Vom Archiv in die digitale Welt. Porträtbestände online

Vom Archiv in die digitale Welt. Porträtbestände online

Organisatoren
Deutsches Museum, Archiv
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.03.2015 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Fabienne Huguenin, Projekt "DigiPortA", Deutsches Museum, Archiv

Anlass des Workshops war die Freischaltung des „Digitalen Porträtarchivs DigiPortA“ (http://www.digiporta.net/) mit rund 33.000 Porträts sowie deren Metadaten aus neun Archiven der Leibniz-Gemeinschaft. Forschung und interessierte Öffentlichkeit wurden über die Potenziale des Online-Portals informiert, das sowohl kunsthistorische als auch technik- und sozio-historische Recherche befördert. Die Vorträge zielten darauf ab, neue Forschungsansätze zu präsentieren sowie auf Desiderate, beispielsweise der Porträtforschung, hinzuweisen, für die das Portal umfangreiches Quellenmaterial bereitstellt. Auch die gemeinschaftliche Erschließung und deren technische Aspekte wurden ausgeführt. Insgesamt können die Erfahrungen dieses auf drei Jahre angelegten Projekts als wegweisend gelten und zukünftigen Digitalisierungsprojekten als Richtlinien dienen.

Zu Beginn des Workshops wies JAN BIESENBENDER (Berlin) darauf hin, dass das Thema Digitalisierung erst vor wenigen Jahren Eingang in die Forderungen des Wissenschaftsrates fand. DigiPortA und das Vorgängerprojekt DigiPEER (Digitalisierung großformatiger Pläne und technischer Zeichnungen zur Erfassung und Erschließung des Raums, http://www.digipeer.de/) bewegen sich mit ihren Digitalisierungs- und Erfassungsstandards somit in einem aktuellen Feld und nehmen eine Vorreiterrolle ein. HELMUTH TRISCHLER (München) zog in seinem Grußwort an die über 50 Teilnehmer/-innen zunächst die Erfahrungen des Projekts DigiPEER heran, das für die Erstellung präziser Scans sowie die Überprüfung von Ergebnissen hinsichtlich Verzerrung oder Farbechtheit Maßstäbe gesetzt habe. Auf die technischen Hintergründe des Projekts DigiPortA ging LUDWIG SCHLETZBAUM (München) in seinem Vortrag zum Qualitätsmanagement in Digitalisierungsprojekten detailliert ein. Festzuhalten sei insbesondere die Basis eines solchen Kooperationsprojekts, nämlich die Anwendung von Standards, wie ISAD (International Standard Archival Description), der Anwendungsstandard zur Verzeichnung von Archivgut, sowie ISAAR (CPF) (International Standard Archival Authority Record for Corporate Bodies, Persons, and Families), ein Standard für die Beschreibung von Körperschaften, Personen und Familien. Eine bedeutende Funktion hätten auch eindeutige Identifikatoren für Personen und Orte, unter anderem GND-Einträge (Gemeinsame Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek) oder geografische Koordinaten. Diese vernetzten die Datensätze nicht nur, sondern reicherten diese erheblich an, indem ein Web-Crawler systematisch Internetquellen, wie die Deutsche Nationalbibliothek, Wikipedia, Kartendienste oder Ortsverzeichnisse auslese und analysiere.

Auf die zentralen Ziele von DigiPortA verwies WILHELM FÜSSL (München), wobei er insbesondere die Verbesserung der Quellenlage zu Porträts allgemein betonte. Die neun beteiligten Porträtsammlungen weiteten den Blick von der traditionellen Eliteforschung hin zu bürgerlichen Schichten und regten so den bildwissenschaftlichen, transdisziplinären Diskurs an. Auch würden die Porträts kontextualisiert, indem die Einzelblätter in ihre übergeordnete Sammlung zurückgeführt und ihr Entstehungs- oder Provenienzzusammenhang deutlich gemacht würden. So ließen sich die 33.000 Porträts des Projekts DigiPortA insgesamt 3.000 Beständen zuordnen. Beispiele für die konkrete Anwendung des Portals lieferten Vorträge zu einzelnen Forschungsfragen oder zu ersten Rechercheergebnissen. FABIENNE HUGUENIN (München) präsentierte anhand der Porträtsammlung am Archiv des Deutschen Museums neue Erkenntnisse zur Ikonografie und zu den typischen Attributen von Ingenieuren. Mehr als 1.150 Ingenieurporträts seien im Portal DigiPortA für die Münchner Sammlung nachweisbar. Diese Fülle an Bildmaterial biete erstmals die Möglichkeit, dem Selbstverständnis und der spezifischen Porträtform der Berufsgruppe der Ingenieure vertiefend nachzugehen. Zu einem großen Teil seien Kabinettkarten oder Cartes de Visite mit einheitlichen Brustbildern enthalten, deren Protagonisten sich weniger in ihrer beruflichen Funktion, als vielmehr mit dem erlangten Statuts des wohlsituierten Bürgerlichen präsentierten. Auf nur wenigen Beispielen werde die fertiggestellte Erfindung dargestellt, relativ häufig hingegen seien „Schreibtischporträts“, auf welchen die Ingenieure nachdenklich am Betrachter vorbei in die Ferne blickten. Vermutlich werde damit der theoretische Anteil des Berufs gegenüber dem praktischen betont. Mit Bildern, die an Gelehrtenbildnisse früherer Zeiten angelehnt seien, sowie mit berufsspezifischen Attributen, wie dem Zirkel oder gezeichneten Plänen, setze sich der Ingenieur, so Huguenin, als eine intellektuelle und für den Fortschritt sowie die Gesellschaft tätige Persönlichkeit in Szene. Übereinstimmungen in der Porträtdarstellung seien auch innerhalb der Berufsgruppe der „bergbaulichen Eliten“ zu beobachten, wie MICHAEL FARRENKOPF und STEFAN PRZIGODA (beide Bochum) anhand der Porträtsammlung des Montanhistorischen Dokumentationszentraums darlegten. Nur ein kleiner Teil der Funktionseliten habe sich mit berufstypischen Attributen darstellen lassen, die meisten Personen hingegen in ziviler Uniformität. Dies scheine ein Hauptmerkmal innerhalb der höheren Angestellten im Bergbau darzustellen und sei auch in Alben wahrnehmbar. Auf den Cartes de Visite sei eine geradezu demokratische Gleichförmigkeit selbst innerhalb der Elite erkennbar. Hierarchische Unterschiede seien in Alben lediglich durch die Anordnung in einer bestimmten Reihenfolge abgebildet. Ein einzelnes Album, mit Fotografien des Malers Conrad Felixmüller (1897–1977), das diesen von der Wiege bis zur Bahre zeige, wurde von BIRGIT JOOSS (Nürnberg) als Fallstudie herangezogen. Sie verwies auf die zahlreichen Forschungsfragen, die sich ergäben und die es zu bearbeiten gelte, wie beispielweise die Kriterien der Auswahl durch den Sohn des Dargestellten oder der Fundus, aus dem dieser schöpfte sowie die Gründe, bestimmte Abbildungen auszulassen. Anregungen für neue Forschungsfragen böten auch die Passbilder von Architekten der DDR, wie HARALD ENGLER (Erkner) erläuterte. Für den Eintritt in den Bund Deutscher Architekten (BDA) der DDR seien Aufnahmebögen mit Passbildern erforderlich gewesen, die heute in den Wissenschaftlichen Sammlungen (Archiv) des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) aufbewahrt würden. Erst das Projekt DigiPortA habe die systematische Erfassung ermöglicht. Nun erlaube der Fundus an 7.500 Porträts Recherchen zu diesem spezifischen Personenkreis sowie zu den Einzelleistungen der jeweils Dargestellten innerhalb ihres schwierigen Arbeitsumfeldes im Bausystem der DDR. Da zudem ein großer Teil der Architekten/-innen zwei Paten innerhalb des BDA gehabt hätte, könne der Bestand auch unter historischen oder architekturhistorischen Fragestellungen bearbeitet werden. Dabei könne die Netzwerkforschung, die aktuell in den Geschichtswissenschaften bedeutsam sei, weiter vorangetrieben werden. Eine im Projekt DigiPortA vieldiskutierte Problematik griff AGNESE BERGHOLDE (Marburg) auf. Schlossen die Projektpartner zunächst Fotografien nach Gemälden aus, da es sich nicht um Primärquellen handle und man im Projekt dezidiert auf das Original Wert lege, machte das Herder Institut in Marburg, dessen Schwerpunkt auf baltischem Kultur- und Archivgut liege, hier eine begründete Ausnahme. Zahlreiche Fotografien des Bestands zeigten nämlich Gemälde, die insbesondere die Wände in Gutshäusern des baltischen Raums geziert hätten und deren Verbleib aktuell zumeist unbekannt sei. Man müsse davon ausgehen, dass ein Großteil der Originale verschollen bleibe. Damit stellten diese Fotografien die bis dato einzig bekannte Quelle zum Nachweis dieser Gemälde dar. Auch Abbildungen der ursprünglichen Hängung im Kontext mit anderen Gemälden, Drucken und Fotografien, ließen sich nun fassen. Gerade für die Provenienzforschung seien solche Aufnahmen, wie Bergholde betonte, von großer Bedeutung. Einige Gemälde ließen sich bereits nachweisen und so bringe diese Abweichung von den Vorgaben des Projekts DigiPortA einen großen Erkenntnisgewinn und sei eine Bereicherung für die zeitgeschichtliche Forschung.

In den Diskussionen wurde unter anderem die Vorgehensweise beim Scannen von Alben erfragt: Die Vorgaben von DigiPortA sähen vor, diese vollständig zu scannen, jeweils mit den kompletten Albumseiten. Zudem werde jedes einzelne Porträt aufgenommen, bei Cartes de Visite und Kabinettkarten sogar mit der jeweiligen Rückseite. Es kam auch die rechtliche Seite zur Sprache, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die Projektpartner von DigiPortA jeweils selbst für die Rechteklärung verantwortlich seien. Derzeit könnten zahlreiche Bilder aus urheberrechtlichen Gründen im Portal nicht gezeigt werden, manche seien erst in einigen Jahren zugänglich. Diese Angaben würden zu jedem Datensatz vermerkt. Hervorgehoben wurden noch einmal die Vorteile einer gemeinschaftlichen Erschließung, insbesondere im Bereich der Normierungsstandards. Jedoch wurden auch kritische Fragen laut, insbesondere über die Auswahl der Bilder und die Einschränkungen. Denn zu Beginn des Projekts mussten zunächst formale Kriterien festgelegt werden, beispielsweise welche Darstellung als „Porträt“ zu klassifizieren seien. Dabei fielen Büsten, Medaillen mit Porträts und Darstellungen aus Zeitungen und Büchern heraus, da der Fokus auf Primärquellen lag. Betont wurde abschließend eines der Hauptziele von DigiPortA, nämlich Bestände als Quellen zugänglich zu machen. Dabei präsentiere das Online-Portal die Porträts mit deren ausführlichen Metadaten, damit die Forscher/-innen sie anschließend selektieren und eigene Schwerpunkte setzen könnten. Beispielweise seien statistische Erhebungen möglich, für welche anstelle mühsamer Archivrecherche ein Knopfdruck genüge. Der Gang ins Archiv sei jedoch nach wie vor von großer Bedeutung.

Konferenzübersicht:

Grußworte
Helmuth Trischler, Bereichsleitung Forschung, Deutsches Museum, München

Astrid Pellengahr, Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, München

Christiane Neumann, Generalsekretärin der Leibniz-Gemeinschaft, Berlin, vertreten durch: Jan Biesenbender

1. Sitzung: Das Projekt DigiPortA und seine Umsetzung
Moderation: Michael Farrenkopf, Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum

Wilhelm Füßl, Archiv des Deutschen Museums, München: Das Portal DigiPortA als Forschungsressource

Ludwig Schletzbaum, Digitalisierungsprojekte, Deutsches Museum, München: Qualitätsmanagement in Digitalisierungsprojekten

2. Sitzung: Berufsstände im Porträt
Moderation: Klaus-Peter Kiedel, Deutsches Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven

Fabienne Huguenin, Archiv des Deutschen Museums, München: Das Bild des Ingenieurs. Ikonografie und Attribute

Michael Farrenkopf / Stefan Przigoda, Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum: Visuelle Präsentationsformen bergbaulicher Eliten zwischen privater Erinnerung und öffentlicher Darstellung

3. Sitzung: Vom Einzelblatt zur Sammlung
Moderation: Heinz Peter Brogiato, Archiv für Geographie am Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig

Harald Engler, Wissenschaftliche Sammlungen, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner: Das DigiPortA-Projekt im IRS – Potenziale für die Biografie- und Netzwerk-Forschung und Beispiel für die Kooperation Forschung / Archiv

Birgit Jooss, Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg: Ein ganzes Leben in einem Buch. Das Fotoalbum des Malers Conrad Felixmüller

Agnese Bergholde, Wissenschaftliche Sammlungen, Bildarchiv, Herder-Institut Marburg, Projektmitarbeiterin DigiPortA: Baltische Porträts in DigiPortA – Grundlagen für Forschungen zu Personen sowie zum materiellen Kulturerbe baltischer Länder

Abschlussdiskussion


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