"La cosa è scabrosa". Musikkulturelles Handeln auf den Opernbühnen in Wien um 1780. Symposium zu Wolfgang Amadeus Mozarts und Lorenzo da Pontes „Le nozze di Figaro“

"La cosa è scabrosa". Musikkulturelles Handeln auf den Opernbühnen in Wien um 1780. Symposium zu Wolfgang Amadeus Mozarts und Lorenzo da Pontes „Le nozze di Figaro“

Organisatoren
Institut für Musik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburgisches Staatstheater
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.07.2015 - 05.07.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Johanna Imm / Nina Jaeschke, Institut für Musik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Anlässlich der Inszenierung von „Le nozze di Figaro“ kooperierte das Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg erneut mit dem Staatstheater Oldenburg bei der Veranstaltung eines Symposiums zu Wolfgang Amadeus Mozarts und Lorenzo da Pontes „Le nozze di Figaro“. Der Schwerpunkt des vom 03. bis 05. Juli 2015 im Oldenburger Staatstheater stattfindenden Symposiums wurde dabei auf das musikkulturelle Handeln auf den Opernbühnen in Wien um 1780 gelegt.

Diese Schwerpunktsetzung hatte zur Folge, dass nicht alle Vortragenden ihre Thesen und Ausführungen ausschließlich auf die Oper „Le nozze di Figaro“ beschränkten. Vielmehr erlaubte die Panelstruktur – (1) Neue Perspektiven auf die Musikkultur um 1800, (2) Opera Buffa: Konturen eines Genres, (3) Akteurinnen und Akteure der Opera Buffa, (4) Figaro Hören, Spielen, Inszenieren – einen gelungenen Einstieg auch für diejenigen im Publikum, die sich nicht professionell mit der Thematik auseinandersetzen: Von der Musikkultur um 1800 und das Genre der Opera buffa führten die Vortragenden das Publikum über konkrete Akteurinnen und Akteure schließlich zur aktuellen Inszenierung des „Figaro“. Der gelungenen Dramaturgie der Tagung folgend, wurde der zweite Tagungstag mit einem gemeinsamen Besuch der Oper „Le nozze di Figaro“ im Oldenburger Staatstheater abgerundet.

Nach Grußworten des Generalintendanten des Oldenburgischen Staatstheaters Christian Firmbach sowie der Prodekanin der Fakultät III der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Sabine Kyora, wurde das Symposium von MELANIE UNSELD (Oldenburg) mit einleitenden Gedanken eröffnet.

Im ersten Panel galt es, die Wiener Opernlandschaft sowie die Musikkultur um 1800 aus neuen Perspektiven zu betrachten und neue Forschungsansätze zu erläutern und zu diskutieren. So stellte TOM WAPPLER (Oldenburg) das Konzept der Intertextualität in das Zentrum seines Vortrags. Dabei ging Wappler auf die Definition von Text nach Julia Kristeva ein, der kulturtheoretisch aufgefasst werden müsse und neben dem literarischen Text beispielsweise auch Bilder, Gesten, Mode und Geschichte meint. Zudem wies er auf die bewusst eingesetzte Intertextualität in Wiener Opern um 1800 hin und machte dies an ausgewählten Beispielen fest. Auch Wappler kam nicht umhin das „unentwirrbare Knäuel“ des Flyers der Veranstaltung auf die Verbindungen der verschiedenen Texte anzuwenden. Ebenso wie Tom Wappler thematisierte THOMAS BETZWIESER (Frankfurt am Main) das „intertextuelle Wirrwarr“ der Wiener Oper und warf dabei einen genauen Blick in den Operntext von „Prima la musica e poi le parole“. Betzwieser betonte, dass Intertextualität in der Musik schwieriger nachvollziehbar sei als beispielsweise in einem literarischen Text. Dennoch stellte er zusammenfassend dar, dass ein hoher Grad an Selbstreflexivität sowie Komplexität der Trans- und Intertextualität als Qualitätsmerkmal einer metatheatralen Opera buffa fungierte. Zum Abschluss des ersten Tages führte CAROLA BEBERMEIER (Oldenburg), die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit den Skizzenbüchern Celeste Coltellinis beschäftigt hatte, durch eine Ausstellung dieser Skizzenbücher und lieferte damit einen vielschichtigen Einblick in das Leben und Wirken einer Sängerin des 18. Jahrhunderts.

Am zweiten Tagungstag setzte sich die wohldurchdachte Struktur der Tagung fort, indem SUSANNE RODE-BREYMANN (Hannover) über das Konzept des „kulturellen Handelns“ sprach. Dieses Konzept verfolgt das Ziel, musikalische Akteurinnen und Akteure aus dem Schatten der Genies zu rücken. Es handelt sich um ein wissenschafts- und kulturkritisches Konzept, das eine Enthierarchisierung realisieren soll, die wiederum eine kulturelle Teilhabe von Aufführenden, Rezipienten, Mäzenen etc. an der Musikkultur ermöglicht. Dieser Paradigmenwechsel, der den Fokus auf „ästhetische Arbeiterinnen und Arbeiter“ legt, ermögliche nach Rode-Breymann die Kultur – als Praxis – ganzheitlich zu erfassen. ANKE CHARTON (Wien) schloss das erste Panel mit einem Vortrag über die Theaterlandschaft Wiens ab. In dem Vortragstitel scheint sich mit „Verschränkungen und Verkehrungen“ erneut das Bild des Knäuels wiederzufinden. Sie stellte heraus, dass sich die theatrale Kommunikation wandelt und eine neue Art des Denkens Einzug in die Theaterlandschaft hält – nämlich mit der Verwirklichung eines neuen Subjektbegriffs. In der Verkehrung der Geschlechter, der Umkehrung der Ständeordnung sowie der Thematisierung des Alters in einer Liebesbeziehung erkennt Charton einen gesellschaftlichen Umbruch, der revolutionäre Sprengkraft verspricht.

MICHELE CALELLA (Wien) eröffnete das zweite Panel und nahm dessen Titel sogleich in seinem Vortrag auf, indem er die Konturen der Opera buffa – exemplarisch an der Saison 1783/84 – darstellte. In seinen Ausführungen beleuchtete Calella den gattungshistorischen Hintergrund von „Le nozze di Figaro“. Dabei nennt er den „Figaro“ als eine der Opern, die den Einfluss des Sprechtheaters auf die Opera buffa widerspiegeln. Das Repertoire des Wiener Burgtheaters in der Spielzeit 1783/84 vertritt Tendenzen des dramma giocoso, was mit dem Übertreten „der stilistischen Grenzen sowohl nach oben als auch nach unten“ einhergeht und eine spezielle Komik erzeugt. Schließlich sprach Calella von einem Trendwechsel in der Opera buffa, der jedoch deren Grundgerüst weitgehend unangetastet ließe. Nachdem Michele Calella seine angekündigte „vorläufige Bestandsaufnahme“ vorgenommen hatte, widmete sich INGRID SCHRAFFL (Wien) einer detaillierteren Betrachtung des „Le nozze di Figaro“ und verwendete dabei den Spiel-Begriff als Schlüssel zum Verständnis der Oper. Anhand ausgewählter textlicher sowie musikalischer Beispiele führte Schraffl in die spieltheoretisch nachvollziehbare Struktur des „Figaro“ ein. So argumentierte sie, dass die Handlung ein Strategiespiel nachbilde, in dem verschiedene Spieler gegen einander antreten und schließlich mehrere Spieler als Sieger aus dem Spiel hervorgehen. In der Oper treten Spielernaturen auf, die das Versteckspiel – ein Spiel im Spiel – beherrschen und sich mit Lügen aus heiklen Situationen zu retten wissen. Schraffl sprach von einem raffinierten Strategiespiel, das in dieser Komplexität und Dichte der Verstrickungen in den Werken der Zeitgenossen kaum vorkäme.

Auch in Panel 3 – Akteurinnen Und Akteure – setzte sich die gelungene Dramaturgie der Tagung fort. DANIEL BRANDENBURG (Bayreuth/ Salzburg), der mit seinem Vortrag über Mozart und die „edlen Buffi“ wunderbar an Ingrid Schraffls (Wien) Ausführungen zur Ebene des Spiels in „Le nozze di Figaro“ anknüpfen konnte, sorgte gleichzeitig dafür, dass die Grundlagen für die darauf folgenden Detailbetrachtungen THOMAS SEEDORFS (Karlsruhe) geschaffen wurden. Während Brandenburg sich vorrangig mit der Gattung der Opera buffa, dem Perspektivwandel in der Betrachtung der Opern Mozarts sowie der Praxis der Opera buffa in Wien im Vergleich zu Italien auseinandersetzte, thematisierte Thomas Seedorf die kreative Herausforderung des ‚Maßnehmens’ der Sängerinnen und Sänger am Beispiel von Storace, Benucci und Mozart. Wie zuvor schon von Brandenburg angemerkt, wurde hier sehr deutlich, dass es sich bei dem hohen Mitsprachrecht der Sängerinnen und Sänger innerhalb der Produktion keinesfalls um künstlerische Einschränkungen handelte, sondern um eine kreative Herausforderung, der Mozart sich – wie jeder andere Komponist dieser Zeit – stellte. Im Anschluss daran wurde von CAROLA BEBERMEIER (Oldenburg) mit einem Vortrag über Celeste Coltellini schließlich eine Akteurin der Opera buffa konkret in den Blick genommen. Ihre Ausführungen, die einen kleinen Einblick in ihre Dissertation erlaubten, thematisierten dabei vor allem Coltellinis Zeit als Primadonna der Opera buffa in Wien. Die eingehende Betrachtung Coltellinis erwies sich nicht nur als Exempel für das Leben vieler anderer bekannter Sängerinnen dieser Zeit, sondern ist auch für die neuere Biographikforschung von Bedeutung.

Im letzten Panel, das mit Figaro Hören, Spielen, Inszenieren überschrieben war, wurde thematisch ein Sprung in die Gegenwart unternommen. Der Vortrag von Christine Siegert musste leider entfallen, sodass sich der letzte Tagungstag auf das Werkstattgespräch mit Vito Christófaro, der die musikalische Leitung für den Figaro innehatte, sowie Steffi Turre, welche für die Dramaturgie zuständig war, konzentrierte. Die Diskutanten gaben Auskunft über die Produktion von „Le nozze di Figaro“ am Oldenburgischen Staatstheater.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Neue Perspektiven auf die Musikkultur um 1800

Melanie Unseld (Oldenburg): „La cosa è scabrosa“ – die Sache ist heikel! Einleitende Gedanken zu den Verwicklungen rund um „Le nozze di Fogaro“

Tom Wappler (Oldenburg): „Prima... e poi...“ – Intertextualität als musikkulturelle Praxis vor, auf und neben der Bühne

Thomas Betzwieser (Frankfurt am Main): Intertextualität zum Zuschauen – oder Nachlesen: Salieris metamelodramma „Prima la musica e poi la parole“ (Wien 1786)

Carola Bebermeier (Oldenburg): Führung durch die Ausstellung zu den Skizzenbüchern Celeste Coltellinis im Staatstheater

Susanne Rode-Breymann (Hannover): Das Konzept „kulturellen Handelns“. Einige grundsätzliche Überlegungen

Anke Charton (Detmold): „E con quel dritto ch’oggi prendi su me“: Verschränkungen und Verkehrungen sozialer Ordnungskategorien im „Figaro“

Panel 2: Opera Buffa: Konturen eines Genres

Michele Calella (Wien): Die Spielzeit 1783/84 und die „neue“ Opera buffa in Wien

Ingrid Schraffl (Wien): „Ah, ah, capiso il gioco“. „Le nozze di Figaro“ im Rahmen einer spieltheoretischen Betrachtung der Opera buffa

Panel 3: Akteurinnen und Akteure der Opera Buffa

Daniel Brandenburg (Bayreuth/Salzburg): Mozart und die „edlen Buffi“

Thomas Seedorf (Karlsruhe): Storace – Benucci – Mozart. Maßnehmen für Figaro und Susanna

Carola Bebermeier (Oldenburg): „La Coltellini fesoit un grand effet à Vienne!“ – Celeste Coltellini als Primadonna der Opera buffa in Wien

Staatstheater: Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte: „Le nozze di Figaro“, Regie: Rudolf Frey, Musikalische Leitung: Vito Cristófaro

Panel 4: Figaro Hören, Spielen, Inszenieren

Christine Siegert (Bonn): Aufnahmen von Mozarts da Ponte-Opern zwischen Kodifizierung und Variabilität der Werkgestalt

Werkstattgespräch mit Vito Cristófaro (Musikalische Leitung) und Steffi Turre (Dramaturgie)


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