Die „„Cantiones Sacrae““ (1625) von Heinrich Schütz – Entstehungsbedingungen im konfessionellen Kontext des frühen 17. Jahrhunderts

Die „„Cantiones Sacrae““ (1625) von Heinrich Schütz – Entstehungsbedingungen im konfessionellen Kontext des frühen 17. Jahrhunderts

Organisatoren
Stefan Michel, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig; Henrike Rucker, Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels
Ort
Weißenfels
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.03.2015 -
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Von
Stefan Michel, Sächsische Akademie der Wissenschaften

Im Mittelpunkt des Weißenfelser Kolloquiums standen die „Cantiones Sacrae“ von Heinrich Schütz (1585-1672), eine Sammlung von 40 Motetten, die der Dresdner Hofkapellmeister 1625 als sein Opus 4 veröffentlichte. Ihre Entstehung und insbesondere ihre Textauswahl sollten interdisziplinär von Musikwissenschaftlern und Theologen in den Blick genommen werden. Einen solchen Austausch gab es bislang noch nicht. Schütz hatte die „Cantiones Sacrae“ Hans Ulrich von Eggenberg (1568-1634), einem führenden Diplomaten und Hofrat Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) gewidmet. Allerdings ist nur für das Jahr 1617 eine Begegnung zwischen beiden Männern belegt, woran Schütz in seiner Widmungsvorrede erinnerte. Weitere Details über ihr Verhältnis sind unbekannt.

Den ersten Vortrag hielt JÜRGEN HEIDRICH (Münster) zum Thema „Musikalische Einflüsse in Kassel und ihr Einfluss auf die Entstehung der ‚Cantiones Sacrae‘“. Aufgrund fehlender direkter Quellen beschritt er darin den Weg der Kontextualisierung und untersuchte die in Kassel vorhandenen Noteninventare. Diese sind insofern für die Schützforschung von großer Bedeutung, weil der Komponist die meisten seiner Werke an den Kasseler Hof schickte. Eine intensivere Beschäftigung mit der Gattung der Motette ist allerdings aus diesen Beständen für Schütz bis 1625 nicht nachweisbar. Vielmehr interessierte sich Schütz für Madrigale und die bis dato „modernere“ Form des Konzerts. Insofern war die Publikation der „Cantiones Sacrae“ durchaus überraschend. Weiterhin kam Heidrich im Gegensatz zu Forschungen von Christiane Engelbrecht zur Kasseler Hofkapelle zu dem Ergebnis, dass Schütz diese Übersendung seiner Werke sehr sorgsam erbrachte.

STEFAN MICHEL (Leipzig) untersuchte „Die Beziehungen zwischen Heinrich Schütz und Hans Ulrich von Eggenberg“, indem er den Beziehungen zwischen Kursachsen und Innerösterreich um 1600 nachging. Zunächst skizzierte er die politischen Beziehungen, die auf Reichsebene bestanden und zu einer engen Orientierung Kursachsens an der habsburgischen Politik führten. In einem zweiten Schritt skizzierte er das Leben von Hans Ulrich von Eggenberg. Für das Verständnis der „Cantiones Sacrae“ ist vor allem ein Profil der Eggenbergschen Frömmigkeit wichtig, das sich aufgrund seiner Konversion zum Katholizismus, seinen vielfältigen Stiftungen sowie seines Andachtsbuches „Soliloquium. Oder: Ainsames Gespräch Des Wolgebornen Herrn / Herrn Anns Vlrichen Freyherrn zu Eggenberg vnd Ehrnhausen […] Von den letzten Dingen des Menschen“ aus dem Jahr 1619 gewinnen lässt. Dieses Andachtsbuch war bislang von der Forschung übergangen worden. Michel konnte daran die eindeutige Prägung durch jesuitische Frömmigkeit zeigen. Insofern dürfte Eggenberg ein Zugang zu den „Cantiones Sacrae“ von Schütz schwer gefallen sein. Dass Schütz Eggenberg gezielt zu einer Reaktion beeinflussen wollte, ist nicht ausgeschlossen.

Den Forschungsstand zu den „Cantiones Sacrae“ seit dem 19. Jahrhundert skizzierte und kommentierte HEIDE VOLKMAR-WASCHK (Köln) auf instruktive Weise. Zur Veranschaulichung ihrer Ausführungen spielte sie einige der Motetten an. Ihren Beobachtungen nach sind die „Cantiones“ eindeutig in Dresden entstanden und auch nur hier ist nach Hintergründen ihrer Entstehung zu suchen. Sie unterstrich den Andachtscharakter der Musik, der sich mit Formen der lutherischen Andachtspraxis trifft. Trotz großer Vorbehalte gibt es bisher keinen besseren Vorschlag als das Gebetbuch des Andreas Musculus (1514-1581), das als Textgrundlage gedient haben könnte.

In beeindruckender Weise stellte ERNST KOCH (Leipzig) seine Forschungen unter dem Titel „Die 'Cantiones Sacrae' und ihr Widmungsempfänger. Beobachtungen an den Texten im zeitgenössischen Kontext“ vor. Unter der Voraussetzung, dass die Motettensammlung nicht zufällig so zusammengestellt wurde, unternahm er den Versuch einer theologischen Gesamtdeutung. Schütz verband nach Kochs Meinung mit den „Cantiones Sacrae“ den Anspruch, die wahre Kirche mit der reinen Lehre zu vertreten. Unter Bezug auf Bibelauslegungen und vor allem Predigten von Matthias Hoë von Hoënegg (1580-1645) und Friedrich Balduin (1575-1627), die Schütz gekannt haben könnte, arbeitete Koch wesentliche Linien zur Christologie, der Ethik und der unio mystica heraus. In der Musik von Schütz würden sich seiner Meinung nach diese typischen lutherischen Theologumena des frühen 17. Jahrhunderts widerfinden. Es dürfte deshalb Eggenberg schwer gefallen sein, diese Musik zu verstehen.

Schließlich ging MAIK RICHTER (Halle an der Saale) den „‚Cantiones Sacrae‘ als musikalische Gattung um 1600“ nach. In drei Schritten fragte er nach der kulturhistorischen bzw. liturgischen Bedeutung von „Cantiones Sacrae“, der Vertonung bestimmter Texte sowie der musikalischen Seite. Insgesamt konnte er auf eine erstaunliche Dichte von „Cantiones Sacrae“ zwischen 1565 und 1625 zurückgreifen. Allerdings sind die Hintergründe und Zielgruppen für diese Vertonungen so individuell, dass sie schwer auf einen einheitlichen Gebrauch hindeuten. Insofern stellt die Bezeichnung „Cantiones Sacrae“ eher eine Sammelbezeichnung verschiedenster geistlicher Kompositionen bevorzugt in lateinischer Sprache dar. In jedem Fall fällt die Motettensammlung von Schütz durch ihre vielen Besonderheiten im Hinblick auf die Textauswahl als auch die Komposition selbst deutlich aus dem Rahmen der anderen Vertonungen mit ähnlichem Titel.

Das Weißenfelser Kolloquium überprüfte eine Reihe älterer Thesen und Deutungen, die aufgrund neuer Forschungen korrigiert oder erweitert werden konnten. Wahrscheinlich handelt es sich bei den „Cantiones Sacrae“ um eine Komposition, die Schütz zielgerichtet für Hans Ulrich von Eggenberg anfertigte. Darin herrschte bei den Referent/-innen Einigkeit. Die Entstehung der „Cantiones Sacrae“ im Dresdner Kontext hat aufgrund der Andachtsstruktur als auch der theologischen Ausrichtung des Werkes Einfluss auf ihre Interpretation. Ohne die Beachtung dieses Kontextes ist ein Verständnis des Werkes nur schwer möglich. Insofern verdient der Beitrag von Ernst Koch große Beachtung, der Methoden der Bach-Forschung auf die Schütz-Forschung anwandte. Ältere Deutungen, dass es sich bei diesem Werk von Heinrich Schütz wegen seiner Textauswahl um eine „ökumenische Komposition“ handele, sind zurückzuweisen. Schütz war überzeugter Lutheraner und Eggenberg lebte in Formen jesuitischer Frömmigkeit. Eine Verbindung zwischen diesen „Konfessionskulturen“ (so Thomas Kaufmann) ist nur schwer denkbar. Eine Publikation der Beiträge ist vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Henrike RUCKER / Stefan MICHEL: Begrüßung und Einführung

I. SEKTION: ENTSTEHUNGSBEDINGUNGEN DER „CANTIONES SACRAE“

Jürgen Heidrich (Münster): Welche musikalischen Einflüsse zwischen Kassel, Venedig und Dresden könnten Heinrich Schütz zu seinen „Cantiones Sacrae“ inspiriert haben?

Stefan Michel (Leipzig): Die Beziehungen zwischen Heinrich Schütz und Hans Ulrich von Eggenberg. Kursachsen und Innerösterreich um 1600

II. SEKTION: DIE TEXTGRUNDLAGE DER „CANTIONES SACRAE“

Heide Volkmar-Waschk (Köln): Der Text der „Cantiones Sacrae“ in der bisherigen Forschung

III. SEKTION: „CANTIONES SACRAE“ IM VERGLEICH

Ernst Koch (Leipzig): Die Precationes ex veteribus orthodoxis doctoribus collectae des Andreas Musculus (1514-1581) sowie die Soliloquia des Hans Ulrich von Eggenberg (1568-1634) als Textvorlage für die „Cantiones Sacrae“ von Heinrich Schütz

Maik RICHTER (Halle an der Saale): „Cantiones Sacrae“ als musikalische Gattung um 1600?


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