach): Die Parität in Biberach (1649–1825) – Wunschbild und Wirklichkeit

Hanspeter Jecker (Bienenberg): Täufertum und Pietismus als Herausforderung für Obrigkeit und Kirche in Bern 1700 bis 1720

Moderation: Michael Diefenbacher (Nürnberg)

Schlussdiskussion
André Krischer (Münster): Reichsstadt im Religionskonflikt – Eine Rückschau

Sitzung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte

Exkursion zum Panoramamuseum Bad Frankenhausen mit dem Monumentalgemälde von Werner Tübke (1929–2004) „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ (1989), mit Unterstützung des Mühlhäuser Geschichts- und Denkmalpflegevereins e .V.

Moderation: Peter Bühner (Mühlhausen)

Vortrag zur Einführung
Thomas T. Müller (Mühlhausen): Frühreformation und Bauernkrieg – Die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen

Erläuterungen zum Monumentalgemälde: „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“


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