Arbeitsmarkt, Familienpolitiken und die Geschlechterfrage – deutsch-französische Perspektiven

Arbeitsmarkt, Familienpolitiken und die Geschlechterfrage – deutsch-französische Perspektiven

Organisatoren
Organisateur / Veranstalter: Gilbert Achcar, Centre Marc Bloch (CNRS-URA 1795); Helena Hirata , Genre et rapports sociaux (GERS), Paris; Mechthild Veil, Büro für Sozialpolitik und Geschlechterforschung in Europa, Frankfurt/Main; Hildegard Matthies, Dagmar Simon, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2004 - 13.11.2004
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Von
Kristiane Jornitz

Die Stärkung des deutsch-französischen Dialoges zur Geschlechterfrage war Anlass für Dagmar Simon und Hildegard Matthies (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - WZB) gemeinsam mit Gilbert Achcar (Centre Marc Bloch, Berlin), Mechthild Veil (Büro
für Sozialpolitik und Geschlechterforschung in Europa, Frankfurt) und Helena Hirata (Genre Et Rapports Sociaux, GERS, Paris) Expertinnen aus beiden Länder zusammenzurufen. Die Geschlechterordnung in Deutschland und Frankreich ist insbesondere in den letzten Jahrzehnten verstärkt in Bewegung geraten. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist rapide gestiegen, was die wohlfahrtsstaatlichen Systeme vor neue Herausforderungen hinsichtlich der Gewährleistung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten stellt. Parallel dazu befindet sich der Sozialstaat auf Grund der anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit in einer tiefen finanziellen und legitimatorischen Krise. Die Orientierung am tradierten Eheleitbild mit männlichem Familienernährer und allerhöchstens zuverdienender Ehefrau verliert zunehmend an Realität. Vor diesem Hintergrund lag der Fokus des Workshops auf der Erkundung der wechselseitigen Beeinflussung von Staat, Familie und Arbeitsmarkt und der Frage nach konvergenten oder divergenten Geschlechterverhältnissen und -politiken der beiden Länder.

1. Themenschwerpunkt
Angemahnt: Eine gesellschaftstheoretisch kritische Methodologie der Forschung

Der einleitende Vortrag von Danièle Kergoat (GERS, Paris) kritisierte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung: Gegenwärtig existiere das Primat des deskriptiven Paradigmas, reflexive Analysen, die theoretisch fundierte Erklärungen für die vorgefundene Wirklichkeit liefern, seien dagegen unterrepräsentiert. Die deskriptiven Analysen des Arbeitsmarktes bezögen sich lediglich auf die statistische Erfassung und Beschreibung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Der Fokus bliebe auf die Erwerbsarbeit beschränkt, der Bereich der Hausarbeit werde hingegen gänzlich ausgeblendet. Reflexive Analysen seien jedoch unabdingbar, denn nur mit diesen könnten auch die hinter den empirisch beobachtbaren Phänomenen liegenden Machtinteressen erfasst werden. Die Definition der Hausarbeit als "Ware Arbeit" und der Verweis von Frauen auf die unentgeltlich geleistete Reproduktionsarbeit definiere das Geschlechterverhältnis als ein hierarchisches zuungunsten von Frauen. Zu unterscheiden seien dabei die beiden durchgängigen Prinzipien der Teilung in männliche und weibliche Arbeiten und die Hierarchisierung durch eine Höherbewertung der männlichen Arbeitsbereiche. Durch diese beiden Prinzipien werde die hierarchische Geschlechterordnung stabilisiert, denn auch wenn sich die jeweils historisch spezifischen Praxen permanent veränderten (Ebene der Modalitäten), werde die Geschlechterhierarchie immer wieder neu konstruiert, fände auf der Ebene der Prinzipien keine Veränderung statt. Eine gesellschaftshistorische, reflexive Perspektive müsse weiterhin auch einen internationalen Vergleich einschließen, denn nur dieser ermögliche ein adäquates Verständnis der gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse, die eng mit dem Klassenverhältnis verknüpft seien. Letzterer Aspekt war auch für die Analyse Helena Hirata`s zentral: Gegenwärtig sei hinsichtlich der Vereinbarkeitsproblematik ein Anstieg des "modèle de la délégation" zu beobachten. Frauen gelangten zunehmend in höhere Positionen auf dem Arbeitsmarkt, diese Besserverdienenden hätten die Möglichkeit und seien darauf angewiesen, Versorgungsarbeiten an andere dienstleistende Frauen zu delegieren. Einer gut situierten und hochbezahlten Klasse von Frauen stünde damit auf der anderen Seite eine schlecht abgesicherte und niedrig bezahlte gegenüber.

2. Themenschwerpunkt
Differenziert: spezifische Ebenen der Arbeitsmarktsegregation

Hildegard Matthies hob auf der Grundlage ihrer aktuellen Forschungsergebnisse die auf der Tagung für die Analyse der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation weitestgehend vernachlässigte organisationale Ebene hervor. Ihre Sekundäranalyse von Studien zur Geschlechterdifferenz in Organisationen hat ergeben, dass auf der formalen Ebene Geschlecht keine Relevanz hätte, vielmehr Geschlechterdifferenzen und -hierarchisierungen erst auf der Mikroebene über stereotype Geschlechterbilder der Organisationsmitglieder aktiviert würden. Dieser Befund verdeutliche, dass Maßnahmen zum Abbau der Geschlechterdifferenz und -hierarchie vorrangig am Abbau stereotyper Geschlechterbilder der Organisationsmitglieder ansetzen müssten. Die für eine Analyse der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation relevante Ebene der Berufsfeldanalyse fokussierte Nicky Le Feuvre (Université de Toulouse le Mirail) in ihrem Vortrag. Es reiche nicht aus, die geschlechtsspezifische Hierarchisierung von Berufen rein nach der quantitativen Verteilung von Frauen und Männern in den Berufsfeldern zu bewerten, da auch vertikale Hierarchien relevant seien. Anhand des spezifischen Felds der Technologieentwicklung verdeutlichte Danielle Chabaud-Rychter (GERS, Paris) schließlich einmal mehr die tiefgreifende Verwobenheit von geschlechtlichen Differenzierungen und Hierarchisierungen auf Grund der permanenten Konstruktion von Geschlecht.

3. zentraler Themenschwerpunkt
Wechselwirkungen analysiert: Zusammenhang von Kinderbetreuung, Familien- und Arbeitsmarktpolitik

Jacqueline O'Reilly (Universität of Sussex/WZB, Berlin) hob das stark differierende Staatsverständnis innerhalb Frankreichs und Deutschlands hervor: In laizistisch republikanischer Tradition existiere in Frankreich eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat. Die politische Tradition sähe den Staat in der Verpflichtung alle Bürger zu "citoyens" zu bilden, somit stehe die Politik verstärkt in der Verantwortung, umfassende Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu gewährleisten und Frauen wie Männern eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu ermöglichen. Dagegen sei die politische Kultur in Deutschland auf der Bismarckschen Sozialgesetzgebung fußend immer noch durch ein traditionelles Familienmodell geprägt. Kindererziehung werde vorrangig als Privatsache - und damit weiterhin "Frauensache" - verhandelt, der im Gegensatz zu Frankreich starke Einfluss der Kirche auf die Sozialpolitik verstärke die Tradition eines eher konservativen Familienbildes. Die gegenwärtig vorzufindenden Differenzen seien vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Traditionen erklärbar: Mechthild Veil zeigte, dass Frankreich gegenwärtig die höchste Geburtenrate in ganz Europa aufweist, da ein umfassendes Netz an öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten vorhanden und die Arbeitsmarktpolitik auf Vollzeiterwerbstätigkeit von Vätern und Müttern ausgerichtet sei. Im Gegensatz dazu arbeiteten in Deutschland Frauen in der Regel Teilzeit, und es mangele an öffentlichen Kinderbetreuungsangeboten. Hierin zeigt sich zum einen, dass Familienpolitik, Arbeitsmarkt und Geschlechterbeziehungen untrennbar zusammen gehören. Zum anderen wird deutlich, dass die politische Praxis der Kinderbetreuung trotz ähnlicher struktureller Entwicklungen der Industrieländer auf der Makroebene erheblich variiert und dafür ein Geflecht aus ökonomischen, politischen und kulturelle Faktoren ausschlaggebend ist. Darauf verwies auch Jaqueline Heinen (PRINTEMPS, Université de Versailles-Saint-Quentin-en-Yvelines) für den gesamteuropäischen Vergleich, in dem sie den politischen Willen als entscheidend für die Ausgestaltung der Familienpolitik hervorhob. Heinens Plädoyer für die Gestaltungskraft der Politik und einer "feminisation" derselben durch die aktive Beteiligung von Feministinnen, wies insbesondere auch die kommunalpolitische Ebene als zentral aus. Hier fänden sich innerhalb einzelner europäischer Länder beispw. hinsichtlich der Kinderbetreuungsmöglichkeiten oft größere Unterschiede als zwischen den Ländern.

Anne Sales (Université de Picardie-Jules Verne, Amiens) stellte in ihrem detaillierten Ländervergleich der familienpolitischen Ausrichtung jedoch auch Gemeinsamkeiten fest: In beiden Ländern sei die Politik sowohl auf die bessere Eingliederung von Müttern in den Arbeitsmarkt ausgerichtet als auch darauf, Väter verstärkt am Erziehungsurlaub zu beteiligen. Die Regierungen böten dementsprechend finanzielle Anreize, wenn der Erziehungsurlaub verkürzt, bzw. von beiden Elternteilen genommen wird. Der auf beiden Staaten lastende Druck der Kostenersparnis und der Bewältigung der steigenden Arbeitslosigkeit hätte für Frauen ambivalente Auswirkungen: Während Frankreich versuche den öffentlichen Haushalt durch private Betreuungsformen zu entlasten, unternähme Deutschland gegenwärtig den Versuch Ganztagsschulen durchzusetzen. Dieser politischen Absicht mangele es jedoch an einem durchsetzungsfähigen Konzept. Aktuell sei somit eher zu beobachten, dass sich die Sozialpolitiken beider Länder durch eine Abwärtsspirale zunehmend angleichen, wie auch Catherine Marry (LASMAS-CNRS et MAGE, Paris) hervorhob. Petra Beckmann (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Frankfurt) verwies auf den hohen Stellenwert, den die Arbeitsmarktpolitik der Europäischen Union (EU) inzwischen auf die Politik der Mitgliedsländer hat. Sie problematisierte, dass die von der EU angestrebte Erhöhung der Beschäftigungsquote von Frauen, die vorhandenen geschlechtsspezifischen Unterschiede nicht abbaue. Die Beschäftigungsquote erfasse auch Teilzeitbeschäftigte und Beschäftigte in Elternzeit. Da diese beiden Gruppen überproportional mit Frauen besetzt seien, werde der Anteil der Frauenbeschäftigung mit der Erfassung der Beschäftigtenquote systematisch überschätzt. Eine Erhöhung der Beschäftigungsquote sei somit nicht zwangsläufig mit einem Anstieg des Erwerbsvolumens von Frauen verbunden. Die Lösung sieht Petra Beckmann in einer konsequenten Beschäftigungsentwicklung der EU.

In der abschließenden Diskussionsrunde - und auch hier wurde deutlich, dass der Schwerpunkt der Tagung eher in der theoriegeleiteten Analyse der politischen Praxis, denn in wissenschaftlichen Theoriedebatten lag - konnten zusammenfassend sowohl Konvergenzen als auch Divergenzen hinsichtlich der Entwicklung in Deutschland und Frankreich resümiert werden. Divergenzen wurden erstens an der unterschiedlichen Staatsideologie und einer damit im Wechselverhältnis stehenden unterschiedlichen Mentalität der Menschen festgemacht. Diesen unterschiedlichen Traditionen sei es auch zuzuschreiben, dass Teilzeitarbeit in Deutschland als Chance für Frauen bewertet werde, in Frankreich hingegen stark negativ konnotiert sei. Zweitens wurden Divergenzen in den politischen Strategien zur Arbeitsmarktintegration von Frauen konstatiert. Konvergente Entwicklungen würden zunehmend durch die verbindenden arbeits- und sozialpolitischen Vorgaben der EU gefördert. Der sich durch Globalisierung verschärfende Druck zur Suche nach marktgerechten Lösungen für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse bewirkten in Deutschland und Frankreich eine sich annähernde Reform der sozialen Sicherung. Als sehr bedenklich wurde jedoch die in beiden Länder stattfindende Zunahme prekärer Beschäftigung von Frauen ausgewiesen. Dieses Ergebnis ging für die Französinnen mit der Forderung nach einer gemeinsamen feministischen politischen Bewegung einher, dagegen blieben die deutschen Referentinnen eher der deskriptiven Ebene verhaftet.

Mir persönlich wurde noch einmal deutlich, dass die alte feministische Forderung der möglichst hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen inzwischen zwiespältig geworden ist: Der Zwang zu häufig prekärer Erwerbsarbeit bringt in steigendem Maße eine Überlastung der Einzelnen mit sich, die durch Zuständigkeit für Erwerbs- und Versorgungsarbeit mit geringerer sozialer Absicherung gekennzeichnet ist. Nichterwerbstätigkeit von Frauen kann jedoch nicht die Alternative sein, da Frauen damit gesellschaftlich exkludiert sind. Feministische Theorie und Politik muss sich dieser Problematik widmen - hier kann das verbindende Interesse beider Nationen liegen.

Zum Ende der Tagung wurde geplant, den Austausch in einer weiteren Veranstaltung zu vertiefen. Themenschwerpunkt könnte die Auswirkung der neoliberalen Tendenzen in Europa auf die Situation in Deutschland und Frankreich sein.


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