Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Eine vergleichende Perspektive

Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Eine vergleichende Perspektive

Organisatoren
André Postert / Francesca Weil, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V., Technische Universität Dresden; Alfons Kenkmann, Historisches Seminar, Universität Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2015 - 14.11.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Jost, Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, Universität Leipzig

Im Jahr 2015 sind weltweit mehr als sechzig Millionen Menschen auf der Flucht. Unter ihnen auch viele Kinder. Die medial verbreiteten Bilder von Flucht und Vertreibung, Krieg und Tod verdeutlichen, so bekräftigte GÜNTHER HEYDEMANN (Dresden) in seiner Begrüßungsansprache zur Eröffnung der Tagung „Kindheit im Zweiten Weltkrieg“, was auch Kinder im Zusammenhang mit militärischen Konflikten erleiden müssen. Die internationale Konferenz, organisiert vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. und der Professur für Geschichtsdidaktik der Universität Leipzig, führte Forscherinnen und Forscher aus der Geschichtswissenschaft, der Film-, Literatur- und Kulturwissenschaft und Didaktiker aus zehn Ländern zusammen. Die Tagung unternahm den Versuch, die „Lebenswelten der Stummen der Geschichte“ zu analysieren und somit Kinder als Opfer, aber auch als handelnde Akteure beschreiben zu können. Ihre Erfahrungen scheinen langer als vermeintlicher „Kollateralschaden“ des Zweiten Weltkriegs ignoriert worden zu sein. ALFONS KENKMANN (Leipzig) betonte in seiner Einführung, dass es in Hinblick auf eine internationale Geschichte der Kriegskinder selbstverständlich nicht darum gehen könne, Leid aufzurechnen oder die Schicksale verschiedener Kriegskinder in eine „Opferkonkurrenz“ zu setzen. Vielmehr gehe es darum, zu überprüfen, ob sich in der europäischen Kriegskindergeneration so etwas wie „homogene Erfahrungsmuster“ erkennen, analysieren und beschreiben lassen. So könne man vielleicht die bisher nur sektoral oder in nationalstaatlicher Perspektive behandelten Themen zu einer gesamteuropäischen Geschichte von Kindheit im Zweiten Weltkrieg zusammenführen. Im Vergleich zu anderen Tagungen nahm die Leipziger Konferenz auf diese Weise eine dezidiert europäische Perspektive mit internationalen und transnationalen Fragestellungen ein, wobei der Fokus auf Ost-, Mittel- und Nordeuropa lag.

Im ersten Teil der Eröffnungssektion dominierte die Beschäftigung mit den Erfahrungshorizonten deutscher und „volksdeutscher“ Kinder. LISBETH MATZER (Graz) beschäftigte sich mit Formen der ideologischen Manipulation und Mobilisation in der Hitlerjugend (HJ) am Beispiel des Gaus Steiermark, die, wie Matzer betonte, aufgrund ihrer Wirkung zu einer besonders hohen Zahl an Kriegsfreiwilligen aus deren Reihen geführt habe. Generalisierende Aussagen über „die“ Hitlerjugend laufen in der Regel ins Leere. Am Beispiel der HJ im Gau Steiermark mit ihrer Erziehung zu einer „kämpferischen“ Jugend sowie der „Re-Germanisierungspolitik“ volksdeutscher Kinder zeige sich jedoch, dass HJ-Führer vielfach ganz im Sinne der Vorgaben und Erwartungen der Reichsjugendführung agierten. CAROLINE MEZGER (Florenz) widmete sich in ihrem Referat sodann den Donauschwaben, die einerseits innerhalb der „Deutschen Jugend“ oftmals Zeugen nationalsozialistischer Verbrechen und durchaus auch Beteiligte gewesen waren, andererseits das Leid von Vertreibung und Heimatverlust erlebten. Dies habe zu erinnerungskulturellen Defiziten und gebrochenen Identitäten geführt. Mit ihrem Vortrag über die „Hlinka-Jugend“ der Slowakischen Volkspartei zeigte MICHALA LÔNČÍKOVÁ (Bratislava) eindrucksvoll, dass völkische „Kindererziehung“ keine spezifisch deutsche Erfahrung gewesen ist. Die slowakische Jugendorganisation kooperierte mit den Organisationen anderer „Achsenmächte“, entwickelte aber auch ein eigenständiges ideologisches und organisatorisches Profil. Die Organisationsebene verlassend, beleuchtete der Vortrag von ANTJE DUSSA (Leipzig) am Beispiel von Tagebüchern Leipziger Kinder individuelle Handlungsoptionen und Erfahrungen in der Endphase des „Dritten Reiches“. Wichtige Zukunftsfragen wie jene nach der drohenden Niederlage, Kapitulation und der Besatzungsmacht durchzogen die Tagebücher ebenso wie die Beschäftigung mit dem Selbst oder adoleszente Orientierungssuche – Aspekte, die bei breiterer Quellenforschung einem besseren Verständnis der ostdeutschen „Aufbaugeneration“ dienen könnten. Der Frage, ob sich unterschiedliche Kindheitserfahrungen mithilfe einer Geschichte des Spielzeugs nachzeichnen und vermitteln lassen, ging ANDRÉ POSTERT (Dresden) nach. Der staatlichen Delegation der Spielzeugproduktion komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Während beispielsweise der Spielzeughersteller Märklin Patronenhülsen produzierte, mussten Kinder im Rahmen der HJ, aber sogar auch Kinder in Konzentrationslagern, hier exemplarisch Theresienstadt, in Werkstätten Spielzeug für die jüngsten Kinder im Deutschen Reich herstellen. Insofern eignet sich Spielzeug als ein geeignetes Prisma völlig verschiedener Kindheitserfahrungen und verdeutlicht, dass kein gesellschaftlicher Bereich von den nationalsozialistischen Verbrechenskomplexen ausgeschlossen blieb. Der Holocaust reichte selbst ins Kinderzimmer an der „Heimatfront“.

In der folgenden Sektion standen die verschiedenartigen Schicksale jüdischer Kinder in Osteuropa im Vordergrund. Deren Geschichte war abhängig von der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen, ihren regionalen Bedingungen und praktischen Maßnahmen: Erfahrung und Handlungsmöglichkeiten waren interdependent. MARTA ANSILEWSKA-LEHNSTAEDT und IRINA REBROVA (beide Berlin) zeigten eindrucksvoll, dass der Identitätswechsel – durch Ablegen des Namens, der Vernichtung von Dokumenten, durch kosmetische Veränderungen oder ähnliches – eine zentrale Rolle in den Überlebensstrategien jüdischer Familien einnahm. Dazu kamen etwa ständige „Wanderschaft“ von Dorf zu Dorf oder das Wegschicken jüdischer Kinder auf die „arische Seite“ jenseits der Ghettos. Den Kindern fehlte oft das Verständnis für die Entscheidungen ihrer Eltern: Für sie war es kein Gefühl der Rettung, sondern es blieb die Erfahrung des „Abgeschoben Seins“. YULIA VON SAAL (München) und JOHANNES-DIETER STEINERT (Wolverhampton) unterstrichen die Notwendigkeit transnationaler Kindheitsforschung. Dieser Zugang könne auch den Blick für die unterschiedlichen Voraussetzungen des Überlebens unter deutscher Besatzung schärfen. Die eindrückliche Schilderung des Missbrauchs von Kindern als Geiseln in sogenannten „Kinderdörfern“, um deren Eltern weiterhin zur Arbeit zu zwingen, oder die als „biographischen Bruch“ erlebte Deportation zur Zwangsarbeit nach Deutschland, die sich in den verschiedenen Ego-Dokumenten polnischer und sowjetischer Kinder spiegeln, zeigten die jeweils unterschiedlichen individuellen und kollektiven Folgen deutscher Besatzung auf. Der kindliche Erfahrungsraum sei von der Interdependenz von Zwangsarbeit und „Germanisierung“ bestimmt gewesen und ließ kaum individuelle Handlungsoptionen. Die Rekrutierung von Zwangsarbeitern wurde oftmals in die Familie delegiert, die dann häufig Mädchen aus ihrem Kreis zur Deportation benannten. Insgesamt zeigten die Vorträge dieser Sektion deutlich, dass die Überlebenschance eines Kindes zum einen sehr stark von der Differenz jüdisch oder nicht-jüdisch, den individuell erschlossenen oder überhaupt existenten Handlungsalternativen sowie von der Existenz von „Kontaktpersonen“ abhing.

Die zweite Sektion führte am Freitag die Diskussionen um transnationale Fragestellungen fort, indem sie Kindheitserfahrungen in den Blick nahm, die sowohl durch Flucht als auch Deportation räumlich und lebensgeschichtlich gebrochen wurden. CLEMENS MAIER-WOLTHAUSEN (Berlin) und INGRID SÖDERLIND (Linköping) eröffneten mit dem Beispiel Schweden. Die bereitwillige Aufnahme tausender finnischer Kinder stand im Kontrast zur restriktiven Hilfe für wenige hundert jüdische Kinder. Das Missverhältnis lasse, so die Bilanz der Vortragenden, sich auf den in Skandinavien damals verbreiteten „nordischen Gedanken“ zurückführen. Die Bereitschaft der Gasteltern, ein Kind aufzunehmen, korrelierte kaum mit dessen Verfolgungssituation, sondern schlicht mit dessen äußeren Erscheinungsmerkmalen. Die Solidarität der schwedischen Gesellschaft war demnach eng an die ethnische Zugehörigkeit der Flüchtlinge geknüpft, sodass bevorzugt Mädchen mit „nicht-jüdischem Aussehen“ eine Chance gehabt hätten. KATHARINA FRIEDLA (Jerusalem) zeichnete die Deportation von 230.000 Juden durch sowjetische Behörden aus Ostpolen nach Sibirien nach. Dem nationalsozialistischen „Inferno“ stand hier – wie Friedla am Beispiel eines Zitats betonte – die sowjetische „Hölle“ gegenüber. Unter den „Displaced Persons“ stellten sie, die nach ihrer Repatriierung aus Polen erneut, aber diesmal in Richtung Westen geflohenen waren, die größte Gruppe der „Holocaust survivors“. VERENA BUSER (Berlin) schilderte die prozessuale Entwicklung der Sucharbeit nach Angehörigen durch die „United Nations Relief and Rehabilitation Administration“. An deren Beginn habe allerdings kein „Masterplan“ gestanden. Nach dem Krieg mussten 13 Millionen Kinder in Europa ohne einen oder beide Elternteile ihr Leben gestalten. Der Verlust der Heimat konnte Identitätskrisen bewirken. CHRISTIAN KÖNIG (Halle an der Saale) verdeutlichte am individuellen Beispiel einer Frau die Vielzahl von Problemen geflüchteter Familien und Kinder in der SBZ bzw. DDR-Gesellschaft, in der sich die Bevölkerungsmehrheit gegen ihre Integration stellte.

Die dritte Sektion beschäftigte sich mit individuellen und kollektiven Erinnerungen und stellte den gesellschaftlichen Umgang mit Kriegskindern in den Mittelpunkt. OXANE LEINGANG (Köln) befasste sich in ihrer literaturwissenschaftlichen Untersuchung mit ausgewählten Autobiographien ehemaliger sowjetischer Kriegskinder. Sie zeigte anhand einiger Beispiele, dass in der Sowjetunion im Zuge der Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“ die Rolle der Kinder heroisiert wurde. Erst in den 1990er-Jahren setzten in Russland ein Paradigmenwechsel und eine gesellschaftliche Umdeutung ein, die das reale Leid der Kinder anerkannte und in den Mittelpunkt der Erinnerung rückte. Dass dies jedoch nicht zwangsläufig in die staatliche und öffentliche Anerkennung aller Kinder als Opfer mündete, bewies NATALIE TIMOFEEVAS (Woronesch) kritische Betrachtung der bisher nicht erfolgten Aufnahme minderjähriger KZ-Häftlinge als Einzelgruppe ins russische Veteranengesetz, wie sie der „Verband der ehemaligen minderjährigen KZ-Häftlinge“ in einem Manifest fordert. Dennoch hat diese 150.000 Mitglieder zählende Bürgerinitiative bereits staatliche Kostenhilfe bei Beerdigungen und Wohnungszuweisungen erstritten und bemüht sich, die Erinnerung an das erfahrene Leid mit Denkmälern und Schulbesuchen an nachfolgende Generationen weiterzugeben. WEI ZUHANGS (Wuhan, Hubei) Vortrag über das in Europa nahezu vergessene jüdische Exil in Shanghai fiel zwar aus dem räumlichen Zuschnitt der Tagung heraus, bot jedoch anhand ausgewählter internationaler Romane wichtige Einblicke in die Lebenswelten von emigrierten jüdischen Kindern. Obwohl die verschiedenen Romane jeweils in einem Kontext nationaler Erinnerungsdiskurse zu verstehen sind, erscheint in ihnen das Exil doch zugleich als Bindeglied und Gegenstand transnationaler Erinnerung. Möglichkeiten und Grenzen der sprachlichen Vermittlung von Gewalterfahrungen, die sich unserem Begreifen prinzipiell entziehen, untersuchte WIBKE HIEMESCH (Hildesheim) anhand von Oral History-Quellen von überlebenden Kindern des KZ Ravensbrück. Sie identifizierte in den analysierten Interviews einen Doppelcharakter von erzählter und erlebter Geschichte. Die Narrationen, die sie als das Ringen von Erwachsenen um einen sprachlichen Ausdruck des Unbeschreiblichen erfasste, ließen sich als Erzählungen minimalster Handlungsräume ebenso wie gewaltsamer Destruktion körperlicher und seelischer Integrität identifizieren. Der offenkundig ergiebige Forschungsansatz, aus Schüleraufsätzen der unmittelbaren Nachkriegszeit Kinder als Geschichtszeugen und Akteure wahrzunehmen und zu beschreiben, verband die Vorträge von OLGA RADCHENKO (Tscherkassy) und BEATE MÜLLER (Newcastle). Die 1944 in der Ostukraine verfassten Aufsätze boten einen Einblick in die wechselvolle Besatzungsgeschichte der „Bloodlands“. Mit Blick auf ihre Überlebenspraktiken sowie auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Osten und Westen der Ukraine beschrieb Radchenko das „gespaltene Gedächtnis“ der ukrainischen Kriegskinder. Anhand von 7.000 Texten Nürnberger Schüler aus dem Jahr 1946 – einem außergewöhnlichen Quellenkorpus – analysierte wiederum Müller die anhaltende Prägekraft des Nationalsozialismus und der Kriegserlebnisse; die Auswertung der Aufsätze vermittelte ein komplexes Bild der Gedanken- und Gefühlswelt der Nachkriegsjugend. LU SEEGERS (Hamburg) beschrieb unterschiedliche Erfahrungen im Umgang mit Vaterlosigkeit in der Bundesrepublik, der DDR und Polen. Ihre Ausführungen bereiteten inhaltlich stimmig auf die öffentliche Podiumsdiskussion am Abend vor.

Im Festsaal des Alten Rathauses von Leipzig diskutierten Historiker, die vaterlos aufgewachsen waren, zugleich als Zeitzeugen und Wissenschaftler. Viele im bisherigen Tagungsverlauf abstrakt gebliebenen Erfahrungen erhielten durch die Schilderungen von KONRAD JARAUSCH (Chapel Hill, North Carolina), JÜRGEN REULECKE (Gießen) und PETER MASER (Münster) ein persönliches Gesicht. BARBARA STAMBOLIS (Paderborn) moderierte, HEIDE GLAESMER (Leipzig) ordnete die Aussagen in die aktuelle Trauma-Forschung ein. Der als unfair erlebte „Wettbewerb“ mit dem gefallenen Vater, der nicht mehr zu gewinnen war, aber auch familiärer Druck, gesellschaftliche Tabuisierungen in der Nachkriegszeit, berufliches und persönliches zivilgesellschaftliches Engagement als eine Art „Wiedergutmachungsleistung“ waren dabei zentrale Themen des lebhaften Podiumsgesprächs.

Die letzte Sektion am Samstagmorgen beschäftigte sich mit der in der Kriegskinderforschung bislang kaum genutzten Gattung dokumentarischer und fiktionaler Filmquellen. Spielfilme über den Zweiten Weltkrieg mit Kindern als Protagonisten seien, so stellten die Vortragenden einhellig fest, emotional aufgeladen. Den Historikerinnen und Historikern komme die Aufgabe zu, die Deutungsabsicht von Regisseuren, Drehbuchautoren und Produzenten offenzulegen, denn Filme erzählen als Quelle mehr über die Zeit ihrer Entstehung, als über jene, die sie zum Gegenstand haben. So bildeten ausgewählte Nachkriegsfilme aus Mittel- und Osteuropa für MICHAEL BRODSKI (Mainz) und UTE WÖLFEL (Reading) den sichtbaren Ausdruck zeitgenössischer, politischer, national oder von Traumata geprägter Diskurse. Die DEFA-Filme in der DDR zeigten die Kinder nicht als Leidtragende, sondern als aktiv handelnde Akteure eines „unbefangenen Neuanfangs“. In der US-amerikanisch-schweizerischen Produktion „The Search“ wiederum standen überlebende Kinder aus Konzentrationslagern, ihre Traumata und die Suche nach ihrer Identität im Vordergrund. Die von MARKUS KÖSTER (Münster) vorgestellten Amateur-Familienfilme zeigten hingegen, wie sich normale deutsche Familien bei der Inszenierung ihres „Glücks freier Stunden“ die NS- und Kriegspropaganda zum Vorbild nahmen. Kinder in Uniform, mit Spielzeug-Stahlhelm und -Waffe, exerzierten vor der Kamera des Vaters; eine, wie Köster betonte, spielerische Vermittlung gesellschaftlicher Militarisierung. Zum Abschluss präsentierte MONA BERGMANN (Leipzig) das geplante achtteilige Dokumentarfilmprojekt für den SWR/Kika „Kleine Hände. Kindheit im Zweiten Weltkrieg“, welches das schwierige Thema für Heranwachsende aufzubereiten sucht.

Auf der Tagung in Leipzig ist der vielversprechende Versuch unternommen worden, die Geschichte der Kindheiten im Zweiten Weltkrieg zu internationalisieren. Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Disziplinen wurden zusammengeführt, aktuelle oder laufende Studien diskutiert und neue Projektideen vorgestellt. Anknüpfend an vorangegangene Kongresse zur Thematik, konnte die Forschung zu den Kindern des Zweiten Weltkriegs hier in einen größeren internationalen Rahmen als bislang gestellt werden. Die Veranstalter stehen für den geplanten Sammelband, der zusätzlich Süd- und Westeuropa einbeziehen soll, jedoch vor einer konzeptionellen Herausforderung: Die Abhängigkeit einiger Projekte von Interviews oder freien Erzählungen, die teils erst Jahrzehnte später aufgezeichnet wurden, erforderten, so Kenkmann in der Abschlussdiskussion, mehr Reflexion über die Potentiale und Grenzen der eigenen Methodik. Auch die Frage der Vergleichbarkeit von Erfahrungsräumen und generationellen Prägungen stelle sich: Hier bedarf es einer gemeinsamen Definition von Kindheit. Von einer kollektiven Kindheitserfahrung in Europa während des Zweiten Weltkriegs könne wohl nicht gesprochen werden. Allerdings sollte der Sammelband, um nicht bloß eine Enzyklopädie von Kindheitsgeschichten zu werden, durchaus der Frage nachgehen, ob sich von einer „europäischen Generationalität“ der Kriegskinder im Sinne geteilter generationeller Erfahrungsmuster sprechen lässt.

Konferenzübersicht:

Günther Heydemann (Dresden): Begrüßung

Alfons Kenkmann (Leipzig): Einführung

Sektion I A: Handlungspraktiken und Erfahrungshorizonte
Moderation: Günther Heydemann (Dresden)

Lisbeth Matzer (Graz): Manipulation durch Gemeinschaft und Führung. Die regionale Hitlerjugend als ideologische Vermittlungsinstanz im Gau Steiermark (1938–1945)

Caroline Mezger (Florenz): From Hitler’s Disciple to Wartime Refugee: Donauschwaben World War II. Childhoods and the Crossroads of Historical Agency

Michala Lônčíková (Bratislava): “For God and for the Nation!” – Pillars of the Children´s Education in the Slovak State (1939–1945)

Antje Dussa (Leipzig): Einsichten. Kinder- und Jugendtagebücher als Erinnerungsort Leipziger Kriegs- und Nachkriegsgeschichte

Sektion I B: Handlungspraktiken und Erfahrungshorizonte
Moderation: Alfons Kenkmann (Leipzig)

André Postert (Dresden): Kein Kinderspiel: Kurze Geschichte des Spielzeugs im Zweiten Weltkrieg

Irina Rebrova (Berlin): Traumatic Childhood: Holocaust and Practices of Survival of Jewish Children at Temporary Occupied Zones of the North Caucasus in the Second World War

Yuliya von Saal (München): „Bandenkinder“ im besetzten Weißrussland 1943/1944: Kinder und Kinderdörfer im Spiegel der Quellen und Erinnerungen der Überlebenden.

Marta Ansilewska-Lehnstaedt (Berlin): Durch Taufe befreit? Identitätswechsel als Überlebensstrategie der polnischen Holocaustkinder während des Zweiten Weltkriegs

Johannes-Dieter Steinert (Wolverhampton): Deportation und Zwangsarbeit. Polnische und sowjetische Kinderzwangsarbeiter im nationalsozialistischen Deutschland und im besetzten Osteuropa 1939–1945

Sektion II: Transnationale Kriegskindheiten
Moderation: André Postert (Dresden)

Clemens Maier-Wolthausen (Berlin): „Kinder gut angekommen“ - Die schwedischen Juden und die Kindertransporte nach Schweden. Transnationale jüdische Hilfsarbeit für Kinder 1938–1945

Ingrid Söderlind (Linköping): „Alle wollen finnische Kinder”. Über die Mobilisierung von Pflegefamilien in Schweden für 70.000 finnische Kinder während des Zweiten Weltkrieges.

Katharina Friedla (Jerusalem): Leben im Transit – Polnisch-jüdische Kinder in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. Topographie des Exodus, lebensweltliche Erfahrungsräume, Erinnerungskonstruktionen

Verena Buser (Berlin): „Wir haben nichts unversucht gelassen…“. UNRRA und die Suche nach den überlebenden Kindern

Christian König (Halle an der Saale): „Aber vergessen können wir das alles nicht...“ Kinder und Jugendliche als „Umsiedler“ in der DDR

Sektion III: Erinnerungen und Gedächtnisse
Moderation: Martin C. Winter (Leipzig)

Lu Seegers (Hamburg): Leben mit dem toten Vater: Erfahrungen und Deutungen in Deutschland und Polen nach 1945

Oxane Leingang (Köln): Der „Große Vaterländische Krieg“ in den autobiographischen Aufzeichnungen russischer Kriegskinder

Olga Radchenko (Tscherkassy): Ukrainische Kriegskinder: gespaltenes Gedächtnis im Spiegel der Zeit

Natalie Timofeeva (Woronesch): Minderjährige Häftlinge der NS-Konzentrationslager in Gesellschaft und Gedächtnis Russlands

Wiebke Hiemesch (Hildesheim): „Wir waren keine Kinder. Wir waren kleine Greise noch bevor wir älter wurden.“ Erinnertes (Er-)Leben im Konzentrationslager Ravensbrück

Wei Zhuang (Wuhan): Kinder- und Jugendliteratur des jüdischen Exils in Shanghai (1933–1950)

Beate Müller (Newcastle): „Es war nicht richtig, daß Hitler die Juden ausstieß“. Judenverfolgung im Spiegel Nürnberger Schüleraufsätze 1946

Öffentliche Podiumsdiskussion im Festsaal des Alten Rathauses Leipzig
Moderation: Barbara Stambolis (Paderborn)

Konrad Jarausch (Chapel Hill)
Jürgen Reulecke (Gießen)
Peter Maser (Münster)
Heide Glaesmer (Leipzig)

Sektion IV: Kriegskindheiten im Film
Moderation: Andreas Kötzing (Dresden)

Markus Köster (Münster): Kriegskindheiten im Spiegel dokumentarischer Filmquellen

Michael Brodski (Mainz): Filmische Aufarbeitung von Kindheit im Zweiten Weltkrieg als Verschränkung von kindlicher Wahrnehmung und Trauma-Repräsentation

Ute Wölfel (Reading): Leinwand-Kindheit nach dem Krieg. Fünf europäische Kriegskinderfilme

Mona Bergmann (Leipzig): Kleine Hände – Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Präsentation des achtteiligen Dokumentarfilmprojekts für den SWR/Kika

Abschlussdiskussion: Alfons Kenkmann (Leipzig), André Postert / Francesca Weil (Dresden)


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
Sprache des Berichts