Biokybernetik und Teilhabe – Transformationsprozesse zwischen Mensch und Technik

Biokybernetik und Teilhabe – Transformationsprozesse zwischen Mensch und Technik

Organisatoren
Beate Ochsner / Robert Stock, Fachbereich Literaturwissenschaft, Universität Konstanz; Sybilla Nikolow, Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte, Technische Universität Berlin
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.02.2016 - 27.02.2016
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Von
Linda Keck / Franziska Winter, DFG-Forschergruppe „Medien und Mimesis“, Bauhaus-Universität Weimar

Vom 25. bis 27. Februar 2016 kamen in Konstanz 30 Teilnehmer_innen zusammen, um wechselseitige Affizierungsprozesse zwischen Mensch und Technik in den Blick zu nehmen. Anlass war der Workshop „Biokybernetik und Teilhabe - Transformationsprozesse zwischen Mensch und Technik“, der in Zusammenarbeit der DFG-Forschergruppe „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“ und dem BMBF-Verbundprojekt „Anthropofakte. Schnittstelle Mensch“ veranstaltet wurde. Entsprechend galt es, Teilhabe in drei Panels und einer Keynote als bestimmungsoffenen, transindividuellen Prozess zu diskutieren. Dabei bildete die zunehmend technische Erweiterung und Optimierung des Menschen den Ausgangspunkt der Diskussionen, die durch medien- und kulturwissenschaftliche wie auch wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven bereichert wurden. Im Mittelpunkt standen vor allem (Neuro-)Prothesen, Biofakte und (Anthropo-)Techniken, die als bio-kybernetische Operatoren wirksam wurden.

Der Workshop eröffnete Donnerstagabend mit einer Keynote von KARIN HARRASSER (Linz) zu „Verunreinigungsarbeit. Heilsversprechen und parahumane Agentien“. Alternativ zum Posthumanen schlägt Harrasser den Begriff des Parahumanen vor, der das Nebeneinander unterschiedlicher Existenzformen betont und das Unsaubere einfängt (Harrasser 2013). Am Beispiel einer Schuhorthese, die der Geschichte von Kenny Fries’ „The History of my Shoes and the Evolution of Darwin’s Theory“ entnommen ist, machte sie die responsiven Anpassungsprozesse (aktive Mimesis) zwischen dem Organischen und Anorganischen greifbar. Hierbei dient die Inklusion als übergeordnetes Konzept, um das relationale Verhältnis der wechselseitigen Formgebung zu beschreiben. Entlehnte Begriffe, wie der des “messmate” (Haraway 2008) illustrieren jenes beschriebene Spiel der Rückkopplungsschleifen im und am Technokörper.

Im ersten Panel am Freitagmorgen wurden Teilhabephänomene in ihren historischen Konstellationen betrachtet. Zum Auftakt fragte CHRISTOPH ASMUTH (Berlin) in seinem Vortrag „Der verklärte Leib. Medialität und Technoromantik des Körpers“ danach, inwieweit die Vorstellung eines „verklärten Leibes” die neuzeitliche Aufklärung mit den technoromantischen Visionen des Posthumanismus verbindet. Während urchristliche Schriften einen Körper-Geist-Dualismus negieren und Ganzheitlichkeit proklamieren, träumen die Posthumanisten von der Unsterblichkeit des Menschen durch die technischen Entwicklungen. Dies drückt sich für Asmuth in der Medialisierung des Körpers aus: von der “Intelligence Amplification” (Vernor Vinge) bis zur “Singularity University” (Ray Kurzweil).

HEIKO STOFF (Hannover) hingegen widmete sich dem Canguilhem-Zitat „Claude Bernard qui genuit Cannon qui genuit Rosenblueth apud Wiener“ im Kontext der begrifflichen und diagrammatischen Geschichte biologischer Regulierungsvorgänge zwischen 1920 und 1970. Ziel des Beitrags war es, die genealogische Sichtweise, wie sie beispielsweise Georges Canguilhem darstellt, aus wissenschaftshistorischer Perspektive neu zu fokussieren. Regulation fungiert hier als immanent politischer Begriff, dessen diagrammatische Geschichte unter anderem anhand der Macy-Konferenzen veranschaulicht wurde. Stoff zufolge ist das Konzept der Regulierung bereits vor der Kybernetik fundiert und funktionsfähig. Unter dieser Prämisse stellte er die offene Frage, ob Kybernetik nicht immer schon Biokybernetik sei.

Gegenstand des Vortrags zu „Feedbacktechnologien als Medien der Teilhabe“ von CORNELIUS BORCK (Lübeck) war das „biokybernetische Ich”, das er aktuell im “quantified self” manifestiert sieht. Borck thematisierte, inwiefern Selbstüberwachung neue Regime der Selbststeuerung freisetzt, weil Selbstbeobachtung zur Rückkopplungsschleife geschlossen werden kann. Im Rahmen dessen wird biokybernetische Teilhabe als partizipativer Imperativ sichtbar und mit ihr die soziotechnischen Effekte der Verschaltung.

Von den historischen ging es im zweiten Panel zu den philosophisch-ethnographischen Konstellationen über. Leider fiel der Vortrag „Zittern, Trance und Didaktik“ von Erhard Schüttpelz (Siegen) aus. Stattdessen eröffnete CHRISTOPHER COENEN (Karlsruhe) mit Anmerkungen zu J.D. Bernal und A.K. Gastew seinen Vortrag „Der sozialistische Cyborg“. Im Mittelpunkt stand die Frage danach, wie Sozialismus und Kommunismus mit der Figur des Cyborgs zusammengedacht werden können. Laut Coenen ist die Cyborgisierung vor allem als kollektivistisches Projekt konzipiert. Davon handeln auch die kommunistischen Science-Fiction-Visionen, die den biokybernetischen Körper als Schnittstelle zwischen Sozialismus und Transhumanismus etablieren. Diese Beobachtungen sieht Coenen einerseits in der Prothetikentwicklung infolge des Ersten Weltkrieges, andererseits in den Programmatiken des Silicon Valley bestätigt.

Anschließend hielt NICOLE KARAFYLLIS (Braunschweig) einen Vortrag zu „Biofakte, Bioökonomie, Bioprospecting“. Am Beispiel von pflanzlichen Biofakten untersuchte sie Konzepte der Biokybernetik hinsichtlich ihrer Verwiesenheit auf systemtheoretisches Denken. Exemplarisch stellte sie das Biofaktische anhand der norwegischen Samenbank “Svalbard Global Seed Vault” heraus. Karafyllis verortet die Symbiose aus Lebewesen und Artefakt nicht zuletzt als Form zwischen Werden und Wissen: Der Samen bedeutet nicht, er macht Körper.

Zum Abschluss des Tages präsentierten MARTIN DORNBERG (Freiburg) und DANIEL FETZNER (Offenburg) eine Lecture Performance zur zweigriffigen Baumsäge. Diese installierten sie als biokybernetisch-medienökologisches Experimentalsystem. Dazu wurden zwei Stühle, ein Baumstamm und vier Teilnehmer_innen nach dem Vorbild der bekannten Szene zwischen Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer angeordnet. Sie zeigt die beiden Wissenschaftler vis-à-vis am Sägebock. In der Performance wird das Sägen von den Teilnehmer_innen als Rückkoppelungsprozess gegenseitiger Verkörperungen erprobt. Entsprechend bringt der experimentelle Prozess neben Anpassungspraktiken, Effekten der Emergenz und Interkorporalität auch solche der Störung und Reibung hervor.

Am Samstagmorgen wurden schließlich medienökologische Konstellationen zur Debatte gestellt. Gleich zu Beginn wies CHRISTOPH BRUNNER (Lüneburg) die digitale Ästhetik der Virtual Reality als ein medienökologisches Problem aus. Sein Vortrag „Krieg und Gedächtnis. Von Mnemopraktiken und Medienökologien der Virtual Reality” stellte Harun Farockis Arbeit “Serious Games III: Immersion” (Farocki 2009) als Experimentierzone für Wahrnehmungsdifferenzierung vor. Die besagte Arbeit zeigt, wie unter Anwendung von VR-Kriegssimulationen die Vor- und Nachbereitung des Kampfes durchgespielt werden. Einsatz findet diese Technik unter anderem in der Traumabewältigung. Innerhalb derartiger digitaler Mnemopraktiken entfalten, so Christoph Brunner, operative Bilder (die nicht sind, sondern agieren) eigene und neue Formen von Zeitlichkeit.

Unter dem Vortragstitel „Bio- und sozio(techno)logische Dividuationen” betrachtete MICHAELA OTT (Hamburg) anschließend die methodischen Parallelen zwischen zeitgenössischen Natur- und Geisteswissenschaften. Denn in beiden Wissensfeldern tendieren Einzeldisziplinen heute dazu, Phänomene als mit „Anderem“ verflochtene Gefüge zu charakterisieren – was nicht zuletzt die epistemischen Objekte und Grenzziehungen des jeweiligen Faches in Frage stellt. Ihr Vorschlag lautet, die vielfältigen bio- und soziotechnologischen Teilhaben in Anlehnung an Gilles Deleuze als Arten der Dividuation zu begreifen. Ebenso sieht sie wissenschaftliche Taxonomien und gesellschaftliche Prozesse als dividuelle Vorgänge konzipiert. Dabei unterscheidet sie grundlegend zwischen Teilnahme und Teilhabe, wobei sie Teilnahme als aktiven Modus der Teilhabe beschreibt.

Zum Abschluss machte sich MARIE LUISE ANGERER (Potsdam) Gedanken zu „Komplexen Relationen“. Von Interesse war das Begehren nach „modischen” Themen und Begriffen und damit die Frage, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine bestimmte Art und Weise geforscht wird. Angerer sucht (unter anderem in Abgrenzung zu Erich Hörl) nach alternativen Schreib- und Beschreibungsweisen, um die Relationalität psychischer und materieller Momente als koexistente bzw. ko-konstitutive Inter- bzw. Intraaktionen zu fassen. In dieser Hinsicht fordert sie die Rehabilitierung des Parasitären, das im “affective turn” als informationstechnisches System freigelegt wird. Das Wirt-Parasit-Verhältnis zeigt sich sodann als symmetrische, non-hierarchische Relation, die qua Mechanismus der Ansteckung funktioniert und beidseitig Ver- und Überformungen kreiert. Diese Perspektive leitete schließlich die Abschlussdiskussion um die Begehrensstrukturen und Nachahmungsprozesse im biokybernetischen Denken ein. Mimetische Verhältnisse wurden darin noch einmal als Zirkulationsmomente definiert, die ein immer-schon-vorhandenes Gemeinsames vorauszusetzen scheinen, das in der bzw. durch die Plastizität offenbar wird. Im Zeichen des Workshop-Auftaktes wurde zum Schluss noch einmal Bezug auf die Verunreinigungsarbeit und die Notwendigkeit einer Sprache für das Erodierende und Verkrustende genommen.

Konferenzübersicht:

Keynote Lecture
Karin Harrasser (Linz): Verunreinigungsarbeit. Heilsversprechen und parahumane Agentien

Begrüßung durch Beate Ochsner (Konstanz) & Sybilla Nikolow (Berlin)

Erstes Panel: Historische Konstellationen
Moderation: Sybilla Nikolow (Berlin)

Christoph Asmuth (Berlin): Der verklärte Leib. Medialität und Technoromantik des Körpers

Heiko Stoff (Hannover): „Claude Bernard qui genuit Cannon qui genuit Rosenblueth apud Wiener“. Zur begrifflichen und medialen Geschichte biologischer Regulierungsvorgänge, 1920-1970

Cornelius Borck (Lübeck): Das biokybernetische Ich. Feedbacktechnologien als Medien der Teilhabe

Zweites Panel: Philosophisch-Ethnographische Konstellationen
Moderation: Robert Stock (Konstanz)

Erhard Schüttpelz (Siegen): Zittern, Trance und Didaktik

Christopher Coenen (Karlsruhe): Der sozialistische Cyborg. Anmerkungen zu J.D. Bernal und A.K. Gastew

Nicole Karafyllis (Braunschweig): Biofakte, Bioökonomie, Bioprospecting

Lecture Performance
Daniel Fetzner (Offenburg) & Martin Dornberg (Freiburg): „Die zweigriffige Baumsäge“. Ein biokybernetisch-medienökologisches Experimentalsystem

Drittes Panel: Medienökologische Konstellationen
Moderation: Beate Ochsner (Konstanz)

Christoph Brunner (Lüneburg): Krieg und Gedächtnis. Von Mnemopraktiken und Medienökologien der Virtual Reality

Michaela Ott (Hamburg): Bio- und sozio(techno)logische Dividuationen

Marie-Luise Angerer (Potsdam) Komplexe Relationen

Abschlussdiskussion


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Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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