Politischer Journalismus – Öffentlichkeiten – Medien im 19. und 20. Jahrhundert

Politischer Journalismus – Öffentlichkeiten – Medien im 19. und 20. Jahrhundert

Organisatoren
Kultur- und Mediengeschichte der Universität des Saarlandes; Siebenpfeiffer-Stiftung Homburg/Saar
Ort
Rastatt
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.11.2004 - 21.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Frank Bösch, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Es ist mittlerweile kaum noch umstritten, dass Medien nicht bloß als Abbild der Gesellschaft zu begreifen sind, sondern als eigenständige Akteure mit eigenen Logiken. Sie vermitteln Vorstellungen von der Gesellschaft und gestalten diese mit. Dieser Perspektivenwechsel führte in den letzten Jahren zunehmend zu Arbeiten, die mit einem kulturgeschichtlich geprägten Blick politische Prozesse untersuchen und die eigenständige Rolle von Medien- und Kommunikationsstrukturen berücksichtigen. Dennoch liegen bislang nur wenige, vornehmlich institutionengeschichtlich geprägte Studien zum Verhältnis von Politik, Medien und Öffentlichkeiten vor. Wie sich dieses Beziehungsgeflecht vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart entwickelte, untersuchte nun eine von Clemens Zimmermann (Saarbrücken) und der Siebenpfeiffer-Stiftung veranstaltete Tagung. Angesichts der Breite des Themas konnte sie selbstverständlich nur einzelne Pflöcke in die Forschungslandschaft schlagen. Clemens Zimmermann glich dies mit einem breit angelegten Einleitungsvortrag aus, der Entwicklungslinien des politischen Journalismus seit dem 19. Jahrhundert aufzeigte. Ein gewisses Leitmotiv bildete - wie bei vielen neueren mediengeschichtlichen Arbeiten - auch bei dieser Tagung die kritische Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas Oeuvre. Mit Blick auf Habermas betonte Zimmermann es als eine vordringliche Aufgabe, die Entwicklung und das Verhältnis von verschiedenen Teilöffentlichkeiten zu untersuchen und nach den Auswirkungen zu fragen, die der Strukturwandel der Öffentlichkeit auf das Selbstverständnis und die Praxis der Journalisten hatte. Andreas Gestrich (Trier) vertiefte den Blick auf Habermas, in dem er aus der Diskussion über den "Strukturwandel der Öffentlichkeit" Forschungsperspektiven ableitete. Habermas Bedeutung für die Untersuchung des politischen Journalismus sah er vor allem darin, dass sein Ansatz eine Rückbindung an eine breitere Gesellschaftsanalyse ermögliche.

Die folgenden, stärker empirisch ausgerichteten Fallanalysen zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Beziehung von Politik, Medien und Öffentlichkeiten annäherten. Die Vorträge nahmen vor allem drei verschiedene Blickwinkel ein, die mitunter auch verbunden wurden: Eine Gruppe von Referaten betrachtete Medien und Öffentlichkeiten aus der Sicht von Politikern, die Wahlkämpfe führten oder mediale Rahmenbedingungen gestalteten; eine zweite Reihe von Vorträgen argumentierte aus dem Selbstverständnis und den Praktiken der Journalisten heraus; und eine dritte Gruppe von Referenten richtete schließlich den Blick stärker auf die Verleger, die sowohl aus politischen als auch aus ökonomischen Kalkülen heraus handelten.

Wie schwer die Herausbildung des politischen Journalismus in Deutschland zu fassen ist, zeigte Christian Müllers (Heidelberg) Vortrag über die Publizisten des Jungen Deutschlands im Vormärz. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand die These, dass die Autoren des Jungen Deutschlands über ihre Literatur das Erbe der Religion übernehmen wollten. Im Hinblick auf ihren politischen Journalismus machte er ein Auseinanderfallen von Intention und Wirkung aus: Trotz des elitären Stils und Anspruchs der Autoren hätten ihre Schriften auch Unterschichten politisiert. Die anschließende Diskussion konzentrierte sich vor allem auf die Frage, inwieweit die Religionskritik dieser Publizisten als allgemeine Gesellschaftskritik zu verstehen ist. Da das "Junge Deutschland" im hohen Maße durch die Definitionsmacht der staatlichen Zensur entstand, fügte sich Elmar Wadles (Saarbrücken) Untersuchung über den rechtlichen Rahmen, in dem sich Journalisten im 19. Jahrhundert bewegten, nahtlos an. Die vieldiskutierte Bundesakte von 1815 bewertete der Rechtshistoriker als eine tatsächliche Chance zu einem presserechtlichen Neubeginn, der dann jedoch bekanntlich scheiterte. Da die Zensurentwicklung für das 19. Jahrhundert bereits gut erforscht ist, analysierte Wadle vornehmlich die bislang wenig beachtete Etablierung des Urheberrechtes, das sich in den 1830er Jahren von den Zensurgesetzen löste. Zugleich stellte er aber anhand einer Petition des Wolffschen Telegraphen-Büro dar, dass der Versuch, journalistische Werke als Eigentum zu schützen, im 19. Jahrhundert scheiterte. Einen äußerst anschaulichen Eindruck über den Zusammenhang von staatlichen Pressionen und publizistischer Agitation gab anschließend Wolfgang Michalka (Heidelberg/Rastatt), der mit einer Führung durch die "Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte" im Rastatter Schloss insbesondere die Dynamiken der 1848er Revolution darstellte und Formen der Erinnerungskultur aufzeigte.

Ein zweiter Tagungsabschnitt widmete sich dem Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik in den Jahrzehnten um 1900, die als eine zentrale Transformationsphase angesehen werden können. Da die Medialisierung der Politik heute vor allem in Verbindung mit Wahlkämpfen ausgemacht wird, scheint deren Genese von besonderem Interesse. Hans-Peter Becht (Stuttgart/Pforzheim) machte bei seinem Vortrag über die Wahlkämpfe im Kaiserreich eine geringe "Macht der Bilder" vor 1914 aus und wies den Printmedien eine untergeordnete Bedeutung zu. Anzeigen in Zeitungen seien der wichtigste Dienst der Presse gewesen. Bedeutender als die Zeitungen waren laut Becht Flugschriften, da man ihnen eine größere Seriosität zugeschrieben habe. In der Diskussion entspann sich vor allem eine Debatte darüber, ob die Rolle der Presse nicht höher zu veranschlagen wäre, wenn man die überregionalen Zeitungen, die regionalen Parteizeitungen und die illustrierten Unterhaltungsblätter stärker berücksichtigen würde. Die Entwicklung der Massenpresse im frühen 20. Jahrhundert betrachtete Jörg Requate (Bielefeld). Er plädierte dafür, sich von zeitgenössischen Begriffen wie "Sensationspresse" zu lösen und von Mischstrukturen auszugehen. So hätten sich einerseits in den 1920er Jahren sämtliche Zeitungstypen stärker den Leserbedürfnissen angenähert, andererseits aber gerade die kommerziellen Generalanzeiger ein deutlicheres politisches Profil ausgebildet. Barbara Duttenhöfer (Saarbrücken) verknüpfte in ihrem anschließenden Vortrag über "Innovationen um 1900" das Aufkommen des investigativen Journalismus, des Frauenjournalismus und die zunehmende Visualisierung. Sie unterstrich, dass Frauen nicht nur über die Publikationen der Frauenbewegungen, sondern auch über die allgemeinen Zeitungen und Illustrierten ihre Agitation in der Öffentlichkeit platzieren konnten. Insbesondere die "Berliner Illustrirte Zeitung" ermöglichte dabei einen visuellen Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit. Während sich ein Großteil der bisherigen Zeitungsforschung auf die überregionale Presse konzentrierte, setzte Gerd Meier (Bielefeld) einen Gegenakzent, indem er die Innovationspotenziale der Weimarer Regionalpresse untersuchte. Am Beispiel von bürgerlichen Generalanzeigern in Westfalen stellte er für die 1920er Jahre eine wachsende Leserorientierung fest, die sich in einer Zunahme der Lokalberichte, Unterhaltungsteile und Visualisierungen niederschlug. Ihre kommerziell orientierte politische Offenheit zeigte sich darin, dass sie durchaus über die linken Parteien berichteten und diesen Möglichkeiten zur Selbstdarstellung gaben, wenn auch der Grundtenor sich gegen die Sozialdemokraten richtete und sie um 1930 einen stärkeren Rechtsschwenk aufwiesen. Dagegen stellte Meier für die sozialdemokratische Lokalpresse eine geringe Innovationsfähigkeit und eine große Angst vor der "Amerikanisierung" ihrer Presse fest, wodurch sie lediglich engere Parteianhänger angesprochen habe. Erst die Auflagenerfolge der bürgerlichen Blätter hätten teilweise kurz vor Beginn der Diktatur eine Vergrößerung ihrer Unterhaltungsteile eingeleitet.

Der dritte Abschnitt der Tagung richtete sein Augenmerk auf die Bundesrepublik. Thomas Mergel (Bochum) fragte, welches Interdependenzverhältnis zwischen Politik und Medien seit der Staatsgründung jeweils dominierte. Für die Ära Adenauer machte er eine Dominanz der Politik aus, für die sechziger Jahre dagegen den Beginn eines unabhängigen Journalismus. Dabei unterstrich er das Ethos der Überparteilichkeit und Ausgewogenheit der deutschen Journalisten. Mit dem Aufkommen des Privatfernsehens habe sich dieses Verhältnis in mehrfacher Hinsicht geändert. Der Code eines Konflikts von "links" und "rechts" habe sich "innen" und "außen" verwandelt, so dass auch konservative Medien Kritik an Regierungen äußerten. Die Politik sei dagegen in die Defensive geraten und müsse stärker um mediale Aufmerksamkeit kämpfen, da Medien nicht mehr auf ihre Nachrichten angewiesen seien. Im Anschluss daran untersuchte Daniela Münkel (Hannover) die Wahlkampfkultur der frühen Bundesrepublik mit einem vertieften Blick auf den SPD-Wahlkampf von 1969, den sie als ersten Wahlkampf im Sinne der Konsumwerbung ausmachte. Er sei nicht als "Amerikanisierung" zu fassen, sondern als eine durch amerikanische Vorbilder geprägte Modernisierung, da insbesondere die Parteien ihren Einfluss behielten. Die Diskussion kreiste im hohen Maße darum, inwieweit der vorgeführte Werbespot Brandts mit der Ikonographie von Hitlers Wahlfilmen korrespondierte - vom Flugzeug über das blonde Mädchen bis hin zum Auftritt mit Hund. Den Abschluss der Tagung bildete schließlich ein Beitrag des Praktikers Karl Geibel (Leonberg), der den Prozess der zunehmenden Pressekonzentration seit den sechziger Jahren diskutierte. Für die Zukunft prognostizierte er weitere Fusionen, weshalb der Gesetzgeber eingreifen müsse.

Die Tagung versuchte somit mehr, als einer Sozialgeschichte des Journalismus nachzuspüren. Ihre vielseitigen Perspektiven eröffneten unterschiedliche mediengeschichtliche Zugänge, die im Idealfall gleichzeitig zu berücksichtigen sind. Die Konferenz machte zudem deutlich, dass eine Mediengeschichte sich auf keinen Fall auf die Wiedergabe von Medieninhalten konzentrieren darf, da sie sonst im Sinne einer zirkulären Schleife Medien mit ihren Eigenaussagen deuten würden. Da kaum Aktenbestände aus den deutschen Redaktionen überliefert sind, ist jedoch die Gefahr eines staatlichen Blickwinkels ebenso vorgezeichnet wie die Vernachlässigung der eigensinnigen Aneignung der situativen Öffentlichkeit. Dass man in diese Fallen nicht tappen muss, zeigten viele Tagungsbeiträge, indem sie die Medienentwicklungen in Verbindung mit gesellschaftlichen Prozessen analysierten. Eine Publikation der Beiträge ist für das nächste Jahr geplant.


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts