Erfüllte Körper – Inszenierungen von Schwangerschaft

Erfüllte Körper – Inszenierungen von Schwangerschaft

Organisatoren
Stephanie Heimgartner / Simone Sauer-Kretschmer, Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2015 - 05.12.2015
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Von
Ramona Schermer, Lehrstuhl für Komparatistik, Ruhr-Universität Bochum

Die Tagung „Erfüllte Körper“ brachte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zahlreichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen zusammen. Sie wurde mit dem Einstiegsvortrag von SIMONE SAUER-KRETSCHMER (Bochum) eröffnet, in dem diese kurz die Vielfalt an Motiven, Stoffen und Themen umriss, mit denen die Schwangerschaft – oder auch ihr Ausbleiben – in der Literatur repräsentiert ist.

Während des ersten Teils der Tagung trugen die Historikerinnen Lucia Aschauer und Regina Schulte sowie die Psychologin Lisa Malich vor. LUISA ASCHAUER (Bochum) promoviert über französische ärztliche Fallberichte, die sich mit Schwangerschaft und Geburt auseinandersetzen. Sie zeigte an exemplarischem Material, wie die auf „observation“ beruhenden Fallberichte entstanden – bei jenen Beobachtungen war vor allem die ebenfalls anwesende Hebamme tätig, der Arzt eher passiver Beobachter – und stellte eindrucksvoll dar, wie sich von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis ins beginnende 19. Jahrhundert ein Paradigmenwechsel in der Geburtsheilkunde vollzog. War diese vormals maßgeblich durch das weibliche Erfahrungswissen geprägt, wurde dieses nun durch den wissenschaftlichen Ansatz der männlichen Ärzte herausgefordert. Aschauer zeigte auf, wie diese Inanspruchnahme und Neuordnung der Disziplin vor allem über narratologische Praktiken innerhalb der Fallgeschichten realisiert wurde.

REGINA SCHULTE (Bochum / Berlin) gab einen Einblick in ihre Arbeiten zu Kindsmord und Kindstötungen und setzte in ihrem Vortrag den Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert. Hierbei bot sie nicht nur einen Einblick in die sozialen Bedingungen der Frauen, über die ihre mikroanalytischen Untersuchungen Aufschluss gaben, sondern – auf der Makroebene – auch auf die gesellschaftlichen und juristischen Bedingungen, denen sie sich gegenübersahen. Schulte zeigte, in welch mannigfaltigen Diskursen der Kindsmord verhandelt worden ist, wie diese sich beeinflussen, abgrenzen und/oder miteinander agierten.

LISA MALICH (Berlin) ist an der Charité tätig und befasst sich mit der Wissensgeschichte von Muttergefühlen in der Schwangerschaft vom späten 18. Jahrhundert bis heute. Sie unterteilt den Untersuchungszeitraum in drei Phasen und zeigt für die erste von ihr ausgemachte Periode, die bis zum beginnenden 20. Jahrhundert reicht, dass die Gefühlswelt der Schwangeren hier keine Beachtung in der wissenstheoretischen Konzeption fand. Parallel zum Hysterie-Diskurs werden in dieser Zeit die „Verstimmungen“ der Schwangeren ins Zentrum der Betrachtung gestellt und auf eine Erhöhung der Sensibilität des weiblichen Nervensystems in der Schwangerschaft zurückgeführt, teilweise allerdings auch noch an die Humoralpathologie angebunden. Bis in die 1960er-Jahre wurden nun erstmals Muttergefühle und Instinkte verhandelt. Grund hierfür waren unter anderem die zunehmende Medikalisierung desselben sowie die Anwendung neuer Technologien wie z.B. des endokrinologischen Schwangerschaftstests und die Entstehung der Sexualwissenschaft. Seit den 1970er-Jahren dominierte nun die Idee von den hormonellen Stimmungsschwankungen, die Schwangerschaft wurde deutlich psychologisiert. Die erläuterten Diskursphänomene zeichneten sich maßgeblich durch ihr plötzliches Auftreten sowie ihre scheinbare Grundlosigkeit aus. Malich sah hier eine Parallele zum Schwangerschafts- und Hysteriediskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Die zweite Phase der Tagung wurde am nächsten Morgen von CRISTINA MAZZONI (Vermont) eingeleitet, die in ihrem Keynote-Vortrag über die botanische Metaphorisierung des schwangeren Körpers sprach und somit die literaturwissenschaftliche Sektion eröffnete. Anhand von Giovanni Battista Basiles “Pentamerone, oder The Tale of Tales. Entertainment of Little Ones (1634–1636)“ und Giovanni Battista Ferrari „Hesperides“, oder „On the Cultivation and Use of the Golden Apples“ zeigte Mazzoni, wie in beiden Texten Frauen bzw. Schwangere, in Anbindung an die botanische Wissenschaft, mit Pflanzen assoziiert wurden. Zugleich stellen die beiden Renaissancewerke Metamorphosen-Erzählungen dar. Im Zentrum stand die Verhandlung von Reproduktion in Anbindung an botanische Assoziationen, vor allem in Bezug auf Zitrusfrüchte und -pflanzen. Mazzoni band die Texte Basiles und Ferraris in eine generelle Kulturgeschichte der (botanischen) Metaphorisierung von Schwangerschaft ein.

Anschließend präsentierte MONIKA SCHMITZ-EMANS (Bochum) ihre Überlegungen zu Schwangerschaft als Metapher für Literatur. Sie zeigte, wie literarische Autoren Versatzstücke aus dem Schwangerschaftsdiskurs nutzten, um zu verdeutlichen, wie dieser verhandelt wurde. Das Feld der Schwangerschaftsmetaphorik wurde von den Literaturschaffenden allerdings auch dort genutzt, wo es galt Unbeschreibliches oder den Beginn von etwas zu umschreiben. Anhand von François Rabelais’ „Gargantua et Pantagruel“, Laurence Sternes „The life and opinions of Tristam Shandy, Gentleman“ und Günter Grass’ „Der Butt“ veranschaulichte Schmitz-Emans, welche Topoi jeweils im zeitgenössischen Schwangerschaftswissen bestanden und wie sie von den Autoren für die eigenen Texte genutzt oder, wie im Fall von Grass, ironisch gebrochen wurden.

Anhand des Dokumentarfilms „Google-Baby“ von Zippi Brand Frank stellte die Medienwissenschaftlerin ASTRID DEUBER-MANKOWSKY (Bochum) ihre Arbeit zur Globalisierung von Schwangerschaft vor. Distanziert und aus beobachtender Perspektive verfolgt der Film den Aufbau einer israelischen Leihmutterschaftsagentur. Der Prozess von Eizellenspende, Vermittlung und Austragung erstreckt sich hierbei über drei Kontinente, um die Leihmutterschaft auf diese Weise möglichst erschwinglich zu machen. Deuber-Mankowsky setzte die nicht deutlich Stellung beziehende, sondern fragende Position des Dokumentarfilms in das Zentrum ihrer Betrachtung. Der Film zeige, wie Reproduktionstechnologien zur Grundlage von internetbasierten Geschäftsmodellen und so der digitalen Ökonomie unterworfen werden.

Im Anschluss analysierte WALTRAUD MAIERHOFER (Iowa) anhand des Dokumentarfilms „Abortion Democracy“ von Sarah Diehl deren Einsatz für Abtreibung als globales Frauenrecht. An zwei Beispielen stellte Diehl in ihrem Film den schwierigen Zugang zu Abtreibung trotz liberaler Gesetzgebung (Südafrika) oder aber aufgrund neuerlicher Kriminalisierung (Polen) dar. Von welchen gesellschaftlichen Faktoren die Selbstbestimmung der Frau abhängig zu sein scheint und in welchem Kontrast dies zur offiziellen Gesetzeslage steht, wurde hier exemplarisch nachvollzogen.

DANIEL HORNUFF (Karlsruhe) sprach über die semantische Aufladung von Schwangerschaft in heutigen westlichen Gesellschaften. Die Schwangerschaft werde als Ausnahmezustand zelebriert und der Fötus, sobald abbildbar, als Familienmitglied begriffen. Der Wunsch nach Integration des Ungeborenen in das Familienleben werden von zahlreichen Konsumangeboten bedient und die Repräsentationstechniken immer weiter ausgebaut. Hornuff fragte nach den Folgen einer solchen Entwicklung. In diesem Zusammenhang verhandelte er auch die These Simone de Beauvoirs, derzufolge die Personalisierung des Ungeborenen eine Entpersonalisierung der (schwangeren) Frau darstellt, die dem Ungeborenen lediglich noch als Hülle diene.

Auch ANDREAS BERNARD (Lüneburg) thematisierte in seinem Keynote-Beitrag die kulturelle Bedingtheit von Schwangerschaft. Seit dem 19. Jahrhundert seien zu den vormals in der Paarbeziehung verhandelten Prozessen der Zeugung und Familienbildung ‚Dritte‘ hinzugekommen. Bei diesen weiteren Akteuren handele es sich um (Reproduktions-)Mediziner, Samenspender, Leihmütter usw. In empirischen Untersuchungen ist Bernard der Frage nachgegangen, wie unsere Kultur auf diese neuen „Familienmodelle“ reagiert und welche Nähe- und Distanzverhältnisse in solchen Konstellationen herrschen müssen. Anhand einer historischen Untersuchung zum Zeugungswissen und dem neuzeitlichen Familienbild verdeutlichte er die Bedingungen einer solchen Entwicklung.

Der zweite Tagungstag schloss mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion, an der Andreas Bernard, Barbara Duden, Cornelia Schadler, Daniel Hornuff, Monika Schmitz-Emans teilnahmen und die von den Veranstalterinnen moderiert wurde. Im Zentrum der Diskussion standen die modernen Reproduktionstechniken; Barbara Duden kritisierte die kulturelle Stärkung des Zeugungsaktes in der Reproduktionsmedizin als Dekontextualisierung der „Kindwerdung“ und die damit einhergehende scheinbare Unterordnung der Interessen der Frau unter die vermeintlich unabhängigen Interssen des Embryos. In diesem Zusammenhang wurden die in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausdifferenzierten Visualisierungstechniken in der Schwangerschaft diskutiert. Daniel Hornuff bemerkte hier, dass die Schwangerschaft einem regelrechten Veröffentlichungsdruck unterliege; die Frau empfinde die Notwendigkeit, ihren schwangeren Körper auszustellen.

BARBARA DUDENs (Hannover / Bremen) Keynote griff den Diskurs von der Konstruktivität der Schwangerschaft erneut auf. Bis ins 19. Jahrhundert habe es keine kollektive weibliche Vorstellung von Schwangerschaft gegeben. Diese sei als höchst individueller Zustand empfunden worden, bei dem die Gewissheit, ob tatsächlich ein Kind ausgetragen wurde, erst im Moment seiner Geburt entstanden sei. Von wissenschaftlicher Seite habe danach eine Objektivierung der Schwangerschaft eingesetzt, die vor allem das Ungeborene ins Zentrum der Betrachtung stellte. Duden verglich die von den Frauen empfundene Wahrnehmung der Schwangerschaft mit der ärztlichen Betrachtung und zeigte, wie die Fokussierung auf das werdende Kind den Diskurs über Schwangerschaft bis heute beeinflusst hat.

CORNELIA SCHADLER (München) näherte sich dem heutigen Elternwerden aus soziologischer Perspektive. Für ihre Studie beobachtete sie zehn Paare im Übergang zur Elternschaft und stellte fest, dass die geforderte Transformation zu Mutter und Vater vom betreffenden Paar aktive Arbeit verlange. Diese beginne direkt bei der von beiden ‚herzustellenden‘ Fruchtbarkeit, reiche über die Selbstfürsorge und Dokumentation der Schwangerschaft und ende letztlich in der Widerherstellung des ‚unbeschadeten‘ Körpers. Schwangerschaft wird hier zur „Herstellungsleistung materiell-diskursiver Grenzziehungsprozesse, die ein Kollektiv von TeilnehmerInnen begrenzt.“ Demgegenüber stünden Kontinuitätspraktiken, mithilfe derer die werdenden Eltern ihren Subjektstatus zu erhalten suchten.

STEPHANIE HEIMGARTNER (Bochum) näherte sich in ihrem Vortrag dem Topos der ‚menschlichen Ressource‘ an. Dabei widmete sie sich der Fragestellung, wieso Ressourcen heute im Allgemeinen als knapp beschrieben werden und inwiefern ihre Knappheit auch die individuellen und gesellschaftlichen Diskurse und Entscheidungen über menschliche Fortpflanzung – hier stellen vor Allem die Lebenszeit und Fruchtbarkeit der Frau die knappen Ressourcen dar – dominiert. Schwangerschaft würde heute von zahlreichen Optimierungsbestrebungen begleitet – vom Wunschzeitraum der Empfängnis bis hin zum Kaiserschnitttermin.

Im Anschluss an diesen Vortrag wurden in der Abschlussdiskussion Science Fiction Utopien und Dystopien diskutiert, in denen die Modifikation der Reproduktion verhandelt wird. Stephanie Heimgartners These, über die Wahrnehmung des Uterus, der heute sowohl als der sicherste und zugleich gefährlichste Ort begriffen würde, scheint analog zur Thematisierung des Planeten Erde, der als Ursprung allen Lebens und zugleich als große Gefahrenquelle betrachtet wird, wie Monika Schmitz-Emans bemerkte. Darüber hinaus kamen Themen zur Sprache, die sich an diese Tagung anschließen könnten, wie die kulturelle Verhandlung von Adoption, Geschwisterschaft und generell von Familiensystemen.

Resümierend ist festzuhalten, dass die Diskurse um die Schwangerschaft, seien sie literarisch, historisch, wirtschaftlich, kulturell, soziologisch, gesellschaftlich oder künstlerisch geprägt, sich oftmals um eine Dreiheit von Figuren zu bewegen scheinen. Im Zentrum stehen stets die Schwangere und ihr ungeborenes Kind und die Frage nicht nur nach ihrem Verhältnis zueinander, sondern auch nach dem Subjektstatus beider. Darüber hinaus scheint es stets einen Dritten zu geben, der die ‚Deutungshoheit‘ über den Status der ersten beiden zu besitzen meint oder ihn tatsächlich innehat und so das Verhältnis von Mutter und ungeborenem Kind zu beeinflussen scheint.

Von allen Vortragenden als sehr bereichernd wurde die interdisziplinäre Vielzahl der Vorträge in Bezug auf das Thema empfunden. Hierdurch sind facettenreiche und fruchtbare Diskussionen entstanden, die Anregungen in Bezug auf die eigene Arbeit nur befördern konnten.

Konferenzübersicht:

Lucia Aschauer (Deutsches Historisches Institut, Paris), Die erzählerische Inszenierung von Schwangerschaft und Geburt in geburtshilflichen Fallberichten des 18. Jahrhunderts

Regina Schulte (Bochum/Berlin), Prekäre Schwangerschaften zwischen weiblicher Gemeinschaft und ärztlich-juristischem Zugriff im 18./19. Jahrhundert

Lisa Malich (Charité Medical School, Berlin), Von der nervösen Verstimmung zur hormonellen Stimmungsschwankung: Eine Wissensgeschichte von Muttergefühlen in der Schwangerschaft (1789–2010)

Keynote
Christina Mazzoni (Dept. of Romance Languages and Linguistics, Vermont), Fruits of the Womb: Botanical Metaphors of Pregnancy in European Culture

Monika Schmitz-Emans (Komparatistik, Bochum), Empfängnis, Reifung, Geburt: Schwangerschaft als poetologische Metapher

Astrid Deuber-Mankowsky (Gender Studies, Bochum), GOOGLE BABY: Globalisierung von Schwangerschaft und ihre filmische Dokumentation

Waltraut Maierhofer (Department of German, Iowa), Für Abtreibung als globales Frauenrecht: Sarah Diehls Dokumentarfilme ‚Abortion Democracy‘ und ‚Pregnant Journeys‘

Daniel Hornuff (Karlsruhe, Kunstwissenschaft), Schwangerschaft als Projekt. Über Pregnant Design und Fötus-Marketing

Keynote
Andreas Bernard (Kulturwissenschaft, Lüneburg), Der Storch mit der Spritze. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie

Barbara Duden (Hannover/Bremen), Von der historischen Natur des Schwangergehens (Keynote)

Cornelia Schadler (Soziologie, München), Die vielfältigen Körper der Veränderung: Prozesse der Transformation eines Schwangerschaftskörpers

Stephanie Heimgartner (Komparatistik, Bochum), Schnellere Kinder, schönere Körper: Schwangerschaft als Management knapper Ressourcen


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