Moeglichkeiten und Probleme der computergestuetzten Datengewinnung, -aufbereitung und -auswertung in der Militaerhistoriographie

Moeglichkeiten und Probleme der computergestuetzten Datengewinnung, -aufbereitung und -auswertung in der Militaerhistoriographie

Organisatoren
Workshop des Arbeitskreises für Militärgeschichte e.V. in Kooperation mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte der RWTH Aachen und dem Hamburger Institut für Sozialforschung
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.09.2004 - 25.09.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
René Rohrkamp, Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte, RWTH Aachen

Moderne methodische Ansätze nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern in den gesamten Geisteswissenschaften, greifen verstärkt auf computergestützte Verfahren zur Analyse von Daten- und Quellenbeständen zurück. Den damit verbundenen Möglichkeiten, Besonderheiten und Problemen für militärhistorische Fragestellungen galt das besondere Augenmerk der 30 Teilnehmer des von Christian Th. Müller (Hamburger Institut für Sozialforschung) und Christoph Rass (RWTH Aachen) organisierten Workshops.

Den Auftakt der Veranstaltung bildeten die Abendvorträge von Prof. Manfred Thaller (Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung, Universität Köln; http://www.hki.uni-koeln.de) und Prof. Thomas Seidl (Lehrstuhl für Datenmanagement und Exploration, RWTH Aachen; http://www-i9.informatik.rwth-aachen.de).

Manfred Thaller vermittelte in seinen Ansichten "Zur Zukunft der Quellen. Was bedeutet die "Informationsrevolution" für den einzelnen Forscher?", welche Möglichkeiten die "Digitale Revolution" hinsichtlich einer Online-Bereitstellung von Quellen, ihrer Vernetzung mit wichtigen Forschungsbeiträgen und digitalisierten Handbüchern bedeutet; der qualitative Fortschritt liege bei diesen Projekten (s. z. B. http://www.ceec.uni-koeln.de) in der direkten Beziehung zwischen Quelle und intellektuellem Diskurs. Mittelfristig müsse sich der Historiker auf Grund der "Informationsrevolution" mit neuen Trends des wissenschaftlichen Arbeitens auseinandersetzen: neben schnellerem Quellen- und Informationszugang und potenziell schnelleren Publikationsmöglichkeiten würden visuelle Eigenschaften immer wichtiger, verschwimme die Grenze zwischen "Notiz" und "Publikation" und entstünden neue Diskursformen, die am Ende, so hoffte Manfred Thaller, mit besserer Beherrschbarkeit der Technik zu neuen Impulsen in der Methodendiskussion führen.

Der Aachener Informatiker Thomas Seidl stellte mit seinen Ausführungen zum "Data-Mining für Dokumenten-Datenbanken" Methoden und Mittel der modernen Informatik vor, Daten elektronisch zu verarbeiten und für den Benutzer nach individuellen Ansprüchen bereitzustellen. Wie Datenbankprogramme praktische Probleme lösen, z.B. bei der Vektordarstellung von Texten, und immer größer werdenden Datenmengen Herr werden, stand im Mittelpunkt des Vortrags. Das sogenannte "Data Mining" ermöglicht es modernen Algorithmen Kategorien, Muster und Trends in Datenhaufen zu erkennen und erleichtert durch Clustering, Klassifikation der Daten oder Definition von Assoziationsregeln den Datenzugang. Diese Verfahren werden heute z. B. zur Erkennung von Konsumgewohnheiten angewendet; für die Zukunft wäre die Anwendung dieser modernen Verfahren für die Auswertung von personenbezogenen Massendaten in den Geisteswissenschaften vorstellbar. Die anschließende Diskussion erörterte noch einmal die verbesserten Möglichkeiten des EDV-Einsatzes und die Chancen aber auch Probleme eines online-Zugangs zu ausgewählten Quellen.

Die am nächsten Tag beginnende erste Sektion des Workshops stellte Werkzeuge für computergestütztes Arbeiten vor. Jörn Pyhel (Hamburger Institut für Sozialforschung) zeigte Möglichkeiten von "Endnoten-, Fußnoten- und Bibliografieprogrammen" am Beispiel von EndNote 6. Durch die Editierungs- und Standardisierungsfunktionen dieses Tools kann eine Optimierung der Schreibabläufe und somit eine Zeitersparnis erreicht werden. Durch direkte Verknüpfungsmöglichkeiten mit Textverarbeitungsprogrammen entfallen viele sonst manuell durchzuführende Arbeitsgänge.

Wolf-Dieter Dorn stellte "Digitale Atlanten als Hilfsmittel für Historiker" vor. So ist es mit dem ENCARTA-Weltatlas und seinen integrierten Funktionen durchaus möglich, bestimmte zu prüfende Quelleninformationen plastisch erfahrbarer zu machen. Grenzveränderungen, Uneinheitlichkeit der Transkription von Ortsnamen und die zeitgeschichtliche Ausrichtung des Programms weisen ENCARTA jedoch hinsichtlich einer historiografischen Benutzung Grenzen auf. Dennoch kann das Programm den Zugang z. B. zu operationsgeschichtlichen Zusammenhängen erleichtern.

Stefan Dicker (LMU München) brachte eigene Lösungsansätze für das Problem der "Literaturzentrierten Wissensorganisation als Problem wissenschaftlichen Arbeitens" nach Aachen. Da das Ablegen von Wissen nach nichtinhaltlichen Gesichtspunkten immer wieder das Problem mit sich bringt, den Ablageort von Wissen wieder finden zu müssen, hat Stefan Dicker den HISTOMAT entwickelt, ein Tool, welches die Organisation erarbeiteten Wissens der eigenen Fragestellung bzw. Gliederung entsprechend ermöglicht. Das Programm weist so der Literatur wieder ihre eigentliche Funktion als Wissenslieferant zu. Die Daten können außerdem in die Textverarbeitung exportiert werden, in der dann nur noch die Ausformulierung stattfindet.

Thomas van Aken (semantics GmbH) präsentierte die vielfältigen Möglichkeiten des datenbankbasierten Literatur- und Dokumentenmanagementprogramms VISUAL COMPOSER. Neben der Internetsuche, der verknüpften Online-Literaturrecherche z.B. im GBV-Katalog und vielfältiger Ablage- und Sortiermöglichkeiten selbst erstellter Exzerpte oder Texte (nach Autoren oder in einer eigenen Gliederung) erlaubt das Tool, hervorgegangen aus einem Projekt des Germanistischen Instituts der RWTH Aachen, auch die Volltextsuche in den selbst erstellten Dokumenten.

Die praktische Sektion des Workshops bestand aus zwei Teilen. Christoph Rass stellte, unterstützt von Ute Langer und René Rohrkamp (alle RWTH Aachen), am Beispiel des DFG- geförderten Aachener Projektes "Überregionale Erschließung personenbezogener Quellen zu Angehörigen der bewaffneten Formationen des Dritten Reiches" den Weg "Von der linearen zur elektronischen Repräsentation von Wehrmachtspersonalakten" vor. Nach einer kurzen Einführung in die speziellen Eigenschaften der Quellen stellte Christoph Rass die Möglichkeiten vor, die relationale Datenbanken bei der massenhaften Erfassung personenbezogener Daten bietet. Am Beispiel der Heimkehrerkartei des Deutschen Roten Kreuzes wurde eine Datenbank konzipiert. Neben der Tabellenerstellung wurden Abfragemöglichkeiten, praktische Probleme, Besonderheiten bei der Arbeit mit Datenbanken und Auswertungsmöglichkeiten in Tabellenkalkulationsprogrammen vorgestellt, die jeder Workshop-Teilnehmer an den bereitgestellten Laptops selbst nachvollziehen konnte.

Jürgen Jablinskis (Universität Bielefeld) Präsentation "Von der Handschrift zur Datenbank" demonstrierte, wie programmimmanente Tools oder Visual Basic- gestützte Makros die Umwandlung von eingescannten Texten oder Karteikarten in für Datenbankprogramme lesbare Formate erleichtern. Durch diese Methoden können, eine OCR-taugliche Quelle vorausgesetzt, Arbeitszeit und -kraft effizienter genutzt werden.

Die dritte Sektion des Workshops am letzten Veranstaltungstag stellte Anwendungsbeispiele für computergestütztes Arbeiten vor. Prof. Clemens Schwender (IU Bremen) eröffnete Einblicke in die Arbeit des "Feldpost-Archivs am Museum für Kommunikation Berlin (FAB)". Das FAB hat durch Zeitungsaufrufe einen Bestand von 650 Konvoluten mit 30.000 Dokumenten (Feldpost, Fotos, andere Dokumente) aufgebaut. Clemens Schwender gab einen Überblick über rechtliche Fragen, Systematik und Nutzungsmöglichkeiten des Bestandes. Das vorgeführte, auf CD vorliegende "Konvolut Guicking" umfasst ca. 2000 Dokumente und stellt eine gut handhabbare Möglichkeit der Konvolutspräsentation vor. Unter verschiedensten Aspekten bieten sich Zugriffsmöglichkeiten auf die Briefinhalte: von den erwähnten und den zeithistorisch relevanten Personen bis hin zur Verschlagwortung der Briefe nach Regionen oder Ortschaften.

Das "Kalliope- Portal. Fachportal für Autographen in Deutschland" stellte Frank von Hagel vor. Das Projekt hat die Retrokonversion von 716.000 der 1,2 Mio. Karteikarten aus der Zentralkartei der Autographen vorangetrieben und will, finanziert unter anderem von der DFG, sämtliche bundesweit erhaltenen Autographen elektronisch nachweisen. In einem Verbundsystem mit Bibliotheken, Museen und Archiven sollen elektronisch vielfältige Zugriffsmöglichkeiten auf die einzelnen Kataloge, Bestände, Normdaten und Nachschlagewerke für den Nutzer aufgebaut werden. In Zukunft sollen User-Dienste eingerichtet, ein Modul zur Erschließung von Musikquellen aufgebaut sowie die Funktionen des Fachportals bzw. des Fachinformationsdienstes ausgebaut werden.

Der Schweizer Dieter Wicki hat in seinem Dissertationsprojekt eine "Personendatenbank zur Kollektivbiographie des aargauischen Großen Rates" eingerichtet. 1188 Mitglieder des Kantonsparlamentes von 1803 bis 2004 sind in dem vom Staatsarchiv Aargau und der Militärakademie der ETH Zürich geförderten Projekt erfasst worden. Die Datenbankstruktur musste auf die heterogenen Quellen, die das Sozialprofil der genannten Gruppe beschreiben sollten, zugeschnitten werden. Dieter Wicki stellte die beim Aufbau seiner Datenbank aufgekommenen Probleme und seine Lösungsansätze vor, z. B. hinsichtlich rechtlicher Zugangsbeschränkungen zum Großen Rat. Er zeigte, wie dies in der Datenbankstruktur berücksichtigt werden kann und wie die Informationen aus den verschiedensten zur Verfügung stehenden Quellen in eine relationale Datenbank eingebunden werden können.

In der Abschlussdiskussion herrschte Einigkeit darüber, dass bedienerfreundliche Tools für die Militärhistorie im Speziellen und die Geisteswissenschaften im Allgemeinen bislang nur Nebenprodukte sind bzw. Eigenschaften vorhandener Software für eigene Zwecke genutzt werden, es aber kaum Software mit spezieller Ausrichtung auf geisteswissenschaftliche Bedürfnisse gibt. Mit der zunehmenden digitalen Erfassung und online- Bereitstellung von Quellen wachsen die Zugangsvorteile des Nutzers, andererseits ist die Auswahl der digital zugänglichen Quellen von großer Bedeutung. Durch die Vorauswahl und den einfachen Zugang werden hier Forschungsschwerpunkte vordefiniert und es erwächst die Gefahr, dass die online nicht präsenten Quellenbestände in der Forschung in den Hintergrund rücken. Das Bewusstsein für quellenkritische Arbeit am Original im Archiv, so der allgemeine Tenor, dürfe durch die Digitalisierung der Geisteswissenschaften nicht an Schärfe verlieren, gleichzeitig müssen die Chancen, die computergestütztes Arbeiten der Militärhistoriografie und den Geisteswissenschaften eröffnet, konsequent ausgeschöpft werden. Denn letztendlich sollte die EDV dem Geisteswissenschaftler als Werkzeug dienen und nicht zum Selbstzweck werden, damit das Verhältnis zwischen Gewinn und Aufwand durch die Benutzung von Computern gewahrt bleibt. Die Veranstaltung endete - vor allem angesichts der schnellen Entwicklung des Softwaremarktes - mit dem allgemeinen Wunsch, einen ähnlichen Workshop im kommenden Jahr zu wiederholen.


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