Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins)

Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins)

Organisatoren
Universität Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.06.2015 - 20.06.2015
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Von
Christine Pflüger / Nicolai Weigel, Universität Kassel

Seit mittlerweile fünfzehn Jahren existiert die Forschungsgruppe „FUER Geschichtsbewusstsein“, die aus dem Forschungsprojekt zur Entwicklung eines Modells historischen Denkens hervorging und sich dem Ziel der Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins verschrieben hat. Die Mitglieder dieser Forschungsgruppe aus den Standorten der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz (Aarau, Basel), der Universitäten Eichstätt-Ingolstadt, Hamburg, Kassel, Köln, Paderborn, Rostock und Salzburg halten regelmäßig Doktorandenkolloquien ab, die dem wissenschaftlichen Austausch und der Förderung der Nachwuchswissenschaftler dienen.

In diesem Sommer organisierte die Universität Hamburg dieses Treffen und konnte einem sehr breiten Spektrum an wissenschaftlichen Arbeiten ein Forum bieten, welches dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Möglichkeit gab, das eigene Projekt vorzustellen und angeregt darüber zu diskutieren. Die ausführlichen Diskussionsrunden nach jedem Vortrag können sich auf zielgerichtete Fragen beziehen, welche vom Vortragenden formuliert wurden oder sich auf einer allgemeineren Ebene bewegen. Neben den Promotionsprojekten wurden auch Masterarbeiten vorgestellt, die das Potential für eine Dissertation zeigen.

ALEXANDER BUCK (Hamburg) geht innerhalb seines Promotionsvorhabens der Frage nach, über welche handlungsrelevanten Vorstellungen von Niveaus historischen Denkens Geschichtslehrer verfügen. Während des Vortrags stellte er zunächst seine theoretischen Überlegungen zur Graduierung von Kompetenzen historischen Denkens dar, bevor er verschiedene Erklärungsdimensionen für Niveauvorstellungen anhand aktueller Entwicklungen in der Lehrerforschung aufzeigte. Die Frage, welche er dabei aufwarf, bezog sich auf die Funktion derartiger Vorstellungen für die Modellierung von Geschichtslehrerkompetenzen. Im zweiten Teil seines Vortrags präsentierte Alexander Buck mehrere experimentähnliche Aufgaben, die als Gesprächsanlässe die geplanten Interviews mit Lehrkräften flankieren könnten, wobei er gleichzeitig auch auf Problematiken des qualitativen Designs einging und diese transparent machte. Er schloss seinen Vortrag, indem er der Arbeitsgruppe einige Aufgaben vorlegte und deren Bearbeitung im Anschluss diskutieren ließ. Dabei wurde deutlich, dass sein Projekt als wichtige Ergänzung der geschichtsdidaktischen Kompetenzdiskussion dienen kann. Als zukünftige Arbeitsschwerpunkte wurden der methodische Aufbau (Datenerhebung) und die weitere Berücksichtigung von bereits vorliegenden Konzepten zu Geschichtslehrerkompetenzen ausgemacht.

Im Rahmen ihrer Masterarbeit untersuchte ANNIKA STORK (Hamburg) Kategorien aus der „Systemic Functional Linguistic“ bei der Interpretation von historischen Argumentationen in der Unterrichtskommunikation zum Tragen kommen. Sie orientiert sich dabei an der Theorie von Caroline Coffin, welche eine Möglichkeit bietet, historische Urteile in unterschiedliche Ebenen aufzuschlüsseln und sowohl die Einordnung des konventionellen Bezugsrahmens (Judgement: Social Sanction vs. Social Esteem) vorzunehmen, wie auch die Perspektive des Urteils zu untersuchen (Engagement). Zusätzlich untersucht Stork die Steigerungsfähigkeit (Graduation) nach dem Modell von Caroline Coffin und versucht, eine Beziehung zwischen diesen unterschiedlichen Kategorien aufzudecken. Außerdem wird sie prüfen, inwiefern sich diese Methode als Instrumentarium zur Untersuchung der sprachlichen Form historischer Urteile eignet und welche sprachlichen Merkmale historischer Urteile sich daraus ergeben. Die Anschlussfrage, wie diese historischen Urteile geschichtsdidaktisch einzuordnen sind, möchte Annika Stork ebenfalls in ihrer Arbeit beantworten.

INA OBERMEYER (Eichstätt-Ingolstadt) beschäftigt sich in ihrem Forschungsvorhaben mit der Lehrerfortbildung zur Förderung eines kompetenzorientierten Unterrichts im Geschichtsunterricht der Mittelschule. Sie hat das Ziel, die Lehrerkompetenz und das Wissen der fachfremd unterrichtenden Lehrkräfte über die Entwicklung von Lernaufgaben weiterzuentwickeln. Zentral ist dafür das vorhandene Theoriewissen darüber, wie historische Denkprozesse bei Schülerinnen und Schülern ablaufen. Bei ihrer Präsentation zeigte Obermeyer, dass die Entwicklung von Verständnis für den historischen Lernprozess maßgeblich für die Gestaltung des Unterrichts ist und großen Einfluss auf diesen besitzt. Ebenso stellte sie fest, dass die Lernaufgaben einen besonders eleganten Weg darstellen, dieses Ziel zu erreichen, da sie den Lehrkräften bekannt sind. Nachdem Sie eine Einteilung unterschiedlicher Lernaufgaben vornahm, explizierte sie die Vorteile der ausgewählten Aufgabenart, da der Denkprozess transparenter werde und die Lehrkräfte ein Verständnis für den konstitutiven Zusammenhang von Denkprozess und Unterrichtsgestaltung entwickeln, die sich gegenseitig bedingen.

In seinem Projekt untersucht NICOLAI WEIGEL (Kassel) die Anwendung von Kenntnissen und Kompetenzen anhand der Bearbeitung von Aufgaben zu Alternativgeschichten. Er stellte in seinem Vortrag den aktuellen Stand seiner Überlegungen zu einem Untersuchungsdesign dar, bei dem der Umgang mit kontrafaktischer Geschichte im Mittelpunkt steht. Mittels dieser Untersuchung möchte er feststellen, über welche Konzepte und Vorgehensweisen die Probanden (Schüler oder Lehramtsstudierende zu Beginn ihres Studiums) verfügen, um mit solchen Narrationen umzugehen. Da dieses Gebiet bislang noch nicht erforscht ist, wurde sehr schnell deutlich, dass die Arbeit einen explorativen Charakter hat und dazu dienen wird, grundlegende Zusammenhänge festzustellen. Dabei möchte er durch ein dekonstruktives Design den Denk- und Lernprozess transparent werden lassen, den die Probanden während der Bearbeitung der Aufgaben durchlaufen. Weigel verspricht sich durch die Arbeit mit kontrafaktischen Narrationen eine andere Qualität der Ergebnisse, da der Konstruktcharakter von „Geschichte“ (bzw. Narrationen) deutlicher wird. Als Folgeziel ist die Erstellung eines ersten, prototypischen Untersuchungsdesign samt Pilotierung geplant.

BENJAMIN BRÄUER (Eichstätt-Ingolstadt) umriss in seinem Vortrag seinen pragmatisch orientierten Ansatz von Orientierungsangeboten bzw. -anstößen, der auf die Initiation individueller Denkprozesse historischer Orientierung in heterogenen Gruppen abzielt. Sein Ziel ist es dabei, Konstruktionsprinzipien für Lerngelegenheiten zu entwickeln, die ein größeres Potential aufweisen, als nur als Anlässe zur Reorganisation von historischer Orientierung zu dienen. Nach Darlegung der theoretischen Grundlagen seiner Arbeit wies Bräuer darauf hin, dass vor allem die sozial und individualbiografisch geprägten Dimensionen des Wahrnehmungshorizonts, wie auch die Aufmerksamkeit beeinflussenden subjektiven Bedürfnisse und Intentionen in den Fokus zu rücken sind. Als Grundlage dieses Prozesses sei vor allem auf verschiedenen Zeitebenen Unterschiedliches als Gleiches zu erkennen. Elementar dafür seien vor allem Begriffskonzepte die er dafür genauer untersuchen möchte.

DORIS GEBERT (Hamburg) beschäftigte sich in ihrer Masterarbeit mit Sinnbildungsprozessen von Schülerinnen und Schülern mit Hilfe der Methode der „Mini-Exhibition“. Sie berichtete, dass bei einem Besuch der Ausstellung im Mahnmal St. Nikolai in Hamburg eine Vielzahl von Fotografien seitens der Schülerinnen und Schüler erstellt wurden, um auf dieser Basis eigene historische Narrationen zu erstellen. Gebert stellte Auswahlprozesse dar, die seitens der Schülerinnen und Schüler in einer Gruppenarbeit erfolgten und bei der vor allem die Begründungen der Bildauswahlen eine zentrale Rolle spielten und stellte dabei fest, dass die Schülerinnen und Schüler sehr streng nach ihren Vorstellungen von historischer Relevanz entschieden. Ebenfalls stellte sie den Tagungsteilnehmern eine interessante Entdeckung bezüglich der eigenen Verbundenheit und Identifikation der Schülerinnen und Schüler mit der regionalen Geschichte vor, die von sich selbst zumeist behaupteten, dass die Ausstellung nichts mit ihnen oder ihrer Geschichte zu tun habe, gleichzeitig jedoch in Interviews die Geschichte mit sich in Bezug gesetzt und das Mahnmal für ihre eigene Gegenwart als historisch relevant empfunden hätten. Ihre Arbeit könnte dazu beitragen die Sinn- und Wertzuschreibungen bei Schülerinnen und Schülern transparenter werden zu lassen, um so neue Erkenntnisse im Bereich des außerschulischen historischen Lernens zu gewinnen.

Den Abschlussvortrag des diesmaligen FUER-Doktorandenkolloquiums übernahm ROBERT DITTRICH (Köln) mit seiner Arbeit zur Bildungstheorie, die – wie Peter Schulz-Hageleit es postulierte – zwischen den Jahren 1968 bis 1988 „heftig angegriffen“ worden sei. In seinem disziplingeschichtlichen Vortrag wies er anhand von zeitgenössischen Publikationen die Ansätze zur Kritik an der Bildungstheorie nach, wobei er dies immer wieder durch Auszüge von Zitaten unterstrich. Nachdem er viele Beispiele von namhaften Geschichtsdidaktikern und -theoretikern anführte, kam Dittrich zu der Einschätzung, dass der Kritik in diesen Jahren tatsächlich sehr vehement Ausdruck verliehen wurde. Seinen Vortrag schloss er mit dem Ausblick, dass trotz dieser Auseinandersetzung nicht der „Vatermord“ eine zwingende Konsequenz sein muss, sondern die „Aussöhnung“ nach einer historischen Revision und nachfolgender Resignifikation durchaus in Betracht käme.

Das nächste FUER-Nachwuchskolloquium wird im Februar 2016 in Kassel stattfinden, um in etablierter Form erneut ein Podium für den konstruktiven, wissenschaftlichen Austausch für Nachwuchswissenschaftler zu bieten.

Konferenzübersicht:

Alexander Buck (Universität Hamburg): Vorstellungen von Geschichtslehrkräften zu Niveaustufen historischen Denkens. Empirische Einordnung und Interview-Workshop

Annika Stork (Universität Hamburg): „Sprache und historische Urteile“

Ina Obermeyer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): "Die Vermittlung des Paradigmas der Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht der Mittelschule an (fachfremd) unterrichtende GSE-Lehrkräfte durch kompetenzorientierte Aufgabenstellungen im Rahmen einer Lehrerfortbildung"

Nicolai Weigel (Universität Kassel): "Was wäre, wenn...“ - Inhaltlicher Aufbau und Konstruktion einer empirischen Untersuchung mittels kontrafaktischer Geschichte

Benjamin Bräuer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Historische Orientierungsanlässe

Doris Gebert (Universität Hamburg): "Sinnbildungen von Schülerinnen und Schülern in St. Nikolai in Hamburg. Geschichtsdidaktische Analyse eines Ausstellungsbesuchs mit Hilfe der Methode der 'Mini-Exhibition'"

Robert Dittrich (Universität zu Köln): Vatermord? - Eine Differenzierung der "heftigen Kritik" an der bildungstheoretischen Geschichtsdidaktik zwischen 1968-1988

Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer:

Bodo von Borries (Universität Hamburg)
Andreas Körber (Universität Hamburg)
Waltraud Schreiber (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Wolfgang Hasberg (Universität zu Köln)
Christine Pflüger (Universität Kassel)
Johannes Meyer-Hamme (Universität Paderborn)
Oliver Plessow (Universität Rostock)
Jan Albroscheit (Universität Hamburg)
Alexander Buck (Universität Hamburg)
Jan Breitenstein (Universität Hamburg)
Doris Gebert (Universität Hamburg)
Annika Stork (Universität Hamburg)
Benjamin Bräuer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Ina Obermeyer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Michael Werner (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Lale Yildirim (Universität zu Köln)
Robert Dittrich (Universität zu Köln)
Nicolai Weigel (Universität Kassel)
Julia Thyroff (Universität Basel)
Martin Nitsche (PH der Fachhochschule Nordwestschweiz)


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Deutsch
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