Wiederhergestellte Synagogen. Raum – Geschichte – Wandel durch Erinnerung

Wiederhergestellte Synagogen. Raum – Geschichte – Wandel durch Erinnerung

Organisatoren
Benigna Schönhagen, Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.03.2015 - 22.03.2015
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Von
Souzana Hazan, Museumsdependance in der ehemaligen Synagoge Kriegshaber, Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben

Das öffentliche Interesse an den wenigen Synagogen, die die Zerstörungen der NS-Zeit und die Umnutzungen der Nachkriegszeit überstanden haben, setzte in Deutschland erst um 1980 ein. Voraussetzung dafür war der Beginn einer kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Die verschiedenen Phasen der Erinnerungskultur und die schwierige Suche nach einem angemessenen Umgang mit den ehemaligen Synagogen spiegeln sich in den unterschiedlichen Restaurierungs- und Nutzungskonzepten, die seitdem verwirklicht wurden.

In der Stadt Augsburg gibt es zwei Synagogengebäude, die die NS-Zeit unzerstört überstanden haben. Die Große Synagoge, die 1938 geschändet und im Innern verwüstet worden war, wurde vierzig Jahre nach Kriegsende wiederhergestellt. Seitdem wird sie von der Israelitischen Kultusgemeinde und dem Jüdischen Kulturmuseum gemeinsam genutzt. Im Mai 2014 hat das Museum auch die ehemalige Synagoge im Stadtteil Kriegshaber als Zweigstelle von der Stadt Augsburg übertragen bekommen. Seitdem wird die Dependance schrittweise zu einem zweiten Museumsstandort ausgebaut. Dabei will das Museum die Erfahrungen berücksichtigen, die andernorts mit renovierten Synagogen gemacht wurden, die heute von keiner jüdischen Gemeinde mehr genutzt werden. Es lud deshalb Expertinnen und Experten aus jüdischen Museen und Gedenkstätten nach Augsburg ein, um mit ihnen verschiedene Ansätze der Öffentlichkeit vorzustellen und im Hinblick auf den Ausbau der Museumsdependance zu erörtern.

In ihrer Begrüßung stellte BENIGNA SCHÖNHAGEN (Augsburg) die Situation in Kriegshaber vor: Die ehemalige Synagoge im heutigen Augsburger Stadtteil Kriegshaber, die um 1725 in einem Wohnhaus eingerichtet wurde, ist das älteste erhaltene jüdische Gotteshaus in Bayerisch-Schwaben. Im damals selbstständigen Ort auf dem Territorium der habsburgischen Markgrafschaft Burgau stellten Juden Mitte des 18. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit. Die Nähe zur Reichsstadt Augsburg ließ in Kriegshaber eine kleine, vermögende jüdische Oberschicht aus Hoffaktoren entstehen, die ihre Synagoge mit anspruchsvollem Kultgerät ausstatteten. Die wenigen Ritualgegenstände, die die NS-Zeit überdauert haben, sind heute in Museen und Privatsammlungen in aller Welt verstreut. Die Synagoge, in der bis um 1942 Gottesdienste stattfanden, blieb als einziges jüdisches Gotteshaus in der Region beim Novemberpogrom 1938 vor Übergriffen verschont. Der Tora-Schrein ist folglich nahezu intakt erhalten. 1955 ging das Gebäude in den Besitz der Stadt Augsburg über und stand danach Jahre lang leer. Die behutsame Sanierung durch das Hochbauamt Augsburg zwischen 2011 und 2013 machte Spuren der jahrzehntelangen Vernachlässigung sichtbar, das Gebäude wurde bewusst nicht in einen Idealzustand zurückversetzt.

In einem anregenden Eröffnungsvortrag zeichnete FELICITAS HEIMANN-JELINEK (Wien) den Bewusstseinswandel im Umgang mit ehemaligen Synagogen in den letzten 30 Jahren nach, der von der detailgetreuen Wiederherstellung der Häuser ohne Beter zum modernen denkmalpflegerischen Ansatz der Spurensicherung führte. Während die früheren Sanierungsbeispiele, die nach jahrzehntelanger Zweckentfremdung einen möglichst vollständigen Rückbau anstrebten, sowohl die Verwüstungen der NS-Zeit als auch den oft ebenso verantwortungslosen Umgang mit den ehemaligen Synagogengebäuden nach 1945 verschleierten und ihnen zudem eine Sakralität verliehen, die ihnen nicht mehr innewohnt, so lenken neuere Konzepte bewusst die Aufmerksamkeit auf die Narben, die Zerstörung und Umnutzung hinterließen.

Die erste Runde des Symposiums machte mit Häusern bekannt, in denen das denkmalpflegerische Konzept der Spurensicherung in unterschiedlichem Maße umgesetzt wurde. KARLHEINZ GEPPERT (Rottenburg am Neckar) stellte mit der Gedenkstätte Synagoge Rottenburg-Baisingen in Baden-Württemberg eines der frühsten Beispiele für diesen Ansatz vor. Bei der Instandsetzung der 1784 errichteten Synagoge zwischen 1988 und 1998 wurden alle wichtigen Spuren ihrer Geschichte konserviert und so neben der ursprünglichen Nutzung als Gotteshaus auch ihre Demolierung im Zuge des Novemberpogroms und die anschließende Zweckentfremdung als Scheune abgebildet. Eine Dauerausstellung auf der ehemaligen Frauenempore informiert anhand von Originalobjekten und -dokumenten über die Geschichte der einstigen Landjudengemeinde und ihrer Synagoge. Die 1998 eröffnete Gedenkstätte wird ausschließlich durch ehrenamtliche Mitarbeiter betreut; Nachwuchsgewinnung stellt ein dringliches Problem dar.

Anhand der ehemaligen Synagoge Memmesldorf in Oberfranken berichtete HANSFRIED NICKEL (Memmelsdorf) von Wegen und Perspektiven der didaktischen Arbeit in ehemaligen Synagogen, die spurensichernd saniert wurden. Der 1996 ins Leben gerufene Trägerverein entwickelte in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern ein einzigartiges Nutzungskonzept für die 1728/29 errichtete ehemalige Synagoge, in dessen Mittelpunkt die selbsttätige Auseinandersetzung der Besucherinnen und Besucher mit den Überresten aller historischen Phasen des Gebäudes steht. Ein als Ergänzung konzipierter, interaktiver Informationsraum regt dazu an, sich mit einzelnen jüdischen Familienschicksalen aus Memmelsdorf auseinanderzusetzen und die Geschichte von Synagoge und jüdischer Gemeinde mit Ereignissen aus der Ortsgeschichte in Beziehung zu setzen.

Sind die ehemaligen Synagogen in Baisingen und Memmelsdorf beispielhaft für Gedächtnisorte „von unten“, die auf das wesentliche Engagement von Bürgern zurückgehen und weiterhin von diesem gestützt werden, so gab INES BEESE (Erfurt) anhand der Alten und Kleinen Synagoge Erfurt einen Einblick in einen Ansatz, der auf öffentlicher Initiative beruht und so offenbar nur am Ende der ehemaligen DDR existierte. Dort begann die Suche nach Zeugnissen jüdischen Lebens, angestoßen von staatlicher Seite, erst kurz vor dem Mauerfall. In diesem Zusammenhang wurde das Gebäude der Kleinen Synagoge, die von 1840 bis um 1885 als Gebetsraum der Erfurter Juden gedient hatte und danach einer profanen Nutzung zugefügt worden war, wiederentdeckt. 1992 beschloss der Erfurter Stadtrat Restaurierung, Nutzung und Betreibung des Gebäudes, das sechs Jahre später nach Beseitigung aller Spuren der Umnutzung seine Türen als Begegnungsstäte öffnete. Bei der mittelalterlichen Alten Synagoge, die 2009 als Museum eröffnete, entschied man sich hingegen dazu, die unterschiedlichen Bauphasen des Gebäudes nicht zu „übertünchen“, sondern in das Ausstellungskonzept zu integrieren, um daran die wechselvolle Geschichte der ersten jüdischen Gemeinde im Mittelalter zwischen Ansiedlung und Vertreibung zu veranschaulichen. Träger der Alten und der Kleinen Synagoge ist die Landeshauptstadt Erfurt; die enge Zusammenarbeit mit der Jüdischen Landesgemeinde und anderen Gedenkstätten in der Stadt ist ein wichtiges Anliegen.

Die zweite Runde zu Museen mit Dependancen konzentrierte sich auf das Jüdische Museum Frankfurt, das inzwischen an vier historischen Orten über die jüdische Geschichte informiert. Ausgehend von der Beobachtung, dass jüdische Museen sich viel öfter als andere Museen an authentischen Schauplätzen präsentieren, etwa in ehemaligen Synagogen, jüdischen Wohnhäusern oder aber Orten der Verfolgung, hinterfragte FRITZ BACKHAUS (Frankfurt am Main) zunächst die Idee des authentischen Orts. Die Authentizität von Gedächtnisorten war von zentraler Bedeutung für die deutsche Erinnerungskultur und prägte seit den 1980er-Jahren die Entstehung von zahlreichen Gedenkstätten mit. Auch jüdische Museen verstehen sich als „Monumente der Erinnerung“. Die Bespielung eines authentischen Orts ist für sie Chance und Herausforderung zugleich, hängt die Faszination solcher Orte mitunter stärker mit den Vorstellungen und Emotionen zusammen, die sie evozieren, als mit den tatsächlich wahrnehmbaren Überresten. Bei der Neukonzeption der Dauerausstellung im Haupthaus im ehemaligen Rotschild-Palais und im Museum Judengasse versucht auch das Jüdische Museum Frankfurt die historischen Schauplätze stärker in die museale Präsentation einzubinden und gleichzeitig beide Häuser enger aufeinander zu beziehen. So wird das Museum Judengasse künftig jüdisches Leben in Frankfurt bis um 1800 präsentieren, während im klassizistischen Rotschild-Palais jüdische Geschichte nach dem Ende des Frankfurter Ghetto ihren Platz finden soll.

Die dritte Runde nahm ehemalige Synagogen mit angeschlossenen Forschungsstätten in den Blick. Am Beispiel der ehemaligen Synagoge in der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten und des dort angesiedelten Instituts für jüdische Geschichte Österreichs gewährte MARTHA KEIL (St. Pölten) einen Einblick in die spannungsreiche Entwicklung der österreichischen Erinnerungskultur. Die 1913 eingeweihte Synagoge, die beim Pogrom 1938 beschädigt worden war, stand bis Ende der 1970er-Jahre leer und verfiel zusehends. Plänen, das Gebäude abzureißen und das Areal neu zu bebauen, widersetzte sich das Bundesdenkmalamt. Die Restaurierung, die von 1980 bis 1984 umgesetzt wurde, gab den ursprünglichen Charakters des Raums zugunsten der Schaffung eines attraktiven Veranstaltungsorts auf; Spuren der Zerstörung wurden überdeckt und bis dahin noch erhaltene Elemente der kultischen Nutzung abgetragen. Die Gründung des Forschungsinstituts im „Bedenkjahr“ 1988 war ein Meilenstein in den Bemühungen, jüdische Geschichte in die Geschichte Österreichs zu integrieren. Neben der Installation einer Dauerausstellung bespielt das Institut, inzwischen als gemeinnütziger Verein eingetragen, die ehemalige Synagoge seit 2008 mit Veranstaltungen, Schülerworkshops und künstlerischen Interventionen. Im Mittelpunkt stehen dabei Projekte, die zu einer aktiven gegenwartsbezogenen Auseinandersetzung mit dem Raum und seiner Geschichte anregen.

MARTINA EDELMANN (Veitshöchheim) berichtete über das Jüdische Kulturmuseum Veitshöchheim und die Arbeit des Genisa-Projekts, das dort seit 1998 untergebracht ist. Ein großer Genisa-Fund in der Synagoge von Veitshöchheim hatte fünf Jahre zuvor den Anlass für die Museumsgründung gegeben. Der barocke Synagogenbau aus dem Jahr 1730 wurde zwischen 1986 und 1994 gemäß der damals noch vorherrschenden Praxis und dank eines umfangreichen Fundes von verbautem Mobiliar einschließlich der kompletten Innenausstattung detailgetreu wiederhergestellt; Spuren der Zweckentfremdung als Feuerwehrhaus wurden abgetragen. Da die Synagoge nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten neu eingeweiht wurde, ist sie heute wieder kultfähig und wird von der jüdischen Gemeinde Würzburg gelegentlich für Gottesdienste genutzt. Auf dem Gebiet der Erschließung von Quellen zur Geschichte des Landjudentums in der Frühen Neuzeit leistet das Genisa-Projekt inzwischen Pionierarbeit. Denn die Restaurierungen zahlreicher Synagogen förderten seit den 1980er-Jahren bedeutende Genisa-Funde zutage, für deren systematische Erforschung es bisher keine Fachkräfte gab. Das von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern und dem Bezirk Unterfranken finanzierte Projekt will in Zukunft alle bereits inventarisierten und digitalisierten Genisa-Funde Bayerns Forschern und anderen Interessierten als Online-Datenbank zur Verfügung stellen.

Das Symposium endete mit einer Podiumsdiskussion, die die Chancen und Herausforderungen im Hinblick auf die künftige Nutzung der Ehemaligen Synagoge Kriegshaber und die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung reflektierte. Der nahezu authentisch erhaltene Kultraum samt ehemaliger Rabbinerwohnung inmitten des weitgehend erhaltenen, unter Ensembleschutz stehenden jüdischen Viertels ist ein einzigartiges, heimat- wie regionalgeschichtlich bedeutsames Monument, darüber waren sich die Diskussionsteilnehmenden einig. Besonderes Potential sahen sie ebenso in der Abbildung der Geschichte einer herausragenden frühneuzeitlichen jüdischen Gemeinde zwischen Stadt und Land wie in der gegenwartsbezogenen Verortung in einem abgelegenen Stadtteil mit hohem Migrantenanteil und großem Wachstumspotential. Als Gegenstück zur großen Synagoge in der Augsburger Innenstadt mit der historischen Dauerausstellung des Jüdischen Kulturmuseums könnte die Museumsdependance in Zukunft einen geeigneten Raum für verschiedene Experimente bieten, von einem partizipatorischen Museum über einen inklusiven Nutzungsansatz bis hin zum Ort künstlerischer Inspirationen und kultureller Arbeit.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung in die Situation in Kriegshaber
Benigna Schönhagen (Augsburg)

Grußwort
Reiner Erben (Augsburg)

Eröffnungsvortrag:
Felicitas Heimann-Jelinek (Wien), Die Synagoge und ihre Metamorphosen. Gotteshäuser – Leerstellen – Gedenkstätten

1. RUNDE: SANIERTE SYNAGOGEN
Moderation: Benigna Schönhagen

Karlheinz Geppert (Rottenburg am Neckar), Der Nachhall einer verschwundenen Welt. Die Gedenkstätte Synagoge Baisingen

Hansfried Nickel (Memmelsdorf), Lernort Synagoge, Spuren erzählen Geschichte – ein Beispiel für das Zusammenwirken von restauratorischem und didaktischem Konzept

Ines Beese (Erfurt), Die Alte und die Kleine Synagoge Erfurt. Sanierung, Nutzung, Verortung im Netzwerk

2. RUNDE: MUSEEN MIT DEPENDANCEN
Moderation: Felicitas Heimann-Jelinek

Fritz Backhaus (Frankfurt am Main), Authentische Schauplätze? – Die Standorte des Jüdischen Museums Frankfurt

3. RUNDE: EHEMALIGE SYNAGOGEN MIT ANGESCHLOSSENER FORSCHUNGS- ODER TAGUNGSSTÄTTE
Moderation: Monika Müller (Augsburg)

Martha Keil (St. Pölten), Synagoge als Projektionsraum? Die Ehemalige Synagoge St. Pölten und das Institut für jüdische Geschichte Österreichs

Martina Edelmann (Veitshöchheim), Das Genisaprojekt des Jüdischen Kulturmuseums Veitshöchheim

Podiumsdiskussion
Felicitas Heimann-Jelinek, Fritz Backhaus und Ines Beese
Moderation: Otto Lohr (München)


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