Materialität/en. 21. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit (AKGG-FNZ)

Materialität/en. 21. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit (AKGG-FNZ)

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.10.2015 - 31.10.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Doreen Kobelt, Potsdam

Die Tagung fragte nach der agency der Dinge und Pflanzen. Diese sollten nicht nur als Objekte betrachtet werden, sondern ihre Rolle zur Konstruktion der sozialen Welt in den Blick genommen werden. Die Annahme, dass der Zugang zu und die Verfügung über Dinge bestimmte Praktiken erst ermöglicht zeigten Forschungen zum Geschlecht von Dingen, über geschlechtsspezifische Aneignung und Nutzung von Dingen bis hin zur Materialisierung der Geschlechterordnung – von Körpern bis zur Architektur in neuem Licht.

BARBARA KRUG-RICHTER (Saarbrücken) zeigte in ihren Ausführungen zu „Pudel, Mops und Deutsche Dogge. Hunde in der studentischen Kultur des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts“, wie gerade die Hunde im Umfeld der Studentenverbindungen das Selbstverständnis der Korpsstudenten im Kaiserreich versinnbildlichten. Deutlich werde dies an der Projektion korpsstudentischer Männlichkeitsideale auf die Tiere, denen zudem entsprechende Merkmale im 19. Jahrhundert speziell angezüchtet wurden.

MARGARETH LANZINGER (Innsbruck) und JANINE MAEGRAITH (Cambridge) fragten nach der "Macht der Aussteuer" und stellten die Mehrdimensionalität von Dingen, von Gegenständen heraus. Sie zeigten an Hand umfangreicher Beispiele deren rechtliche, geschlechtsspezifische, soziale und haushaltsökonomische Qualität und zugleich Bedeutung. Die Macht der Aussteuer, d.h. die Bedeutung der Dinge, hänge eben nicht nur von der Materialität und dem Wert der Dinge ab, sondern auch von deren Position und Bedeutung im jeweiligen sozialen und rechtlichen Gefüge.

EVA BENDERS (Marburg) Ausführungen zu „Kleider, Schmuck und Bücher oder was zeichnet eine Prinzessin aus?" machten deutlich, was Gegenstände eines Nachlasses auch über das Geschlecht der verstorbenen Person aussagen. Das Inventar der jung verstorbenen Prinzessin Wilhelmine Charlotte zeige einerseits, wie diese für eine angemessene und lukrative Eheverbindung entsprechend mit Kleidern, Schmuck, Büchern, aber auch mit Sammlungsobjekten, die der höfischen Repräsentation dienten, ausgestattet worden war; andererseits aber auch, wie sehr die Prinzessin ihre Rolle als soziales Kapital der Dynastie verinnerlicht hatte.

CLAIRE CHATELAIN (Villeneuve d´Asq) analysierte in ihrem Vortrag „Dinge und Geschlecht. Wie Geschenke Beziehungen herstellen“ vor allem Testamente von Pariser Frauen der Frühen Neuzeit. Sie ging mit Marcel Mauss von einer besonderen Beziehung zwischen EmpfängerInnen von Ding-Gaben und Schenkenden aus und fragte nach der weiblichen Charakteristik der Ding-Gabe. Die bisherige Untersuchung zeige, dass der schwesterlichen Verbindung in diesem Kontext eine besondere Rolle zuzukommen schien, ihre symbolische Aktivität lasse auf eine besondere Agency schließen.

Mit ihrem Vortrag „DIY! Zur Performativität des Selbermachens“ machte JULIA A. SCHMIDT-FUNKE (Jena) auf den Zusammenhang von Geschlecht und Stand bei der eigenhändigen Produktion von Dingen aufmerksam. Nichterwerbsmäßige Handarbeit sei ein mit besonderem Ansehen verbundenes Mittel der Distinktion gewesen. Während textile Arbeiten dabei aufs engste mit Weiblichkeit verbunden wurde und letztlich nicht immer klar von erwerbsmäßiger Handarbeit trennbar war, übten Männer sich eher in den Künsten der Drechselei, dem Kupferstechen oder dem Schlosserhandwerk, deren Erzeugnisse, anders als die der Frauen, der Sphäre der Gelehrsamkeit zugeordnet wurden.

ANNIKA WILLER (München) erklärte in ihren Ausführungen "Un corp temperato" Frauen- und Männerkörper bei Moderata Fonte und Lucrezia Marinella", warum diese beiden Autorinnen in ihren Herleitungen der weiblichen Überlegenheit gerade das Element der Reproduktionsfähigkeit aussparten und stattdessen diese über die Temperamentenlehre argumentierten. Die Hervorhebung der Geburt als weiblicher Kompetenz hätte die Frauen, so Annika Willer, in die traditionelle Geschlechterordnung und die Sphäre der Fortpflanzung verwiesen. Indem die untersuchten Autorinnen die geschlechtlichen Körper geradezu körperlos darstellten und die Eignung dieser für das Wirken der Seele betonten, konnten sie die weibliche Ebenbürtigkeit etablieren.

PATRICIA KOTZAUER (Jena) lenkte in ihren Ausführungen "Zauberspiegel für eine männliche Armide" den Blick auf die geschlechtliche Ambiguität von Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772–1822), der in seinem Konsumverhalten immer wieder die Geschlechtergrenzen abhob. Am Beispiel der Korrespondenz mit seinem Einkäufer und den erworbenen Gegenständen wie z.B. Porzellandekoren, Hosen und Fächern arbeitete sie den sehr emotionalen und sinnstiftenden Aspekt im Konsumverhalten des Herzogs heraus, welches dessen Mittel zur Selbstverwirklichung gewesen sei.

Der Vortrag über den „Bürger als Mann im Wahllokal. Die USA 1800–1914“ von HEDWIG RICHTER (Greifswald) befasste sich mit der Frage, wie Wahlen, die doch eine Erzählung von Gleichheit aller Männer voraussetzen, dennoch die Herrschaft einer bestimmten Gruppe legitimierten. Wahl im Untersuchungszeitraum wird als "Männerspiel" gesehen, in dem es auch um die Aushandlung von Männlichkeit ging. Dabei verdichtete die Materialität des Wählens den Wahlakt als Herrschaftsakt der weißen Männlichkeit und führte zur Exklusion der anderen Männer.

ULRIKE WEISS (St. Andrews) stellte ihr Projekt über den „Damensattel als Beispiel der Materialisierung der Geschlechterordnung“ vor. Das Thema ist größtenteils Forschungsdesiderat, obwohl es zur Benutzung des Damensattels Ende des 19. Jahrhunderts viele bildliche Überlieferungen gibt. Das Projekt soll die Entwicklung des Damensattels und der mit ihm verbundenen Form des Reitens mit der Veränderung weiblicher Geschlechterrollen seit der Frühen Neuzeit untersuchen.

SOPHIE RUPPEL (Basel) sprach über „Grünzeug. Von Frauen und Pflanzen im 18. und frühen 19. Jahrhundert“. In der entstehenden weitgehend bürgerlichen Wissensgesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts wurden Pflanzen, so Sophie Ruppel, in bisher nicht gekanntem Maß zu Wissensobjekten. Dabei unterschied sie zwischen der Praktik des Botanisierens (Sammeln, Kategorisieren, Aufbewahren etc.) und jener der Stubengärtnerei. Diese beiden anfänglich stark verbundenen Bereiche driften mit zunehmender Geschlechterpolarisierung auseinander.

Insgesamt machte die Tagung deutlich, wie vielfältig Objekte die soziale Welt strukturieren und lesbar machen. Die Bedeutung der Dinge hängt nicht nur von ihrer Materialität oder ihrem Wert ab. Gemäß der Grundannahme der Bedeutung von Zugang zu und Verfügung über Dinge bestimmt Geschlecht eben auch, wo Dinge aufgeladen, Symbol werden, oder wie sie in einen bestimmten sozialen oder politischen Kontext eingebettet funktionieren.

Hervorzuheben ist neben produktiven Diskussionen zudem die hervorragende zeitliche Planung des Gesamtablaufes, die verbunden mit den gut ausgestatteten Räumlichkeiten und der hervorragenden Verpflegung die sehr angenehme Arbeitsatmosphäre noch zu steigern vermochte. Die nächste Tagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit wird vom 27. Oktober bis zum 29. Oktober 2016 in Stuttgart stattfinden und sich dem Thema "Beziehungsgeschicht(en)“ widmen.

Konferenzübersicht:

Barbara Krug-Richter (Saarbrücken): Pudel, Mops und Deutsche Dogge. Hunde in der studentischen Kultur des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts

Margareth Lanzinger / Janine Maegraith (Wien / Innsbruck): Die Macht der Aussteuer

Eva Bender (Marburg): Kleider, Schmuck und Bücher oder was zeichnet eine Prinzessin aus?

Claire Chatelain (Lille): Dinge und Geschlecht. Wie Geschenke Beziehungen herstellen

Julia A. Schmidt-Funke (Jena): DIY! Zur Performativität des Selbermachens

Annika Willer (München): „Un corpo temperato“: Frauen- und Männerkörper bei Moderata Fonte und Lucrezia Marinella

Patricia Kotzauer (Jena): Der „Zauberspiegel für eine männliche Armide“ – zum Konsum von Ambiguität bei Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772–1822)

Hedwig Richter (Greifswald): Der Bürger als Mann im Wahllokal. Die USA 1800–1914.

Ulrike Weiss (St Andrews): Der Damensattel als Beispiel der Materialisierung der Geschlechterordnung

Sophie Ruppel (Basel): Grünzeug. Von Frauen und Pflanzen im 18. und frühen 19. Jahrhundert