Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger

Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger

Organisatoren
Prof. Dr. Dieter Geuenich (Universität Duisburg-Essen)
Ort
Mülheim an der Ruhr
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2004 - 26.09.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Ingo Runde, Gerhard Mercator Universität Duisburg

Der Preis der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der deutschen Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage ging im Jahr 2004 an die Gruppe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im DFG-Projekt ‚Nomen et gens' 1. Anlässlich der Preisverleihung fand vom 24.-26.09.2004 unter dem Titel "Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger" ein von Prof. Dr. Dieter Geuenich (Universität Duisburg-Essen) mit Unterstützung der DFG organisiertes, interdisziplinäres Kolloquium in der Katholischen Akademie ‚Die Wolfsburg' (Mülheim an der Ruhr) statt.

Die Vorträge behandelten vor allem linguistische und historische Aspekte der frühmittelalterlichen Personennamengebung, wobei im Rahmen von internationalen Projektvorstellungen der Bereich des EDV-Einsatzes besondere Berücksichtigung fand, der auch in dem ausgezeichneten DFG-Projekt ‚Nomen et gens' eine zentrale Rolle spielt. Als Grundlage für die auf mehrere Universitäten verteilten Arbeitsstellen wurde eine internetbasierte, relationale Datenbank geschaffen, die eine Erforschung der Zusammenhänge zwischen Personenamengebung und ethnischer bzw. sozialer Zugehörigkeit der Träger dieser Namen im frühen Mittelalter ermöglichen und nach Abschluss des Projektes allen interessierten Nutzern offen stehen soll. Nicht zuletzt für den Aufbau und die inhaltliche Bearbeitung dieser - inzwischen etwa 50.000 nachgewiesene Personennamenbelege samt Kontextinformationen aus Schriftquellen vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. umfassenden - Datenbank wurde der Henning-Kaufmann-Preis folgenden Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern von dem Vorstandsvorsitzenden der Henning-Kaufmann-Stiftung, Prof. Dr. Friedhelm Debus (Kiel), überreicht: Dr. Jan-Ulrich Büttner und Ina Grünjes (Bremen); Matthias Böck M.A., Heike Hawicks M.A., Dr. Walter Kettemann und Dr. Ingo Runde (Duisburg-Essen); Dr. David Fraesdorff, Sebastian Benkmann und Dr. Steffen Patzold (Hamburg); Dr. Tobias Weller und Albrecht Brendler M.A. (Koblenz); Dr. Michael Kleinen und Diana Trapp (Magdeburg); Claudia Giefers M.A. (Paderborn); Sandra Reimann und Dr. Susanne Näßl (Regensburg); Dr. Christa Jochum-Godglück und Andreas Schorr M.A. (Saarbrücken). Prof. Debus war es auch, der die Vorträge zur Preisverleihung eröffnete, indem er den Stifter und die Ziele der "Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der deutschen Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage" vorstellte. Die "Laudatio auf die Forschergruppe ‚Nomen et gens'" hielt Prof. Dr. Stefan Sonderegger (Zürich), der zugleich einen Überblick über Vorläuferprojekte und grundlegende Forschungen von Ernst Förstemann über Henning Kaufmann bis zum "Neuen Förstemann" bot.

Stellvertretend für die Gruppe der Preisträger erläuterte zunächst Dr. Walter Kettemann (Duisburg-Essen) die Arbeitsmethode "Vom Überlieferungsbefund zur Ergebnispräsentation. Konzeption und Organisation der datenbankbasierten Projektarbeit" und stellte anhand der dabei gewonnenen Erfahrungen die Vor- und Nachteile von seriellen und relationalen Datenbankstrukturen dar. Die philologischen Aspekte wurden anschließend am Beispiel der Bezeichnungen für Waffen und Rüstungen von Dr. Christa Jochum-Godglück (Saarbrücken) in ihrem Beitrag über "Seltene Namenelemente in zweigliedrigen germanischen Personennamen" behandelt. Die Vorteile der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Historikern und Philologen wurden abschließend in dem gemeinsam von Dr. Steffen Patzold (Hamburg) und Andreas Schorr M.A. (Saarbrücken) gehaltenen Vortrag über "Personennamen als quellenkundliche Indikatoren" deutlich, da es durch die Kooperation gelang, neue Indizien für eine gesichertere Datierung der ‚Vita Ansberti', der ‚Vita Austregisili' sowie der ‚Vita Goaris' zu gewinnen. Abgerundet wurde der Preisverleihungstag durch den von Prof. Dr. Friedhelm Debus (Kiel) gehaltenen Abendvortrag "Förderung der Wissenschaft durch Stiftungen. Die Henning-Kaufmann-Stiftung als Beispiel", in dem nicht nur die zweizügige Struktur der Stiftung, sondern auch die Person des Stifters Henning Kaufmann (1897-1980) eingehend behandelt wurden. Es konnte zugleich auf den ersten Band der neu aufgelegten Buchreihe "Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage" aufmerksam gemacht werden 2, deren zweiter Band die Beiträge dieser Preisverleihung beinhalten wird.

Einen Blick über das engere Untersuchungsgebiet des Projektes ‚Nomen et gens' hinaus warfen die Beiträge des nächsten Tages. Prof. Dr. Heinrich Beck (Bonn) sprach über "Namenprobleme im frühskandinavischen Kontext" und stellte dabei die Ereignisnamen, Ritualnamen und Waffennamen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, wobei vor allem die sog. "Namenhaufen", aber auch die im Brakteatencorpus vorkommenden Personennamen thematisiert wurden. Auf den Spuren des sprachlichen Erbes von Sueben, Westgoten und Franken untersuchte Prof. Dr. Dieter Kremer (Trier) "'Germanische' Personennamen auf der Iberischen Halbinsel" und wies dabei auf die zahlreichen Probleme hin, die gerade auch in diesem Raum bei Rückschlüssen von den Namen (früh-)mittelalterlicher Personen auf deren ethnische Zugehörigkeit zu berücksichtigen sind. Ebenso wie dort Mechanismen der Namengebung oder die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine größere Rolle spielen konnten als die unmittelbare Abstammung von einer bestimmten ‚gens', standen "Namen und Symbole in Unterfertigungen von Urkunden" nach den Ausführungen von Prof. Dr. Reinhard Härtel (Graz) in Wechselwirkungen, bei denen personenbezogene Zeichen vor dem Namenszug weniger konkret auf eine Person als vielmehr auf eine Handlung (Bezeugung) oder eine Berufsgruppe (Notare) verweisen dürften. Die Motive der Namengebung lassen sich aufgrund der Quellenlage in frühen Zeiten nur schwer ermitteln, wie auch die Frage nach "Nomen et gens im Urgermanischen?" zeigt, der Prof. Dr. Hermann Reichert (Wien) nachging, um abschließend auf eine passwortgeschützte Internetseite hinzuweisen, auf der eine ständig aktualisierte, überarbeitete Fassung seines "Lexikons der altgermanischen Namen" bei Anfrage für Forschungsarbeiten zur Verfügung gestellt werden kann 3.

Der Blick auf das Umfeld des Projektes ‚Nomen et gens' richtete sich nun auf den angelsächsischen Bereich, wo mit der ‚Prosopography of Anglo-Saxon England (PASE)' eine parallele, wenn auch vornehmlich historische Unternehmung existiert, die von Prof. Dr. Janet Nelson und Dr. Francesca Tinti (beide London) unter dem Titel "1066 and all that? Anglo-Saxon identity before and after 1066" vorgestellt wurde - das bis zum Jahr 1042 gediehene Projekt soll als ‚PASE 2' fortgesetzt werden und angelsächsische Personen aus ca. 1100 niedergeschriebenen Quellen in einer prosopographischen Online-Datenbank zusammenfassen 4. Die dabei im Zentrum stehende Suche nach der ethnischen (‚sächsischen' oder ‚englischen') Identität von Personen stößt rasch an Grenzen, wenn lediglich tradierte Namen ohne weitere Kontextinformationen überliefert sind, wie auch in dem Beitrag über "Die germanischen Personennamen in Italien und ihr Fortleben bis heute" deutlich wurde. Nach Prof. Dr. Maria Giovanna Arcamone (Pisa) ist bei einer von dem Namenbestand der Gegenwart ausgehenden Untersuchung zu beachten, dass vor allem die über den Weg als Zweitnamen verfestigten Familiennamen als "wahre Erben" germanischer Personennamen anzusehen sind. Vor allem in Norditalien bereitet zudem die Unterscheidung zwischen langobardischem und fränkischem Namenerbe besondere Schwierigkeiten, wobei mit letzterem unabhängig von der einzelnen gentilen Zugehörigkeit ihrer Träger alle Personennamen gemeint sind, die dem Herrschaftsgebiet des fränkischen Reichs entstammten. Dessen innere Struktur stelle jedoch selbst ein größeres Forschungsproblem dar, wie Dr. Heike Grahn-Hoek (Braunschweig) in ihrem Vortrag über "Franci und Francia im 6. Jahrhundert. Zu den historischen Ursachen einer sprachlichen Entwicklung" deutlich machen konnte. Sie legte dies vor allem anhand von Gregor v. Tours und Fredegar die Entwicklung der Reichsteil- bzw. Teilreichsbezeichnungen im Zeitraum vom 5. bis 7. Jh. Dar.

Die durch Statements von Dr. David Fraesdorff (Hamburg), Dr. Michael Kleinen (Magdeburg), Dr. Susanne Näßl (Regensburg) und Alexander Willinek (Duisburg-Essen) eröffnete abendliche Podiumsdiskussion konnte die Frage "Ist die Drucklegung eines Personennamenlexikons neben einer datenbankbasierten Internetpublikation noch sinnvoll?" zwar nicht abschließend klären, doch wurde ein Trend zur Online-Datenbank in Verbindung mit gedruckten Auswertungen deutlich. Zugleich diente die Podiumsdiskussion als Überleitung zu den Berichten aus der ‚Werkstatt' des Projektes ‚Nomen et gens', die durch Prof. Dr. Albrecht Greules (Regensburg) Beitrag über "Probleme der germanischen Wortbildung im Lichte der Personennamen-Analyse" eröffnet wurden, der Kurzformen und die Komposition von zweigliedrigen Personennamen mit Fugenvokal in den Blick nahm. Die historische Seite im Projekt vertrat Prof. Dr. Hans-Werner Goetz (Hamburg), der nicht zuletzt in einer Gegenüberstellung mit Harald Kleinschmidts Arbeiten über "Probleme, Wege und Irrwege bei der Erforschung gentiler Namengebung" sprach. Erneut aus philologischer Perspektive erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs (Saarbrücken) u.a. anhand des ‚Remico-Steines' und einer neuen Wormser Inschrift aus der Zeit um 500 mit dem Personennamen ‚Aigttheus' Erkenntnismöglichkeiten aus "Personennamen in rheinischen Inschriften des frühen Mittelalters". Mit der Bearbeitung des Bayern-Namenmaterials standen schließlich im Beitrag von Matthias Böck M.A. und Prof. Dr. Dieter Geuenich (beide Duisburg-Essen) die "Möglichkeiten der statistischen Auswertung der im Projekt erfassten Personennamen" und damit der EDV-Aspekt des Projektes wieder im Vordergrund der Betrachtungen. Ein Schwerpunkt, der sich auch bei den Ausführungen "Zum Probe-Artikel ‚Gotefrid' - *guda-friþu-z" von Heike Hawicks M.A. und Dr. Ingo Runde (beide Duisburg-Essen) fortsetzte, in denen am Beispiel des alemannischen Herzogs Gotefrid (2. Hälfte 7. bis Anfang 8. Jahrhundert) anhand der Struktur des Probe-Artikels kurz das Verfahren der Auswahl von Namenbelegstellen mit halbautomatischer und philologischer Lemmatisierung, deren namenkundliche Bearbeitung und die Zusammenführung der kritisch bearbeiteten Quellenstellen zu einem Personenkommentar erläutert wurden. Albrecht Brendler M.A. (Bonn-Koblenz) verdeutlichte in seinen Darlegungen "Zum Probe-Artikel ‚Chrodobert'", wie problematisch die Identifizierung einzelner Personen sein kann, wenn es sich um Träger eines häufiger verwendeten Personennamen handelt. Ina Grünjes (Bremen) stellte anschließend "Die sozialgeschichtliche Auswertung der Personennamen im Projekt ‚Nomen et Status'" auf der Grundlage des Personennamenmaterials im Polyptychon von St. Germain-des-Prés vor. Wie wichtig und zugleich fruchtbar die Einhaltung einer exakten Methodik in Verbindung mit klaren Begriffsdefinitionen im Rahmen eines interdisziplinär angelegten Projektes ist, verdeutlichte Diana Trapp M.A. (Magdeburg) in ihrem Bericht über "Probleme von ‚Doppelnamen'", wobei bereits der Terminus ‚Doppelnamen' selbst als Problem erkannt wurde.

Zu den Einsichten, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der abschließenden Exkursion zum Kloster Saarn und nach Schloss Broich mit auf den Heimweg nahmen, zählte gewiss, dass interdisziplinäre Kooperationen für einen Erkenntnisgewinn bei komplexen Themengebieten wie ‚Nomen et gens' ebenso unabdingbar sind wie ein gezielter und nicht zum Selbstzweck generierter Einsatz der EDV als Hilfsmittel für die Datenaufnahme und -auswertung. Er dient zugleich nicht nur der projektinternen Kommunikation, sondern unterstützt begleitend zur traditionellen Printpublikation die Vermittlung des im Rahmen der Projektarbeit bereitgestellten Materials nach außen. Eine verstärkte Einbeziehung der außerhalb des eigenen Projektrahmens an ähnlichen Inhalten arbeitenden internationalen Forschungslandschaft durch Datenaustausch und -verknüpfung via Internet gehört zu den bereits im Verlauf dieser Tagung konkret angegangenen Zukunftsperspektiven auf dem Gebiet der Erforschung frühmittelalterlicher Personennamen.

Anmerkungen:

1http://www.nomen-et-gens.de. Als Publikationen aus diesem Projekt liegen bislang folgende Bände vor: Nomen et gens. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 16), hrsg. von Dieter Geuenich, Wolfgang Haubrichs und Jörg Jarnut, Berlin / New-York 1997; Dieter Geuenich, Wolfgang Haubrichs und Jörg Jarnut: Sprachliche, soziale und politische Aspekte der Personennamen des 3. bis 8. Jahrhunderts. Vorstellung des interdisziplinären Projekts ‚Nomen et gens', in: Onoma 34, 1999, S. 91-99; Person und Name. Methodische Probleme bei der Erstellung eines Personennamenbuchs des Frühmittelalters (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 24), hrsg. von Dieter Geuenich, Wolfgang Haubrichs und Jörg Jarnut, Berlin / New-York 2002; Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde), hrsg. von Dieter Hägermann, Wolfgang Haubrichs und Jörg Jarnut, Berlin / New-York 2004 (im Druck).
2 Namen in sprachlichen Kontaktgebieten. Jahrespreise 2000, 2001, 2003 der "Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der deutschen Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage" (= Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage, Band 1), hrsg. von Friedhelm Debus, Hildesheim 2004.
3 Reichert, Hermann: Lexikon der altgermanischen Namen (= Thesaurus Palaeogermanicus, Band 1), Teil 1: Text, Wien 1987, Teil 2: Register, Wien 1990.
4http://www.kcl.ac.uk/cch/pase

Kontakt

Arch.-Ass. Dr. Ingo Runde
Universität Duisburg-Essen
Fach Geschichte
Lotharstr. 65, 47048 Duisburg
e-Mail: Runde@uni-duisburg.de
http://www.uni-duisburg.de/FB1/GESCHICHTE/Runde.htm


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