Vorderfflik twistringhe unde twydracht – Städtische Konflikte im Spätmittelalter

Vorderfflik twistringhe unde twydracht – Städtische Konflikte im Spätmittelalter

Organisatoren
Abteilung für mittelalterliche Geschichte, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2015 - 24.10.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Ines Weber, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Vorderfflik twistringhe unde twydracht hat es in mittelalterlichen Städten zahlreich und teilweise von gewaltgeladenem Auswuchs gegeben. Schon die zeitgenössischen Akteure suchten in ihren Berichten nach Erklärungen und Motivationen für die Unruhen und ihre Stifter. Auch die moderne Forschung verschreibt sich dieser Suche und der Deutung der Konflikte in ihrem historischen Kontext. Auf der Tagung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg wurde das Phänomen der innerstädtischen wie stadtübergreifenden Auseinandersetzungen vom 13. bis 16. Jahrhundert erneut diskutiert. Die Tagungsteilnehmer*innen unternahmen den Versuch, mit Hilfe neuerer Fragestellungen verschiedene Bedingungen und Verlaufsformen urbaner Unruhen sowie die unterschiedlichen Akteure und Akteursgruppen in ihrem Konfliktverhalten und speziell ihre (De)Legitimationsstrategien eingehender zu analysieren und dazu neue Thesen zu formulieren.

Den Auftakt der Tagung machte EBERHARD ISENMANN (Köln) mit einem Vortrag zur Rechtswirklichkeit mittelalterlicher Städte. Isenmann beschrieb das mittelalterliche Recht als die Grundlage städtischen Zusammenlebens und führte dessen Komplexität von seinen Ursprüngen bis hin zur praktischen Anwendung innerhalb einer urbanen Gesellschaft aus. Insbesondere die Durchsetzung der Rechtsordnungen führte immer wieder zu Widerständen und schürte die Konfliktbereitschaft der Bürger.

An die Rechtsordnungen anknüpfend warf BERND KANNOWSKI (Bayreuth) die provokante Frage nach einer Verbindung der mittelalterlichen Stadt mit der Herausbildung des modernen Verwaltungsstaates auf. Anhand zweier Fallstudien aus München (1377) und Ulm (1396) konnte er zeigen, dass die Bürger ein Bewusstsein entwickelten, ihre Stadt als eine Körperschaft zu betrachten, für deren Funktionieren sie gemeinschaftlich Verantwortung trugen. Ihre Verbrüderung findet im schriftlich fixierten Recht Niederschlag, das zur Errichtung einer dauerhaften Stabilität beizutragen suchte. Zugleich bot sich die Möglichkeit, das Recht zu verändern, um so das Gemeinwesen umzuformen und ‒ auch in Reaktion auf Spannungen ‒ an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Insgesamt sah Kannowski mit Blick auf Kommunikation und Recht in Friedensituationen wie Konfliktlagen durchaus einige Parallelen in der Entwicklung zwischen der mittelalterlichen Stadtverfassung und dem modernen Verwaltungsstaat und eröffnete damit neue Diskussionsperspektiven.

CLAUDIA GARNIER (Vechta) nahm in ihrem Vortrag die Reichsacht als Instrument bei städtischen Konflikten in den Blick. Veranschaulicht an Beispielen aus Köln und Lüttich, bei denen König Sigismund und Markgraf Friedrich von Brandenburg in stärkerem Maße involviert waren, stellte sie die Acht als ein geeignetes Mittel zum Aufbau eines Handlungsdrucks in Konfliktfällen heraus. Ähnlich wie bei einer Fehdeankündigung wirkte diese nämlich als eine Drohkulisse, die Reaktionen einforderte und zu einem Einlenken und zu Verhandlungen veranlassen sollte. Verfolgte der König seinerseits bestimmte Interessen am städtischen Geschehen, erschien die Acht als geeignete Legitimationsbasis zum Eingreifen.

Den zweiten Sektionsteil der Tagung leitete FLORIAN DIRKS (Hamburg / Erfurt) mit einem Vortrag zur städtischen Sicherheit im späten Mittelalter ein. Durch Untersuchungen der Städte Bremen, Braunschweig und Lüneburg konnte er zeigen, in welch starkem Maße eine Gruppe spezialisierter Kräfte (Schützen, reitende Diener) in Konfliktzeiten von bürgerlicher Seite beansprucht wurde. Unter besonderer Berücksichtigung von urbaner Kommunikation, Diplomatie und Außenpolitik lenkte er den Blick damit auf eine im Rahmen mittelalterlicher Stadtgeschichts- und Konfliktforschung bislang viel zu wenig beachteten Akteursgruppe.

Die Phase(n) nach städtischen Unruhen wurden von FRANZ IRSIGLER (Trier) und STEPHAN SELZER (Hamburg) eingehender untersucht. Irsigler veranschaulichte anhand der Ereignisse um den Kölner Transfixbrief vom 15. Dezember 1513 die ausartende Gewaltbereitschaft und den Blutdurst einiger Städter in post-revolutionären Phasen. In kurzen Prozessen wurde damals an führenden Ratsmitgliedern die Todesstrafe – grausam und blutig – verhängt. Der Regierungsumsturz in Köln hatte zur Folge, dass verschiedene regierungsunerfahrene „Revolutionäre“ in die Situation gerieten, eigenständig Politik zu machen, hiermit aber überfordert waren. Der Transfix, eine Ergänzung zum 1396 ebenfalls aus städtischen Unruhen hervorgegangene Verbundbrief, sollte dann eine Unzufriedenheit der Bürgerschaft, die in gewaltsamen Umstürzen gipfelte, zukünftig vermeiden. Dass Aufständische nach ihrem erfolgreichen Umsturz durchaus Probleme mit der erworbenen Machtposition und den damit verbunden Anforderungen hatten, verdeutlichte auch Stephan Selzer in seinem Vortrag. Basierend auf dem Charismakonzept Max Webers, stellte er die demagogischen Fähigkeiten der Rädelsführer heraus, die in Zeiten schwacher politischer Strukturen einen Umbruch in der städtischen Führung herbeiführen konnte. War ein Umsturz geglückt, sahen sich die Protagonisten jedoch im politischen Alltag mit neuen und unerwarteten Problemen konfrontiert, fehlte es ihnen doch an Fachwissen bezüglich der Verwaltung oder an Wissen über soziale Gepflogenheiten auf der Herrschaftsebene. Die Umbildung der einstigen charismatischen Persönlichkeiten war für den Einzelnen in dieser post-revolutionären Phase schwer, bewirkte jedoch eine Veränderung des städtischen Verwaltungsapparates und begünstigte auf lange Sicht politische Karrierewege, die aus diesem hervorgehen konnten.

Am Beispiel des Berliner Unwillens (1442–1448/51) verdeutlichte KNUT SCHULZ (Berlin) die Macht des Stadtherrn bei Konflikten. Der Widerstand der Berliner und Cöllner Bürger gegen die Erhebung Berlins zur Residenzhauptstadt des brandenburgischen Kurfürstentums durch Kurfürst Friedrich II. hatte auf landesherrlichen Befehl eine erhebliche Minderung der städtischen Freiheiten zur Folge. Im Zusammenhang mit den Spannungen um die Residenzbestrebungen treten verschiedene sozial-politische Gruppierungen innerhalb der Doppelstadt in Erscheinung: Zum einen konnte Schulz eine landesherrliche Partei ausmachen, die sich den Interessen des städtischen Rats gegenübersah. Zum anderen ist eine Polarisierung im Selbstverständnis zwischen dem „großen, eingebildeten“ Berlin und dem „kleinen, unbedeutenden“ Cölln auszumachen. Als dritte Gruppierung schalteten sich die sogenannten vier Gewerke ein, die innerhalb der Gemeinden der Stadtviertel zwar erhebliches Ansehen verzeichnen konnten, die Residenzbestrebungen des Landesherrn aber ebenfalls nicht aufzuhalten vermochten. Ungeachtet divergierender Gruppeninteressen kommt Schulz zu dem Schluss, dass die Niederlage der Bürger nicht auf innerstädtische Probleme, sondern auf den Druck des Landesherrn zurückzuführen war.

KILIAN BAUR (Eichstätt) zeigte anhand seiner Ausführungen über König Erich von Dänemark eine neue Forschungsperspektive in städtischen Konfliktsituationen auf. Als ein auswärtiger Akteur griff König Erich direkt in die Geschehnisse in Lübeck ein, als es dort zwischen altem und neuem Rat zu Auseinandersetzungen kam. Abweichend von der herrschenden Forschungsmeinung vertrat Baur die These, dass König Erich aufgrund einer Ehrverletzung seiner Person zugunsten des alten Rates interveniert habe. Auf dem Konstanzer Konzil seien Gerüchte publik gemacht worden, nach denen er beabsichtigte, Lübeck seinem Königreich anzuschließen.

Inwieweit auch die Hanse in Einzelfällen in innerstädtische Konflikte eingriff, untersuchte MATTHIAS PUHLE (Magdeburg) für Braunschweig. Bei der Großen Schicht von 1374/80 zeigt sich die Gemeinschaft der Kaufleute und Städte insofern als ein „Hüter der alten Ordnung“, als sie bestrebt war, aufgrund merkantiler Interessen Konflikte oder sogar Regierungswechsel in Handelsstädten zu vermeiden bzw. diesen vorzubeugen. Wie Puhle aufzeigte, verstand sich die Hanse jedoch grundsätzlich nicht als Interventionsmacht, was aufgrund von Machtposition und personalen Vernetzungen auch nicht möglich war. Es bleibt deshalb stets zu fragen, in welchen Situationen die Hanse zu einem solchen Schritt animiert wurde und aus welchen Motiven sie handelte.

DAVID WEISS (Oldenburg) stellte zum Auftakt der 4. Sektion die Entstehung der sogenannten Rufus-Chronik in Lübeck als eine Legitimationsstrategie althergebrachter Machthaber, d.h. des alten Lübecker Rates, heraus. Die Chronik entstand im Kontext der innerstädtischen Unruhen in Lübeck zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in deren Verlauf der alte Rat die Stadt verließ. Der Wiederherstellung der „rechten“ Ordnung durch die herausragende Eignung insbesondere des alten Rates stellt die Chronik die Unfähigkeit der zur Gewalt neigenden aufständischen Gemeinde gegenüber. Der Autor der Chronik erweist sich – so Weiss – in diesem Sinne als „Manipulator“ bestimmter Botschaften, die der Vortragende als „Propagandawerkzeug“ herausstellen konnte.

Mit einem sozialgeschichtlichen Zugang näherte sich JULIA JÄSCHKE (Kiel) der mittelalterlichen Stadt. Ihrem Vortrag legte sie die Frage zugrunde, ob die gefälschte Ratswahlordnung Heinrichs des Löwen für Lübeck einen „Wechsel in der Führungsgruppe“ bezüglich der sozialen Herkunft der Mitglieder herbeiführte. Mit dezidierten Einzelstudien konnte Jäschke die Frage verneinen und stattdessen auf die Legitimationsfunktion der gefälschten Ordnung für die aktuelle Zusammensetzung des Lübecker Rates hinweisen.

Die letzte Sektion befasste sich mit der kirchlichen Dimension in städtischen Konflikten. ULRICH WEIDINGER (Bremen) stellte in seinem Vortrag am Beispiel von Gerhard II. zur Lippe (1219–1258) das schwierige Verhältnis eines sich als „Feudalherrn“ verstehenden Erzbischofs, den die Bürger nicht gewollt hätten, und seiner Kathedralstadt dar. Dabei zeigte er auf, wie sehr sich das Verhältnis zu einem gegenseitigen Zweckbündnis entwickelte, das Gerhard mit taktischer Raffinesse jedoch zu seinen Gunsten manipulierte. Als einer der letzten Bremer Erzbischöfe mit ausgeprägtem landesherrlichem Selbstverständnis agierte er so geschickt, dass er die Autonomiebestrebungen der Bremer erheblich einzuschränken verstand, ohne dass es zu offenen Feindseligkeiten ihm gegenüber kam. So verlor der Rat sämtliche Freiheitsrechte und degradierte sich letztendlich selbst auf stadtherrlichen Druck zu einer Beratungsinstanz.

Im Abschlussvortrag ging RUDOLF HOLBACH (Oldenburg) auf die Bedeutung von Klerikervereinigungen in städtischen Konflikten ein. Ausgehend von einer Typologie solcher Bündnisse arbeitete er deren Bedeutung zur Konfliktvorbeugung und Konfliktaustragung heraus. In den z.T. heftigen Auseinandersetzungen zwischen Klerus und Stadt brachten die uniones cleri zur Wahrung kirchlicher Interessen und zur Abwehr potenzieller Gegner Beratungskompetenz zusammen, sollten rechtlichen, institutionellen und personellen Beistand sichern sowie für Schadensausgleich und eine bessere ökonomische Fundierung von Kampfmaßnahmen sorgen. Zwar blieb deren Wirksamkeit nicht zuletzt wegen der Interessendivergenzen beim Klerus selbst begrenzt. Immerhin konnte aber durch die Klerikereinungen gewisser Druck aufgebaut werden.

Am Ende der Tagung ließen sich gewinnbringende Erkenntnisse und Diskussionspunkte zum Phänomen der städtischen Unruhen verzeichnen. Gerade der Blick auf die teilnehmenden Akteure und Akteursgruppen hat neue Dimensionen der historischen Konfliktforschung eröffnen können. Mit einer guten Mischung aus grundlegenden strukturgeschichtlichen Ansätzen und sozialgeschichtlichen Fallanalysen konnten die Vorträge die Aktualität und große Tragweite des Forschungsthemas aufzeigen und unterstreichen.

Konferenzübersicht:

Eberhard Isenmann (Köln): Das normative Gefüge spätmittelalterlicher Städte und die Frage von Rechtsanwendung, Rechtsdurchsetzung und Rechtswirklichkeit.

Bernd Kannowski (Bayreuth): „Die mittelalterliche Stadt als Treibhaus des modernen Verwaltungsstaates?“ Kommunikation und Verrechtlichung in Frieden und Unruhe anhand der Fallstudien München 1377 und Ulm 1396.

Claudia Garnier (Vechta): „Weder husen noch hofen – weder mit kouffen noch mit verkouffen“. Städtische Konflikte und Achtverfahren im ausgehenden Mittelalter.

Florian Dirks (Hamburg/Erfurt): Aspekte und Akteure städtischer Sicherheit im Spätmittelalter am Beispiel Bremens, Braunschweigs und Lüneburgs.

Franz Irsigler (Trier): Aufstand in Köln. Der blutige Weg zum Transfixbrief vom 15. Dezember 1513.

Stephan Selzer (Hamburg): „Nach dem Sturm“ – Protestführer und Regierungsalltag. Beispiele aus spätmittelalterlichen Hansestädten.

Knut Schulz (Berlin): „Der Berliner Unwille (1442-1448/51)“. Von der Bürgerstadt zur Residenzstadt.

Kilian Baur (Eichstätt): „jeghen eere unde recht?“ Erich von Pommern und Lübeck 1415/16.

Matthias Puhle (Magdeburg): „Hüter der alten Ordnung“? Die Hanse und die Große Schicht von Braunschweig 1374/80.

David Weiss (Oldenburg): Städtische Chroniken als Propagandawerkzeuge – Das Beispiel der sogenannten Rufus-Chronik.

Julia Jäschke (Kiel): „Wechsel in der Führungsgruppe?“ – Der Lübecker Rat und die gefälschte Ratswahlordnung Heinrich des Löwen.

Ulrich Weidinger (Bremen): Vom taktisch motivierten Zweckbündnis zur erbitterten Feindschaft: Erzbischof Gerhard II. und das städtische Bürgertum Bremens.

Rudolf Holbach (Oldenburg): Uniones cleri. Konflikte, Konfliktvorbeugung und Konfliktaustragung städtischer Geistlichkeit.


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