Markenschutz und Markenrechtsverletzungen in historischer Perspektive. 9. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte

Markenschutz und Markenrechtsverletzungen in historischer Perspektive. 9. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. – Arbeitskreis Marketinggeschichte
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.11.2015 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Florian Carl Eisenblätter, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte mbH

Die neunte Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. widmete sich einem Thema, das in Zeiten von Markenpiraterie und zahlreichen Markenrechtsverletzungen höchste Aktualität besitzt. Die Kennzeichnung von Gütern und Dienstleistungen mithilfe von Marken soll im Idealfall gleichsam Produzenten und Konsumenten helfen. Produzenten können mithilfe von Marken unter anderem für Kundenbindung sorgen und den angebotenen Produkten ein bestimmtes Image verschaffen und dieses pflegen. Kunden können mithilfe von Marken Produkte wiedererkennen und sich womöglich ein erstes Urteil über die Qualität des Angebotes verschaffen. So entstehen Markenunternehmen immense Schäden durch Markenpiraterie und Markenschutzverletzungen. Unter Markenpiraterie versteht man „die detailgetreue Imitation eines Angebotes, welches unter der illegal verwendeten Marke aber erheblich billiger (und qualitativ schlechter) als das Original angeboten wird“1. Aktuelle Beispiele verdeutlichen die Bedeutung des Markenschutzes als zentralen Bestandteil von Unternehmen mit eigenen Marken: Die Süßwarenhersteller Haribo und Lindt stritten sich jüngst um die Bezeichnung der von beiden Firmen angebotenen Goldbären, zwischen den Bankenkonzernen Sparkasse und Santander bzw. zwischen den Spirituosenherstellern Jägermeister und Underberg sind die Verwendung der Farben rot bzw. grün strittig.

Dieser immensen Bedeutung für aktuelle Unternehmen zum Trotz sind die Themen Markenschutz und Markenrechtsverletzungen historisch weitgehend unerforscht. PAUL ERKER (München) begründete in seinen einleitenden Ausführungen zur Sitzung des Arbeitskreises dieses geschichtswissenschaftliche Desiderat mit dem Sachverhalt, dass es sich bei den Unternehmensakten der Markenrechtsabteilungen um sehr sensible Akten handele, die für den in den Unternehmensarchiven recherchierenden Geschichtswissenschaftler daher oftmals nicht einsehbar seien. Dagegen könne Unternehmen gerade am Beispiel des Markenschutzes die Bedeutung einer geschichtswissenschaftlichen Erschließung ihrer Akten deutlich gemacht werden, so Erker. Zu einer gezielten – auch unternehmenshistorischen – Auseinandersetzung mit der Geschichte des Markenschutzes und der verschiedenen beteiligten Akteure wollte die Veranstaltung daher anregen.

NILS LANGEMANN (Wolfenbüttel) betonte in seinem Eröffnungsvortrag die Bedeutung der Marke Jägermeister für die Wolfenbütteler Mast-Jägermeister SE. Langemann leitet die Abteilung Recht & Markenschutz des Unternehmens. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte des Spirituosenherstellers machte Langemann deutlich, dass das gesamte Unternehmen auf die Marke Jägermeister hinarbeite, was ein enormes Potenzial für das Marketing und gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das Unternehmen im Falle nicht ausreichend gesicherter Markenrechte darstellen würde. Langemann stellte die Bedeutung des Markenschutzes unter anderem anhand angemeldeter Wortmarken, Bildmarken, Wortbildmarken, Hörmarken und stattgefundener Markenrechtsverletzungen eindrucksvoll dar. Alleine in Deutschland verfüge die Mast-Jägermeister SE über 650 angemeldete Marken. Insbesondere mit der Vervielfachung der Anzahl von Merchandising-Artikeln, die seitens der Mast-Jägermeister SE angeboten werden, sei auch das Arbeitspensum der Abteilung Markenschutz angestiegen. Langemann schilderte die Notwendigkeit des Markenschutzes für das Monomarkenunternehmen Mast-Jägermeister SE, das neben dem international bekannten Kräuterlikör Jägermeister zwar auch den Likör Schlehenfeuer vertreibe, jedoch nahezu ausschließlich mit dem Jägermeister verbunden werde.

Dieses unternehmensjuristische Beispiel griff ANDREAS SATTLER (München) auf und erläuterte im folgenden Vortrag die Entwicklung des Markenschutzes seit 1874 in rechtshistorischer Perspektive. Sattler schilderte den Werdegang des deutschen Markenschutzes, indem er die Möglichkeit der Emanzipation an Markenrechten und die Expansion des Markenschutzes beleuchtete. Emanzipation meinte in diesem Zusammenhang die „zunehmende Möglichkeit, über das Recht an der Marke zu verfügen“, Expansion, die „fortschreitende Anerkennung neuer Arten von Marken (von der Bildmarke über die Wortmarke zur Form-, Farb- und Positionsmarke) und [die] Ausweitung des markenrechtlichen Schutzumfangs“, so Sattler. Unter diesen Gesichtspunkten ging Sattler unter anderem auf das Markenschutzgesetz von 1874, das Gesetz über den Schutz der Warenbezeichnungen von 1894, das Warenzeichengesetz von 1936, die Markenrichtlinie von 1989, das Gesetz über die Erstreckung von gesetzlichen Schutzrechten von 1992 (Erstreckungsgesetz) und das aktuell geltende Markengesetz von 1995 ein. So betonte Sattler, dass sich im Laufe der rechtshistorischen Entwicklung des Markenschutzes die Emanzipation an den Markenrechten, also die „zunehmende Möglichkeit, über das Recht an der Marke zu verfügen“, ebenso ausgeweitet habe wie die „Anerkennung neuer Arten von Marken“ und der markenrechtliche Schutzumfang. Sattler resümierte, dass das Markenrecht ursprünglich Verbraucher und Markeninhaber vor allem vor Fälschung und Irreführung, und seit 1995 zusätzlich Image und Werbewert der Marken schützen sollte.

Die folgende Diskussion setzte an diesem Punkt an. Sie drehte sich insbesondere um die Frage, inwiefern im Rahmen des Markenschutzes neben dem Anbieterschutz auch der Verbraucherschutz deutlich werde und inwiefern in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten Kritik am Markenschutz zu beobachten gewesen sei.

Die folgenden drei Vorträge beleuchteten die Bedeutung von Marken und deren Schutz aus unternehmenshistorischer Perspektive. ANNA PAULI (Regensburg) referierte am Beispiel der Handelsmarke „formtreu“ zu Handelsmarken im Textileinzelhandel. Handelsmarken werden oft „auch als Händler- oder Hausmarken bezeichnet“ und „sind Waren- oder Firmenkennzeichen, mit denen eine Handelsunternehmung oder Verbundgruppe Waren markiert oder markieren lässt, um die so gekennzeichneten Waren exklusiv und im Allgemeinen nur in den eigenen Verkaufsstätten zu vertreiben“. Bei „formtreu“ handelte es sich um eine Handelsmarke des Bekleidungsunternehmens C&A. Während viele Handelsmarken von C&A ihren Ursprung in den 1960er-Jahren hätten, sei die Handelsmarke „formtreu“ bereits 1932 eingeführt worden. Die Kleidung, die unter der Marke „formtreu“ vertrieben wurde, sei durch eine spezielle Einlage formstabil gewesen und verknitterte somit weniger als andere Kleidung, so Pauli. Pauli erläuterte detailliert die Werbeaktionen, mittels denen auf „formtreu“ aufmerksam gemacht wurde, so beispielsweise einen sogenannten „Knüllapparat“, der, im Schaufenster aufgestellt, anhand des wiederholten automatischen Zusammenknüllens der Kleidung verdeutlichen sollte, dass Bekleidung der Marke „formtreu“ wenig verknitterte. Pauli betonte, dass es bereits in den 1930er-Jahren zahlreiche „formtreu“-Nachahmungen gegeben habe, denen C&A mittels einer Werbekampagne unter der Überschrift „Wie gut ‚formtreu‘ ist, sehen Sie an den vielen Nachahmungen“ offensiv begegnet sei. Pauli betonte, dass nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1950 gezielte Sonderwerbung für „formtreu“ einsetzte und C&A seine Markenrechte wenn nötig auch vor Gericht verteidigte. Pauli beendete ihren markenhistorischen Überblick mit der Feststellung, dass die Nachfrage nach „formtreu“ seit Mitte der 1960er-Jahre vor allem infolge modischer und herstellungstechnischer Entwicklungen rückläufig gewesen sei, sodass die Handelsmarke „formtreu“ Ende der 1990er-Jahre aus dem Sortiment genommen und der Eintrag beim Deutschen Patent- und Markenamt im Jahr 2008 gelöscht wurde.

BENJAMIN OBERMÜLLER (Düsseldorf) erläuterte anhand des Markenbeispiels Persil „patent- und markenrechtliche Probleme im frühen 20. Jahrhundert“. Der heutige Konsumgüterkonzern Henkel AG & Co. KGaA habe eine ähnliche Beziehung zur Marke Persil wie die Mast-Jägermeister SE zur Marke Jägermeister, so Obermüller: Für viele Konsumenten stehe Henkel für Persil und Persil für Henkel. Persil sei im Markenportfolio die zweitgrößte Marke hinter der Dachmarke Schwarzkopf und daher für den Konzernerfolg überaus wichtig. Obermüller vollzog zunächst die Geschichte von Henkel und der Marke Persil nach und erläuterte anschließend, wie es dazu kommen konnte, dass Waschmittel der Marke Persil in Großbritannien und Frankreich bis heute vom Henkel-Konkurrenten Unilever vertrieben wird. 1927 teilten Henkel und der damalige Lever-Konzern „die Welt in Persil-Interessengebiete auf. Zu Lever gehören England und Frankreich mit ihren Kolonien, zu Henkel – mit Vorbehalten […] – der ‚Rest‘ der Welt“. Obermüller verdeutlichte, dass sich diese Aufteilung bis heute nicht geändert habe und keine Rechte seitens Henkel zurückgekauft wurden. So zeigte der Vortrag eindrucksvoll die Gefahren einer nicht sorgfältigen Markenrechtssicherung auf, da die Marke Persil in der Vergangenheit für Henkel noch weitaus bedeutender war als heute. Schließlich hieße Henkel jahrelang Persilwerke, so Obermüller.

Der abschließende gemeinsame Vortrag von FLORIAN TRIEBEL und MANFRED GRUNERT (beide München) zeigte anhand eines Beispiels aus der Unternehmensgeschichte der BMW AG aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1954 die Gefahren bei nicht greifenden Institutionen auf, die die Markenrechte gegenüber konkurrierenden Ansprüchen eigentlich schützen sollten. Triebel und Grunert erläuterten, dass durch die Teilung Deutschlands nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Trennung des deutschen Wirtschaftsraums auch die Eisenacher BMW-Fabrik vom Münchener Stammwerk getrennt wurde. Die Referenten erläuterten, dass das schon vor dem Zweiten Weltkrieg Automobile produzierende Werk in Eisenach noch Ende der 1940er-Jahre die Automobilproduktion, unabhängig vom Münchener Stammwerk, wieder aufnahm, wodurch sich für BMW ein markenrechtlicher Konflikt ergab. Dieser ließe „sich zunächst nicht über übergreifend geltende Institutionen lösen“, so die Referenten. Für den Wiederaufbau des Münchener Unternehmens nach 1945 stellten die exklusiven Rechte für die Marke BMW ein äußerst wertvolles Gut dar. So habe die BMW AG offensiv seine Markenrechte eingeklagt. BMW sei so die Durchsetzung der eigenen Markenrechte gelungen. Die ehemalige BMW-Fabrik in Eisenach ging ab 1955 mit der neuen Marke Wartburg als VEB Automobilwerk Eisenach einen eigenen Weg. Der Vortrag unter dem Titel „BMW gegen BMW“ – also BMW München gegen BMW Eisenach – verdeutlichte anschaulich die Bedeutung gesicherter Markenrechte, besonders für den Wiederaufbau ehemaliger Markenunternehmen nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Triebel und Grunert schlossen resümierend auf die zahlreichen Markenprobleme, die sich durch die Teilung Deutschlands ergeben hätten und die gerade in den ersten Nachkriegsjahren ein massives Vorgehen – wie am Beispiel BMW deutlich wurde – erforderten, um mittels gesicherter Markenrechte den Wiederaufbau des eigenen Unternehmens erfolgreich betreiben zu können.

In der folgenden Diskussion wurde die Vorgehensweise BMWs zur Wiedererlangung der exklusiven Markenrechte aufgegriffen und betont, dass dem Thema „Automobil unter den Besatzungsmächten“ in der Geschichtswissenschaft als Teil der Automobil- und der deutsch-deutschen Geschichte erheblich mehr Beachtung geschenkt werden müsse. Darüber hinaus drehte sich die Diskussion um die Vorgehensweise von C&A zur Werbung und Produktion von Kleidung der Handelsmarke „formtreu“ in den Jahren zwischen 1942 und 1950.

Die Tagung verdeutlichte in anschaulicher Art und Weise anhand verschiedener unternehmens- und markenrechtshistorischer Beispiele die Bedeutung von Markenrechten und des damit zusammenhängenden Markenschutzes für Unternehmen in Vergangenheit und Gegenwart. Dieser geschichtswissenschaftlichen und auch betriebswirtschaftlichen Brisanz zum Trotz stellen ausführliche historische Untersuchungen zur Entwicklung des Markenschutzes und zu Markenrechtsverletzungen eine Ausnahme in der unternehmenshistorischen Forschung dar. So demonstrierten die Vorträge und Diskussionen der Tagung, dass exemplarische unternehmens- und markenhistorische Untersuchungen die Chance zum übergeordneten Vergleich bieten und somit eine Voraussetzung für eine überblicksartige Auseinandersetzung mit der Geschichte von Markenstrategien und des Markenschutzes darstellen. Abschließend wurde die weitere Vorgehensweise des Arbeitskreises Marketinggeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. besprochen. Demnach setzt der Arbeitskreis für anderthalb Jahre aus, um ab Frühjahr 2017 wieder zu tagen.

Konferenzübersicht:

Nils Langemann (Wolfenbüttel): Markenschutz bei Jägermeister im Wandel der Zeit

Andreas Sattler (München): Der Markenschutz seit 1874 in rechtshistorischer Perspektive

Anna Pauli (Regensburg): Die Einführung von Handelsmarken im Textileinzelhandel

Benjamin Obermüller (Düsseldorf): Patent- und markenrechtliche Probleme im frühen 20. Jahrhundert. Das Beispiel Persil (1907–1929)

Florian Triebel / Manfred Grunert (München): BMW gegen BMW. München vs. Eisenach 1945–1954

Anmerkung:
1 Daniel Markgraf, Markenpiraterie, in: Gabler Wirtschaftslexikon, URL: <http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/58371/markenpiraterie-v6.html> (11.01.2016).


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