Beethoven and the Last Generation of Court Musicians in Germany

Beethoven and the Last Generation of Court Musicians in Germany

Organisatoren
FWF-Projekt "Die Opernbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz", Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien; Beethoven-Haus Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2015 - 06.12.2015
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Von
Elisabeth Reisinger, Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien

Vom 3. bis 6. Dezember 2015 fand am Beethoven-Haus Bonn das internationale Symposium „Beethoven and the Last Generation of Court Musicians in Germany“ statt. Die Tagung wurde veranstaltet vom Team des FWF-Projekts Die Opernbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz (Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien) in Zusammenarbeit mit dem Beethoven-Haus Bonn und finanziert durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung. Internationale Expertinnen und Experten diskutierten die komplexen Prozesse im Musikleben des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts vor allem aus Sicht der darin involvierten AkteurInnen.

Im Rahmen der Tagung gab es außerdem Möglichkeit die von John Wilson und Michael Ladenburger gestaltete Ausstellung „Das Bonner Opernleben zur Zeit des jungen Beethoven“ im Rahmen einer Kuratorenführung zu besichtigen.

Nach der Eröffnung durch den Direktor des Beethoven Hauses Malte Boecker präsentierte das Projektteam BIRGIT LODES, JOHN WILSON und ELISABETH REISINGER (alle Wien) Ergebnisse des Forschungsprojekts „Die Opernbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz“.1 Die zentrale Aufgabe dieses vom FWF finanzierten und an der Universität Wien angesiedelten Projekts besteht in der Identifizierung und Analyse der musikdramatischen Quellen in der Musikaliensammlung des Kurfürsten von Köln, Maximilian Franz von Habsburg-Lothringen (1756–1801), die sich heute in der Biblioteca Estense Universitaria in Modena (Italien) befindet. Ziel dieser Arbeit, die durch Recherchen in Archiven in Wien und im Rheinland ergänzt wurde, ist es, ein abgerundetes Bild des Hofoperngeschehens in Bonn im späten 18. Jahrhundert zu erarbeiten. Ein weiteres Spezialinteresse betrifft die Relevanz dieser Forschungsarbeit im Kontext von Ludwig van Beethovens frühesten musikalischen Erfahrungen als Hofmusiker in Bonn.

Anschaulich wurde die Bearbeitungs- und Aufführungspraxis am Bonner Hoftheater durch die musikalische Umrahmung des Eröffnungsabends, an dem Arien aus Carl Ditters von Dittersdorf’s (1739–1799) Singspiel „Das rote Käppchen“ (1789) aufgeführt wurden. Zwei dieser Arien wurden speziell für Bonn von dort angestellten Musikern, wie Christian Gottlob Neefe (1748–1798), im „Dittersdorf’schen Ton“ komponiert. Als Sängerin war Nina Simone UNDEN zu hören, begleitet von Thomas WISE am Klavier (beide Theater Bonn).

MARK EVAN BONDS (Chapel Hill) machte in seiner Keynote deutlich, dass das etablierte Narrativ der ‚Emanzipation‘ des Künstlers aus höfischen Strukturen um 1800 kritisch zu hinterfragen wäre, da sich die reale Lebenssituation und das Selbstverständnis von Komponisten und Musikern durchaus anders darstellen würde. Die oft als Belege für diesen vermeintlichen Emanzipationsprozess angeführten Fallbeispiele Haydn, Mozart und Beethoven zeigen, dass alle drei die Position als Kapellmeister in hoher Ehre hielten, dass dessen Aufgabe, sozusagen ‚auf Ansage‘ in allen Genres zu komponieren, eher als Herausforderung denn als Fessel verstanden wurde und dass der Hof generell auch weiterhin eine attraktive Einkommensquelle darstellte.

Der Schwerpunkt der ersten Sektion lag auf dem Hofoperngeschehen im deutschsprachigen Raum und den darin eingebundenen Individuen. THOMAS BETZWIESER (Frankfurt am Main) widmete sich dem Wirken der Theatertruppe Gustav Friedrich Wilhelm Großmanns (1746–1796) und damit einer „kurzen Episode des deutschen ‚Nationaltheaters‘“ in Bonn. Nach einem Überblick über die Situation der Wandertruppen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts legte Betzwieser dar, wie sich Großmanns Truppe in Bonn formierte und in welcher Weise das Zusammenwirken einer ‚externen‘ Schauspieltruppe und einer Hofmusikkapelle in Bonn das Repertoire des Hoftheaters prägte.

ARNOLD JACOBSHAGEN (Köln) nahm eine Makroperspektive auf die zentrale Rolle der Hofkapellmeister als Opernkomponisten ein. Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts blieben Werke der Hofkapellmeister auf den Spielplänen der Hoftheater dominant. Es wurde zudem deutlich, dass Strukturen der Hoftheater auch nach ihrer Umwandlung in Staatstheater weiterwirkten.

PANJA MÜCKE (Mannheim) widmete sich in ihrem Vortrag einem Fallbeispiel: Francesco Morlacchi (1784–1841), Hofkapellmeister in Dresden von 1810 bis 1832. Dabei legte sie Organisation, Repertoire sowie Aufführungsbedingungen des Hoftheaters Dresden im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts detailliert dar.

JOHN RICE (Rochester) fokussierte in seinen Ausführungen zu der letzten auf Schloss Esterháza aufgeführten Oper, Joseph Weigls (1766–1846) „Venere e Adone“ von 1791, die Produktionsbedingungen und die Rezeption der Uraufführung und verwies auf verblüffende Wechselwirkungen mit weiteren zeitgenössischen Werken, die grundlegende Gattungs- und Funktionsfragen aufwerfen.

Des Weiteren standen die sozial- und kulturhistorischen Kontexte künstlerischen Wirkens im späten 18. Jahrhundert im Zentrum. ELISABETH REISINGER (Wien) stellte den Besitzer der im FWF-Projekt untersuchten Musikalien, Kurfürst Maximilian Franz (1756–1801), seine kulturelle Prägung während seiner Kindheit und Jugend am Wiener Kaiserhof, sowie seine soziale Einbettung im Wiener und Bonner Musikleben in den Fokus.

SILKE BETTERMANN (Bonn) befasste sich mit dem Platz der Musiker in der sozialen Welt des Bonner Hofes und seines Zeremoniells unter den letzten vier Kurfürsten. Strukturen und Hierarchien manifestierten sich hier etwa in der architektonischen Anlage der Residenzschlösser, im äußeren Erscheinungsbild der Musiker, sowie außerdem in der Lage ihrer Wohnorte in der Stadt.

Den Abschluss des ersten Tages bildete eine Plenumsdiskussion aller ReferentInnen, in der die Institution Hofoper im deutschsprachigen Raum im späten 18. Jahrhundert aus komparatistischer Perspektive beleuchtet wurde.

Der Vormittag des zweiten Tages war den sozialen und ökonomischen Veränderungen des Musikmarkts gewidmet. ESTELLE JOUBERT (Halifax / Berkeley) machte am Beispiel der Berliner Singakadamie, die ihre Wurzeln in der Hofkultur hatte, die Konvergenzen und Wechselwirkungen zwischen Hof und bürgerlicher Öffentlichkeit deutlich.

ERICA BUURMAN (Canterbury) bot einen Einblick in die musikalische Gestaltung der Bälle der Pensionsgesellschaft bildender Künstler in Wien zwischen 1792 und 1832 und damit in Werbe- und Vermarktungsstrategien einerseits der Ballveranstalter sowie andererseits der bei diesen Veranstaltungen aufgeführten Künstler. Viele der führenden Komponisten in Wien zu jener Zeit steuerten Musik für diese Anlässe bei. Es wurden aber auch Stücke komponierender Aristokraten gespielt.

AXEL BEER (Mainz) gab, ausgehend von Bonn, einen detaillierten Überblick über die Situation des Musikalienhandels und Verlagswesens auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Aus den Zeitungsannoncen dieser Betriebe können Erkenntnisse zu Transferprozessen, Handelsbeziehungen und Musikdistribution gewonnen werden. Auch Frauen traten immer wieder als Verleger auf, schalteten Anzeigen und sind als fester Teil dieser ‚Szene‘ zu betrachten.

Eine weitere Sektion stand im Zeichen verschiedener Ausprägungen musikalischer Karrierewege sowie den Netzwerken und verwandtschaftlichen Beziehungen von Musikern und Musikerinnen. MELANIE UNSELD (Oldenburg) führte in den Mikrokosmos der Musikerfamilien um 1800 ein. Unter Rückgriff auf das Modell des ‚ganzen Hauses‘ machte sie Kontinuitäten vom 18. bis ins 19. Jahrhundert hinein deutlich. Unseld stellte außerdem die selbstverständliche Einbindung der Frauen in diese Familienstrukturen in aktiven Rollen heraus, etwa in der Erwerbstätigkeit.

RITA STEBLIN (Wien) erörterte ein Fallbeispiel anhand des Brüderpaares Paul (1756–1808) und Anton Wranitzky (1761–1820) und ihren Karrieren am Wiener Hof. Dabei konnte Steblin, aufgrund ihres umfangreichen Quellenstudiums, einige biographische Fehler und Ungenauigkeiten die beiden Musiker betreffend korrigieren.

SEBASTIAN BIESOLD (Bonn) erläuterte die sozialen Verbindungen italienischer Musiker in Dresden während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Anhand konkreter Beispiele zeigte er, dass die Anstellung italienischer KünstlerInnen in Deutschland zumeist Ergebnis von Netzwerken war und dass zudem Verwandtschaftsverhältnisse als wichtiger Rekrutierungsfaktor zu sehen sind.

Einen weiteren Fall einer Hofkarriere stellte MARK KROLL (Boston) mit Johann Nepomuk Hummel (1778–1837) vor. Dabei nahm Kroll unter anderem Hummels Lebensweg und seine bewusste Entscheidung für eine Hofanstellung in den Blick und stellte Vergleiche mit Zeitgenossen Hummels an, die ihre Karrieren anders gestalteten, wie Ludwig van Beethoven und Franz Liszt.

CHRISTINE SIEGERT (Bonn) eröffnete den letzten Tag und legte ausgehend vom Beispiel Luigi Cherubinis (1760–1842) am Florentiner Hof die Charakteristika der Ausbildung von Opernkomponisten als ‚Lehre‘ dar, in der sie drei wesentliche Faktoren festmachen konnte: die Herkunft aus einer Musikerfamilie bzw. dem Theatermilieu, die Mitwirkung in einer Hofmusikkapelle sowie die Ausbildung bei einem als berühmt angesehenen Lehrer, einem ‚Meister‘.

MARKUS NEUWIRTH (Leuven) widmete sich Fragen des Stiltransfers durch Musiker, die im Laufe ihres Lebens an mehreren Höfen wirkten. Anhand der Person Joseph Reichas (1752–1795), der zunächst am Wallerstein’schen Hof und dann ab 1785 am kurfürstlichen Hof in Bonn angestellt war, öffnete er Perspektiven auf den Bereich der Harmoniemusik an beiden Höfen.

STEPHEN WHITING (Ann Arbor) machte anschaulich, welche musikstilistischen Einflüsse Aufführungen der in Bonn so beliebten Opern von André Erneste Modeste Grétry (1741–1813) auf den jungen Beethoven gehabt haben mögen. Während der Regierungszeit der letzten beiden Kurfürsten hatte Beethoven sehr häufig die Gelegenheit, diese Musik im Theater zu hören und wohl auch mehrmals selbst zu spielen. Whiting exemplifizierte eindrucksvoll, wie Grétrys musikalische Umsetzung mit der Konstellation der Bühnencharaktere, moralischen Haltungen sowie Menschenbildern in den Stücken zusammenwirkte.

Den Abschluss bildete der Beitrag von JOHN WILSON (Wien), der die ‚Generation Beethoven‘ am Bonner Hof (Ludwig van Beethoven selbst (1770–1827), Andreas (1767–1821) und Bernhard Romberg (1767–1841) sowie Anton Reicha (1770–1836)), ihre Herkunft, Prägungen, und weiteren Lebenswege in den Blick nahm. Dadurch konnte Wilson sowohl besondere als auch allgemeine Schlüsse über Erfolgsmechanismen und -strategien von Musikern auf dem Weg vom 18. ins 19. Jahrhundert ziehen.

Die Tagung regte dazu an, sich mit den letzten Jahrzehnten des 18. und den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nicht nur ausgehend von der etablierten Prämisse großer Umbrüche und Veränderungen zu beschäftigen, sondern den Blick für Differenzierungen zu schärfen. So wurde die Formulierung der „Last Generation of Court Musicians“, die von den Veranstaltern bewusst provokativ gewählt war, mit Recht immer wieder in Frage gestellt und Kontinuitäten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein deutlich gemacht. Die Komplexität der Situation im Musikleben um 1800 wird in Zukunft eine differenzierte Herangehensweise in Synthese aus Makro- und Mikroperspektiven erfordern.

Konferenzübersicht:

Eröffnung
Birgit Lodes, Elisabeth Reisinger, John Wilson (Universität Wien): Die Opernbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz. Vorstellung und Ergebnisse des FWF-Projekts

Keynote Lecture
Mark Evan Bonds (University of North Carolina, Chapel Hill): The Court of Public Opinion: The Crafting of Compositional Identity, 1780-1820

Session I: Court Opera: Macro and Micro Perspectives
Chair (morning): Julia Ronge

Thomas Betzwieser (Goethe-Universität Frankfurt): Gustav Friedrich Wilhelm Großmann und das Bonner Hoftheater 1778-1784

Arnold Jacobshagen (Hochschule für Musik und Theater Köln): Kapellmeister als Opernkomponisten. Zur Situation der deutschen Höfe um 1800

Panja Mücke (Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mannheim): Zum musikhistorischen Konstrukt des Konservativen. Francesco Morlacchi als Hofkapellmeister

John A. Rice (Rochester, Minnesota): Weigl’s Venere e Adone and the End of Opera at Esterháza

Chair (afternoon): Bernhard Appel

Elisabeth Reisinger (Universität Wien): Sozialisation – Interaktion – Netzwerk. Zum Umgang mit Musik[ern] im Adel anhand des Beispiels des Erzherzogs Maximilian Franz

Silke Bettermann (Beethoven-Haus Bonn): Mit Haarzopf und Degen. Alltag und Zeremoniell im Leben der Musiker am kurfürstlichen Hof in Bonn

Plenary Discussion
Hofoper in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus institutionengeschichtlicher Perspektive
(Chair: Christine Siegert)

Session II: Social Change and the Emerging Music Market
Chair: Armin Raab

Estelle Joubert (Dalhousie University): Opera, Diplomacy and the Convergence of Court Culture with Music Criticism in Late 18th-Century Berlin

Erica Buurman (Canterbury Christ Church University): The Annual Ball of the Pensionsgesellschaft bildender Künstler 1792–1832: Music in the Viennese Imperial Ballrooms from Haydn to Lanner

Axel Beer (Universität Mainz): Musikalienhandel in Bonn und anderswo gegen Ende des 18. Jahrhunderts

Session III: Musical Careers: Networking, Bloodlines, and Personal Inclination
Chair: Friederike Wißmann

Melanie Unseld (Universität Oldenburg): Musikerfamilien. Strukturelle Veränderungen im Mikrokosmos der Musikkultur um 1800

Rita Steblin (Wien): The Court Careers of Paul and Anton Wranitzky in Vienna

Sebastian Biesold (Universität Bonn): Netzwerk und Milieubildung. Italienische Musiker am Dresdner Hof in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Mark Kroll (Boston University): “Should I Walk in the Footsteps of a Genius?“ The two Career Paths of Ludwig van Beethoven and Kapellmeister Hummel

Session IV: International Cosmopolitanism And Stylistic Continuities During The “Beethoven Generation”
Chair: Birgit Lodes

Christine Siegert (Beethoven-Haus Bonn): Opernkomponisten in der Lehre

Markus Neuwirth (Leuven University): Zwischen Wallerstein und Bonn. Joseph Reichas Harmoniemusik und die Frage des Stiltransfers

Steven Whiting (University of Michigan): Before the Fever burned. Beethoven and Grétry in Bonn

John D. Wilson (Universität Wien): A School of Whiz Kids Grows Up: Beethoven, Bernhard Romberg, Antonín Rejcha, and Lessons learned in Bonn

Anmerkung:
1http://www.univie.ac.at/opernbibliothek/ (23.02.2016).


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