Zurück in die Zukunft? Die Bedeutung von Diskursen über "Zukunft" in der Wissenschaftsgeschichte. Eine Tagung im Rahmen des 9. Aachener Tages der Wissenschaftsgeschichte

Zurück in die Zukunft? Die Bedeutung von Diskursen über "Zukunft" in der Wissenschaftsgeschichte. Eine Tagung im Rahmen des 9. Aachener Tages der Wissenschaftsgeschichte

Organisatoren
Aachener Kompetenzzentrum für Wissenschaftsgeschichte; Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technischen Hochschule Aachen
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.11.2015 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Patrick Bergmans, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Bereits zum neunten Mal organisierte das Aachener Kompetenzzentrum für Wissenschaftsgeschichte (AKWG), freundlich unterstützt von proRWTH, einen Workshop, der dazu genutzt wurde, ein Spezialthema der Wissenschaftsgeschichte zu diskutieren. Dieses Treffen stand ganz im Zeichen der Zukunft: nicht nur als anthropologische Konstante, sondern vielmehr als eine mit ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld eng verknüpfte Denkweise. Folglich lag der Fokus nicht allein auf der Frage, ob und wie die Geschichtswissenschaft die Zukunft exakt bestimmen kann, sondern dieser richtete sich darauf, die unterschiedlichen Pfade ausfindig zu machen, die Zukunft mit Gesellschaft und Wissenschaft verbinden.

In der Einleitung verdeutlichten schon die Organisatoren DOMINIK GROß (AKWG) und KLAUS FREITAG (Historisches Institut), dass eine Auseinandersetzung mit der Zukunft nur durch die Einbettung in ihr gesellschaftliches und kulturelles Umfeld stattfinden kann. Zukunft als Konzept spiele aber keineswegs erst seit der Moderne eine Rolle, sondern bereits in der Antike gab es erste Diskurse über Zukunftsfragen, auch wenn eine zyklische Zukunftserwartung die antiken Historiker besonders fasziniert hat.

Die Referate zum Tagungsthema waren chronologisch angeordnet. SIMONE PAGANINI (Aachen) thematisierte in seinen Ausführungen „Zukunft“ als Erwartungshaltung in der Antike und speziell im Reich Israel. Er wertete Prophetie und Zukunftsprojektion nicht nur als Propagandamittel, sondern auch als Sozialkritik im Krisenfall. Die Propheten versuchten dabei sich durch eine rückwärtsgewandte Zukunftsperspektive, also die Bestätigung des Vorhergesagten durch das Eintreten von Ereignissen in der Gegenwart, zu legitimieren. Im Laufe von drei Krisen entwickelten sich aus der Zukunftsangst der Bevölkerung erst eschatologische Hoffnungen. Deren Ausbleiben führte zu einer Erwartung der Apokalypse und schließlich zu der Erkenntnis, Zukunft lasse sich ausschließlich aktiv gestalten.

In seiner viel diskutierten Interpretation der De Officiis versuchte MARCUS HELLWING (Erfurt) Ciceros Zukunftsperspektive nach den Iden des März 44 v. Chr. zu beleuchten. Dieser habe damals die Zeichen erkannt und aus ihnen auf Roms Zukunft als monarchisch geführten Staat geschlossen. Prägend dafür sei nicht nur seine Anlehnung an den jungen Octavian, sondern auch sein Einsatz für die Beibehaltung von Caesars Verordnungen und dessen Dignitas gewesen. Cicero habe über die De Officiis einen Weg gesucht, Octavian auf seine Zukunft vorzubereiten und ihn vor Fehlern zu bewahren. Indem er auf Caesars jungen Erben als Retter setzte, erfüllte sich Ciceros Zukunftsvorstellung, Freiheit und Überleben des Staates zu gewährleisten.

Eine andere Zukunftsperspektive eröffnete TOBIAS WINNERLING (Düsseldorf) mit seinem Blick auf Konservierungsstrategien in Gelehrtenkreisen der frühen Neuzeit. Er legte dar, dass sie bewusst Diskurse über die eigene Zukunftsgestaltung führten. Hierzu hätten die gelehrten Autoritäten – am Beispiel einiger niederländischer Akademiker um 1700 – ihren eigenen Nachruhm dadurch zu bewahren gesucht, indem sie unveröffentlichte Werke ihrer Vorgänger oder Sammlungen lesenswerter Autoren publizierten. Eine weitere Strategie sei es gewesen, Person und Leistung des Vorgängers positiv herauszustellen und dadurch ihren eigenen Status und Ruhm als Nachfolger zu unterstreichen. Nicht nur Erinnerung, sondern vielmehr ewiger Nachruhm sollte durch diese Art der Zukunftsgestaltung erreicht werden.

Die Zukunftsvision von Kurt Eisner stand im Fokus des Vortrages von SVEN BRAJER (Dresden). Eisner folgte den Ideen des Neukantianismus wie des Pazifismus und arbeitete mit diesen Leitmotiven, angespornt von seiner anti-dynastischen, anti-militaristischen und anti-preußischen Einstellung, an einer Revision bürgerlicher Geschichtsschreibung. Gleichzeitig trieb ihn seine Kooperation mit den alten Eliten in eine ambivalente Position zwischen den politischen Fronten. So verwirklichte der kurzzeitige Ministerpräsident des Freistaates Bayern zwar Reformen unter sozialistischen Gesichtspunkten, vermied aber eine Verstaatlichung der Industrie. Die Suche Eisners nach einem neuen Morgen in einer Zeit des Zusammenbruchs der alten Gesellschaftsstrukturen beendete dann sein Tod im Jahr 1919.

Über den Verfall alter Strukturen und den Umgang mit der Technik referierte GOTTFRIED SCHNÖDL (Lüneburg) mit seinem Blick auf die Philosophen Ernst Kapp und Oswald Spengler. Beide hätten bestehende Bedeutungen von Technik und Zukunft neu definiert, indem sie die Technik der Natur und den Menschen anglichen. Werkzeuge (Organon) bzw. die Technik selbst hätten letztlich nicht mehr die Aufgabe das Leben zu erleichtern, sondern nur zu erhalten, und diese produzierten auf diese Weise keine Zukunftsentwicklungen mehr. Statt Fortschritt durch Technik und den damit einhergehenden kausalen Zusammenhängen rückte bei ihnen die eigenmächtige Entwicklung in den Vordergrund. Zeichen dieser Zeit sei somit auch der Bruch mit großen Werken in der Wissenschaft gewesen (zu denen ihre Arbeiten ironischer Weise selbst zählten), hin zu einer Ausdifferenzierung und zu Einzelfällen. Der Diskurs über die Zukunft gestalte sich durch diese Zersplitterung bis heute ungleich schwieriger, weil nun eine große Bandbreite möglicher Zukunftsentwicklungen prognostiziert werden muss, so Armin Heinen (Aachen) in der anschließenden Diskussion.

Mit dem Vortrag von PETRA MISSOMELIUS (Innsbruck) erreichte die Tagung das digitale Zeitalter. Das Zusammenwirken von Bildung und Medien sei immer begleitet gewesen von Medienphobie und Technikpositivismus, die in den jeweils neuen Mitteln, vom Buchdruck bis zu den digitalen Medien, entweder Apokalypse oder Errettung sahen. Die Frage nach der Beherrschung dieser Medien sei immer begleitet gewesen von Zukunftsängsten, die aber letztlich von Beherrschung und Problemlösungen abgelöst wurden. Die technische Entwicklung verursachte aber weder einen Verfall noch eine Revolution auf diesem Gebiet, sondern sei geprägt von vielen Fehlprognosen. Einen deutlichen Schlusspunkt setzte sie mit der Erkenntnis, dass das Zeitalter der digitalen Medien einen neuen Akt in dieser Auseinandersetzung eröffnet, zumal die alten Medienbegriffe in der Welt der Digitalisierung nicht mehr recht greifen.

Mit der Frage nach Wirkung und Ruf des Radiums im letzten Jahrhundert beschäftigte sich MATHIAS SCHMIDT (Aachen). Das Radium beflügelte nach seiner Entdeckung rasch die Phantasie und Zukunftsvisionen unterschiedlicher Wissenschaften. Unzählige Wirkungen schrieb man diesem Mittel der Zukunft zu, von der Schöpfung neuer Lebewesen bis zur Heilung von Krebs oder Lepra. Die Meinung der Medizin über die zukünftige Verwendbarkeit sei gespalten ausgefallen und bedingt gewesen durch die Frage, ob und wie das Mittel dem eigenen Fach zu mehr Prestige verhelfe. Dem entgegen griff die Industrie recht schnell nach dem Zukunftsmittel 'Radium' und verarbeitete es in den verschiedensten Produkten, selbst dann noch, als die Wunderwirkung des Radiums schon widerlegt war. Dieses Beispiel belege – so das Fazit – wie erwartungsvolle Zukunftsperspektiven sich in der Bandbreite von Verwendbarkeit bis Nützlichkeit entwickeln können.

Den Abschluss bildete das kurze Resümee von ARMIN HEINEN (Aachen), in welchem er zwei Punkte herausstrich. Erstens sei bei den Menschen bereits früh ein Bewusstsein von morgen entstanden, welches gefährdet und nicht nur eine Verlängerung des Jetzt, sondern auch als dessen Verbesserung gedacht war. Zweitens seien drei Zugänge zur Zukunft möglich: Als Begriff, als Diskurs oder als Kultur des Umgangs. Die vielen verschiedenen präsentierten Ansätze, mit der Zukunft umzugehen, seien vor allem ein Zeichen für die Schwierigkeit einer Auseinandersetzung mit ihr. Fest stehe, dass es immer mehrere unterschiedliche Vorstellungen von Zukunft geben werde, die häufig von den Prognosen abweichen. Ebenso sei aber gewiss, dass man besser oder schlechter auf die Zukunft vorbereitet sein kann.

Konferenzübersicht:

Dominik Groß / Klaus Freitag (Aachen): Einführung.

Simone Paganini (Aachen): Kulturschock und Zukunftsbewältigung im antiken Israel. Was ist, wenn die Zukunft nicht besser wird?

Marcus Hellwing (Erfurt): Von den Pflichten eines zukünftigen Monarchen. Ciceros de officiis zwischen Voraussicht und Schadensbegrenzung.

Tobias Winnerling (Düsseldorf): Wie sichert man seinen Platz in der Zukunft? Zur Konstruktion akademischen Nachruhms um 1700.

Sven Brajer (Dresden): Kurt Eisner und sein sozialistischer Zukunftsentwurf.

Gottfried Schnödl (Lüneburg): Das frühe Ende der Geschichte. Zum biologistischen Technik- und Zukunftsdeterminismus um 1900.

Petra Missomelius (Innsbruck): Durch Medientechnologie induzierte Zukunftsdiskurse oder die Kontinuität eines medienwissenschaftlichen Topos in der Bildung.

Mathias Schmidt (Aachen): „...die Zukunft werde dem Radium ein Zeitalter völliger Krankheitslosigkeit danken.“ Radium als medizinisches Wundermittel im 20. Jh.

Armin Heinen (Aachen): Zusammenfassung.


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