Techno|logien der Geschlechter? Strategien für eine gendergerechte Museumspraxis

Techno|logien der Geschlechter? Strategien für eine gendergerechte Museumspraxis

Organisatoren
Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.12.2015 - 11.12.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Lisa Bor, Technische Universität Berlin

Warum gibt es in Technikmuseen meist mehr Besucher, als Besucher*innen? Wieso sprechen die Ausstellungen ein so homogenes Publikum an, wo es doch oftmals um diverse Alltagsgegenstände geht, die Viele kennen und nutzen? Welche Rolle spielt gender in den technikhistorischen Erzählungen und der zeitgenössischen Vorstellung von Technik? Letztlich: Wie kann eine gendergerechte Museumspraxis aussehen? Um sich dieser Frage zu nähern und Lösungsansätze zu finden, widmete sich das BMBF-Projekt Gender Technik Museum mit der Auftaktkonferenz „Tech-no|logien der Geschlechter – Strategien für eine gendergerechte Museumspraxis“ am 10. und 11.12.2015 zunächst einer Bestandsaufnahme: Was sind die verschiedenen Ebenen,in denen Geschlecht als Kategorie für die Deutung und Darstellung von Exponaten und historischen Narrativen in Ausstellungen relevant ist?

SABINE HARK (Berlin) vom Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung eröffnete die Konferenz mit rund einhundert Teilnehmenden. Grußworte kamen von der Stiftung Deutsches Technikmuseum und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, welches das Projekt fördert.

„Gender in the box – Wie kommt Geschlecht ins Museum?“ lautete entsprechend die inhaltliche Einführung von MARTINA HESSLER (Hamburg). Sie begann mit einem Überblick über die Geschichte und Methoden der Frauen- und Geschlechterforschung: Von den Versuchen, zunächst die Abwesenheit von Frauen in der Technikgeschichtsschreibung mit der expliziten Frauengeschichte auszugleichen, den Anteil der Arbeit von Frauen in der Technikentwicklung sichtbar zu machen bis zur Etablierung der sozialen Kategorie Geschlecht in der neugedachten Kulturgeschichte der Technik. Diese Verankerung konstruktivistischer Gendertheorien in der Geschichtswissenschaft macht die Analyse der vielschichtigen Vergeschlechtlichung von Technik erst möglich. So kann geschlechtsspezifische Vermarktung von Technologie, also von bestimmten Produkten für Männer oder für Frauen, sowie das Fortschreiben dieser Kategorisierung in der verbreiteten musealen Ausstellungspraxis kritisiert werden. Ein Beispiel? Die Mikrowelle: Eine Maschine, die als Technik für Männer entwickelt wurde, von denen per se angenommen wurde, dass sie nicht kochen könnten, aber einer neuen Technologie affin sein würden. Als solches Produkt konnte die Mikrowelle nicht erfolgreich vermarktet werden. So wurde sie in der Werbung zum Haushaltsgerät für schnelles und effizienteres Kochen neu deklariert und adressierte jetzt eine andere Zielgruppe. Gelobt und angepriesen wurde die Technik nun für ihr Potential, die Effizienz der üblichen Hausarbeit von Frauen steigern zu können.

Findet die Haushaltstechnik derzeit überhaupt Eingang in eine Dauerausstellung eines Technikmuseums, wird die Technologie als jene Innovation präsentiert, die es einer modernen Frau in der Zeit des Wirtschaftswunders ermöglichte, unterschiedliche Gerichte zur gleichen Zeit heiß zu servieren. Die vorherrschenden Geschlechterbilder oder Arbeitsverhältnisse in der jeweiligen Gesellschaft werden weder thematisiert, noch hinterfragt. Damit lässt sich einer der vielen Wege ausmachen, auf dem Geschlecht ins Technikmuseum kommt: durch seine Unbenanntheit.

Die Reproduktion sozialer Ungleichheiten durch die Gestaltung von Ausstellungen und Vermittlung untersucht DIANA LENGERSDORF (Köln) derzeit an dem DFG- Forschungsprojekt „Dramaturgien des Museums“. Das Museum als Institution, das die Ideale von Bildung und Hochkultur des Bürgertums im 19. Jahrhundert abbildet, wird heute als ein öffentlicher Raum gedacht und soll ein Bildungsort sein. Die alten Vorstellungen scheinen aber zu bestehen. Lengersdorfs Ausführungen vermittelten deutlich, dass soziale Situiertheit der Museumsmitarbeitenden auf die Gestaltungsprozesse großen Einfluss hat. Den wahrgenommenen Wandel hin zu einer größeren Erlebnisorientierung und auch die Öffnung der Museen für ein möglichst breites Publikum beschreiben die Institutsleitungen als eine große Herausforderung. Lengersdorf zeigte erste Ergebnisse ihrer Forschung und gab einen Ausblick auf sich anschließende, neue Fragestellungen: Wie kommen die Ausstellungsmachenden und Museumsleitungen zu ihren Vorstellungen vom derzeitigen und einem zukünftigen Publikum?

ANNA DÖPFNER (Berlin), ehemalige Kuratorin der Ausstellung und Sammlung zur Textiltechnik im Deutschen Technikmuseum Berlin zeigte in der Nachbetrachtung ihrer langjährigen Arbeit im Technikmuseum neben Bildsprache auch die Personalpolitik als Moment der Einschreibung von Geschlecht in die Strukturen und auch in die Ausstellungen. Ihre Bereichsausstellung „Textiltechnik“ war eine der ersten im Berliner Technikmuseum, die auch globale Arbeitsteilung und unterschiedliche Perspektiven auf einen mehrteiligen Fertigungsprozess aufzeigte und ein differenziertes, soziales Konzept von Technik und Technikgeschichte aufnahm.

SMILLA EBELING (Oldenburg) präsentierte ihren Leitfaden „Gender & Museum“ für Museumsmitarbeiter_innen. Die Broschüre soll sie bei der Reflexion der eigenen Arbeit und der Analyse vorhandener und neuer Ausstellungen unterstützen. Ebeling berichtete nicht nur über Inhalt und Gestaltung der noch ungedruckten Broschüre, sondern stellte ebenfalls ihren Arbeitsprozess im Austausch mit den Museumsmitarbeitenden dar, in dem der Leitfaden zwischen dem Anliegen einer innovativen und komplexen Inhaltsvermittlung und niedrigschwelliger Anwendbarkeit entstand.

Abschließend konnten die Teilnehmenden in Führungen von Kuratorinnen und Verantwortlichen verschiedene Bereiche des Technikmuseums kennenlernen: Andrea Grimm führte durch die Abteilung Schmucktechnik, Christine Keruth begleitete durch „Alles Zucker! Nahrung - Werkstoff-Energie“, Nora Lackner stellte die überarbeitete „Nachrichtentechnik“ und Claudia Schuster „Schifffahrt“ vor; Astrid Venn die Ausstellung zu Luftfahrt. Die Rundgänge vor Ort gaben Einblick in die gegenwärtige Umsetzung und boten Raum, die Möglichkeiten, Grenzen und Leerstellen zu thematisieren und Überlegungen zu Alternativen anzustellen. In der Dauerausstellung „Nachrichtentechnik“ wurde mit dem neu entwickelten Materialkoffer eine Methode vorgestellt, der mit dem bildungsbürgerlichen Gebot der Ehrfurcht vor den Artefakten bricht, weil Besuchende die Objekte aus dem Koffer anfassen und ausprobieren können. Problematisiert wurden in der Diskussion die unkommentierte Ausstellung von Dioramen aus den 1960er-Jahren zu Rundfunk und Fernsehen, die allzu ungebrochen die geschlechterspezifischen Arbeitsfelder abbilden, ebenso die Schwierigkeit, Frauen in der Nachrichtentechnik zu zeigen ohne sie als Ausnahmeerscheinung oder in „Frauenecken“ qua Geschlecht zu exponieren.

Der zweite Tag der Konferenz war als offener Workshop in zwei Blöcken gestaltet, in denen an Beispielen diskutiert wurde: Was passiert programmatisch in Museen (Sammeln, Ausstellen und Kuratieren) und mit welchen Ansätzen (Gestalten, Vermitteln, Intervenieren) kann hier Veränderung erwirkt werden?

Auf das „Sammeln, Ausstellen und Kuratieren" legte der erste Teil des Tages den Fokus und widmete sich damit wesentlich der Museumsarbeit bis zum Aufbau einer Ausstellung. Hier zeigten sich bereits einige Ansatzpunkte für Umgestaltung: ROSWITHA MUTTENTHALER (Wien) stellte dar, wie eine neue Geschichtserzählung in die Technikmuseen zu integrieren sein könnte, um Ausstellungen gendergerecht gestalten zu können. Nicht nur die Entwicklung und der intendierte Nutzen bestimmter Technologien sollte im Fokus stehen, sondern die Aneignung der Objekte durch die Nutzenden und der tatsächliche Gebrauch der Dinge im Alltag solle in die Erzählung aufgenommen werden. Dazu sei nicht nur ein Umdenken in der Konzeption von Ausstellungen erforderlich, wie es Muttenthaler vorschlug und im Wiener Technikmuseum umsetzt. Auch die Sammlungspraxis des Museums und der Zugang der Sammlungen für die Öffentlichkeit muss ermöglicht werden. Die Frage der Relevanz eines Objektes für das Museum wird dabei neu gestellt.

In ihrem Beitrag „FremdKörper? Geschlechterbilder in Migrationsausstellungen“ betrachtete REGINA WONISCH (Klagenfurt) die Verknüpfung von Migration und Geschlecht und deren Darstellung in der Analyse zweier österreichischer Ausstellungen „Gastarbeiteri“ und „Romane Thana“ im Wien Museum. Kritisch hinterfragte sie die Möglichkeiten und Grenzen von Repräsentieren und dem präsentiert werden minorisierter Gruppen im Museum und fragte danach, wie Differenz gezeigt, als Produkt von Herrschaftsverhältnis sichtbar gemacht werden könnte, ohne zu stigmatisieren?

Als Frauenrechtsaktivistin und ehemalige Mitarbeiterin gab GABRIELE WOHLAUF (Berlin) mit einem kurzen historischen Input, einen Einblick in die Geschichte feministischer Vernetzung ins ehemalige Museum für Verkehr und Technik Berlin. Sie berichtete von den Kämpfen um Inhalt und Arbeitspraxis und verdeutlichte den Zusammenhang zwischen Personalpolitik und thematischen Schwerpunkten im Museum. Denn auch dadurch kann Gender ins Museum kommen und Gegenstand der Auseinandersetzung werden.

Zwei verschiedene Konzepte der Intervention in Wissensbestände diskutierten ELKE SMODICS (Wien) und DETLEF WEITZ (Berlin): Detlef Weitz, (chezweitz - Büro für museale und urbane Szenografie, Berlin) der als Gestalter unter anderem an der Ausstellung „Homosexualität_en“ im Deutschen Historischen Museum beteiligt war, begann mit seinem Input „Über die Sichtbarkeit von geschlechterspezifischen Fragen und ihren räumlichen Gestaltungsmöglichkeiten“. Die Sonderausstellung, sechs Monate lang verteilt auf die Räume im Schwulen* Museum und dem Deutschen Historischen Museum zu sehen, zeigte die gemachte Verschiedenheit von Geschlecht und Sexualität der Menschen in unterschiedlichen historischen und nationalen Kontexten. Sie machte mit der expliziten Themensetzung und der eigenen Gestaltung, also der Veränderung des Museumsraumes auf die Ausblendung dieser Geschichte in der Dauerausstellung des DHM aufmerksam, denn die Inhalte sind hier nicht verstetigt.

„In Normalitäten intervenieren und Regeln dekonstruieren“ ist das Programm der feministischen Materialsammlung, die Elke Smodics vorstellte. Sie hat mit dem Büro trafo.K. in Wien feministische Inhalte samt Tasche entwickelt, die politische Statements und Artefakte enthält. In Projekttagen mit Schüler*innen in österreichischen Berufsschulklassen wird mithilfe dieses Materials deren vorhandenes Wissen über Geschlecht ergänzt oder konfrontiert. Als wichtigen Bestandteil der emanzipatorischen Kunst- und Kulturvermittlung nannte Smodics den Austausch und gemeinsames Erarbeiten von neuem Wissen.

Viel Diskussion, dichter Inhalt und produktiver Austausch führten die Teilnehmenden an diesen zwei Tagen zusammen. Der Frage, wie gender ins Museum kommt, folgen nach der Konferenz weitere: Wie können in Ausstellungen soziale Ungleichheiten sichtbar gemacht werden, ohne zu stigmatisieren und Stereotype reproduzieren? Was macht es Veränderungen gerade in Technikmuseen so schwer? Diesen und weiteren Fragen wird in dem Projekt Gender Technik Museum weiter nachgegangen werden.

Konferenzübersicht:

Martina Heßler (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg): Gender in the Box. Wie Geschlecht in die Technik kommt.

Diana Lengersdorf (Universität zu Köln): ‚Ich möchte jetzt nicht von Bildungsbürgertum sprechen, aber …‘ – Soziale Ungleichheiten im Museum.

Anna Döpfner (ehem. Kuratorin für Textiltechnik, Deutsches Technikmuseum, Berlin): Frauen* im Technikmuseum. Strategien des Umdenkens.

Smilla Ebeling (Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg): Darf ich vorstellen? Ein Leitfaden Gender & Museum.

Führungen durch die Ausstellungen des Deutschen Technikmuseums:
Claudia Schuster: Schifffahrt
Astrid Venn: Luftfahrt
Christine Keruth: Alles Zucker! Nahrung-Werkstoff-Energie
Andrea Grimm: Schmucktechnik
Nora Lackner: Nachrichtentechnik

Daniela Döring (Berlin) Workshop: Sammeln, Ausstellen, Kuratieren

Roswitha Muttenthaler (Technisches Museum Wien): Dinge von Belang.

Regina Wonisch (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt): FremdKörper: Geschlechterbilder in Migrationsausstellungen.

Gabriele Wohlauf (ehem. Kuratorin für Produktionstechnik, Deutsches Technikmuseum, Berlin): Vernetzung und Erfahrungsaustausch - Historischer Input zum damaligen Museum für Verkehr und Technik

Hannah Fitsch (Berlin): Workshop: Gestalten - Vermitteln - Intervenieren

Detlef Weitz (chezweitz - Büro für museale und urbane Szenografie, Berlin): Über die Sichtbarkeit von geschlechterspezifischen Fragen und ihren räumlichen Gestaltungsmöglichkeiten.

Elke Smodics (trafo.K, Wien): In Normalitäten intervenieren und Regeln dekonstruieren. Perspektiven einer emanzipatorischen Kunst- und Kulturvermittlung.


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Deutsch
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