Offene Lizenzen in den Digitalen Geisteswissenschaften

Offene Lizenzen in den Digitalen Geisteswissenschaften

Organisatoren
Münchner Zentrum für Digitale Geisteswissenschaften, Bayerische Akademie der Wissenschaften
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.04.2015 - 28.04.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Jörg Wettlaufer, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen / GCDH; Ulrike Wuttke, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen / Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek

Vom 27.-28. April 2015 fand in München die Tagung „Offene Lizenzen in den Digitalen Geisteswissenschaften“ statt. Veranstaltet vom Münchner Zentrum für Digitale Geisteswissenschaften in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter der Organisation von Eckart Arnold, waren sowohl Juristen als auch Vertreter geisteswissenschaftlicher Fächer als Sprecher geladen. Die sieben, über zwei halbe Tage verteilten, Vorträge deckten dabei einen breiten Bereich von Lizenzfragen in den Geisteswissenschaften ab und diskutierten deren Anwendung in Gedächtnisinstitutionen, Forschungsprojekten und Organisationen wie der Open Knowledge Foundation.

Die erste Session wurde von Hubertus Kohle (München) moderiert, der sich schon mehrfach, zuletzt auf dem DH Summit 2015 in Berlin, als Kunsthistoriker mit Fragen des Urheberrechts im digitalen Zeitalter beschäftigt hat. GEORG HOHMANN (München), Leiter der IT-Abteilung des Deutschen Museums, eines der weltweit größten Museen für Technikgeschichte, stellte in seinem Vortrag die Bandbreite der aktuellen Lizenzpolitik der Museen im In- und Ausland hinsichtlich digitalisierter Bestände sowie der dazugehörigen Metadaten vor und machte deutlich, dass Open Access (OA) und kommerzieller Gewinn sich nicht ausschließen müssen. Oftmals erreichten die Museen über die gesteigerte Präsenz in digitalen Medien und durch eine offene Lizenzpolitik für ihre Daten neue Besucherkreise, so dass zusätzliche Einnahmen generiert werden können. Ein internationaler Leuchtturm sei die offene Lizenzpolitik des Rijksmuseum in Amsterdam, das beinahe alle Digitalisate und die dazugehörigen Metadaten unter der Lizenz CC BY (mit einem API) zur Verfügung stellt und im „Rijksstudio“ zum digitalen Arbeiten mit seinen Beständen einlädt.1 Andere Museen, wie das Getty Museum oder das Victoria und Albert Museum, bieten neben hochauflösenden Digitalisaten für private und wissenschaftliche Zwecke und offenen Metadaten (Linked Open Data) auch Bildvertriebsportale für kommerzielle Weiterverwerter an. Die Erfahrung zeige, dass gerade bei kleineren Gedächtnisinstitutionen das bisher klassische Modell über Bildrechte zusätzliche Einkünfte zu schaffen nicht aufgeht, da die Verwaltungskosten meist die Einnahmen übersteigen. Momentan lägen die deutschen Gedächtnisinstitutionen bei der Verwendung offener Lizenzen und der Erprobung neuer Marketingstrategien leicht zurück und es sei angesichts des Trends zu Open Content ein gewisser Nachholbedarf zu verzeichnen.2

Der Vortrag des Kunsthistorikers HARALD KLINKE (München) thematisierte Open Access vor dem Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Überlegungen im Rahmen seiner Bemühungen zur Gründung eines „International Journal for Digital Art History“.3 Während der Gründungsphase trat verstärkt seitens der Autoren (und zukünftigen Leser) der Wunsch nach OA auf und im Kreis der Herausgeber wurden verschiedene Optionen zur Finanzierung der auftretenden Kosten diskutiert, die Klinke in seinem Vortrag darlegte. Der Referent plädierte am Ende zwar für ein OA-Modell für die zukünftige Zeitschrift, konnte aber keine konkreten Lösungen für die von ihm diskutierten Finanzierungsprobleme benennen.

In der zweiten Session, moderiert von Stephan Hoppe (München), wandte sich SUSANNE DOBRATZ (Berlin) aus Sicht ihrer langjährigen Verlagserfahrung im universitären und außeruniversitären Bereich den Möglichkeiten, Herausforderungen und Nachteilen bisher gängiger OA-Publikationswege für geisteswissenschaftliche Monographien zu. Jede der vier Möglichkeiten, die Publikation über einen klassischen Verlag mit OA-Geschäftsmodell, über einen Universitätsverlag (neueren Stils) mit OA-Geschäftsmodell, ein institutionelles Repositorium, das häufig von Universitäten oder Bibliotheken betrieben wird, sowie die Publikation über ein so genanntes Selfpublishing-Portal (wie zum Beispiel epubli) habe ihre Vor- und Nachteile. OA bietet für geisteswissenschaftliche Monographien große Chancen für breitere Publizität und Kenntnisnahme der Forschungsergebnisse, aber jeder Autor muss die Vor- und Nachteile (evtl. geringeres Renommee des Verlags, höherer Anteil der redaktionellen Eigenarbeit und technische Herausforderungen bei der Vorbereitung der Drucklegung sowie die entstehenden Kosten) für sich selbst gegeneinander abwägen. Als Fazit stellte die Referentin fest, dass keines der vorgestellten Modelle ideal für geisteswissenschaftliche Monographien ist und diesbezüglich Optimierungsbedarf besteht und man anfangen müsse, gezielter über neue Modelle nachzudenken. An dieser Stelle sei als Anregung beigegeben, dass inzwischen vergriffene Werke nachträglich öffentlich zugänglich gemacht werden können, in dem der Verleger (auf Anregung der Autoren) bei Google Books die Freischaltung der Vollansicht von Monographien beantragt, auch wenn sie noch nicht gemeinfrei sind. Leider können die Urheber hier nicht selbst tätig werden, sondern in der Regel vermittelt der Verlag.

Den Abschluss des Tages besorgte ERIC STEINHAUER (Berlin), Professor an der Humboldt Universität zu Berlin und Dezernent für Medienbearbeitung an der Universitätsbibliothek Hagen, mit einem brillanten Vortrag zum Thema „Creative Commons und Rhetorik“. Mit seiner Ausgangsthese „Die Lizenz ist für ein unkörperliches Medienwerk das funktionale Äquivalent für das Sacheigentum am gedruckten Buch“ zielte er auf einen zentralen Aspekt des digitalen Medienwandels, der Transformation vom körperlichen Buch zum „unkörperlichen“ digitalen Buch, dessen Eigentumsverhältnisse und Verwendungspraktiken momentan fortdauernden Aushandlungsprozessen unterliegen. So existiert ein digitales Buch im Gegensatz zum gedruckten Buch immer nur als Kopie, das heute dem Nutzer oft nicht als Eigentum, sondern nur zur Nutzung überlassen wird, denn hier greift UrhG §17 Absatz 2 nicht wirklich. Steinhauer postulierte in diesem Kontext einen rhetorical turn.4 Damit zielte er auf den Wandel von Institutionen zu (digitalen) Netzwerken sowie von klassischen Strukturen der Sichtbarkeit (z.B. Bibliotheken) zu (Verteilungs-)Kanälen im Web 2.0. Die sich wandelnde Nutzungspraxis geistigen Eigentums in Netzwerken und im Internet, das er gleichsam als eine riesige digitale Bibliothek versteht, in dem Kopien zur Nutzung (entgeltlich oder unentgeltlich) zur Verfügung gestellt werden, führt zu einer Situation, in der es dringend Lizenzen bedürfe. „Wenn Lizenzen der funktionale Ersatz des Sacheigentums sind, dann sind freie Lizenzen der funktionale Ersatz der öffentlich zugänglichen Institutionen mit Buchbesitz“ (sprich Bibliotheken), so Steinhauer. Für eine offene Nutzung sei es daher essentiell notwendig, dass die Kopien eine offene Lizenz besitzen, damit sie „verkehrsfähig“ sind. Durch offene Lizenzierung wird im Übrigen nicht nur die Verbreitung sondern auch die Langfristigkeit der Verfügbarkeit erreicht, die ansonsten nicht zu erwarten ist (wenn man offiziell keine Kopien machen darf).

Die erste Sitzung am zweiten Tag (moderiert von Mark Sven Hengerer) eröffnete DENNIS JANSEN (Berlin) mit einem Vortrag zu Contributor License Agreements (CLA) für Open Content. Dieses eigentlich aus dem Bereich der Open Source Software bekannte Rechtskonstrukt5 bietet nach Ansicht des Referenten auch Vorteile bei der Lizensierung von geisteswissenschaftlichen Inhalten, sofern es sich um ein Werk mit vielen (hunderten) von Mitarbeitern bzw. Urhebern handelt, deren Rechteverwaltung nach derzeitigem Urheberrecht für die Herausgeber nur mit einem erheblichen Aufwand zu bewerkstelligen ist. Angelpunkt der Konstruktion ist ein Verein, bei dem die gesamten Rechte liegen und mit dem unkompliziert Lizenzänderungen umgesetzt werden können. Der mit einer Vereinsgründung zusammenhängende Aufwand macht, neben der Tatsache, dass es bislang keine Erfahrungen mit der Anwendung von CLA auf geisteswissenschaftliche Inhalte gibt, deutlich, dass die Idee noch recht weit von einer praktischen Umsetzung in diesem Feld entfernt ist und bislang nur im juristisch-akademischen Diskurs relevant zu sein scheint.

Anschließend gab THOMAS HARTMANN (München) einen Werkstattbericht zu den rechtlichen Herausforderungen offener Lizenzen. Er nahm dabei die These von Eric Steinhauer hinsichtlich der Relevanz von Lizenzen in digitalen Netzwerken vom Vortag wieder auf und erläuterte anhand des Meilensteins der deutschen Open-Access-Bewegung, der Berlin Declaration (2003)6, und einigen Praxisbeispielen die Entwicklung der offenen Lizenzen bis hin zum inzwischen in §38 UrhG festgeschriebenen Zweitverwertungsrecht der Autoren von Beiträgen in wissenschaftlichen Sammelwerken nach einer Karenzzeit von einem Jahr.7 Daraus wurde inzwischen in einigen Bundesländern (z.B. Baden-Württemberg) eine Zweitveröffentlichungspflicht für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Forschung mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde. In seinem hilfreichen und praxisorientierten Vortrag wies Hartmann auch auf einige online verfügbare Broschüren und Ratgeber hin, die Autoren und Institutionen bei der Entscheidung für ein passendes Lizenzmodell für geplante Veröffentlichungen behilflich sein können.8

Den Abschluss der Tagung bildete ein Vortrag von HELENE HAHN (Berlin), in dem sie über neue Formen der Zusammenarbeit zwischen so genannten „Hackern“ (das heißt in diesem Fall am Kulturerbe interessierten Informatikern und anderen Interessenten) und öffentlichen Gedächtnis- und Bildungsinstitutionen, die ihr digitales Material unter freien Lizenzen zur Verfügung stellen, berichtete. Ihr kulturpolitisch motivierter Beitrag verdeutlichte, dass durch die Kooperation von Nutzern und Institutionen neue Wege beschritten werden, die zu einer weiteren Verbreitung und Rezeption von digitalisierten Kulturgütern und der Beschäftigung einer breiteren Öffentlichkeit mit den Sammlungen führen können. Der diesjährige, inzwischen zweite, Kultur-Hackathon Coding DaVinci, der am 25. April begonnen hat und dessen Ergebnisse am 5. Juli 2015 in Berlin (und im Internet) vorgestellt werden, steht ganz im Zeichen der Erprobung solch neuer Kooperationsmöglichkeiten und verspricht spannende Präsentationen von Daten, die ansonsten aus Kostengründen oder fehlenden (technischem) Know-How nicht öffentlich zur Verfügung gestellt werden könnten.9

Offene Lizenzen, und wie könnte das Ergebnis einer solchen Tagung auch anders sein, sind das Mittel der Wahl zum offenen Zugang für digitalisierte Kulturgüter, wissenschaftliche Publikationen und andere digitale Produkte, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Aber die Tagung hat auch deutlich gezeigt, dass auf dem Weg dorthin, z.B. über die Lizenz CC BY 4.010, eine Vielzahl von juristischen Spielregeln, allen voran das sich ständig wandelnde deutsche Urheberrecht sowie nationale Unterschiede, zu beachten sind. Inzwischen gibt es aber sowohl Informationsmaterialien als auch Fachexpertise, die Geisteswissenschaftlern und Institutionen auf diesem Weg zur Seite stehen.11 Es ist hier wie so oft im Leben: Nur wer hartnäckig am Ball bleibt, hat am Ende Erfolg. Diese Hartnäckigkeit scheint inzwischen auch beim Gesetzgeber erste Erfolge zu zeigen.

Konferenzübersicht:

Georg Hohmann (Deutsches Museum, München), Rechtemanagement und Open Access am Museum

Harald Klinke (Ludwigs-Maximilians-Universität München), Open Access Business Modell. Brötchen, Internet Economy und die Zukunft des Copyright

Susanne Dobratz (e-publishing & digital media Consulting, Berlin), Open Access für Monographien

Eric Steinhauer (Humboldt-Universität zu Berlin), Creative Commons und Rhetorik

Dennis Jansen (Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software, Berlin), Können Contributor License Agreements auch für Open Content eingesetzt werden?

Thomas Hartmann (Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München), Offene Lizenzen – ein Werkstattbericht zu den rechtlichen Herausforderungen im Jahr 2015

Helene Hahn (Open Knowledge Foundation, Berlin), Die Vorteile der Nutzung von Open Access Daten. Erfahrungen mit Coding DaVinci.

Anmerkungen:
1 Einige moderne Werke stehen unter urheberrechtlichen Schutz. Seine eigenen Mash-Ups kann man kostenpflichtig über die Seite des Rijksmuseums z.B. als Poster drucken. Siehe <https://www.rijksmuseum.nl/nl/rijksstudio> (1.6.2015).
2 Siehe NMC Horizon Report, 2012 Museum Edition: <http://www.nmc.org/pdf/2012-horizon-report-museum.pdf> (1.6.2015).
3 Siehe International Journal for Digital Art History, <http://www.dah-journal.org/> (1.6.2015).
4 Ein Begriff, der allerdings schon vergeben ist und vielleicht an dieser Stelle nicht wirklich deutlich macht, worum es Steinhauer geht. Vgl. z.B.: Herbert W. Simons (Hrsg), The Rhetorical Turn. Invention and Persuasion in the Conduct of Inquiry, Chicago 1990.
5 Siehe Dennis G. Jansen, Das Recht am eigenen Code. Contributor License Agreements sorgen für mehr Flexibilität zwischen Entwicklern und Open-Source-Projekten’, c’t 2014, Heft 25, S. 148-153, <https://www.heise.de/artikel-archiv/ct/2014/25/148_Das-Recht-am-eigenen-Code> (1.6.2015). Der Artikel ist übrigens nicht OA.
6 The Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities, 22 October 2003 <http://openaccess.mpg.de/Berlin-Declaration> (1.6.2015).
7 Siehe Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz), <http://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__38.html> (1.6.2015).
8 U.a. Paul Klimpel, Folgen, Risiken und Nebenwirkungen der Bedingung „nicht-kommerziell – NC“, unter: <http://irights.info/wp-content/uploads/userfiles/CC-NC_Leitfaden_web.pdf> (1.6.2015) und Projekt IUWIS, infrastruktur urheberrecht für wissenschaft und bildung, Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien. Handreichung für Universitäten, Forschungszentren und andere Bildungseinrichtungen, <http://www.iuwis.de/sites/default/files/IUWIS Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien.pdf> (1.6.2015). Siehe auch: Thomas Hartmann, Urheberrecht in der Bildungspraxis. Leitfaden für Lehrende und Bildungseinrichtungen, Bielefeld 2014.
9 Siehe die Webseite des Projektes Coding da Vinci <http://codingdavinci.de/> (1.6.2015).
10 Siehe die Webseite zu Creative Commons <http://creativecommons.org/> (1.6.2015).
11 Zu erwähnen sei noch das Iinformationsportal zu Open Access: <http://www.open-access.net/startseite/> (1.6.2015).


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