Kaiser, Hof und Reich in der Frühen Neuzeit

Kaiser, Hof und Reich in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Historische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Institut für Europäische Geschichte Mainz
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
02.12.2004 - 04.12.2004
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Von
Joachim Berger, Institut für Europäische Geschichte Mainz

Das Symposium Kaiser, Hof und Reich in der frühen Neuzeit nahm das politisch-soziale System des Alten Reiches als Ganzes in den Blick. Die Veranstalter gingen dabei nicht von den einzelnen Reichsständen und Reichsinstitutionen, sondern konsequent vom Reichsoberhaupt und seinem Hof aus. Ohne die ständische Teilhabe an den Reichsinstitutionen sowie die weitgehend eigenständige Territorialverwaltung der Reichsstände zu negieren, sollte das Reich, zugleich Lehnsverband und politisches System mit gesamtstaatlichen Zügen, von der Zentrale ›Kaiserhof‹ her gedacht werden. Es galt, die Realpräsenz des Kaisers und dessen symbolische Repräsentation im Reich sowie die politischen Kommunikationswege und personalen Klientelverbindungen zwischen dem Kaiserhof und den einzelnen Gliedern des Reich wie der Erblande zu verfolgen. Die habsburgischen Erblande, die mit dem Reich eine territoriale Schnittmenge bildeten, aber auch darüber hinaus wiesen, sollten bei der Frage nach Funktion und Funktionieren des Reichs systematisch einbezogen werden.

In der ersten Sektion zu Zeichen und Symbolen führte Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) ihren Ansatz einer Verfassungsgeschichte als Symbolgeschichte aus. Die nie systematisch kodifizierte Verfassung des Reiches liest sie als symbolische Praxis, deren Ordnung durch die performative Reproduktion von Zeichen - hier am Beispiel der Investitur der Reichslehen ausgeführt - hergestellt wird. Dagegen differenzierte Axel Gotthardt (Erlangen) zwischen dem Reich als Lehnsverband, als Verfassungssystem und als Klientelverband, da sich diese Elemente bzw. Ebenen ergänzten. Anhand der Inszenierung des Reichssystems an Kollegial- und Wahltagen argumentierte er, daß zumindest die Verfahrensformen des Reichstags blind für die Kategorie "Macht" gewesen seien. Am Beispiel der Kaiserlichen Einzüge unter Maximilian II. (1562-1576) stellte Harriet Rudolph (Trier) Performative Elemente von Kaisertum und Reich dar. Symbolische Aufzüge von Kaiser und Reichsständen im 16. Jahrhundert lassen sich als Teil einer ereignishaften "Reichskultur" lesen, die rechtssetzend und integrierend wirkte. Neue Aspekte der Begegnung von Hof und Reich zeigte Eva Ortlieb (Wien) anhand der Beziehungen zwischen Reichshofrat und Reichstagen im 16. Jahrhundert auf. Der Reichstag bildete den Rahmen, um dem Kaiser Bitten und Beschwerden vorzutragen; behandelt wurden sie dann am Reichshofrat, wodurch die Institution des Reichsoberhaupts gestärkt wurde.

In der zweiten Sektion zu Reisen und Begegnungen behandelte Norbert Conrads (Stuttgart) den Kaiserhof als Bezugsgröße des habsburgischen Schlesien. Das beiderseitige Verhältnis war insgesamt durch Zyklen von Annäherung und Abstoßung gekennzeichnet, wobei das kaiserliche Interesse vor allem wirtschaftlich motiviert war. Zwischen Nähe und Distanz - so läßt sich nach Matthias Schnettger (Mainz) auch das Verhältnis Italienischer Reichsvasallen und deren Untertanen am Kaiserhof charakterisieren. Das Beispiel Reichsitalien zeigt, wie die unterschiedlichen Rollen des Kaisers in seiner Person verschmolzen. Die dritte Sektion nahm das bauliche Zentrum der Habsburgermonarchie in den Blick. Herbert Karner (Wien) untersuchte die Wiener Hofburg unter Leopold I. als einen Residenzbau zwischen landesfürstlicher und kaiserlicher Repräsentation, und Hellmut Lorenz (Wien) verlängerte die Perspektive ins 18. Jahrhundert, indem er am Beispiel der Wiener Hofburg Ideal und Wirklichkeit spätbarocker Herrschaftsarchitektur vor Augen führte. Eine Mischung von traditionellen und moderneren Elementen hatte zur Folge, daß die Hofburg im 18. Jahrhundert keineswegs so ausgestaltet wurde, wie es die Zeremonialliteratur von herrschaftlichen Bauten forderte.

In der vierten Sektion zu Institutionen und Karrieren präsentierte Andreas Pecar (Rostock) Überlegungen zum Phänomen der Parteibildung, indem er danach fragte, inwieweit der Reichsadel am Kaiserhof 1700-1740 als Eine Partei für das Alte Reich angesehen werden könne. Innerhalb der Führungsschicht am Kaiserhof gab es ständig wechselnde Personengruppen - Interaktionssysteme, die sich anlaßbezogen zusammenfanden und ebenso schnell wieder zerbrachen. Anschließend untersuchten Václav Bužek (Budweis) und Géza Pálffy (Budapest) den Adel aus den böhmischen und ungarischen Ländern am Kaiserhof im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Katrin Keller (Wien) eröffnete die fünfte Sektion zu Information und Kommunikation mit ihrem Vortrag zu Dresden - Prag - Wien. Fürstliche Korrespondenz in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Am Beispiel der sächsischen Kurfürstin Anna (1532-1585) zeigte sie die politisch-dynastischen Handlungsspielräume auf, die eine Fürstin ihrem Hof durch den Aufbau eines umfassenden Korrespondentennetzes erschließen konnte, welches das gesamte Reich und vor allem weibliche Angehörige der Fürstenfamilien umspannte. Die Zusammenhänge zwischen Postwesen und Staatsbildung in der Habsburgermonarchie (1620-1780) thematisierte Thomas Winkelbauer (Wien), wobei er zum einen die Entwicklung der Taxis-Post zum Reichsinstitut der "Reichspost" bis um 1650 nachzeichnete, zum anderen die Zentralisierung der kaiserlichen Hofpost in den Erblanden nachvollzog. Mit dem Bild vom Kaiser in einem freien Reich thematisierte Georg Schmidt (Jena) die mediale Aufbereitung eines scheinbaren Widerspruchs. Die teilweise von den Regierungen beauftragten Flugschriften versuchten den Eindruck zu widerlegen, der Kaiser könne alleiniger Garant der "deutschen Freiheit" sein. Ebenso sei jedoch bis ins späte 18. Jahrhundert Konsens gewesen, daß das Reich als staatlicher Zusammenhang einen Kaiser benötigte. Daran anschließend, analysierte Jutta Schumann (Augsburg) Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I. Nach kritischen Phasen bildete sich bis in die 1690er Jahre allmählich ein Image des Kaisers als Garant des Westfälischen Friedens heraus, das vor allem durch die Türkenabwehr 1683 und die französische Kriegserklärung 1688 begünstigt worden war.

In der letzten Sektion zu Kaiserhof und Konfession setzte Gabriele Haug-Moritz (Graz) insofern einen anderen Akzent, als sie das Ausmaß der Kohärenz und Konfliktaustragungsfähigkeit im Reich auslotete. Unter dem Rubrum Protestantischer Föderalismus - der Kaiser und die konfessionelle Pluralität des frühneuzeitlichen Reiches untersuchte sie die politischen Zusammenschlüsse der Protestanten 1530-1547, 1608-1621 und im Corpus Evangelicorum nach 1716. Harm Klueting (Köln) stellte Frömmigkeit als Herrschaftsmittel bei Leopold I. mit der Leitmaxime Humilia se et impera dar. Inwiefern die Formen der "Pietas Austriaca" (Anna Coreth) als spezifisch kaiserlich, österreichisch oder habsburgisch anzusehen seien, wurde anschließend kontrovers diskutiert. Zum Abschluß gaben Anton Schindling und Franz Brendle (Tübingen) einen konzisen Überblick über den Kaiser, die Reichskirche und die geistlichen Fürstenhöfe der Frühen Neuzeit. Dabei argumentierten sie unter anderem, das Selbstverständnis der geistlichen Fürstentümer, die mit der Reichskirche eine der "Säulen" des Reichssystems bildeten, gründe sich vor allem auf die eigene Tradition. Zum Reich unterhielten sie ein verrechtlichtes, nüchternes Verhältnis.

Bedeutung für die internationale Forschung erhielt das Symposium vor allem durch den Versuch, das Reich und die Erblande aus der Perspektive des Wiener (bzw. Prager) Hofs zusammenzusehen. Abschließend seien einige übergreifende Fragestellungen und Probleme des Symposiums aufgegriffen, welche die Forschung bei einer systemischen Analyse des Wiener Hofs weiter beschäftigen dürften.

So wenig Funktion und Funktionieren des Alten Reichs von seinem Ende her bewertet werden sollten, so wenig sind doch bei einer Gesamtbewertung die Rückwirkungen der österreichischen (und preußischen) Großmachtbildung im 18. Jahrhundert auf Gestalt und Funktion des kaiserlichen Hofs zu ignorieren. Der Wiener Hof unterlag seit dem Spanischen Erbfolgekrieg und verstärkt seit dem Jahr 1740 einem grundlegenden Struktur- und Funktionswandel. Diese Beobachtung soll nicht diejenigen historiographischen Tendenzen bestärken, welche die Erblande des 18. Jahrhunderts als unabhängig vom Reich zu beschreiben versuchen. Sie unterstreicht jedoch die an dem Symposium nicht abschließend diskutierte Frage, wie die Erblande in das politische System des Reiches konzeptionell (und darstellerisch) zu integrieren wären, ohne deren Eigenleben, besonders in den nicht zum Reich gehörigen Gebieten, zu ignorieren. Dieses Problem besteht unabhängig davon, ob man das Reich eher als Lehensverband auffaßt oder stärker seine gesamtstaatlichen, auf (Reichstags-) Deutschland bezogenen Strukturen betont. Reichsinteressen und kaiserliche / österreichische Interessen sind eben auch für das 18. Jahrhundert selten klar zu trennen.

Wie Grete Walter-Klingenstein (Wien) anmerkte, bündelte die Kategorie "Haus Österreich", die besonders in französischen Relationen evoziert wurde, erbländische, reichische und spanische Interessen. Um 1700 kam die Kategorie "Österreichische Monarchie" als Quellenbegriff auf. Sie bezeichnet ein sich durch die Türkenkriege verfestigendes, zunehmend komplexer werdendes Interessenkonglomerat, in dem Machtzuwachs mit Landerwerb und Handel assoziiert wird. In einer Langzeitperspektive ließe sich abstrakt formulieren, daß sich die Wahrnehmung von Interessen durch die Verschärfung des Instrumentariums änderte. Der Wiener (und Prager) Hof war über drei Jahrhunderte Machtzentrale mit unterschiedlicher Reichweite; der habsburgische Monarch war Kaiser des Reichs, Erzherzog von Österreich, König in Böhmen und so fort. Sollte man also vom kaiserlichen Hof, vom Kaiserhof oder schlicht vom Wiener Hof sprechen? Die Basiskategorie "Haus Österreich" überblendete immer wieder die unterschiedlichen Rollen der Habsburger. Eine idealtypische Distinktion der kaiserlichen Herrschaftsbereiche ist zwar analytisch hilfreich, im Alltag des Wiener (und Prager) Hoflebens ließen sie sich kaum auseinanderhalten.

Über die politisch-dynastisch-verfassungsrechtlichen Zuordnungen hinaus war der Kaiser ebenso personelles Zentrum eines umfassenden Gunstsystems, das auf Gunsterweis und Huldentzug beruhte, und in dem symbolische und informelle Politik gemacht wurde. Die Personengruppierungen am Wiener Hof wären, über die auf dem Symposium angestellten ›nationalen‹ Zuordnungen, nach Interessen, Herkunft, aber auch nach Institutionen (Nähe zum Reichshofrat oder zum Spanischen Rat) und nach Kompetenzen bzw. Funktionen im Reich zuzuordnen. Eine systemische Analyse des Wiener Hofs hätte natürlich die Mehrkonfessionalität des Reiches zu berücksichtigen, der eine Mehrkonfessionalität in der Habsburgermonarchie und eine Multikulturalität der Residenz Wien entsprachen. In jedem Fall sind die Beziehungen zwischen Kaiserhof und den nichtdeutschen Peripherien von Reich und Habsburgermonarchie konzeptionell einzubeziehen.

Das Reich bildete - sowohl als Lehensverband als auch als gesamtstaatlicher Handlungszusammenhang - ein System sui generis. Unabhängig davon, ob man das Konzept eines "komplementären Reichs-Staats" (Georg Schmidt) teilt, ist die Rolle des Kaisers als Reichsoberhaupt in einem sich zunehmend selbst organisierenden Reich mit Blick auf die Erblande schärfer zu bestimmen. Wo sich das kaiserliche Interesse abwendete, war das Reich jedenfalls schwer in der Lage, sich zu verteidigen (Gabriele Haug-Moritz). Aufgrund der verschiedenen staatlichen Ebenen des Reiches mit ihren eigenen Handlungslogiken sind die Vergleichsmöglichkeiten mit anderen europäischen Höfen bzw. Staaten begrenzt.

Ebenso gespannt darf man sein, wie die Debatte zur Bedeutung des Zeremoniells auf Reichsebene fortschreiten wird. Konkurrierende Sichtweisen - sowohl der Zeitgenossen als auch der Forschung - bestehen für den Rechtscharakter zeremonieller bzw. ritueller Handlungen auf Reichsebene. Wirkte das Ritual rechtssetzend, oder symbolisierte es eine rechtliche Position? Sind die verschriftlichten Regelungen der Reichsverfassung als positives Recht einzustufen, und welche Konsequenzen hätte diese Einstufung für die Bedeutung symbolischen Handelns auf Reichsebene? Das inszenierte Reich inszenierte sich erneut mittels Druckgrafik und Festbeschreibungen, welche die real stattgefundenen Veranstaltungen an deren normatives Vor-Bild anglichen. Das Reich als Symbolsystem wirkte in dieser Sichtweise durch Inszenierungen von Inszenierungen. Johannes Burkhardt (Augsburg) fragte danach, wie konstitutiv das Zeremoniell zwischen 1648 bis 1763 eigentlich zu sehen sei. Offen bleibt, ob sich die Forderung, "Verfassungsgeschichte als Symbolgeschichte" zu schreiben und symbolischem Handeln rechtskonstitutiven Charakter zuzuschreiben (Barbara Stollberg-Rilinger), gegen eine ›pragmatische‹ Sicht ausspielen läßt. Diese hebt auf die ›echten‹ Interessenkonflikte machtpolitischer oder wirtschaftlicher Natur abhebt, welche die ›eigentliche‹ Reichspolitik bestimmt hätten und durch symbolisches Handeln auf einer anderen Ebene ausgetragen werden sollten. Der Kern der ›echten‹ Konflikte wird in dieser Sichtweise durch symbolische Handlungsweisen und Inszenierungen nicht berührt. Eigentlich geht es um die Frage, wieviel Zweckrationalität den politischen Akteuren des Alten Reichs zugestanden wird, ob etwa dynastische Präzedenzfragen als Inhalt staatlicher Politik gelten sollen, und welcher Raum den heute anachronistisch scheinenden Zeremonien und der vormodernen Symbolsprache in einer Verfassungsgeschichte des Alten Reiches zugestanden werden soll. Letztlich wird dabei die geschichtspolitische Deutungshoheit verhandelt, wie ›fremd‹ das politische System des Alten Reiches - auch gegenüber seinen Nachbarn - erscheinen ›darf‹, und mit welchen Kategorien diese Fremdheit beschrieben und erklärt werden kann.

Die Beiträge des Symposiums sollen in einem von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verantworteten Sammelband publiziert werden. Eine ausführliche Version dieses Tagungsberichts erscheint in Majestas 13 (2005).


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