Ministerialität, Ritterschaft und landständischer Adel im Rheinland (11. – 19. Jahrhundert)

Ministerialität, Ritterschaft und landständischer Adel im Rheinland (11. – 19. Jahrhundert)

Organisatoren
Abteilung für Rheinische Landesgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2014 - 23.09.2014
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Von
Gregor Hecker, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die Herbsttagung der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in Verbindung mit dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande am 22. und 23. September 2014 widmete sich dem Themenkomplex Ministerialität, Ritterschaft, landständischer Adel im Rheinland vom 12. bis 19. Jahrhundert.

Wie der Tagungsleiter MANFRED GROTEN in seiner Begrüßung herausstellte, ist das Thema immer noch ein „weißer Fleck“ in der rheinischen Forschungslandschaft. Die Bandbreite des Themenkomplexes reicht dabei von der Entstehung der Kölnischen Ministerialität im 11. Jahrhundert über den Ständestaat in der Frühen Neuzeit bis zur 1823 privilegierten Rheinischen Ritterschaft, die seit 1923 als Stiftung in Schloss Ehreshoven angesiedelt ist. Es sei daher Ziel der Tagung, Impulse für die Forschung zu geben.

HANS-WERNER LANGBRANDTNER (Pulheim) legte dar, dass der stark ausdifferenzierte rheinische Adel (landsässiger, landtagsfähiger und standeserhöhter Adel bzw. Unterherren, Reichsherren und Reichsritterschaft) in der frühen Neuzeit eine sehr präsente Position erreichen konnte, da alle rheinischen Territorien mit Ausnahme Kurtriers im Laufe der Frühen Neuzeit zu Nebenländern weit entfernt sitzender Dynastien geworden waren. Die Französische Zeit brachte große Umwälzungen: Viele enteignete Adelsfamilien wurden insbesondere in Würzburg und Schwaben mit säkularisiertem Kirchengut entschädigt und verließen das Rheinland; andere Familien passten sich an indem sie in der Verwaltung führende Posten besetzten und säkularisiertes Kirchengut aufkauften. In Preußischer Zeit konnte die Rheinische Ritterschaft zwar ihre Partikularinteressen geltend machen, in der Verwaltung jedoch nur mittleres Gewicht erlangen.

VOLKER SERESSE (Kiel) stellte die Rolle des frühneuzeitlichen klevischen Adels im Bezug zur Landesherrschaft heraus. Entgegen der älteren Forschung, die den Adel eher als Widersacher des Landesherrn einstufte, sei dieser im ganzen Rheinland und insbesondere in Kleve im Spätmittelalter stark in der landständisch geprägten Territorialverwaltung aufgegangen. In seiner Selbstsicht fasste sich der Adel als dem Landeswohl verpflichteter Diener des Landesherrn auf; Fürstendienst war Quelle von Ehre und Ansehen. Diese Selbstsicht änderte sich auch nach der Vereinigung Kleves mit Jülich-Berg 1521 nicht, auch wenn durch die räumliche Entfernung zum Fürsten die Mitwirkung vieler klevischer Adelsfamilien nur noch schwer möglich war. Diese Situation verschärfte sich nach dem Ende des Jülicher Erbfolgekrieges noch, als dem klevischen Adel am Brandenburgischen Hof kein Platz eingeräumt wurde. Der hieraus entstehende Konflikt wurde durch die Beschneidung von Privilegien zusätzlich geschürt und konnte erst in den 1640er-Jahren durch die Wiedereinsetzung des Adels in die Landesregierung und ein mehrjähriges Residieren des Fürsten Friedrich Wilhelm beigelegt werden. Ganz friedlich gestaltete sich das Verhältnis jedoch weiterhin nicht; die transnationalen Verbindungen des Klevischen Adels und die Hinwendung zum Kaiser mit innenpolitischen Problemen wurden durch die Landesherrschaft restriktiv beantwortet.

Die Entstehung des Niederadels als Stand legte VOLKER RÖDEL (Karlsruhe) dar. Im Herrendienst herausgehobene unfreie Dienstleute bildeten zunächst einen Ordo, dessen Spitzenvertretern mitunter die Titulatur „nobilis“ beigegeben wurde, wobei diese eher als „hochgestellt“ verstanden werden kann. Um 1200 begann eine innere Ausdifferenzierung nach unten. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts war die Entstehung des Niederadels als Stand ritterbürtiger Personen abgeschlossen, Belege hierfür sind die in dieser Zeit eingeführten Ahnenproben für zahlreiche Stifte oder die Turnierfähigkeit als Mittel zum inneren Abschluss. Durch die Bildung von Einungen und Gesellschaften suchte der Niederadel die Nähe von Grafen und Herren um Mediatisierungen entgegenzutreten. Politische Aktivität konnte durch die Teilnahme an Landfrieden entfaltet werden.

HARALD DERSCHKA (Konstanz) referierte über die Ministerialen des Hochstifts Konstanz. Die Existenz einer Ministerialität im Hochstift ist durch Dienstangaben belegt, die um 1150 entstanden. Um 1200 beaufsichtigten Ministeriale die bischöfliche Grundherrschaft und begegnen als Träger herrschaftlicher Funktionen. Ministerialensitze finden sich gehäuft dort, wo Rechte des Hochstifts - oftmals in Form des Meieramtes - verdichtet waren. Teilweise fungierten Burgen als Sitz, was für das 12. Jahrhundert eine Besonderheit darstellt. Im 13. Jahrhundert vollzog sich eine Statusänderung von ministerialen Meiern zu burgsässigen milites. 1274 entzog Rudolf von Habsburg dem Hochstift jegliche vom Reich abgeleiteten Rechte. In Folge verschwand die Bezeichnung als „Konstanzer Ministerialen“ bis 1300 aus den Quellen, die Ausbildung einer Ritterschaft fand nach der gescheiterten Territorialisierung des Hochstifts nicht statt, vielmehr gingen viele ehemalige Ministerialenfamilien im Reichsdienst auf. Die im Dienst des Stifts verbleibenden Ministerialen stiegen hingegen wirtschaftlich ab und starben im Lauf des 14. Jahrhunderts aus.

Der öffentliche Abendvortrag wurde von KURT ANDERMANN (Karlsruhe / Freiburg) gehalten. Konrad, der bislang wenig bekannte Onkel des berühmten Götz von Berlichingen wurde um 1440 in der Diözese Würzburg geboren. Die Familie von Berlichingen war in Franken gut vernetzt und auch Konrad hielt hohe Positionen bei verschiedenen Fürsten. Die Welt des fränkischen Ritteradels war um 1470 noch intakt; die ministeriale Unfreiheit war vergangen und vergessen und man pflegte ein adelsähnliches Leben. Ende des 15. Jahrhunderts verdichtete sich die fürstliche Herrschaft jedoch, was zu Beschneidungen der ritterlichen Freiheiten führte. Zeitgleich wurde die bewaffnete Selbsthilfe im Ewigen Landfrieden abgeschafft und der gemeine Pfennig eingeführt. Konrad von Berlichingen suchte im Fürsten- und Reichsdienst Ehren zu erlangen, was jedoch zu Konflikten mit seinen Standesgenossen führte. Die Verfassungsänderung, die sich zwischen 1485 und 1555 vollzog war so gravierend, dass ein herrschaftliches Leben wie zuvor nicht mehr möglich war.

Der Zweite Veranstaltungstag wurde von GREGOR HECKER (Bonn) mit der Vorstellung seines Dissertationsprojektes „Die Jülichsche Ritterschaft im 15. Jahrhundert“ begonnen. Hierbei wurde speziell auf einen Quellenbestand im ehemaligen Jülich-Bergischen Landesarchiv eingegangen. Die landständische Ritterschaft in Jülich lässt sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts durch sogenannte Ritterzettel erfassen, welche ihre Mitglieder und deren Landtagsfähigkeit dokumentieren. Die hier vorgestellten Quellen des 15. Jahrhunderts erscheinen auf den ersten Blick ähnlich und wurden von der älteren Forschung als direkte Vorläufer der Ritterzettel des 16. Jahrhunderts angesehen. Damit wurde aber kurzerhand die landständische Verfassung der frühen Neuzeit mitsamt der klar geregelten Landtagsfähigkeit auf das Spätmittelalter projiziert. Der Blick in die Quellen lässt jedoch nur den Schluss zu, dass es eine als Ritterschaft bezeichnete Personengruppe gab, die gegenüber dem Landesherrn gewisse Rechte und Pflichten hatte. Die innere Struktur und Verfassung ist hier aber nicht ablesbar. Der Blick in Parallelüberlieferungen zeigt, dass die Personengruppe Ritterschaft in unterschiedlicher personeller Zusammensetzung auftreten konnte, das Konzept einer klar geregelten Landtagsfähigkeit war im 15. Jahrhundert anscheinend noch nicht bekannt. Wer zur Ritterschaft gehörte war nicht fest umrissen und konnte je nach Sichtweise – ob landesherrliche oder interne – voneinander abweichen.

MONIKA GUSSONE (Aachen) stellte die Familie von dem Bongart als Beispiel für die Stiftungstätigkeit einer niederrheinischen Niederadelsfamilie vor. Die seit dem 13. Jahrhundert quellenmäßig fassbare Familie hatte in vielen niederrheinischen Territorien Posten und Hofämter inne. Die Verbindung zum Herzogtum Jülich sollte sich als dauerhaft erweisen; hier übten Mitglieder der Familie von 1333 bis zum Ende des Alten Reiches das Erbkämmereramt aus. Die weit verzweigte Familie konnte sich durch Pfandbesitz mehrere Stammsitze aufbauen und gründete insgesamt fünf Klöster im Raum Aachen, wobei sich jedoch keine Familiengrablege oder ein Familienaltar erkennen lassen. Zudem waren viele Bongarts im Spätmittelalter Kanoniker am Aachener Marienstift und entfalteten dort eine rege Stiftungstätigkeit. Weitere Stiftungen standen entweder im Zusammenhang mit Patronatsrechten, konnten aber auch zum Unterhalt von Familienmitgliedern in der bestifteten Institution und zur Memoria dienen.

In einem Kurzreferat stellte MARTIN FRÜH (Duisburg) die Lehnsmannschaft der Reichsabtei Werden am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit dar. Dabei ist auffällig, dass in den Quellen wie im Hochmittelalter von ministeriales gesprochen wird. Werdener Lehnsmänner waren landständische Adelige anderer Territorien und mit Dienstlehen belehnte Personen, aber beispielsweise auch der Graf von Limburg. Im Umfeld des Abtes fungierten sie als Zeugen, waren bei zeremoniellen Anlässen anwesend und saßen als Urteiler im Lehnsgericht. In anderen Territorien wurde zeitgleich bereits Feudaljustiz ohne vasallitische Mitsprache umgesetzt. Die Gerichtsverhandlungen in Werden hingegen fanden öffentlich im Saal des Abtes und mit einem gemeinsamen Mahl statt. Die Teilnahme diente also der Repräsentation insbesondere des Niederadels; weiterhin konnte man an den Geschicken der Abtei teilhaben, ohne Teil einer Landesherrschaft zu sein. Die Werdener Lehnsmannschaft fungierte als Ständegrenzen sprengendes und überterritoriales Forum.

GABRIEL EGGERT (Mainz) stellte ein weiteres Dissertationsprojekt unter dem Titel „Vernetzung des Niederadels am oberen Mittelrhein“ vor. Der territorial stark zersplitterte Raum zwischen Koblenz und Bingen erlaubte dem ansässigen Niederadel im Spätmittelalter großen politischen Handlungsspielraum, da er viele Positionen bei verschiedenen Herren besetzen konnte. Insbesondere durch Vermittlertätigkeit fungierten Angehörige des Niederadels geradezu als interterritoriale „Scharniere“. Bei Fehden mussten die mannigfachen Verbindungen mitunter jedoch unterbrochen werden. In der Manderscheider Fehde beispielsweise vollzog sich zunächst eine Trennung der Beziehungsnetzwerke zwischen den Gegenseiten. Nach wenigen Jahren hatten sich diese Netzwerke jedoch völlig wieder regeneriert, auch da die Friedensverträge die Rückgabe aufgesagter Lehen vorsahen. Die Fürsten re-integrierten den Niederadel und dieser ließ sich bereitwillig re-integrieren. Die Bindung an einen Herren während einer Fehde engte den politischen Handlungsspielraum zu stark ein, das breite Beziehungsnetzwerk wieder aufzubauen war Ziel des Niederadels und auch der Fürsten, da gut vernetzte Niederadelige besser als Amtsträger einsetzbar waren.

Im letzten Vortrag ging JOACHIM SCHNEIDER (Mainz) auf die Turniergesellschaft der Gekrönten Steinböcke ein. Diese Art Gesellschaften hatten zeitgenössisch große Konjunktur und traten insbesondere auf den Turnieren der Vierlande auf. Diese als Phänomen einmaligen, weil nicht fürstlich organisierten Massenturniere dienten zur kollektiven Selbstvergewisserung des adeligen Standes in Zeiten des fürstlichen Machtzuwachses. Die Gekrönten Steinböcke stellten dabei eine Erfassung eines herrschaftlich höchst heterogenen Raumes dar: Mitglieder waren unter anderem Ritter aus Berg, Kurköln, Kurtrier und Nassau, aber auch die meisten mittelrheinischen Grafen und der Herzog von Berg, denen ein rein zeremonieller Vorrang zukam. Äußere Erkennbarkeit und ein repräsentatives Auftreten wurde durch gemeinsame Kleidung und Abzeichen, sowie eine Messstiftung in Mainz geschaffen. Die Mitgliedschaft war attraktiv um sozialen Anschluss zu finden, insbesondere für die niederrheinischen Ritter, da in den dortigen Territorien keine eigenständigen Gesellschaften möglich waren. Dass die Mitglieder verpflichtet waren, zu Turnieren Frauen mitzubringen, schuf einen regelrechten Heiratsmarkt und trug zur Attraktivität bei. Für die mittelrheinischen Ritter war der Anschluss an den Herzog von Berg als Gegengewicht gegen die mittelrheinischen Fürsten, vor allem den Pfalzgrafen erstrebenswert. Das Beispiel der Gekrönten Steinböcke zeigt die Dynamik, Vielfalt und Offenheit der ritterlichen Selbstorganisation.

In der Schlussdiskussion wurde deutlich, dass insbesondere der Zeitraum des Spätmittelalters ein Brennpunkt des Themas ist und weiterhin ein sehr ergiebiges Forschungsfeld darstellt. Die Diskutanten waren sich einig, dass der Vernetzungsaspekt für den Niederrhein bislang wenig beachtet worden sei, da der Forschungszugriff hier oftmals vom Territorium aus erfolgt. Dieser territoriale Blickwinkel könne in Zukunft aber nicht der einzige bleiben. Der Niederadel insgesamt dürfe zudem nicht isoliert betrachtet werden, das Grundelement der horizontalen Organisation aller Adelsgruppen sei sehr häufig aufzufinden, die hierarchische Denkweise der älteren Forschung des 19. Jahrhunderts sei hier also nicht zielführend. Weiterhin sei die Rolle der Frauen stärker zu beleuchten: es wurde darauf hingewiesen, dass beispielsweise eine Untersuchung der Rolle von Damen bei Adelsgesellschaften eine sinnvolle Thematik wäre. Weiterhin sei die genaue Betrachtung der Terminologie und Quellensprache nach wie vor grundlegend um neue Einsichten gewinnen zu können.

Konferenzübersicht:

Manfred Groten (Bonn): Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema

Hans-Werner Langbrandtner (Pulheim): Grundlinien der Adelsgeschichte im Rheinland von der Frühen Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

Volker Seresse (Kiel): Der klevische Adel ca. 1480 – 1700. Überlegungen zur politischen Rolle und zum Selbstverständnis einer Herrschaftsschicht

Volker Rödel (Karlsruhe): Multi ignobiles facti milites. Zur Entstehung des Niederadels als Stand

Harald Derschka (Konstanz): Die Ministerialen des Hochstiftes Konstanz

Kurt Andermann (Karlsruhe/Freiburg): Bei Fürsten und Kaiser wohlgeliten: Konrad
von Berlichingen (+1497)

Gregor Hecker (Bonn): Die Jülicher Ritterzettel 1444 – 1511

Monika Gussone (Aachen): Stiftungen, Pfründen und Patronatskirchen der Familie von dem Bongart

Martin Früh (Duisburg): Manne van leene oder ministeriales sancti Ludgeri? Bemerkungen zur Lehnsmannschaft der Reichsabtei Werden am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit

Gabriel Eggert (Mainz): Zwischen vielen Herren – der Niederadel am Oberen Mittelrhein

Joachim Schneider (Mainz): Die Gekrönten Steinböcke: Zur Repräsentation, Kohärenz und Interregionalität des rheinischen Adels im 15. Jahrhundert


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